Wurmlöcher von Kiajira ================================================================================ Kapitel 1: Wiedersehen? ----------------------- Disclaimer: Und wieder eine neue Geschichte, und wieder gehört die Welt von Harry Potter nicht mir - nur die Handlung. Alles andere ist von J.K.Rowling. ~*~ Kapitel 1: Wiedersehen? Oktober 1997 Es war düster und kalt in den Gängen. Nur vereinzelt brannten Fackeln an den Wänden, und ihre Flammen waren von einem eisigen Grün, das nichts als den Tod versprach. Wasser tropfte von der Decke. Hermine fror entsetzlich, doch sie presste die Lippen fest aufeinander und ging weiter. Stehen bleiben hätte nur weitere Schmerzen zur Folge. Unbarmherzig bohrte sich ein Zauberstab in ihren Rücken und zwang sie weiter vorwärts. Einmal war sie bereits stehen geblieben. Warum, wusste sie nicht. Vielleicht aus Trotz. Doch sie würde es kein weiteres Mal tun. Noch einen Cruciatus brauchte sie nicht, bevor sie überhaupt angekommen war. Der Todesser, der sie vorwärts trieb, hatte ihr mit einem schadenfrohen Lachen verkündet, dass der Dunkle Lord schon viel zu lange keine Schlammblüterin mehr zum Spielen gehabt hatte. Man sah es ihrer versteinerten Miene vielleicht nicht an, doch Hermine hatte Angst. Furchtbare Angst. Wer wusste schon, was Voldemort unter Spielen verstand... Die Furcht schnürte ihr die Kehle zu, doch sie zeigte keine Regung und lief weiter. Sie hoffte auf einen schnellen Tod. Mehr konnte sie jetzt nicht mehr tun. Sie schwor sich, nicht um den Tod zu betteln - doch sie wünschte ihn sich. Er war der einzige Ausweg aus dieser Misere... Und sie würde wieder bei Ron sein. Der Gedanke an ihn reichte aus, und sie konnte wieder etwas freier atmen. Nur noch Voldemort überstehen - und sie wäre wieder bei ihm. Ihre verkrampfte Haltung lockerte sich etwas. Nicht an Voldemort denken, ermahnte sie sich. Egal, was er mit dir anstellt, denk an Ron. Letztendlich wird er dich zu ihm schicken. Egal, was passiert, du wirst am Ende bei ihm sein. Hermine holte tief Luft und reckte den Kopf in die Höhe. Sie würde keine Angst mehr vor Voldemort haben. Er sah den Tod als größtes Übel an - für sie war es der einzige Weg zu Ron. Sie hatte keine Angst vor dem Tod. „Stehen bleiben“, raunzte der Todesser hinter ihr plötzlich. Sie gehorchte und sah sich um. Sie waren vor einer großen, eisernen Tür angekommen. Der Todesser hob mit zitternden Händen einen Türklopfer in Form zweier umeinander gewickelter Schlangen an und klopfte. Einen Augenblick später schwang die Tür auf. Der Todesser richtete erneut seinen Zauberstab auf sie. „Rein da.“ Hermine schluckte und trat langsam durch die Tür. Ihr Herz pochte ihr bis zum Hals, doch sie ignorierte es, so gut sie konnte. Ihre Eingeweide schienen sich zu verknoten, als sie sich umsah. Sie stand in einem lang gezogenen fensterlosen Saal, der ebenfalls nur von den gespenstisch grünen Fackeln erleuchtete wurde, die sie bereits kannte. Am Ende des Saales erhob sich ein Podest ein paar Schritte über den Boden, und auf diesem Podest stand er. Lord Voldemort. Hermine hatte ihn noch nie zuvor gesehen, und sie hätte sich bei seinem Anblick beinahe geschüttelt. Seine weiße Haut erinnerte sie ein wenig an Sirius, als er gerade aus Askaban entkommen war - wächsern und fest über die Knochen gespannt. Da er im Gegenzug zu Sirius jedoch keine Haare mehr besaß, sah er aus wie ein lebendig gewordenes Skelett. Er war sehr dünn, seine tiefschwarze Robe wirkte ein ganzes Stück zu weit. Was ihm endgültig das Aussehen eines Totenschädels gab, waren die fehlende Nase und die rot glühenden Augen, die tief in ihren Höhlen saßen. Hermine blieb unwillkürlich stehen. Eine unheimliche, düstere Aura der Macht umgab ihn wie einen Bannkreis, der durch die ganze Halle bis zu Hermine reichte. Mit einem Mal fühlte sie sich klein, winzig klein. Sie zuckte zusammen, als hinter ihr die Tür zuschlug, doch sie drehte sich nicht um. Sie konnte den Blick nicht von Voldemort nehmen. Es schien, als würde die Welt einen Moment lang stehen bleiben - dann regte Voldemort sich das erste Mal. Doch es war nicht das, was sie erwartet hatte. Seine Augen weiteten sich, und für einen Moment huschte ein Ausdruck über sein Gesicht, den sie nicht recht benennen konnte, so schnell war er wieder verschwunden. Er machte eine kurze, auffordernde Handbewegung, und Hermine vernahm Schritte hinter sich. Kurz darauf öffnete und schloss sich die Tür. Anscheinend waren Todesser an den Rückwänden postiert gewesen, die er weggeschickt hatte, doch sie hatte sich wiederum nicht umgedreht. Voldemort würde ihr Tod sein. Irgendwie hatte ihre Welt bei seinem Anblick, in der Aussicht, in absehbarer Zeit zu sterben, aufgehört zu existieren. Sie fühlte nichts mehr. Ihr war nicht einmal mehr kalt. Ihr Hirn arbeitete zwar noch, aber es fühlte sich seltsam losgelöst an, ohne Emotionen. Kaum waren die Todesser verschwunden, kam Leben in Voldemorts starre Miene. Er trat mit raschen Schritten vom Podest, kam auf sie zu und blieb dicht vor ihr stehen. Sie wich nicht zurück. Als sie aufsah, erschrak sie trotzdem. Sein Gesicht hatte den starren, kalten Ausdruck verloren und sah beinahe... verletzlich aus. Beinahe. Wenn da nicht die Fassungslosigkeit und die nur knapp gezügelte Wut gewesen wären, die seine Züge dominierten. Er flüsterte ihr zu, als könne er nicht glauben, dass sie wirklich vor ihm stand: „Wie bist du unsterblich geworden?“ Perplex machte Hermine einen Schritt rückwärts. „Wie bitte?“, fragte sie leise. „Du hast mich gehört“, zischte er bloß und packte sie an der Schulter. Sie erstarrte und entgegnete leise, aber deutlich: „Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen, und ich will, dass Sie mich auf der Stelle loslassen.“ Er blitzte sie wütend an und schüttelte sie stattdessen. „Natürlich weißt du es! Und du wirst es mir jetzt sofort sagen!!“ Hermine riss sich mit einem Satz rückwärts aus seinem Griff los und gab nun, nicht minder wütend, zurück: „Hören Sie auf! Sie haben mir wehgetan! Und ich habe keine Ahnung, was Sie von mir wollen!“ Voldemort lachte kalt und ironisch auf, dann schrie er beinahe: „Ich soll dir wehgetan haben?! Das war noch gar nichts im Vergleich zu dem, was du mir angetan hast!!“ Hermine wich zurück, als er wiederum auf sie zukam. Doch er stoppte nicht, und so ging sie immer weiter rückwärts, bis sie gegen kalte Steinwand stieß. Sie schluckte, als Voldemort so nah vor ihr stehen blieb, dass er die Hände rechts und links von ihrem Kopf an der Wand abstützen konnte. Hermine atmete tief durch, dann blickte sie ihm direkt in die Augen und sagte so klar und deutlich wie möglich: „Ich sehe Sie heute das erste Mal. Wie kann ich Ihnen wehgetan haben, wenn Sie mir noch nie begegnet sind?“ Sie hoffte, dass die Logik ihn erreichen würde, doch irgendwo erkannte sie bereits vor seiner Antwort in seinem Blick, dass sie das nicht getan hatte. Er lächelte süßlich. Zu süßlich. „Wir sollen uns also niemals zuvor begegnet sein? All das soll niemals passiert sein?“ Mit einem Mal schrie er sie an, so dass sein Speichel sprühte. „FÜR WIE BLÖD HÄLTST DU MICH?!