Wurmlöcher von Kiajira ================================================================================ Kapitel 30: Rückkehr und Erinnerung ----------------------------------- Kapitel 30 – Rückkehr und Erinnerung Als die Welt um Hermine wieder Form annahm und die Schwärze sie wieder freigab, holte sie tief Luft. Blinzelnd sah sie sich um. Sie stand am Rand des Schulgeländes auf dem Weg nach Hogsmeade. Das Tor mit den beiden Ebern erhob sich nicht weit von ihr, und ein Stück weiter den Berg hinauf konnte sie die Zinnen Hogwarts‘ erkennen. Sie schluckte. Nichts war anders als sonst. Es wirkte seltsam friedlich, als wäre nichts geschehen seit jenem Tag, an dem sie zum ersten Mal hier Unterricht gehabt hatte. Ihr wurde das Herz schwer. Seufzend machte sie sich auf dem Weg zu den schmiedeeisernen Torgittern, die mit Magie versiegelt waren. Sie legte kurz eine Hand an die glühenden Gitter, und im nächsten Moment schwangen sie auf. Ein schwaches Lächeln überzog ihr Gesicht. Dieser Zauber war absolut genial. Ein Teil der Magie war in jedes Ordensmitglied eingespeist worden, und so konnten sie mit ihrer Haut Versiegelungen öffnen, die mit dem gleichen Zauber gesprochen worden waren. Eine sehr sichere Methode. Zwar nicht vor Verrätern gesichert, aber diese Schwachstelle hatte man immer. Nachdem sie ein paar Schritte auf das Schulgelände gemacht hatte, schloss sich das Tor quietschend hinter ihr und fiel mit einem Klirren ins Schloss. Sie zuckte zusammen. Plötzlicher Lärm war zurzeit nie gut und ließ sie immer aufhorchen. Es war seltsam, dass es diesmal nichts gab, was die Alarmbereitschaft wert gewesen wäre. Mit ruhigem Schritt machte sie sich auf den Weg zum Schloss, mühsam darauf bedacht, an nichts und niemanden zu denken. Es fühlte sich seltsam an, wieder hier zu sein. Es konnte nicht viel mehr Zeit als eine Woche vergangen sein, doch durch die wieder erlangten Erinnerungen kam es ihr vor wie eine Ewigkeit. Sie hatte das Zeitgefühl verloren. Doch kaum hatten sie die Eingangshalle betreten, war es vorbei mit ihrer Ruhe. Ein paar Schüler waren gerade die Treppe herunter gekommen und hatten sie erkannt. Es waren Gryffindors, die natürlich mitbekommen hatten, dass sie die letzte Zeit nicht im Gemeinschaftsraum gewesen war. „Hermine!“, rief ein Mädchen aus der dritten Klasse. Miriam, wenn Hermine es richtig in Erinnerung hatte. „Wo warst du?“ Sie winkte ab. „Darf ich nicht sagen.“ „Hat es etwas mit Du-weißt-schon-wer zu tun?“, wollte ihre Freundin, Jane, aufgeregt wissen. Hermine lächelte matt. „Was hat heute NICHTS mit Voldemort zu tun? Und nennt ihn beim Namen, das macht ihn auch nicht gefährlicher.“ Die beiden starrten sie mit großen Augen an. Hermine seufzte. „Kommt schon, ihr nennt euch Gryffindors? Sagt es.“ Die beiden tauschten einen Blick, dann holte Miriam tief Luft und flüsterte: „Vol…demort.“ Hermine zwang sich zu einem Lächeln. „Gut gemacht.“ Jane warf ihrer Freundin einen vorwurfsvollen Blick zu, dann murmelte sie ebenfalls ein schnelles: „Voldemort“. Hermine nickte ihr zu. „Du auch.“ Innerlich dachte sie sich, dass ihr nichts in diesem Moment egaler war, doch sie musste weiter führen, was Dumbledore und Harry begonnen hatten. Dumbledore hatte Recht gehabt. Die Angst vor einem Namen steigerte nur die Angst vor der Sache selbst. Sie seufzte. „Würdet ihr beide mich entschuldigen? Ich möchte erst einmal wieder hier ankommen.