Wurmlöcher von Kiajira ================================================================================ Kapitel 37: Begegnungen ----------------------- Hermines Schritte wurden nicht langsamer, doch etwas in ihr zögerte, als sie den Korridor zu den Duellräumen entlangging. Ja, sie hatte Tom in den letzten Wochen und Monaten das ein oder andere Mal gesehen, und sie hatten auch mehrmals miteinander gesprochen. Aber das war immer nur über die Arbeit gewesen, und es waren meist mehrere andere Leute in dem Gespräch verwickelt. Das hier war anders. Das war Freizeit. Mit ihm alleine. In einer seltsamen Art und Weise fühlte es sich so an, als wäre das das erste Treffen seit gut eineinhalb Jahren. Und obwohl sie wusste, dass sie nichts zu befürchten hatte, pochte ihr das Herz bis zum Hals. Vielleicht aber auch gerade deswegen. Er hatte sich verändert, und sie wusste nicht genau, was sie erwartete. Bevor sie jedoch groß ins Grübeln geraten konnte, bog sie um eine Ecke und erblickte ihn neben den Türen zu den beiden größten Duellräumen. Wie immer trug er einen schwarzen, weiten Umhang, der seine Haut noch blasser wirken ließ. Die roten Augen funkelten, jedoch lag keine Bösartigkeit in ihnen. Er nickte ihr kurz zu und kräuselte seine Mundwinkel, als sie neben ihn trat. Sie lächelte unsicher. Er zog eine Augenbraue nach oben. „Du wirst doch jetzt nicht schüchtern werden? DU hattest doch Sehnsucht nach mir.“ Hermine zog die Augenbrauen zusammen und knirschte mit den Zähnen. „Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du ein arrogantes Arschloch bist?“ Er grinste tatsächlich leicht. Es ließ ihn auf einmal viel menschlicher aussehen, viel mehr nach Tom. „Nicht in den letzten zehn Minuten.“ Sie konnte nicht anders, sie musste lachen. Sein Grinsen wurde einen Tick breiter, und er öffnete die Tür hinter sich. „Wollen wir? Ich weiß, dass du mir liebend gerne eine Abreibung verpassen würdest.“ Hermine schnaubte und folgte ihm nach drinnen, den Zauberstab bereits gezückt. „Oh ja, und wie. Denkst du nicht, eine KLEINE Warnung vor diesen Irren in der Gesetzesabteilung wäre angebracht gewesen, bevor du mich da hinein wirfst?“ Er gluckste leise, als er sich ihr gegenüber aufstellte. „Niemals. Wo wäre da sonst der Spaß?“ Hermine schnaubte erneut und ließ ohne viel Federlesen den ersten Fluch los. „Dann hast du eindeutig zu viel Spaß an dieser Sache, Tom!“ Sein Lachen wurde fast gänzlich durch die Explosion seines Gegenfluchs übertönt, doch Hermine hörte es lange genug, um festzustellen, dass es nicht mehr so kalt war, wie sie es in Erinnerung hatte. Ohne selbst ein Lächeln unterdrücken zu können reagierte sie und feuerte den nächsten Zauber ab. Schon nach einer Minute hatte sich ihre restliche Unsicherheit verflüchtigt, und sie war tief in das Duell eingetaucht. Fast hatte sie vergessen gehabt, wie viel Spaß es machte, sich mit Tom zu duellieren. Sicher, der Duellierverein an der Uni war gut gewesen, mit einigen ihr gleichwertigen oder überlegenen Mitgliedern, von denen sie den einen oder anderen Kniff gelernt hatte – doch das hier war noch einmal etwas anderes. Der Duellierverein hatte Duelle ebenfalls als das angesehen, was sie Hermines Meinung nicht waren: Gegenseitige Schlagabtäusche. Sicherlich hatte da niemand gewartet, bis sie