“ Hermine kniff die Augen zusammen und schwieg. Doch als er sie packte und wiederum schüttelte, war es auch mit ihrer Beherrschung vorbei. Sie würde sowieso sterben. Es war egal, was sie jetzt noch sagte oder tat. Also brüllte sie aus voller Kehle entgegen: „ICH ERINNERE MICH NICHT DARAN, IHNEN JEMALS BEGEGNET ZU SEIN!!“ Dann trat sie ihm mit voller Wucht ans Schienbein, riss sich los, duckte sich unter seinen Armen weg und flüchtete in die Mitte des Saals, wo sie schwer atmend stehen blieb. Einige lange Momente blieb Voldemort wo er war, mit einer Hand gegen die Wand gestützt, und sah beinahe erschöpft aus. Dann wirbelte er herum und kam wieder mit diesem gefährlichen Lächeln auf sie zu. Sein Gang war geschmeidig wie der einer Raubkatze. Wieder wich Hermine unwillkürlich zurück. „Oh doch“, sagte er mit samtig weicher, absolut ruhiger Stimme. „Du erinnerst dich daran. Du weißt es bloß nicht mehr.“ Hermines Hirn setzte aus. „Wie bitte?“ Voldemort rollte mit den Augen und zog seinen Zauberstab. „Du bist doch sonst nicht so schwer von Begriff. Du stehst unter einem Gedächtniszauber. Vermutlich einem von Dumbledore.“ Er richtete den Zauberstab direkt auf ihren Kopf. Sie schluckte, rührte sich jedoch nicht. Sie hätte sowieso keine Chance. Er lächelte triumphierend. „Jetzt werde ich endlich die Wahrheit erfahren“, wisperte er, drückte die Spitze des Stabes leicht an ihre Schläfe und flüsterte beinahe zärtlich: „Legilimens.“ Hermine spürte seine Anwesenheit in ihrem Geist. Er fegte ihre Okklumentikbarrieren beiseite, als wären sie Papier, und wanderte tiefer und tiefer in ihren Geist... bis hin zu einem Ort, von dem sie selbst nicht gewusst hatte, dass er existierte. Dieser Ort war wie eine kleine, geschlossene Kugel; Sie konnte nicht bis ins Innerste sehen. Diese Kugel brach Voldemort nun auf, und ein Strom von Bilder und Geräuschen riss sie hinweg. Kapitel 2: Zurück auf Anfang ---------------------------- 2. Zurück auf Anfang September 1997 Als Hermine die Augen wieder aufschlug, saß sie in Dumbledores Büro. Sie erwartete, irgendwo neben ihrem eigentlichen Ich aus ihren Erinnerungen zu stehen, wie in einem Denkarium, doch dem war nicht so. Hier saß bloß eine Hermine, und die war sie. Auch Voldemort sah sie nirgends - dann spürte sie ihn in ihrem Kopf. Doch kaum hatte sie ihn bemerkt, verblasste seine Anwesenheit, wie auch ihre Gedanken. Sie wollte sich wehren, doch es war zwecklos. Es war, als würde sie einschlafen. Ihr Bewusstsein verschwand, doch irgendwie war sie danach nicht... weg, sondern sie verschmolz mit der anderen Hermine, übernahm ihre Gedanken, ihre Gefühle, ihr jetziges Selbst verschwand völlig - bis sie sich ihre Erinnerung nicht nur ansah, sondern sie erneut durchlebte. ~*~ Darauf hätte sie gut und gerne verzichten können, denn das erste, was sie fühlte, waren Kälte, Hoffnungslosigkeit, Trauer, Schmerzen... Erst jetzt bemerkte sie, dass sie stumm weinte. Dumbledore saß mit einem bekümmerten Ausdruck in den Augen vor ihr und seine Hände spielten mit dem Papier eines Zitronenbrausebonbons. Das leise Knistern und Hermines Schluchzen war das einzige, war die drückende Stille des Raumes durchbrach. Nicht einmal Fawkes war da, um sie aufzumuntern. Eine unendlich lang erscheinende Zeit saßen sie beide so da und hingen ihren Gedanken nach, dann drang ein neues Geräusch an ihre Ohren. Ein Ruf aus einem der Portraits. Hermine wandte langsam den Kopf, nur um Phineas Nigellus in sein Portrait huschen zu sehen. „Dumbledore! Was ist passiert? Am Grimmauldplatz sind alle aus dem Häuschen, aber niemand will mir sagen, was los ist!“ Dumbledore hob langsam den Kopf. „Ronald Weasley ist tot“, entgegnete er tonlos. „Und Harry Potter schwer verwundet.“ Phineas' Gesicht zeigte keine Überraschung. „Bei der Menge an Weasleys ist es ein Wunder, dass nicht schon früher einer gestorben ist. Wie ist es passiert?“ Die Worte schmerzten Hermine wie Messerstiche. Wie konnte jemand nur so herzlos sein? Bevor sie wusste, was sie tat, sprang sie auf und schrie Phineas an: „Halten Sie die Klappe! Sie haben kein Recht, so-“, Sie rang nach Luft. „SO über Ron zu sprechen! Als ob sein Leben nichts wert wäre!!“ Sie presste sich die Faust vor den Mund, als eine neue Welle aus Schluchzern sie schüttelte. Dumbledore murmelte etwas und reichte ihr dann eine dampfende Tasse über den Schreibtisch. Hermine nahm sie und setzte sich langsam wieder. Es war heiße Schokolade. Ein winziges, wehmütiges Lächeln huschte über ihre Züge, als sie den ersten Schluck genommen hatte. Sie hielt die Tasse mit beiden Händen, um sich wenigstens ein kleines bisschen daran zu wärmen, und starrte minutenlang in die braune Masse. Die Schokolade tat ihre Wirkung. Sie wurde ein wenig ruhiger. Schließlich hob sie den Kopf und fragte hilflos: „Wie kann ein Mensch nur so - so abgrundtief böse sein, dass er Leben einfach weg wirft... und das noch nicht einmal bemerkt?“ Dumbledore seufzte schwer, setzte die Brille ab und rieb sich die Nasenwurzel. „Ich weiß es nicht. Das frage ich mich schon seit Jahrzehnten.“ Hermine spürte, wie ihr Hirn langsam wieder anlief. Sie hatte nicht einmal gewusst, dass es ausgesetzt hatte. „Seit Jahrzehnten, Sir? War Voldemort denn von Anfang an... so?“ Dumbledore setzte sich die Brille wieder auf die Nase, hielt jedoch seine Augen geschlossen. „Er war von Anfang an... seltsam. Inwieweit er damals schon wirklich böse war und wie viel später dazu kam, kann ich nicht sagen.“ Hermine biss sich auf die Lippe. „Glauben Sie, dass er auch so böse geworden wäre, wenn er eine Familie gehabt hätte - oder Freunde, wie Harry und... Ron?“ Wieder seufzte Dumbledore tief auf, doch diesmal verbarg er sein Gesicht in seinen Händen. Hermine glaubte, zwischen seinen Fingern verzerrte Gesichtszüge gesehen zu haben. Besorgt lehnte sie sich vor. „Sir, ist etwas nicht in Ordnung? Fühlen Sie sich nicht wohl?“ Dumbledore schüttelte den Kopf, richtete sich ein wenig auf und nahm die Hände herunter. Sein übliches Lächeln zierte sein Gesicht. „Nein, nein. Machen Sie sich bloß keine Sorgen um einen alten Mann. Wo waren wir?“ Hermine lehnte sich misstrauisch zurück. Irgendetwas war mit ihm... Aber wenn er es nicht sagen wollte, was konnte sie dann tun? „Ich habe Sie gefragt, ob Sie glauben, dass Voldemort auch so böse geworden wäre, wenn er eine Familie oder richtige Freunde gehabt hätte.“ Dumbledores Blick wanderte aus dem Fenster. Eine rote Sonne stand tief am Horizont über den Baumwipfeln des verbotenen Waldes. Bald würde es dunkel werden. Hermine folgte seinem Blick, als er antwortete: „Ich weiß es nicht. Ich habe mehrmals versucht, mich in ihn hinein zu versetzen und ihn zu begreifen, aber ich habe es nie geschafft.“ Hermine legte den Kopf schief und klammerte sich an den Gedanken. Sie brauchte jetzt etwas, worüber sie nachgrübeln konnte, sonst würde sie wahnsinnig werden. „Ich wünschte, wir könnten das irgendwie ausprobieren. Simulieren. Es wäre mit Sicherheit eine Überlegung wert“, sprach sie ihre Gedanken aus. Dumbledore schwieg lange. Hätte Hermine seine Augen sehen können, hätte sie stille Resignation sehen können. Doch sie blickte nicht zu ihm, sondern sah der Sonne beim Versinken zu. „Vielleicht mit einem Tom Riddle aus einem Denkarium. Vielleicht lässt sich die Figur ja von der Erinnerung isolieren... und in eine andere Umgebung versetzen...