“ Rasch nickten die zwei und verabschiedeten sich. Sie gingen in die Große Halle, Hermine stieg die Marmortreppe empor. Zehn Minuten später war sie im Gemeinschaftsraum angekommen, wimmelte noch mehr neugierige Gryffindors ab und floh fast in den Schlafsaal hinauf. Zum Glück waren ihre Zimmergenossinnen nicht hier. Die beiden hatten ihr gerade noch gefehlt. Sie streifte ihre dunkelblaue Kampfrobe ab, die sie über der Schuluniform getragen hatte wie bei ihrer Gefangennahme und ließ sich auf ihr Bett fallen. Der rote Baldachin über ihr wirkte seltsam ungewohnt, wo sie in ihren Erinnerungen doch monatelang unter einem blauen geschlafen hatte. Seufzend begann sie, die Ereignisse der letzten Tage in ihrem Kopf zu sortieren und zu analysieren. Es war viel zu viel passiert. Letztendlich jedoch lief es alles darauf hinaus, dass sie immer noch im Krieg gegen Voldemort waren – und dass es schlimmer stand denn je. Ron war tot, Harry kampfunfähig und Dumbledore in Gefangenschaft und – da erlaubte sie sich keine Hoffnung, Hoffnung war das Schlimmste, was ihr in letzter Zeit passiert war – sicherlich bald tot. Wer würde weiter machen? Nun, sie auf jeden Fall. Voldemort tötete und folterte immer noch, um seine Ziele zu erreichen. Das war nicht akzeptabel und sie musste ihn davon abhalten, egal, was zwischen ihnen passiert war. Oder vielleicht gerade deswegen. Immerhin war sie irgendwo mit Schuld… Sie dachte den Gedanken nicht weiter, bevor er sie erneut in ein Loch befördern konnte. Tatsache war, sie war wieder da gewesen und Voldemort hatte trotzdem so weiter gemacht wie vorher. Also würde sie auf diesem Weg nicht weiter kommen. Sie würde dementsprechend weiter den Orden unterstützen und helfen, wo Hilfe gebraucht wurde. Wer würde den Orden leiten, ohne Dumbledore? Als Erstes fielen Hermine Professor McGonagall und Alastor Moody ein. Sie beschloss, sich an McGonagall zu halten, immerhin war sie auch bisher neben Dumbledore ihre Ansprechpartnerin im Schloss gewesen. In diesem Moment fiel ihr etwas ein. Sollte nicht zumindest der Anführer des Ordens wissen, was passiert war? Es war immerhin mehr als seltsam, dass sie aus einer offensichtlichen Gefangenschaft Voldemorts unversehrt entkommen war, und das mitsamt ihrem Zauberstab. Wenn niemand Bescheid wusste, würde sie wohl kaum als vertrauenswürdig eingestuft werden. Nachdem sie soweit gedacht hatte, stutzte sie jedoch. Voldemort hatte sie auf Anhieb wieder erkannt. Und Minerva McGonagall war damals mit ihr in Hogwarts gewesen. Wusste sie davon? Hatte auch sie Hermine wieder erkannt? Und wenn ja, wie viel wusste sie? Oder hatte Dumbledore auch ihr Gedächtnis manipuliert, damit sie keinen Verdacht schöpfte? Einen Augenblick zögerte Hermine, dann beschloss sie, die Karten bei ihrer Lehrerin auf den Tisch zu legen. Wenn sie es nicht tat, dann hätte sie wieder das Problem, dass ihr niemand glaubte, dass sie einfach so hatte fliehen können. Und wenn McGonagall ebenfalls unter einem Gedächtniszauber stand, dann würde sie ihr hoffentlich genug vertrauen, dass sie ihn lösen konnte. Wenige Minuten später stand Hermine vor Minerva McGonagalls Büro und stellte etwas zu spät fest, dass diese im Moment im Unterricht war. Missmutig setzte sie sich auf den kalten Steinboden und wartete. Zwanzig Minuten später ertönte die Schulklingel und kurz darauf rauschte die Professorin schon den