wieder auf den Beinen war, aber doch immer zumindest so lange, um sicher zu gehen, dass ihr nichts ernsthaftes passiert war. Mit Tom war das anders. Das hier war ein wirklicher Kampf. Er setzte zwar nach wie vor nicht seine kompletten Kräfte ein, aber es war trotzdem kein Schlagabtausch. Kein Spiel. Und das war es, was Hermine den Nervenkitzel brachte, den sie sonst nirgendwo hatte. Grimmig lächelnd feuerte sie weiter Fluch um Fluch ab, wehrte ab, sprang aus dem Weg und wann immer sie Toms Blick kreuzte, grinste er unverschämt. Es war ungewohnt, ihn so grinsen zu sehen, aber es war durchaus eine nette Abwechslung, seine Gefühle so offen serviert zu bekommen. Auch wenn es eine gewaltige Veränderung seinerseits war. Während sie weiter feuerte, schweiften ihre Gedanken ein wenig ab. Was hatte ihn so verändert? Und warum? Sicher, er konnte jetzt offener zu ihr sein, sie hatten beide ihre Karten auf den Tisch gelegt. Es gab nichts mehr zu verbergen, wie früher in ihrer Schulzeit. Aber dennoch war es ein großer Unterschied. Fast so, als wäre er… nun ja… ernsthaft glücklich. Nicht das kalte Glück, welches wohl existieren musste, wenn sie an seine Taten als Dunkler Lord dachte. Sondern das Glück, welches sie auch selbst als Glück bezeichnete. Es war seltsam, sich vorzustellen, wie selten er bisher glücklich gewesen war, wenn diese Veränderung so offensichtlich war. Und traurig. Doch sie würde den Teufel tun, ihn zu bemitleiden – erstens hätte er das nicht gewollt, und zweitens hatte er trotz allem immer noch genug Menschen unglücklich gemacht, was sie ihm nicht verzeihen konnte und wollte. Dennoch konnte sie nicht anders, als sich über seine gute Laune zu freuen. „Du bist besser geworden“, rief er ihr nach ein paar Minuten zu. Sie konnte nicht anders, als zu strahlen. Wer hatte wohl von Tom jemals so ein Kompliment bekommen? „Dann brauchst du dich ja nicht mehr zurückhalten“, entgegnete sie und wurde noch einen Tick schneller. „Willst du das wirklich?“, fragte er. Sie schnaubte und jagte ihm einen ganzen Fluchhagel entgegen, verborgen in einer Wasserfontäne. Zwei der Flüche trafen ihn und schleuderten ihn durch die Luft. Er breitete die Arme aus, schwebte einen Moment und ließ sich dann wieder zu Boden sinken. Sein Lächeln wurde diabolisch. „Wie du willst. Aber sag hinterher nicht, ich hätte dich nicht gewarnt.“ „Niemals!“, rief Hermine über das Brauen der Flammen hinweg, die auf sie zurollten. Einen Augenblick später stellte sie fest, warum er sie gewarnt hatte. Hatte sie jemals gedacht, sie wäre schnell? Fehlanzeige, sie kam kaum hinterher damit, nicht getroffen zu werden. Hatte sie jemals gedacht, ihre Flüche wären gemein? Das konnte sie vergessen. Seine waren viel hinterhältiger und mächtiger, und konnten sie zudem jeder Zeit in den Rücken treffen. Doch das hatte sie mittlerweile ebenfalls gelernt. Während sie sich augenscheinlich nur auf die Verteidigung konzentrierte, bereitete sie einen Kitzelfluch vor, der getarnt war und ebenfalls von hinten treffen würde. Es war verdammt schwer, dabei nicht selbst getroffen zu werden, doch das war es, was sie gewollt hatte. Das war es, was sie forderte. Es machte Spaß. Schließlich schaffte sie es, den Zauber abzufeuern, ohne eine sichtbare Zauberstabbewegung zu machen. Und das Wunder