“ Dumbledore winkte ab. „Vergessen Sie es. Das habe ich schon ausprobiert. Es funktioniert nicht.“ Er erhob sich, und Hermine tat es ihm gleich. „Es ist schon spät, und ich bin mir sicher, dass Sie den Schlaf gebrauchen können. Morgen können Sie Harry besuchen, hat man mir mitgeteilt.“ Hermine nickte und stellte die leere Tasse auf seinem Schreibtisch ab. „Gute Nacht, Direktor.“ „Gute Nacht.“ Sie verließ mit hängendem Kopf das Büro. ~*~ Harry Potter lag mit schweren Verbrennungen auf der Fluchschäden-Abteilung des St. Mungos. Hermine erschrak, als sie das Zimmer betrat in dem er - alleine, das war das Vorrecht des Jungen, der es wieder einmal geschafft hatte, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen - lag. Sie hatte ihn das letzte Mal am gestrigen Morgen gesehen - da war die Welt noch in Ordnung gewesen, Ron war... noch da, Harry gesund und der Hinterhalt Voldemorts noch nichts als Harrys übliches Narbenkribbeln. Jetzt jedoch... Seine Haare waren weg, die Augen verbunden, und sein Gesicht war... zuerst einmal knallrot. Als Hermine näher trat, sah sie viele Blasen, nässende Stellen und sich ablösende Hautfetzen. Als sie seine Hände betrachtete, stellte sie fest, dass diese genauso schlimm, wenn nicht sogar noch schlimmer aussahen. An einigen Stellen war die Haut gar nicht mehr vorhanden, und sie erblickte rohes Fleisch. Sie musste schlucken, überwand sich aber, noch näher heran zu gehen und sich auf einen Stuhl neben dem Bett zu setzen. Sie hatte einen Kloß im Hals, wusste nicht recht, wie sie es anfangen sollte. Schließlich wisperte sie leise: „Hallo Harry, ich bins.“ Er drehte den Kopf ein paar Zentimeter in ihre Richtung, verzog dann jedoch vor Schmerzen das Gesicht, was ihn wiederum aufstöhnen ließ. Hermine konnte die Schmerzen, die ihm jede Regung verschaffte, regelrecht sehen. „Rühr dich nicht vom Fleck“, befahl sie deshalb. „Kannst du sprechen?“ „Ja“, krächzte Harry. „Erzähl mir bitte, wie...“ Sie stockte und schluckte die Tränen herunter, die schon wieder kommen wollten. „Erzähl mir, was passiert ist.“ Harry seufzte, holte tief Luft und begann zu erzählen. „Ungefähr eine Viertelstunde, nachdem du Professor Dumbledore suchen gegangen bist, hatte ich wieder eine Vision. Sie hat mir gezeigt, wie Hogwarts überfallen wird, wie jeder von uns gefoltert und getötet wird, alle bis auf mich... ich stehe gefesselt daneben und muss zusehen... Und dann die Horkruxe, nur als ganz schwaches Echo. Ich dachte, das wären meine eigenen Gedanken. Ich dachte, ich muss jetzt unbedingt den letzten Horkrux finden, weil er sonst kommt... und die Vision Wirklichkeit wird... Jetzt weiß ich, dass er mir diesen Gedanken eingepflanzt hat, dass ich gerade jetzt den Horkrux holen soll. Ich wollte alleine los, aber Ron ist mir gefolgt. Wir waren fast da, wir haben das Diadem schon gesehen, als Voldemort aufgetaucht ist. Er hat... mich verspottet, wie leicht ich doch zu manipulieren wäre, und wie dumm es von Ron war... mitzukommen. Er hätte sein Leben grundlos verschenkt. Ron hat sich vor mich gestellt... Er muss dabei über irgendeine Linie getreten sein, Voldemort hat so etwas erwähnt - und dann ging die Explosion los. Ron stand vor mir - er hat es voll abbekommen...“ Harry würgte. „Es... es war furchtbar. Es hat ihn zerrissen.“ Hermine wimmerte. Ohne es zu bemerken, hatte sie begonnen, sich in die Faust zu beißen und zu weinen. Sie beneidete Harry beinahe für seine Augenbinde. Seine Tränen sah zumindest niemand. Sie dagegen fühlte sich so alleine, so schwach, so... hilflos. „Was ist mit deinen Augen passiert?“, wollte sie nach einer Weile wissen. Harry stieß einen gequälten Laut aus. „Frag mich nicht. Die Ärzte sagen, sie können mich nicht mit Magie behandeln, weil in der Explosion ein Fluch war, der die Magie umkehrt - aber bei meinen Augen haben sie es anscheinend versucht, bevor sie davon wussten.“ Hermine keuchte auf. „Heißt das - du bist blind?“ „Keine Ahnung“, entgegnete er weinerlich. Hermine presste die Lippen zusammen und versuchte, so leise wie möglich zu weinen. Harry musste nicht auch noch wissen, wie schlecht es ihr ging. Er hatte genug zu knabbern. Eine Weile saßen sie schweigend nebeneinander, dann fragte Harry: „Ist Ginny mitgekommen?“ Dabei schlich sich fast etwas wie ein Lächeln auf sein Gesicht, auch wenn es ihn furchtbar schmerzen musste. Hermine musste traurig lächeln. „Ja, sie wartet vor der Tür. Soll ich euch alleine lassen?“ „Ja, bitte.“ Hermine stand auf und strich Harry vorsichtig mit einer Hand über den schmalen Verbandstreifen um seinen Kopf. „Ich versuche, so bald wie möglich wieder zu kommen. Gute Besserung, Harry.“ Er zuckte mit einem Mundwinkel. „Wiedersehen“, murmelte er. Hermine durchquerte das Zimmer, hielt aber vor der Tür kurz inne. Sie schwang ihren Zauberstab, und ihre Tränen verschwanden, ebenso wie die geschwollenen Augen und die roten Flecken, die sie immer im Gesicht bekam, wenn sie weinte. Dann trat sie nach draußen zu Ginny und zwang sich zu einem Lächeln. „Geh zu ihm. Ich warte hier, okay?“ Ginny nickte und trat ohne ein weiteres Wort ein. Kaum war sie weg, ließ Hermine sich auf die Bank im Flur fallen, auf der sie gewartet hatte, und begann wieder zu weinen. Trockene Schluchzer schüttelten ihren Körper. Ihre ganze Welt war zerbrochen, und sie war dabei, ebenfalls zu zerbrechen. Ron war tot. TOT. Das waren drei Buchstaben, doch sie bedeuteten für sie die Welt. Diese drei Buchstaben konnten den Unterschied machen zwischen Glück und Unglück, Liebe oder Einsamkeit, Freude oder Trauer. Noch dazu war Harry - zwar nicht tot, doch es war nicht weniger schlimm - auf unbestimmte Zeit verletzt, wahrscheinlich würde er, weil die Heiler keine Magie einsetzen konnten, niemals ganz genesen. Zudem bestand die hohe Wahrscheinlichkeit, dass er blind war - und somit war die Hoffnung der Zaubererwelt auf einen strahlenden Helden, der sie alle vor Voldemort rettete, vernichtet. Hermine schlang die Arme um sich und wiegte vor und zurück. Ihre Tränen wollten einfach nicht versiegen. ‚Wie kann ein Mensch nur so abgrundtief böse sein, dass er Leben einfach weg wirft und das noch nicht einmal bemerkt? ‘, schoss es ihr mit einem Mal durch den Kopf. Der Gedanke verfolgte sie immer noch. ‚Wäre er auch so böse geworden, wenn er eine Familie gehabt hätte - oder richtige Freunde? ‘ Hermine kaute auf ihrer Lippe herum, ohne es zu bemerken. Dumbledore hatte gesagt, eine Simulation mit einem Tom Riddle aus dem Denkarium wäre unmöglich - doch wozu brauchte man eine Simulation, wenn es sowieso längst zu spät war...? Hermine Schluchzer ließen nach; wie immer, wenn sie nachgrübelte, rückten ihre Gefühle in den Hintergrund. Zu spät? War es wirklich zu spät? Einen langen Moment starrte sie ins Leere, dann traf sie eine Entscheidung. Verzweifelte Situationen erforderten verzweifelte Maßnahmen. Sie hinterließ einen Zettel für Ginny und eilte so schnell wie möglich aus dem St. Mungos. ~*~ „Und Sie sind sich wirklich sicher, dass Sie das tun wollen, mit allen möglichen und unmöglichen Konsequenzen?