Gang entlang. Als sie Hermine neben ihrer Bürotür erblickte, blieb sie stocksteif stehen. Nach einem Moment verengten sich ihre Augen, und sie zog den Zauberstab. Hermine schluckte, ließ ihren Zauberstab jedoch stecken. Es tat weh, sich in der Rolle des potenziellen Feindes zu sehen, doch sie konnte es nachvollziehen. Kein Wunder, dass ihre Lehrerin misstrauisch war. Es war nun einmal Krieg, und sie hatten gerade ihren Anführer verloren. Langsam kam McGonagall auf sie zu, immer den Zauberstab auf sie gerichtet, bis sie neben ihr vor der Bürotür stand. Hermine blickte ihr genau in die Augen und zeigte ihre leeren Hände. „Miss Granger? Wie kommen Sie hierher?“ Hermine lächelte schwach. „Ich bin entkommen. Aufgrund von… nennen wir es besonderen Umständen, über die ich gerne mit Ihnen sprechen möchte. Ich stehe nicht unter Imperius und Sie können meinen Zauberstab auch gerne an sich nehmen, während wir uns unterhalten.“ Einen Wink mit McGonagalls Zauberstab später hatte die Professorin den von Hermine in der Hand. Sie ließ sie weiterhin nicht aus den Augen, während sie den Zauberstab untersuchte. Schließlich brummte sie zustimmend. „Meinetwegen. Wenn Sie die Tür öffnen.“ Hermine lächelte erneut schwach. Sie wusste, dass die Tür genauso versiegelt war wie das Schlossportal, zusätzlich zu einigen persönlichen Schutzzaubern, die Professor McGonagall gerade aufhob. Sie legte ohne zu Zögern die Hand auf den Türknauf. Kurz leuchtete die Tür im hellen Blau der Magie auf, dann klickte es unter ihren Fingern und sie ließ sich öffnen. McGonagall nickte knapp und winkte sie herein. „Also, Sie scheinen ja Sie selbst zu sein, wenn Sie die Tür öffnen konnten. Das schließt schon einmal meine schlimmsten Befürchtungen aus. Setzen Sie sich.“ Sie schloss die Tür hinter ihnen beiden, während Hermine sich auf dem Stuhl vor ihrem Schreibtisch nieder ließ. Sie selbst nahm dahinter Platz und musterte Hermine durchdringend. Wieder richtete sie den Zauberstab auf sie und schwenkte ihn stumm. Hermine fühlte ein leichtes Kribbeln an der Kopfhaut und spürte, wie ihre Frisur sich in einem wirren Haarwust auflöste. Anscheinend hatte ihre Lehrerin einen Finite Incantatem auf sie gesprochen. „Ich stehe nicht unter Imperius“, meinte sie. McGonagall musste fast lächeln. „So bekommen Sie Ihre Haare in Form?“ Hermine schnitt eine Grimasse. „Geht nicht anders.“ Sie holte tief Luft. „Ich bin sicher, Sie wollen vor allem wissen, wie und wieso ich entkommen konnte, wenn im Moment selbst Dumbledore dort fest sitzt.“ McGonagalls Augen wurden einen Tick größer. „Haben Sie ihn gesehen? Wie geht es ihm?“ Hermine seufzte und senkte den Blick. „Er sieht nicht gut aus“, meinte sie leise. „Nicht viel besser als Harry, als er… ohne Ron… zurück gekommen ist. Wie er aussah, nachdem Voldemort einen Cruciatus auf ihn losgelassen hat, weiß ich nicht. Ich wollte nicht hinsehen.“ Totenstille breitete sich zwischen den beiden aus. Nach einem endlosen Moment sprach Professor McGonagall das aus, was keiner von beiden gerne wahrhaben wollte und was doch so offensichtlich war. „Hat er eine Chance?“ Hermine biss sich auf die Lippe. „Es sieht wirklich schlecht aus“, gab sie sehr leise zurück. „Voldemort lässt ihn nur am Leben, um sich weiter an ihm rächen zu können. Er lässt ihn zwischendurch wieder erholen, aber nur, damit er nicht früher stirbt, als er es will. Er würde allerdings niemals zulassen, dass er sich so weit erholt, dass er eine Chance hat.