geschah – Tom wurde getroffen. Seine Augen weiteten sich entsetzt, als er erkannte, was sie ihm da auf den Hals gejagt hatte – dann fing er an zu lachen. Hermine nutzte seine Schrecksekunde, um ihn zu entwaffnen. Schließlich stand sie ihm mit zwei Zauberstäben in der Hand gegenüber, während er vergeblich versuchte, mit Lachen aufzuhören. Erst mit einigen Sekunden Verspätung begriff sie, was das bedeutete. Sie hatte Tom geschlagen. Sie hatte Lord Voldemort geschlagen. Ein Strahlen schlich sich auf ihr Gesicht, ohne dass sie es bemerkte, und sie stimmte in sein Lachen mit ein. Nach einigen Momenten ging sie zu ihm hinüber, gab ihm seinen Zauberstab zurück und er hob den Fluch auf. Mit etwas Befremden musterte er sie. „Du… hast mich überrascht.“ Sie grinste wie ein Honigkuchenpferd. „Das war Sinn und Zweck der Sache.“ Er schüttelte den Kopf. „Nein, das meine ich nicht. Du scheinst dich wirklich mit der Situation angefreundet zu haben, oder?“ Sie runzelte die Stirn. „Was meinst du damit?“ Er zog eine Augenbraue hoch. „Du hattest mich entwaffnet. Und du hast mir meinen Zauberstab wieder gegeben, statt etwas gegen mich zu unternehmen.“ Hermine begriff, und ein kleines Lächeln setzte sich in ihren Mundwinkel. „Das System, das du aufgebaut hast, ist zwar nicht unbedingt das, was der Orden und ich uns ursprünglich gewünscht haben, aber es ist bei Weitem nicht die Terrorherrschaft, die wir befürchtet haben. Du willst das System nicht zerstören. Du willst, dass es weiter funktioniert, nur mit einigen Änderungen deinerseits. Du hast einen Teil deiner eigenen Todesser ausgeliefert, weil sie da nicht mehr reinpassen. Wieso sollte ich das Ganze wieder zerstören? Ich kann gut damit leben, und der Orden traut dem Frieden zwar nicht, ist aber auch positiv überrascht. Außerdem“ – ihr Lächeln wurde breiter – „bin ich ja in einem knappen Jahr mit dem Studium fertig und werde hier dann kräftig mitmischen.“ Er erwiderte das Lächeln vorsichtig, so vorsichtig, dass Hermine es fast nicht gesehen hätte. „Du bist viel zu vernünftig, um mit so einer Horde Kindsköpfen befreundet zu sein.“ Sie grinste. „Ich bin auch mit dir befreundet. Macht dich das dann auch zu einem Kindskopf?“ Sein Lächeln verschwand augenblicklich, und er starrte sie an, offensichtlich aus dem Konzept gebracht. Sie blinzelte. „Was?“ Er schluckte sichtlich, dann meinte er langsam: „Du… siehst mich als einen Freund?“ Hermine nickte. Sie hatte nie wirklich darüber nachgedacht, aber ja, sie empfand für ihn das Gleiche wie für ihre Freunde. Eigentlich hätte sie gedacht, dass es komplizierter wäre, aber irgendwie… war da die gleiche Leichtigkeit zwischen ihnen, die sie an einer Freundschaft immer geschätzt hatte. Nicht mehr die Spannung von früher, auch nicht mehr wirklich das Herzklopfen – auch wenn sie das tatsächlich für einen Moment vermisste – und auch die Bitterkeit war über die vergangenen Monate hinweg fast verschwunden. Es war definitiv Freundschaft. Zumindest von Hermines Seite aus. Jetzt war sie allerdings ein wenig unsicher, wie Tom darauf reagieren würde. Er fuhr sich mit der Hand über den Kopf und blickte zu Boden. „Du weißt, dass ich niemals Freunde hatte.“ Sie verschränkte die Arme, ahnte jedoch bereits, worauf das hinauslaufen würde, und lächelte schwach. „Was war ich dann?