“ Dumbledore musterte Hermine aufmerksam. Hermine nickte knapp. „Jawohl. Ich bin mir der Tragweite dieser Entscheidung voll bewusst, Sir.“ Dumbledore nickte, schien jedoch nicht ganz überzeugt davon. Er sah bekümmert aus, als er seine Zustimmung gab. „In Ordnung. Ich werde mich darum kümmern. Werden Sie es ihren Freunden sagen?“ Hermine senkte den Blick und schwieg. Das war der eine Punkt in ihrem Plan, der ihr nicht gefiel, doch sie hatte eine Entscheidung getroffen und sie war jemand, der seinen Weg nicht einfach wieder änderte, nur weil er nicht besonders angenehm war. Dumbledore seufzte. „Ich verstehe. Ich werde Ihre Freunde informieren, sobald Sie fort sind.“ „Danke, Sir“, murmelte Hermine und sah wieder auf. „Wie lange, denken Sie, brauchen Sie?“ „Eine Woche vielleicht. Ich schicke Ihnen eine Eule.“ ~*~ Hermine hatte ihre Sachen seit diesem Tag gepackt und trug sie immer bei sich, in einer alles fassenden Tasche, die sie in Hogsmeade gekauft und ein wenig modifiziert hatte - der Zauber, der auf der Tasche lag, war nun nicht mehr zu orten. Es war ein Samstagmorgen im April, als Dumbledores Eule eintraf. Hermine saß gerade beim Frühstück, als der kleine Steinkauz vor ihr landete und ihr ein winziges Kuvert ablieferte. Sie erkannte Dumbledores feine, geschwungene Handschrift auf der Stelle. Es war nur ein kleiner Pergamentschnipsel in dem Umschlag, auf dem stand: ‚Ich habe die Zuckerfederkiele erhalten. Kommen Sie so bald wie möglich in mein Büro. ‘ Hermine blickte zum Lehrertisch auf. Dumbledore saß noch an seinem Frühstück. Sie suchte seinen Blick und nickte ihm zu. ~*~ Eine halbe Stunde später stand sie vor dem Wasserspeier und sagte laut und deutlich: „Zuckerfederkiele.“ Er erwachte zum Leben und sprang beiseite. Hermine schüttelte den Kopf über Dumbledores verrückte Passwörter. Das von letzter Woche war ‚Nougateulen‘ gewesen. Wie konnte jemand nur so süchtig nach Zucker sein? Sie betrat das Büro. Nun war sie doch ein wenig nervös. Dumbledore stand vor seinem großen Fenster, Fawkes auf der Schulter, in der Hand ein kleines Päckchen. Er blickte nicht auf, als Hermine hereinkam. Sie schloss die Tür und trat ohne ein Wort neben ihn. Einen Moment lang blickten sie beide auf die Ländereien hinaus. Hermine sah Ginny unten am See mit ein paar Freundinnen sitzen. Sie presste die Lippen zusammen und drängte die Tränen mit purer Willenskraft zurück. Denk nicht dran, Hermine. Nicht daran denken. Sie räusperte sich und wandte sich Dumbledore zu. „Ich bin so weit.“ Dumbledore seufzte, wandte sich ebenfalls vom Fenster ab und riss das Päckchen auf. Er hängte Hermine die goldene Kette um den Hals, behielt den Anhänger jedoch in der Hand. „Ich habe einen Zeitpunkt gefunden, der günstig ist. Sprechen Sie nur mit mir über die Wahrheit, und erzählen Sie so wenig wie möglich.“ Er lächelte, doch in seinen Augen konnte Hermine Kummer erkennen. „Ich werde Sie vermissen.“ Hermines Mundwinkel zuckten, mehr brachte sie nicht zustande. Sie nickte lediglich. Dumbledore holte tief Luft und drehte den Anhänger ein paar Mal in einem bestimmten Rhythmus. Die Welt um Hermine verschwand erneut, doch diesmal war es anders. Kapitel 3: Ein Neubeginn ------------------------ 3. Ein Neubeginn April 1945 Die Welt wirbelte scheinbar unendlich lange an Hermine vorbei. Als sie wieder zum Stehen kam, sah sie sich vorsichtig um. Das Büro unterschied sich deutlich von dem, das sie verlassen hatte. Sämtliche Apparatschaften, die immer irgendwie geblitzt hatten, gekreiselt waren oder seltsame Geräusche gemacht hatten, waren verschwunden, ebenso wie die obligatorische Schale mit Zitronenbrausebonbons auf Dumbledores - nein, hier nicht Dumbledores - Schreibtisch. Ein Portrait weniger hing an der Wand. Dippets Portrait. Hermine kam der leere Fleck auf der Wand unverzeihlich vor, als würde in der Wand selbst ein Stück fehlen. Sie warf einen Blick auf die Ländereien hinaus. Es war anscheinend gerade Vormittag, die Sonne stand im Südosten. Ein Wochenende, nach der Zahl der Schüler am See zu schließen. Die Bäume im Verbotenen Wald trugen bereits einen hellgrünen Schleier, aber noch kein durchgehendes Blätterdach. Ein Frühlingswochenende also. Hermine schluckte und warf einen Blick zur Tür. Noch war das Büro leer. Dumbledore hatte ihr gesagt, er hatte einen Zeitpunkt ausgesucht, an dem sie hier als Erstes ihn treffen würde und nicht Dippet. Zu jenem Zeitpunkt hatte das so einfach geklungen, doch jetzt war sie doch etwas nervös. Was, wenn er sich geirrt hatte? Jeder machte Fehler... Unwillkürlich spielten ihre Finger mit dem Zeitumkehrer, der um ihren Hals hing, drehten ihn jedoch nie ganz um. Diese Spielerei war damals, in der dritten Klasse, eine Angewohnheit geworden, die sie einfach nicht mehr loswurde. Immer, wenn sie nervös, müde oder gelangweilt war, wanderten ihre Finger zu dem Anhänger. Es war ein Automatismus, jedoch einer, der um die Besonderheiten dieses Anhängers wusste und ohne darüber nachzudenken aufpasste, dass sie nicht versehentlich „verreiste“. Nach ein paar Minuten, die ihr wie die Ewigkeit schlechthin vorkamen, öffnete sich die Bürotür und Dumbledore, seines Zeichens Professor für Verwandlung, trat ein. Hermine schnappte nach Luft. Sicher, sie hatte gewusst, dass er jünger sein würde, aber irgendwie... sah er nicht wie er selbst aus, mit rotbraunem statt grauem Haar und dem jüngeren Gesicht, dem die feinen Fältchen um seine Augen und seinen Mund fehlten. Er hätte auch drei Beine haben können, das wäre nicht seltsamer gewesen. Sein Blick fand sie und er runzelte die Stirn. „Wer sind Sie?“, wollte er wissen und trat auf sie zu. Er musterte sie einen langen Moment, in dem sie ein wenig verlegen schwieg. Der... der ANDERE Dumbledore hatte ihr gesagt, sie sollte zwar die Wahrheit andeuten, aber so wenig konkrete Informationen wie möglich geben. Gehörte ihr Name auch zu diesen Informationen? Sie war zwar muggelstämmig, daher dürfte keiner ihrer Verwandten in unmittelbarer Nähe auftauchen, aber dennoch... Dumbledore lächelte und schüttelte den Kopf. Das Lächeln war das Gleiche wie in der Zukunft, stellte sie fest. „Ich habe meine Manieren vergessen, entschuldigen Sie vielmals. Mein Name ist Professor Albus Dumbledore.“ Hermine nickte langsam und ließ den Zeitumkehrer los, um seine Hand zu schütteln. „Ich weiß“, erwiderte sie langsam. „Ich bin Hermine-“ „Stopp!“, unterbrach er sie plötzlich mit erhobener Hand. Seine andere Hand griff nach dem Zeitumkehrer. „Sie kommen aus der Zukunft, nicht wahr? Und dass ich Sie nicht kenne, kann nur bedeuten, dass Sie mehr als nur ein paar Tage gereist sind. Habe ich Recht?“ Hermine nickte langsam. Dumbledore erwiderte das Nicken. „Wenn das so ist, werde ich Ihnen keine einzige Frage mehr über Sie selbst stellen, oder woher Sie kommen. Wenn ich die Zukunft kenne, gibt das nur Ärger. Wieso sind Sie hierhergekommen?“ Hermine lächelte schwach. „Wollten Sie nicht aufhören mit den Fragen?