“ McGonagall starrte sie an, blankes Entsetzen in den Augen. Rasch senkte Hermine den Blick wieder, sie konnte ihn nicht lange erwidern. Diesmal dauerte die Stille zwischen ihnen beiden lang. Sehr lang. Schließlich wurden sie durch ein Klopfen an der Tür unterbrochen. Die Professorin zuckte zusammen, räusperte sich und rückte ihren Hut zurecht, bevor sie Hermine mit einem Winken bedeutete, sich in den hinteren Teil ihres Büros zurück zu ziehen. Hermine ließ sich das nicht zweimal sagen und floh zwischen einige Bücherregale, wo sie vom Eingang aus fast nicht sichtbar war. Offensichtlich stand ein Schüler draußen vor der Tür, der eine Frage hatte. McGonagall beantwortete sie ihm knapp und mit ungeduldigem Tonfall. Hermine musste fast lächeln. In den unteren Klassen hatten die meisten Schüler wegen dieser unwirschen Art fast Angst vor ihr gehabt. Sie selbst hatte niemals Angst vor irgendeinem Lehrer gehabt, außer vor Umbridge, doch sie konnte die anderen Schüler durchaus nachvollziehen. Die meisten dachten nicht so weit, um zu erkennen, dass hinter jedem Lehrer auch nur ein Mensch steckte. Und dass es durchaus seine Gründe hatte, warum jeder Lehrer so war, wie er war – aber eben auch, dass ein Lehrer deswegen niemals perfekt sein konnte. Nach einigen Minuten schloss McGonagall die Tür wieder. „Miss Granger? Setzen Sie sich wieder.“ Hermine gehorchte schweigend. Ihre Lehrerin ließ sich seufzend wieder auf ihrem Stuhl nieder und musterte Hermine streng. „Ja, ich will wissen, wie und wieso Sie entkommen konnten – vor allem mitsamt Ihrem Zauberstab.“ Hermine nickte. „Das ist eine etwas längere Geschichte.“ Sie hielt inne und überlegte, wie sie anfangen sollte. Schließlich entschied sie sich für den Anfang. „Sagt Ihnen der Name Hermine Wilson etwas?“ McGonagall runzelte die Stirn und starrte einen Moment überlegend an die Wand hinter Hermine, dann schüttelte sie den Kopf. „Tut mir Leid, nein. Woher sollte ich ihn kennen?“ „Aus Ihrer Schulzeit. Sechste und siebte Klasse.“ Wieder überlegte sie, doch wieder schüttelte sie den Kopf. Hermine seufzte. „Okay, dann wird das etwas schwieriger. Haben Sie Erinnerungslücken an diese Zeit? Ich weiß, dass es nach so langer Zeit schwierig ist, das zu beurteilen, aber versuchen Sie es bitte.“ McGonagall musterte Hermine verwirrt. „Wenn Sie mir danach sagen, worauf Sie hinauswollen…“ Rasch nickte Hermine. Ihre Professorin dachte erneut nach. Auf ihrer Stirn entstanden mehr und mehr Falten, bis sie letztendlich reichlich konfus wieder Hermines Blick suchte. „Ich bin mir nicht sicher, aber es ist gut möglich. Manche Dinge fühlen sich… anders an als die Dinge, die ich einfach vergessen habe. Weniger verschwommen, eher wie… schwarze Löcher, die scharf abgegrenzt sind.“ Hermine nickte langsam. „Glauben Sie mir, wenn ich Ihnen sage, dass dort der Grund dafür ist, wie Voldemort mich behandelt?“ Jetzt schien McGonagall endgültig verwirrt zu sein. „Wieso? Sie waren doch zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht-“ Sie stockte mitten im Satz. „Hermine Wilson, haben Sie gesagt?“ Ihre Augen wurden größer. „Was haben Sie GETAN?!“ Hermine wurde unwillkürlich ein Stück kleiner. „Ich habe nach Rons Tod… die Hoffnung verloren, dass wir noch viel erreichen können. Also habe ich beschlossen, das Übel an der Wurzel zu packen.