“ Er blickte auf. „Anders.“ Ihr Lächeln wurde ein wenig breiter. „Vielleicht brauchst du ja Freunde, die anders sind.“ Seine Augen begannen zu funkeln, und sein Mundwinkel kräuselte sich. „Vielleicht. Normal ist langweilig.“ Hermine nickte. „Und wie.“ Einen kleinen Moment lang lächelte er wieder. „Sei froh, dass du nicht langweilig bist.“ Er trat einen Schritt zurück. „Noch eine Runde?“ Ihr Lächeln wurde grimmig, und sie kehrte auf ihre Seite der Halle zurück. „Mit Vergnügen.“ ~*~ „Was haben Sie gesagt?“ Hermine starrte ihren ehemaligen Professor vollkommen fassungslos an. Alle Farbe war ihr aus dem Gesicht gewichen. Snape presste seine Lippen für einen Moment aufeinander, bevor er antwortete. „Albus hat überlebt. Und er hat beschlossen, zurück zu kehren und seine Meinung zu der neuen Ordnung im Ministerium kundzutun. Dummer Weise wollte er sich mit den Reportern in der Winkelgasse treffen – und mittlerweile sollten sowohl der Dunkle Lord als auch Potter Wind von der Sache bekommen haben. Wenn wir Glück haben, steht ein Teil der Winkelgasse noch, wenn wir ankommen.“ Hermine fluchte, schlüpfte in ihren Umhang und stürmte aus dem Büro von Mafalda Hopfkirch, in dem sie während ihrem Praktikum untergebracht war. „Bringen Sie mich hin“, rief sie. Snape folgte ihr auf dem Fuß. Er hatte sie mit seinen langen Beinen im Nu eingeholt. Fluchend hämmerte Hermine auf den Knopf für den Fahrstuhl. „Bei Merlins Eiern, wieso kann man hier nicht apparieren?“, knurrte sie ungehalten, bevor sie tief Luft holte und ruhiger, aber immer noch unwirsch fragte: „Wie hat Dumbledore es geschafft, zu überleben?“ „Ich“, meinte er unbeeindruckt von ihrem Tonfall. Sie blinzelte und starrte ihn an. „Sie?“ Er zog eine Augenbraue hoch. „Seit wann sind Sie ein Papagei? Ja, ich. Ich habe ihm einen Prototyp eines Trankes verabreicht, der einen zwei Tage andauernden Scheintod auslöst. Wir waren uns bewusst, dass das Risiko besteht, ihn damit wirklich zu töten, aber wir hatten nichts mehr zu verlieren.“ Hermine schluckte und blickte Snape weiter unverwandt an. Die Gefühle überrollten sie förmlich, doch sie drängte sie zurück und weigerte sich, ihnen auf den Grund zu gehen. Dafür hatten sie jetzt keine Zeit. Nur am Rande realisierte sie, dass er mit dieser Aussage ihr gegenüber eindeutig Farbe bekannt hatte – sowohl zu Dumbledore, als auch zu ihr als Unterstützerin der neuen Ordnung. „Wieso? Wieso war er danach so lange untergetaucht?“ Snape rollte mit den Augen. „Wer sagt, dass er untätig war? Bis er wieder halbwegs stabil war und stark genug zum Kämpfen, hatte der Dunkle Lord bereits die Wahlen hinter sich und war amtlicher Zaubereiminister – für ein Jahr unanfechtbar. Er hatte das Recht auf seiner Seite. Einen Kampf hätte der Orden auch mit Albus nicht gewinnen können. Also hat er bis jetzt aus den Schatten heraus agiert.“ Hermine schluckte. „Wer – Amelia Bones, nicht wahr?“ Snape nickte knapp, als der Fahrstuhl ratternd ankam und die Türen sich öffneten. „Ja. Es war ein Segen, dass sie den Angriff damals im Sommer 96 überlebt hat. Ohne sie hätten wir es um einiges schwerer gehabt, Einfluss auf einige wichtige Entscheidungen zu nehmen.“ Hermine schüttelte den Kopf, als sie den Fahrstuhl betrat, lächelte jedoch schwach. „Madam Bones hätte die gleichen Einstellungen auch ohne Dumbledore vertreten.