“ Er lächelte ebenfalls, seine blauen Augen hielten ihre fest. Dieser Blick war auch derselbe wie beim älteren Dumbledore. „Wollen Sie keine Hilfe bei was auch immer Sie hier erreichen wollen? Ein junger Mensch wie Sie reist nicht einfach mal so in eine andere Zeit, um ein neues Leben anzufangen.“ Hermine senkte den Blick. „Da haben Sie Recht. Aber...“, sie blickte wieder auf und hielt seinen durchdringenden Blick. „Ich werde Ihnen nicht sagen, was genau ich zu tun gedenke. Ich sage Ihnen nur so viel: Sie können mir helfen, indem Sie mich hier als Schülerin einschreiben. Ich war in der Zukunft ebenfalls in Hogwarts und kann ins laufende Schuljahr einsteigen.“ Dumbledore lächelte schwach. „Und in welche Klasse? Vom Alter würde ich Sie auf die siebte schätzen.“ Hermine rechnete kurz nach, dann fragte sie: „Wir haben das Jahr 1945, nicht wahr?“ „Ja. Es ist eine Woche nach den Osterferien, falls Sie es genau wissen wollen.“ Sie nickte langsam. „Gut, dann möchte ich in die sechste Klasse. Wäre das möglich?“ Dumbledore nickte. „Natürlich. Wir müssen uns nur eine Geschichte überlegen, woher Sie unter dem Jahr kommen. Und einen neuen Nachnamen brauchen Sie auch.“ Er zwinkerte. „Da ich Ihren Vornamen bereits weiß, ist es sinnlos, einen anderen anzunehmen. Außerdem werden Sie sich mit dem neuen Nachnamen seltsam genug fühlen.“ Hermine schluckte. Darüber hatte sie sich bisher wenig Gedanken gemacht... „Danke, Professor“, meinte sie leise. „Eine Frage: Warum helfen Sie mir?“ Er legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Sie haben Ihr ganzes bisheriges Leben aufgegeben, um hier sein zu können. Wer bin ich, dass er Ihnen Hilfe verweigert?“ Sie lächelte breit. „Nochmals vielen Dank, Sir.“ „Ist mir ein Vergnügen, Miss Wilson“, zwinkerte er. Hermine legte den Kopf schief. „Wilson?“ Sie ließ den Namen ein paar Mal in ihrem Mund kreisen, als schmeckte sie ihn ab. „Hermine Wilson. Das klingt seltsam - aber ich denke, ich bleibe dabei. Einen besseren Namen werde ich nicht finden.“ Sie nickte, um ihren Entschluss zu bekräftigen und das seltsame Gefühl aus ihrem Magen zu vertreiben - das Gefühl, als würde ihr ein Teil von sich selbst verloren gehen. Unsinn, dachte sie. Das kann nicht sein. Ich bin immer noch ich, egal wie ich heiße. Ich werde ja auch nicht jemand anders, wenn ich heirate. Dumbledore starrte einen Moment ins Leere, dann griff er sacht nach dem Zeitumkehrer. „Darf ich?“ Hermine streifte sich die Kette kommentarlos ab und gab sie ihm. Er musterte den Anhänger mit dem kleinen Stundenglas darin. „Ich überlege... dieser Zeitumkehrer sieht ein wenig anders aus als die aus dieser Zeit, und auch der Zauber fühlt sich anders an. Vielleicht... gibt es eine Möglichkeit, den Zauber umzukehren, sodass Sie, wenn Sie fertig sind mit was auch immer, in ihre Zeit zurückkehren können. Überlassen Sie ihn mir, damit ich versuchen kann, den Zauber umzukehren?“ Hermine starrte ihn einen langen Moment an. „Daran habe ich nicht einmal gedacht, als ich diese Reise geplant habe“, gestand sie schließlich. „Ich glaube nicht, dass jemand aus meiner Zeit jemals versucht hätte, den Zauber umzukehren... aber das heißt nicht, dass es nicht möglich ist, besonders für Sie nicht.“ Sie biss sich auf die Lippe und zögerte einen Moment, dann beschloss sie, Dumbledore zu vertrauen - wie sie es immer getan hatte. „In Ordnung. Nehmen Sie ihn. Ich hätte ihn ohnehin nicht noch einmal benutzt.“ Dumbledore betrachtete den Zeitumkehrer eine Weile stumm, dann ließ er ihn in einer Tasche seines weiten, violetten Umhangs verschwinden. Hermine stellte belustigt fest, dass seine Kleidung genau exzentrisch war wie später. In diesem Moment hörten sie Schritte. Dumbledore warf Hermine einen eindringlichen Blick zu. „Lassen Sie mich mit Dippet reden. Ich werde mich so vage wie möglich halten, dann können Sie die Details Ihrer Geschichte selbst erfinden.“ Hermine nickte. Im nächsten Moment trat Professor Dippet ein. Das erste, was Hermine an ihm auffiel, war seine Größe. Beziehungsweise das Fehlen derselben. Er war kaum größer als sie. Ansonsten wirkte er neben dem exzentrischen und durchaus nicht schlecht aussehenden Dumbledore wie eine graue Maus. Angegrautes, kurzes, braunes Haar mit Geheimratsecken, blassblaue Augen, helle Haut, brauner Umhang. Er sah müde und erschöpft aus. Als er sie neben Dumbledore stehen sah, merkte er sichtlich auf und straffte seine Haltung. „Oh, wir haben Besuch? War das der Grund, warum Sie mich sprechen wollten, Albus?“ „Nicht nur“, gab Dumbledore zurück. „Darf ich vorstellen, Miss Hermine Wilson. Miss Wilson, Professor Armando Dippet.“ Hermine erwiderte Dippets schwaches Lächeln, als sie seine Hand schüttelte. „Ist mir eine Ehre.“ Er nickte nur, bevor er seinen Schreibtisch umrundete und sich dahinter nieder ließ. Dumbledore beschwor aus dem Nichts zwei bequeme, quietschrosane Sessel auf ihrer Seite des Schreibtisches herauf und ließ sich genüsslich in einen davon sinken. Hermine zog bloß eine Augenbraue hoch, bevor sie dem zweiten Sessel mit einem Winken ihres Zauberstabs eine dunkelrote Farbe gab und sich ebenfalls setzte. Dippet lächelte wieder schwach. Hermine fragte sich flüchtig, wann dieser Mann das letzte Mal aus vollem Herzen gelacht hatte. Es war vermutlich ein Weilchen her. „Wie ich sehe, teilt Miss Wilson Ihre Vorliebe für knallbunte Farben nicht, Albus. Erzählen Sie mir, womit ich die Ehre ihres Besuchs verdient habe?“ „Natürlich, Direktor. Sie ist die Nichte eines guten Freundes von mir, der in Kanada lebt. Wie Sie wissen, gibt es dort keine Zaubererschule, die länger unterrichtet als fünf Jahre. Nachdem Miss Wilson ihre ZAGs gemacht hatte, hat sie zuerst versucht, sich im Selbststudium weiter zu bilden, hat mir allerdings vor einer Woche geschrieben, dass sie es alleine nicht schafft und gerne hierher nach Hogwarts kommen würde, um ihre UTZs zu machen.“ Hermine musste sich ein Schmunzeln verkneifen. Er kannte sie nicht, trotzdem passte diese Geschichte zu ihr wie die Faust aufs Auge. Wahrscheinlich hätte sie das sogar getan, wäre sie in Kanada aufgewachsen. Dippet musterte sie interessiert. „Selbststudium? Ich bin beeindruckt. Wie weit sind Sie gekommen?“ Hermine zögerte nur einen winzigen Augenblick. „Ich habe mir den Lehrplan für den UTZ in Hogwarts schicken lassen und mir die Bücher für die sechste Klasse besorgt. Ich... habe ihn zum Großteil durchgearbeitet, allerdings habe ich eine ellenlange Liste mit Fragen, die ich nicht mit den Büchern klären kann, sondern für die es lebendige Lehrer braucht. Außerdem habe ich seit letztem Sommer keinen Zaubertrank mehr gebraut. Meine Mutter ist eine Muggel und erlaubt es mir zu Hause nicht, und die Morgana-Akademie unterstützt dieses Selbststudium nicht und hat mir Hausverbot erteilt, nachdem ich, zuerst mit Genehmigung, später ohne, die Schülerlabore nach meinem Abschluss weiter benutzt habe.“ Dippet sah milde beeindruckt aus. „Wie sahen Ihre ZAGs aus?“, wollte er noch wissen, doch Hermine konnte sehen, dass er sie nicht hinauswerfen würde. „Durchgehend „Ohnegleichen“, nur in Verteidigung gegen die dunklen Künste habe ich ein „Erwartungen übertroffen“.