“ McGonagall blinzelte entsetzt und presste die Lippen aufeinander. „Sie waren in der Vergangenheit?“ Hermine nickte langsam. Fassungslose Blicke trafen sie. „Sie müssen gewusst haben, dass es nicht funktionieren kann“, meinte McGonagall. Hermine seufzte. „In dem Moment war ich so in meinen Gefühlen gefangen, dass ich das eben nicht gesehen habe. Und Dumbledore hat es mir nicht gesagt und mir einen Zeitumkehrer besorgt, weil er wusste, dass ich schon dort war und er es nicht mehr verhindern konnte.“ McGonagall vergrub das Gesicht in den Händen. Hermine meinte, sie leise fluchen zu hören, doch sicher war sie sich nicht. Schließlich blickte die Professorin Hermine wieder an. „Und wieso sind meine Erinnerungen an diese Zeit verschwunden?“ Hermine seufzte. „Dumbledore. Er hat Ihnen vermutlich, bevor ich eingeschult wurde, die Erinnerung genommen. Genauso, wie er mir die Erinnerung genommen hat, als ich wieder hierher zurückgekommen bin, damit ich nicht daran kaputt gehe, dass es nicht geklappt hat. Ich habe sie erst wieder bekommen, als To – Voldemort den Gedächtniszauber gebrochen hat.“ Professor McGonagall seufzte. „Das sieht ihm ähnlich.“ Sie starrte einen Moment ins Leere, dann fixierte sie Hermine wieder. „Ich würde Sie ja fragen, ob Sie mir meine Erinnerungen suchen gehen, aber ohne die Information, wie Sie entkommen sind, kann ich Ihnen nicht komplett trauen. Das ist nichts persönliches, ich hoffe, das verstehen Sie.“ Hermine nickte. „Vollkommen. Wollen Sie Ihre Erinnerungen von jemand anderem wieder holen lassen? Wenn ich es Ihnen einfach sagen würde, glaube ich kaum, dass Sie mir ohne diese Erinnerung glauben.“ McGonagall musterte Hermine eindringlich, dann beschwor sie kurzerhand ihren katzenförmigen Patronus herauf und schickte ihn davon. „Ich werde Filius hierher holen. Er wird aufpassen, dass Sie nichts Unerwünschtes tun. Im Grunde vertraue ich Ihnen ja, es ist lediglich…“ Wieder nickte Hermine. „Eine Sicherheitsmaßnahme. Ich verstehe das.“ Professor McGonagall seufze und schüttelte den Kopf. „Traurig, dass wir in Zeiten leben, in denen das nötig ist.“ Hermine lächelte schwach. „Es ist nun mal nicht zu ändern. Wir können nur zusehen, dass wir das Beste aus unserer Zeit machen.“ Die Lehrerin nickte. „Ja. Das können wir.“ In diesem Moment klopfte es, und Filius Flitwick, seines Zeichens Lehrer für Zauberkunst, betrat den Raum. Seine Augen wurden ebenfalls groß, als er Hermine erblickte. „Miss Granger!“, quietschte er fast. „Es freut mich, Sie wohlbehalten wieder zu sehen!“ Dann verdüsterte sich sein Gesicht. „Auch wenn das natürlich alles andere als natürlich ist.“ Hermine nickte und seufzte. „Ich weiß. Wie haben Sie beide sich das vorgestellt?“ Flitwick trat neben sie. „Wie haben Sie es sich vorgestellt, diese angeblichen Erinnerungen wieder zu holen?“ Hermine überlegte einen Moment. „Als meine Erinnerungen wieder kamen, hat es sich angefühlt wie eine Art… Blase tief in meinem Kopf, in der sie eingeschlossen waren, und die dann aufgeplatzt ist. Ich denke, ich werde so etwas suchen und dann… versuchen, sie ebenfalls zum Platzen zu bringen.“ Der kleine Mann nickte langsam. „Ich werde währenddessen ebenfalls in Minervas Gedanken eindringen und dafür sorgen, dass Sie nichts anderes tun. Außerdem werde ich auch außerhalb ein Auge auf Sie haben. Auf Minervas Wunsch werde ich mich natürlich zurückziehen.