“ Snape folgte ihr und drückte den Knopf für das Atrium. „Ja, aber er hat sie bestärkt, sich nicht auf faule Kompromisse einzulassen, und ihr geholfen, einige Gegenvorschläge für Gesetze zu entwickeln.“ „Das sieht ihm ähnlich“, murmelte Hermine, bevor sie fluchte, als der Fahrstuhl im fünften Stock anhielt, um einige Memos aufzunehmen. „Muss das so lange dauern?“ Snape schnaubte. „Geduldiger sind Sie ja im vergangenen Jahr nicht geworden.“ Hermine seufzte. „Eigentlich schon, aber ich kenne Tom und Harry.“ Snape runzelte die Stirn und verschränkte die Arme. „Tom? Sollten Sie mir nicht langsam sagen, was hier eigentlich gespielt wird?“ Sie seufzte und fuhr sich mit der Hand durch die wirren Locken. „Ja, sollte ich. Wenn wir etwa Zeit haben danach, versprochen.“ Ja, mittlerweile hatte er ein Recht darauf, es zu wissen. Er hatte ihr oft genug geholfen, und jetzt, nachdem er seine Karten auf den Tisch gelegt hatte, war sie es ihm schuldig. Laut klappernd kam der Fahrstuhl im Atrium an und öffnete die Türen. Hermine stürmte los in den Eingangsbereich, wo die Appariersperre unterbrochen war. Er folgte ihr auf dem Fuß und meinte nur: „Tropfender Kessel, Muggelseite. Sicher ist sicher.“ Sie nickte knapp, wirbelte um die eigene Achse und verschwand. Einen Augenblick später hatte auch Snape sich in Luft aufgelöst. Einen Augenblick zu spät stellte Hermine fest, dass sie gerade in voller Hexenmontur – blauer Umhang über einer hellbraunen Robe – in Muggellondon aufgetaucht war. Einen Ignorierzauber später schlüpfte sie in den Pub, ohne auf Snape zu warten. Drinnen angekommen, atmete sie einmal tief durch, und fast sofort trat der Tränkemeister neben sie. Sie nickten sich kurz zu, dann bemerkte Hermine die unheilvolle Stille. Langsam sah sie sich um. Der Pub war menschenleer, nicht einmal der alte, zahnlose Tom stand noch hinter der Bar. Die Kerzen waren teilweise umgefallen und erloschen, die Stühle in einem wirren Durcheinander, als hätten sämtliche Besucher den Laden in größter Eile verlassen. Hermine schluckte. „Nicht gut.“ Snape brummte nur, zog seinen Zauberstab und marschierte zum Hinterausgang. Hermine folgte ihm rasch und zog ebenfalls den Zauberstab, während er die Steine an der Rückwand des Hofes berührte, um den Zugang zur Winkelgasse zu öffnen. Sie atmete tief durch, um sich zu beruhigen. Sonst liebte sie es, den Steinen dabei zuzusehen, wie sie sich einer nach dem anderen bewegten, gegeneinander ruckelten, drehten, in sich versanken und das Tor in die magische Welt bildeten, doch heute hatte sie dafür nicht einen Blick übrig. Zu sehr nahmen ihre umeinander purzelnden Gedanken sie in Beschlag. Als der Torbogen sich nach einer gefühlten Ewigkeit geöffnet hatte, fluchte Snape fast unhörbar. Hermine musste schlucken, als sie sah, warum. Die Winkelgasse war voll. Die meisten Zauberer und Hexen drängten sich in den Geschäften an die Glasscheiben, doch es gab genug, die auf der Straße standen und den Weg versperrten. Alle lugten die Straße hinunter, wo sich offensichtlich ein Kreis rund um mehrere Personen gebildet hatte. Snape räusperte sich laut. „Ihre Sensationsgeilheit in allen Ehren, aber Sie haben offensichtlich nicht vor, in irgendeiner Art und Weise einzugreifen, also gehen Sie aus dem Weg.