“ Dippet schnappte überrascht nach Luft. „Und die erteilen Ihnen Hausverbot? Solche…“ Der Rest ging in unverständlichem Murmeln unter. Als er sich wieder beruhigt hatte, lächelte er sie breit an. Er kann also doch lachen, dachte Hermine. „Sie werden mir Ihre Papiere selbstverständlich noch vorlegen, doch für den Moment glaube ich Ihnen. Es ist mir eine Ehre, eine so begabte Schülerin hier in Hogwarts aufnehmen zu dürfen. Ich werde Sie in die laufende sechste Klasse schicken, auf Probe. Die Lehrer werden mir von ihren Fortschritten berichten, und ich werde dann darüber entscheiden, ob Sie für die Prüfungen für die sechsten Klassen im Sommer zugelassen werden.“ Hermine neigte kurz den Kopf. „Vielen Dank, Sir.“ Mit einem Mal wirkte Dippet geschäftig. Er sprang auf, wuselte durch das Büro, verschwand hinter einem Berg von Büchern und kam mit einem alten, zerschlissenen Hut wieder zurück. Hermine musste sich zwingen, bei seinem Anblick nicht zu lächeln. Sie hatte diesen Hut nicht zu kennen! Dippet drückte ihn ihr in die Hand. „Setzen Sie ihn sich auf, er wird bestimmen, in welches Haus sie kommen.“ Hermine nickte und gehorchte. Der Hut rutschte ihr tief ins Gesicht und über die Augen, wie beim ersten Mal, als sie ihn getragen hatte. Mit einem Mal war sie nervös. Die Hände in ihrem Schoß knetend, dachte sie: „Ich darf nicht nach Gryffindor kommen. Es wird nie funktionieren, wenn ich dort lande...“ Der Hut sprach zu ihr, und sie erschrak, als sie die Stimme hörte. Es war immerhin schon ein paar Jahre her (oder ein paar Jahre hin?), dass sie ihn zum letzten Mal aufgehabt hatte. „Ich verstehe...“, meinte der Hut mit seiner hellen Stimme. „Ich verstehe dein Anliegen. Ich hoffe nur, dass du dir damit nicht selbst eine Grube gräbst. Zeitreisen sind tückisch. Niemand weiß, wie es endet - oder ob es überhaupt funktioniert. Aber ich will nicht derjenige sein, der dir im Weg steht. Du hast Großes vor dir, und ich werde dir helfen. Ich schicke dich nach... RAVENCLAW!“ Kapitel 4: Neue Freunde ----------------------- 4. Neue Freunde Hermine straffte ein letztes Mal die Schultern, bevor sie Professor Dippet in die Große Halle folgte. Die vielen schwebenden Kerzen, die lachenden Kinder, das leise Plaudern, die goldenen Teller, die Feuer in den beiden Kaminen an den Seiten... Nichts war anders als sonst. Hermine gab sich für einen Moment der wunderbaren Illusion hin, dass alles so war wie immer, dann wanderte ihr Blick zum Lehrertisch, wo ganz andere Lehrer saßen. Das irritierte sie jedoch weniger. Schlimmer war es, Dumbledore nicht in der Mitte der Tafel sitzen zu sehen. Sie schluckte, als sie Professor Dippet vor den Lehrertisch folgte und dann nervös neben ihm stehen blieb. Sie trug bereits die Schuluniform mit dem Wappen von Ravenclaw. Auf der einen Seite waren ihr diese Kleider vertraut, auf der anderen Seite war das kalte Blau im Vergleich zu dem gewohnten Rot seltsam fremd. Wieder fühlte sie sich, als würde ein Stückchen ihrer Selbst abbrechen. Sie ließ den Blick schweifen. Die meisten Gesichter musterten sie leicht neugierig, aber ausdruckslos. Ein Mädchen am Gryffindortisch legte den Kopf schief, als sich ihre Blicke trafen, und blinzelte sie nachdenklich durch quadratische Brillengläser an. Hermine wandte den Blick nicht ab. Irgendetwas an diesem Mädchen kam ihr bekannt vor... sie dürfte in einer der oberen Klassen sein, dem Aussehen nach. Dementsprechend wäre sie in ihrer eigenen Zeit ungefähr genauso alt wie Voldemort... Das Mädchen strich sich eine vorwitzige, schwarze Haarsträhne aus dem Gesicht, die sich aus ihrem strengen Haarknoten gelöst hatte. Hermine betrachtete den Knoten einen Moment lang, dann fiel ihr Blick erneut auf die eckigen Brillengläser - und es machte Klick. Das musste Minerva McGonagall sein! Hermine wandte rasch den Blick ab. Na, das konnte ja lustig werden. Sie dankte allen Göttern dafür, dass diese nicht in Ravenclaw war. Ihr Blick fiel auf den Slytherintisch. Keiner der dort Sitzenden schenkte ihr einen zweiten Blick, doch sie erkannte ihn sofort. Harry hatte ihr nur gesagt, dass er schwarzes Haar hatte und gut aussah - auf eine kalte, abstoßende Weise. Diese Beschreibung passte wie die Faust aufs Auge. Er stach richtig aus dem Haufen der Schüler heraus, was allerdings auch daran liegen konnte, dass die anderen Schüler alle in sicherem Abstand zu ihm saßen. Er hatte fein geschnittene Gesichtszüge, hohe Wangenknochen, hellblaue Augen und pechschwarze, glatte Haare, blasse Haut - und eine Stupsnase. Hermine konnte nur mühsam dem Drang zu Lachen widerstehen, als sie das bemerkte. Das war also der Grund gewesen, warum er seine Nase hatte loswerden wollen! Kein Wunder - ein Dunkler Lord mit Stupsnase hätte es sicher viel schwerer, respektiert zu werden. Sie bemerkte erst, wie lange sie ihn angestarrt haben musste, als Dippet neben ihr das Wort erhob und das Getuschel weniger wurde - doch ganz still wurde es nicht. Hermine zog unwillkürlich die Parallele zu Dumbledore und musste wieder einmal feststellen, dass Dippet absolut nicht mithalten konnte. Er hatte einfach nicht dieselbe Ausstrahlung und höchstwahrscheinlich auch nicht dieselben Fähigkeiten. Ein Hauch von Mitleid für den alten Direktor durchfloss sie. „Meine lieben Schülerinnen und Schüler! Ich möchte euch heute eine neue Mitschülerin vorstellen. Das ist Miss Hermine Wilson. Sie wurde heute Nachmittag dem Haus Ravenclaw zugeteilt und wird ab sofort die sechste Klasse besuchen. Ich bitte euch darum, ihr den Einstieg so leicht wie möglich zu machen und ihr zu helfen, sich überall zurecht zu finden.“ Er nickte und warf jedem Haustisch einen Blick zu. Am Ravenclawtisch erhoben sich ein Junge und ein Mädchen und kamen die paar Schritte zum Lehrertisch hinauf. Der Junge streckte Hermine seine Hand hin und meinte steif: „Ich bin Marc Glenn, der Schulsprecher. Freut mich, deine Bekanntschaft zu machen. Wenn du bei irgendetwas Hilfe brauchst, zögere nicht, mich zu fragen.“ Hermine nickte und schüttelte seine Hand. „Danke.“ Marc nickte ihr noch einmal zu, dann verschwand er wieder. Hermine zog unmerklich eine Augenbraue ein Stückchen höher. Irgendwie erinnerte sie der Kerl an Anthony Goldstein, mit dem sie sich in der Zukunft das Amt der Schülersprecherin geteilt hatte... Er tat seine Pflicht, aber kein Stückchen mehr. Das Mädchen warf ihm einen missbilligenden Blick hinterher, bevor sie sich mit strahlendem Lächeln wieder an Hermine wandte. „Kümmer dich nicht um ihn, er ist...“, sie verstummte mit einem Blick auf den Direktor, hob jedoch gleich wieder zu sprechen an. „Ich bin Lauren May, die Vertrauensschülerin aus der sechsten Klasse.