“ McGonagall nickte zackig, und einen Moment später nickte Hermine ebenfalls. Es war ein Kompromiss, den sie eingehen musste. Außerdem war Flitwick ebenfalls ein Sympathisant des Ordens und er würde als Mitwisser sicher ein guter Ansprechpartner für sie sein. Sie sah ihrer Lehrerin in die Augen. „Sind Sie soweit? Ich wende nicht zum ersten Mal Legilimentik an, habe aber nicht allzu viel Übung.“ McGonagall lächelte müde. „Das bedeutet, Sie sind nicht so gut wie Severus, aber durchaus ein annehmbarer Legilimens, wie ich Sie und Ihre Selbsteinschätzung kenne. Legen Sie los, ich werde schon damit zurechtkommen. Mein Geist ist sowieso in diesen Tagen immer halb verschlossen.“ Hermine nickte, schluckte und fixierte die Augen der Professorin durch die quadratischen Brillengläser hindurch. ‚Legilimens‘, dachte sie konzentriert, und im nächsten Moment hatte sie das Gefühl, nach vorne zu kippen, aus ihrem Körper heraus und in die kaum blinzelnden Augen McGonagalls hinein. Im ersten Moment empfing sie Leere. Eine schwarze Fläche, auf der sie sich im Kreis drehte und sich umsah. Weit entfernt an den Rändern der Leere konnte sie wabernde Farben sehen, allerdings nichts Klares. Sie spürte die Präsens der Älteren zunächst schwach – sie war wohl ebenfalls abgeschirmt gewesen - dann stärker. Die Ebene veränderte sich vor ihrem geistigen Auge, zog sich in die Länge und wurde zu einem Tunnel mit wabernden Wänden und Decke, der auf eine Region in der Ferne hinauslief, die klarer und abgegrenzter war als ihre Umgebung. Sie musste lächeln, sandte ein mentales ‚Danke‘ und machte sich auf den Weg. Nach dem ersten Schritt im Geist ihrer Professorin spürte sie hinter sich – wenn es hier ein hinten und vorne gab, nichts war fest – eine weitere Präsens. Stumm, beobachtend. Nicht formend und gestaltend wie McGonagalls eigene. Das musste Flitwick sein. Sie durchlief den Tunnel des Nichts, den ihr dieser Geist bereithielt, bis sie die Farben und Wirbel erreichte, die sich geradezu anzubieten schienen. Nachdem sie einen Fuß dort hinein gesetzt hatte, landete sie beinahe in einigen Erinnerungsfetzen an McGonagalls Einschulung. Sie musste sich überwinden, um nicht zuzusehen. Tom war zwar kaum im Bild, doch sie hatte ihn verschwommen am Rand sofort erkannt. Hermine schluckte und löste sich aus dieser Erinnerung. Scheinbar waren die Wirbel um sie herum alles Erinnerungen an McGonagalls Schulzeit. Stichpunktartig klapperte sie sie ab, ohne sie sich gänzlich anzusehen, bis sie zum sechsten Schuljahr kam, immer Flitwick auf den Fersen. Dort waren weniger Erinnerungen, die „normal“ aussahen – im verschwommenen begannen und auch dort wieder endeten. Es gab viele Abschnitte, wo zwischen den verschwommenen Zeiträumen keine Erinnerungen hell und bunt heraus stachen, sondern das Wabern des Vergessens in reines Schwarz überging. Hermine holte tief Luft. Sie hatte den Ort gefunden, an dem die Erinnerungen an sie und Tom sein müssten – jetzt musste sie sie nur noch wieder dorthin bringen. Wo konnte sie sein? Sie spürte, wie McGonagall krampfhaft versuchte, sich zu erinnern. Farbfetzen flogen aus allen Richtungen auf diese Löcher zu. Sie rief alle möglichen Erinnerungen auf den Plan, doch die richtigen waren nicht darunter. ‚Machen Sie weiter‘, wisperte Hermine mental. ‚Erinnern Sie sich.