“ Es war beinahe gruselig, dachte Hermine, wie schnell die Leute auf Snape hörten. Sobald die ersten sich umgedreht und ihn samt Hermine erblickt hatten, kam ein Tuscheln auf und sie drängten sich an den Straßenrand. Eine Gasse in der Mitte tat sich auf. Snape marschierte ohne Federlesen vorwärts, und Hermine folgte ihm rasch, mühsam darauf bedacht, niemand der wispernden Leute ins Gesicht zu sehen. Sie kamen dem Zentrum des Trubels immer näher, und Hermine zuckte zusammen, als sie Harry schreien hörte. „Sagt mal, bin ich hier im falschen Film oder so?!“ Sie beschleunigte ihre Schritte und schloss zu Snape auf. Im nächsten Moment waren sie im Kreis der Umstehenden angekommen und Hermine konnte sehen, was vorging. Tom stand dort, fassungslos und mit unheilvoll funkelnden, kalten Augen, den Zauberstab auf Dumbledore gerichtet. Dumbledore. Der Mann, der sie alle für tot gehalten hatten. Er stand Tom gegenüber, in seinem pinken Umhang mit dem Blümchenmuster, den Zauberstab locker an der Seite hängen, der Bart lässig über die Schulter nach hinten geschlagen, als ob er niemals weg gewesen wäre. Harry stand zwar neben ihm, den Zauberstab auf Tom gerichtet, doch er schien heillos überfordert zu sein, und Hermine bezweifelte, dass er in nächster Zukunft einen Zauber würde abfeuern können. Sein Blick wanderte zwischen den beiden mächtigen Zauberern hin und her, als traute er seinen Augen nicht. Im nächsten Moment erblickte er Hermine. „Mine! Was machst du denn hier?“ Sie blinzelte, dann holte sie tief Luft, nahm ihren Mut zusammen und trat einen Schritt vor. Sie wollte ungern in der Mitte zwischen diesen Zauberern stehen. Sie hatte sich mit allen schon duelliert, und sie wusste, dass sie nur gegen Harry wirklich sicher ankommen würde. Ein falsches Wort, und sie hätte ein gewaltiges Problem. Doch sie musste hier sein. Sie musste zumindest versuchen, die Situation zu entschärfen. Sie war die Einzige, die es konnte. „Harry“, meinte sie langsam, dann suchte sie Dumbledores Blick und nickte ihm kurz zu. Tom explodierte, als er das sah. „Was sollte das denn, Hermine?! Wusstest du etwa, dass er nicht tot war?“ Sie lächelte traurig und schüttelte den Kopf. „Nein, ich weiß es erst seit ein paar Minuten.“ „Du duzt sie?“, knurrte Harry und jagte einen Schockzauber auf Tom. Hermine schnappte nach Luft, doch der hatte ihn schon abgewehrt und entgegnete höhnisch: „Mit welchem Recht willst du es mir verbieten?“ Harry schnappte nach Luft, schwieg jedoch. Dumbledore erhob nun die Stimme. „Tom, ich weiß, dass du immer noch das Bedürfnis hast, mich aus dem Weg zu räumen. Da ich annehme, dass du mein Interview bereits belauscht hast, solltest du allerdings wissen, dass ich nicht versuchen werde, dich von deinem Posten zu stoßen. Du hast dich doch sehr zum Positiven verändert.“ Tom schnaubte nur. „Das macht es nicht besser, alter Mann. Du solltest TOT sein! Ich habe mich an dir rächen wollen, und trotzdem stehst du vor mir, als wäre nichts geschehen!“ Dumbledore lächelte schwach. „Nun, ich kann dir versichern, deine Rache war schmerzhaft genug. Und ich habe keine Angst vor dem Tod, mich zu töten würde mir nicht wehtun.