“ Hermine schüttelte auch ihr die Hand. Lauren sah... fröhlich aus. Ein anderes Wort traf es nicht, dieses Funkeln in ihren grünen Augen, das breite Lächeln, die leichten Lachfältchen um ihre Augen und sogar das silberne Strahlen in ihren aschblonden Haaren. Sie zog sie resolut mit sich zum Ravenclawtisch, wo sie sie mitten in eine Traube Mädchen setzte, die sie alle mit Fragen bombardierten. Bereits nach zehn Minuten wünschte sich Hermine, sie hätte vorne neben Professor Dippet erklärt, woher sie angeblich gekommen war und warum. Es schien immer noch jemand aufzutauchen, der ihre Geschichte noch nicht gehört hatte und für den sie sie wieder erzählen musste. Sie hatte die Wissbegierde der Ravenclaws ganz vergessen gehabt... In Gryffindor oder Hufflepuff wären ihr zumindest ein paar der kritischeren Fragen erspart geblieben, die sie nur beantworten konnte, weil sie vor einer Stunde noch in der Bibliothek über die Gegend rund um Morgana recherchiert hatte. Nach einer Weile, als sich die Fragerei gelegt hatte und alle am Essen waren, schauderte Hermine plötzlich. Sie hob den Blick - und begegnete seinem Blick. Er starrte sie nachdenklich vom Slytherintisch aus an, den Kopf schiefgelegt und in eine Hand gestützt. Die hellen Augen schienen sie zu durchbohren. Hermine schluckte, wandte den Blick jedoch nicht ab. Sie starrte genauso zurück und zog eine Augenbraue hoch. Er kräuselte die Lippen. Es war kein Lächeln in dem Sinn, doch es kam nahe an eines heran. Als Nächstes spürte Hermine etwas. Es fühlte sich fast an wie... wie die mentalen Fühler, die sie immer gespürt hatte, wenn sie mit Dumbledore Okklumentik trainiert hatte! Der Kerl versuchte doch tatsächlich, in ihren Kopf einzudringen! Ihre Augen verengten sich, doch sie wandte den Blick nicht ab, während sie ihre Okklumentikwälle verstärkte und dem Fühler mental einen Tritt verpasste, um ihn aus ihrem Kopf zu bekommen. Es wäre ohne Blickkontakt einfacher gewesen, doch sie wollte nicht den Eindruck vermitteln, dass sie es bei Blickkontakt nicht schaffte, ihm stand zu halten. Sie durfte sich keine Schwäche erlauben. Er zog sich augenblicklich zurück, das Kräuseln seiner Lippen wurde stärker, es sah jetzt tatsächlich beinahe aus wie ein Lächeln. Beinahe. Als Hermine daraufhin die zweite Augenbraue hochzog, wandte er den Blick ab. Sie starrte ihn noch einen langen Moment an, bevor sie sich aus ihrer Starre losriss und wieder auf ihren Teller blickte. Was bezweckte er damit? War es nur reine Neugier, oder misstraute er ihr? Und warum traute er sich, das genau unter der Nase von Albus Dumbledore zu veranstalten? Machte er das öfter? Fragen über Fragen... Lauren stieß sie an. „Worüber zerbrichst du dir den Kopf?“ Hermine schreckte hoch. „Woher willst du wissen, ob ich es überhaupt tue?“, gab sie zurück, um Zeit zu gewinnen. Fieberhaft überlegte sie, was sie antworten sollte. Lauren lachte. „Ich sehe es dir an. Glaub mir, hier in Ravenclaw ist das ganz normal. Wir sind, jedenfalls laut der anderen Häuser, das Streberhaus dieser Schule.“ Hermine lächelte und versuchte, das Thema zu wechseln. „Streber? Und was sind die anderen?“ Lauren deutete nebenan zum Gryffindortisch. „Das sind die Gryffindors, die mutigen Löwen. Sie stürzen sich meist erst in irgendwelche Sachen und denken erst hinterher darüber nach, was alles hätte passieren können. Für ihre Freunde würden sie sogar Grindelwald in den Hintern treten. Das da“ - wieder zeigte sie – „sind die Hufflepuffs. Sie sind meist nicht so schnell im Denken wie wir, aber sie gleichen es durch ihren Fleiß wieder aus. Außerdem sind sie immer gerecht, hassen Streit und sind absolut treue Freunde.“ Sie winke einem Mädchen am Hufflepuff-Tisch zu, die gerade herüber blickte. „Das ist Lucy Carmikel, eine gute Freundin von mir. Wir machen viel zusammen. Wenn du möchtest, stelle ich sie dir später vor.“ Sie blickte Hermine erwartungsvoll an. Hermine nickte rasch. „Das wäre toll! Und was“ - sie zeigte zu den Slytherins und hoffte, dass Lauren unterdessen ihre ursprüngliche Frage vergessen hatte – „sind das für Leute?“ Laurens Lächeln wurde etwas schmaler. „Das sind die Slytherins. Ihr Tier ist eine Schlange, und so benehmen sie sich auch. Sie sind egoistisch, hinterhältig und listig.“ Hermine lachte. „Würde ein Fuchs da nicht besser passen?“ Lauren schüttelte den Kopf. „Der erste Leiter ihres Hauses, Salazar Slytherin, war ein Parselmund, also ist es nur logisch, dass sein Haus die Schlange bekommen hat. Außerdem schaffen sie es regelmäßig, sich wie Schlangen aus allem Ärger heraus zu winden.“ Hermine ließ den Blick über den Slytherintisch wandern, sich der Blicke Laurens nur zu bewusst, und stoppte bei IHM. „Wer ist das?“, fragte sie. „Und warum sitzt er ganz alleine?“ Lauren senkte die Stimme und drehte Hermine zu sich, sodass sie ihn nicht mehr ansah. „Schau ihn nicht zu lange an. Er bemerkt das.“ Hermine runzelte die Stirn und zog eine Augenbraue hoch. Lauren holte tief Luft. „Das ist Tom Riddle. Er ist in unserem Jahrgang und Vertrauensschüler wie ich. Aus Sicht des Direktors ist er mit Sicherheit ein absolutes Wunderkind - er bricht alle Rekorde, was Noten angeht, aber er ist... komisch. Wenn er einen ansieht, fühlt man sich ganz komisch, fast so, als würde er Gedanken lesen können. Außerdem... ist etwas Seltsames an ihm. Ich weiß nicht genau, was es ist. Ich hab mir schon oft den Kopf darüber zerbrochen, aber... egal, halte dich am besten von ihm fern. Er verhext zwar keine Kleineren und legt sich auch nicht mit den Gryffindors an wie die anderen Slytherins, aber ich habe das Gefühl, dass er gefährlich sein kann, wenn er will.“ Hermine nickte rasch. Dann legte sie, gespielt überlegend, den Kopf schief. „Die Slytherins legen sich mit den Gryffindors an? Hat unser Haus auch jemanden, mit dem es sich nicht versteht?“ Lauren lächelte, offensichtlich erleichtert über den erneuten Themawechsel, und schüttelte den Kopf. „Nicht wirklich. Jedenfalls nicht so schlimm wie Gryffindor und Slytherin. Bei denen artet das regelmäßig in einen Kleinkrieg aus. Wir werden zwar auch manchmal von den Slytherins dumm angemacht, aber es sind nur die üblichen Vorurteile gegen Muggelstämmige.“ Hermine runzelte die Stirn. „Vorurteile gegen Muggelstämmige sollten nicht üblich sein.“ Lauren seufzte schwer. „Ich weiß, aber sag das mal den Slytherins. Die leben alle nach den alten Reinblütertraditionen und hassen jeden, der Muggel und Muggelstämmige nicht für abstoßend und unter seiner Würde hält.“ Hermine schwieg einen Moment. „Aber es können doch nicht alles Reinblüter sein“, meinte sie dann. „Dann müssten ja alle Reinblüter auf der Schule in Slytherin sein... Das kann nicht sein.“ Lauren schenkte dem Slytherintisch einen düsteren Blick. „Das hab ich mir auch schon gedacht. Wie auch immer, sie benehmen sich alle so, als wären sie es. Außerhalb von Slytherin weiß keiner, wer jetzt einer ist und wer nicht.“ Hermine schwieg. Ihr Blick ruhte wieder auf Tom Riddle. Es hatte sich also in all der Zeit nichts geändert... Sie beschloss, genau zu beobachten, ob er sich wie ein Reinblut benahm oder nicht. ~*~ Das Essen war zu Ende. Lauren packte Hermine resolut am Arm und führte sie zum Hufflepufftisch hinüber, wo Lucy gerade aufstand. Sie lächelte Hermine ein wenig schüchtern an. „Hallo.“ Hermine erwiderte das Lächeln. „Hallo.“ Einen Moment lang sagte keine etwas und die drei standen etwas verlegen in der Gegend, bis Lucy fragte: „Was hast du für Fächer gewählt?“ Hermine zählte auf: „Zaubertränke, Kräuterkunde, Zauberkunst, Verwandlung, Verteidigung gegen die dunklen Künste, Astronomie, Alte Runen, Arithmantik und Geschichte der Zauberei.