‘ Sie spürte die Zustimmung ihrer Lehrerin, und die Farben kamen weiter herangeflattert. Hermine selbst zog sich ein Stück zurück aus dem Erinnerungswust und beobachtete, von woher die einzelnen Erinnerungen geflogen kamen. Auf den ersten Blick sah es so aus, als kämen sie aus allen Richtungen, doch das stimmte nicht ganz. Es sah fast aus wie eine Sonne mit einem Sonnenflecken, nur umgekehrt, als würde sie Licht aufsaugen statt abgeben. Hermine folgte dem Schatten des Sonnenfleckens in einen sehr dunklen und auf den ersten Blick leeren Bereich in McGonagalls Geist. Sie spürte die Präsens ihrer Professorin verblassen, je weiter sie sich durch die Dunkelheit vorwärts treiben ließ. Hier begann wohl ein Teil des Unterbewusstseins, der keine Erinnerungen barg. Im Normalfall. Flitwick schien auch weiter weg zu sein – oder aber hier wurde alles gedämpft, was Hermine wahrscheinlicher vorkam. Ein vergessener Bereich, der nicht dazu da war, sich darin aufzuhalten. Es war das perfekte Versteck. Dieser Gedanke war das Einzige, was sie davon abhielt, zu zweifeln, als hinter ihr das Leuchten der Erinnerungen soweit abschwächte, dass sie gar nichts mehr sehen konnte. Weiter, immer weiter… Sie verlor das Zeitgefühl. Es kam ihr wie eine Ewigkeit vor, in der sie reine Schwärze umschloss, doch als sie in der Ferne einen geballten Lichtpunkt erblickte, schienen es nur Sekunden gewesen zu sein. Sie beschleunigte ihre Schritte und eilte darauf zu. Je näher sie kam, desto sicherer war sie sich, richtig zu liegen. Hier gab es keine wabernden, verschwommenen Ränder, hier begannen die Erinnerungen scharf abgegrenzt in einer Kugel. Je näher sie kam, desto heller leuchteten sie, bis sie sie fast nicht ansehen konnte, als sie davor stand. Eine unsichtbare Kraft ging von dieser Kugel aus, die sie wieder zurück in die Dunkelheit zu treiben schien. Doch sie wusste es besser, als das geschehen zu lassen. Dies war der letzte Schutz, den diese Erinnerungen von Dumbledore bekommen hatten – jemand mit weniger Grund, sie wieder zu holen, wäre hier gescheitert. Hermine jedoch nahm alle Willenskraft zusammen und streckte ihr geistiges Pendant einer Hand aus, um die Kugel zu berühren. Es wurde heiß, so heiß, dass sie fast nicht hin gefasst hätte. Mit einem letzten Luftholen berührte sie schließlich die Farben. Und wurde im nächsten Moment von einer Flut an Bildern hinweg gerissen. Immer wieder in Erinnerungen tauchend trudelte sie durch die Schwärze zurück, buntes Wabern um sich, vertraute und weniger vertraute Gesichter, Tom, Schulstoff, der Gryffindor-Gemeinschaftsraum, ihr eigenes Gesicht… bis sie nach unendlich langem Flug schließlich wieder zum Stillstand kam. Vorsichtig sah sie sich um. Sie war wieder in McGonagalls Schulzeit, und diesmal waren alle Erinnerungen an ihrem Platz. Ihre Professorin sprang von Erinnerung zu Erinnerung und tauchte tief darin ein, durchlebte sie anscheinend gerade alle erneut. Hermine zog sich zurück und ließ sie mit sich selbst alleine. Tief Luft holend verließ sie den fremden Geist wieder. Einen Moment später starrte sie einer Minerva McGonagalls ins Gesicht, die offensichtlich meilenweit weg war. Hermine suchte den Blick ihres Zauberkunstprofessors, doch auch dieser befand sich ganz offensichtlich noch in Professor McGonagalls Geist. Hermine lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und wartete darauf, dass die beiden wieder kamen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)