“ Tom schnappte nach Luft, fauchte und schickte einen Zauber los, den Dumbledore mit einem Fingerschnippen abwehrte, ohne zurück zu schlagen. Hermine schluckte, traf blitzschnell eine Entscheidung und stellte sich breitbeinig zwischen Tom und Dumbledore, das Gesicht Tom zugewandt, bevor er erneut zaubern konnte. „Lass es“, sagte sie mit ruhigerer und festerer Stimme, als sie bei ihrem flatternden Herzen erwartet hatte. Den Zauberstab hatte sie immer noch gezogen, jedoch zu Boden gerichtet. „Du wolltest doch ein laufendes System. Und du wolltest nach oben. Was meinst du, wie lange du noch oben bleibst, wenn du dich wieder der Gewalt zuwendest?“ Er warf ihr einen komplett verblüfften Blick zu. „Was meinst du?“ Hermine rollte mit den Augen. „Du bist doch sonst nicht-“ Sie warf einen Seitenblick auf die vielen Zuschauer und beschloss, den Satz nicht zu Ende zu führen. An seinem Gesicht erkannte sie sowieso, dass er begriffen hatte, was sie sagen wollte. Sie holte Luft und fuhr fort: „Du könntest zwar versuchen, deinen Posten mit Gewalt zu halten, aber du hast lange genug dafür gearbeitet, damit du keine Gewalt brauchst. Damit die Leute dich akzeptieren. Du hast Bellatrix nach Askaban gebracht, schon vergessen? Willst du wirklich wieder zu deinen Methoden von früher zurückkehren? Damals hast du jahrelang im Verborgenen gearbeitet. Jetzt kannst du wirklich etwas verändern. Und nebenbei – es gibt viel, was wir dir nicht verzeihen können, aber wenn du weiter unser Land führen willst, dann solltest du dafür sorgen, dass diese Liste nicht länger wird.“ Er starrte sie einen Moment lang an, als hätte sie ihm eröffnet, dass sie einen Knallrümpfigen Kröter als Kuscheltier mit ins Bett nahm. Doch fast sofort hatte er sich wieder im Griff und räusperte sich. „Du willst mir also sagen, ich soll den alten Mann und auch Potter einfach laufen lassen?“ Hermine nickte energisch. „Ja, das sage ich. Und ich werde auch alles in meiner Macht stehende dafür tun, verstanden?“ Er knurrte. „Klarer als klar.“ Dann kräuselten sich seine Mundwinkel. „Du spielst nicht gerade fair, das weißt du, oder?“ Sie schenkte ihm ihr süßestes Lächeln. „Ich lerne vom Besten.“ Er schnaubte. Im nächsten Moment ertönten hinter Hermine zwei leise Plops, und Toms Augen weiteten sich entsetzt. Sie wirbelte herum. Harry und Dumbledore waren verschwunden. Snape, der nun als einziger vor den gaffenden Leuten dort stand, meinte nur: „Albus hat den Apparierschutz, den der Dunkle Lord vorher über die Winkelgasse gelegt hat, während eurem Gespräch gelöst.“ Hermine lächelte schwach. „Sieht ihm ähnlich.“ Tom stieß mehrere Flüche aus, die Hermine noch nie gehört hatte, und disapparierte selbst, während er Hermine einen bitteren Blick zuwarf. Sie schluckte und starrte an die Stelle, an der er verschwunden war. Es traf sie doch mehr, als sie gedacht hatte, obwohl eigentlich nicht viel passiert war. Und obwohl sie das Richtige getan hatte, und es auch jederzeit wieder tun würde. Sie nahm kaum wahr, dass das Raunen um sie herum anschwoll und die Leute immer weiter vorwärts drängten, sie mit Fragen bestürmten – bis Snape an ihrer Seite auftauchte, nach ihrem Arm griff und zischte: „Wir müssen hier weg.“ Sie nickte nur. Einen Moment später spürte sie den Sog seiner Apparation und schloss sich ihm an, sich nicht einmal fragend, wohin er sie bringen würde. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)