“ „Wow, das sind viele schwierige Fächer“, meinte Lucy lächelnd. „Schaffst du das denn alles?“ Hermine nickte zuversichtlich. Lucy wusste ja nicht, dass sie es sogar ein Jahr lang einmal geschafft hatte, ALLE Fächer zu belegen... „Was habt ihr denn für Fächer?“, wollte sie wissen. „Ich habe fast die gleichen wie du, nur statt Alte Runen Muggelkunde“, sagte Lauren. „Und ich habe keine Geschichte der Zauberei mehr - da bin ich durchgefallen in den ZAGs. Dafür habe ich aus den späteren Fächern Muggelkunde, Pflege magischer Geschöpfe und Runen“, meinte Lucy. Hermine lächelte. „Keiner Wahrsagen?“ Lauren brummte missmutig. „Ich hatte es mal belegt, bin aber immer nur mit Ach und Krach durch die Prüfungen gekommen. Nach den ZAGs hab ich es rausgeworfen. Das Fach ist sinnlos.“ „Und ich hatte es noch nie“, meinte Lucy schulterzuckend. Hermine lächelte. „Ich konnte mich auch nie damit anfreunden. Hab es nach einem Jahr wieder abgewählt.“ Lauren legte den Kopf schief. „Das geht auf Morgana?“ Hermine nickte. Sie dankte Merlin und Morgana, dass sie vorhin noch recherchiert hatte... Bei den Ravenclaws musste sie aufpassen, was sie sagte. Sie waren schlau. Lucy gähnte. „Ich werde dann mal gehen, ich muss noch lernen. Gute Nacht, Lauren, Hermine.“ Die beiden wünschten Lucy eine Gute Nacht und sahen ihr hinterher, wie sie sich einem Grüppchen Hufflepuffs anschloss, die gerade die Große Halle verließen. Schließlich meinte Lauren: „Komm, wir sollten auch gehen. Unser Gemeinschaftsraum ist in einem der Türme, und du solltest dir den Weg möglichst schon heute merken. Hogwarts ist ein Labyrinth, wenn man es nicht kennt.“ Hermine nickte und folgte Lauren in die Eingangshalle. Kapitel 5: Neue alte Schule --------------------------- 5. Neue alte Schule Als Hermine am nächsten Morgen erwachte, schliefen die anderen noch. Es war zwar Montag, doch entweder war sie ungewöhnlich früh aufgewacht, oder sie war in einem Jahrgang voller notorischer Langschläfer gelandet. Rasch warf sie einen Blick auf die Uhr. Es war erst sechs Uhr morgens. Sie runzelte die Stirn, während sie dem Sekundenzeiger mit den Augen folgte. Funktionierte die Uhr seit der Zeitreise überhaupt noch richtig? Sie schlug die Bettdecke zurück, tappte barfuß durch den runden Schlafsaal und lugte vorsichtig auf Laurens Uhr. Sechs Uhr. Sie funktionierte. Mit einem Lächeln suchte Hermine sich ihre Klamotten zusammen und ging ins Badezimmer. Dumbledore musste das gedreht haben. Ob es diesem hier oder dem aus der Zukunft zu verdanken war, war unwichtig. Oder? Während sie das warme Wasser über ihren Körper laufen ließ und sich langsam einseifte, drehten ihre Gedanken im Kreis. Wenn es der aus dieser Zeit gewesen war, war alles ganz simpel - er hatte einfach in einem unbeobachteten Moment die Uhr auf die hiesige Uhrzeit eingestellt. Der aus der Zukunft - hätte er es überhaupt gekonnt? Ja, gab sie sich sogleich die Antwort. Er hatte seine Erinnerungen durchforstet nach einem geeigneten Zeitpunkt, da hatte er natürlich auch gewusst, wie spät es zu diesem Zeitpunkt gewesen war. Es war für beide ohne große Schwierigkeiten möglich gewesen, also war es unwichtig. Sie trocknete sich ab, zog sich an und kämmte ihre Haare. Bildete sie es sich nur ein, oder waren die über Nacht noch buschiger geworden? Rasch murmelte sie einen Zauber, und die gröbsten Knoten lösten sich. Sie band die Haare im Nacken zu einem Pferdeschwanz zusammen. Heute hatte sie Kräuterkunde und Zaubertränke, da wollte sie sie nicht im Weg haben. Als sie wieder in den Schlafsaal trat, saß eins der anderen Mädchen gähnend in ihrem Bett. Delia Stone hieß sie, wie Hermine sich erinnerte. Ihre langen, schwarzen Locken ringelten sich auf ihrem hellgelben Nachthemd, das ihre helle Haut in der Morgensonne noch blasser wirken ließ. „Morgn“, nuschelte sie, als sie Hermine erkannte, und tappte ins Bad. Hermine sah sich um, ob die anderen vier noch schliefen, und als sie feststellte, dass sie es taten, fischte sie ihre alles fassende Tasche unter dem Bett hervor, wo sie unter der Illusion eines Schrankkoffers verborgen gewesen war. Sie hatte nachgeforscht - es gab zwar bereits alles fassende Taschen, aber diese waren definitiv größer, unförmiger, schwerer und vor allem war der Zauber nicht unortbar zu machen, wie sie es mit ihrer Tasche getan hatte. In der Zukunft war das nur eine kleine Modifikation gewesen - hier jedoch arbeitete bereits der Grundzauber ganz anders. Sprich, Hermine musste diese Tasche verstecken, sollte nicht bekannt werden, dass sie aus der Zukunft kam. Sie verwandelte eine einzelne Socke in einen echten Schrankkoffer. Das war ein schönes Stück Arbeit, doch sie schaffte es. Da hinein kamen alle ihre Schuluniformen, Umhänge, Roben, Blusen und Röcke. Die Hosen blieben in ihrer Tasche. Frauen trugen im Jahr 1945 noch keine Hosen. Auch das würde sie verraten. Die Schulbücher hatte sie gestern in der Bücherei noch so verzaubert, dass sie wie ihre älteren Auflagen aussahen, und sich die Bücher, die mittlerweile durch andere ersetzt worden waren, ausgeliehen. Die neuen Bücher, die nicht zu ihren Schulbüchern gehörten, blieben auch in der Tasche, während sie eine zweite Tasche, diesmal eine normale, aus der alles fassenden zog. Ihre alte Schultasche. Rasch stopfte sie Bücher, Pergament, Federn und ihr verkleinertes Zaubertrankset hinein und steckte dann die alles fassende Tasche verkleinert in ihre Rocktasche. Mit der Schultasche bewaffnet trat sie aus dem Schlafsaal, bevor noch mehr von ihren neuen Klassenkameraden aufwachten. Sie hatten sie zwar alle sehr freundlich begrüßt, doch Hermine verspürte keinen großen Drang, sich mit ihnen anzufreunden. Bei dem, was sie tat, waren Freunde, die nicht in Slytherin waren, sowieso eher lästig. Im Gemeinschaftsraum angekommen, drehte sie sich einmal um sich selbst und sog die neuen Eindrücke in sich auf. Der Ravenclawturm war ihr bisher nicht viel anders vorgekommen als der Gryffindorturm, doch gestern Abend hatte sie feststellen müssen, dass die beiden nicht unterschiedlicher hätten sein können. Ravenclaws waren Kopfmenschen, Rationalisten, und die Einrichtung entsprach ihrer Denkweise: Kühl und pragmatisch. Die Sofas und Sessel waren zwar bequem, aber im Gegensatz zu Gryffindor, wo der Gemeinschaftsraum aussah wie ein riesiges Wohnzimmer, nahmen sie nicht einmal die Hälfte des Platzes ein. Stattdessen standen hier viele Schreibtische und Bücherregale mit Nachschlagewerken und sämtlichen Schulbüchern. In der Ecke gegenüber der Tür stand eine Statue von Rowena Ravenclaw. Bilder gab es keine an den Wänden, nur blaue und bronzene Stoffbanner - dafür waren in zwei Wänden viele hohe Bogenfenster, die einen atemberaubenden Blick über das Schlossgelände und den See preisgaben, während die Decke offensichtlich mit dem gleichen Zauber belegt war wie die der großen Halle und gerade einen blassen Sonnenaufgang im Nebel zeigte. Hermine sog all das in sich auf und durchquerte den Raum dann, um zum Frühstück zu gehen. Sie öffnete die schlichte Holztür, die ihr am Vorabend statt einem Passwort ein Rätsel präsentiert hatte, und lächelte. Es war keine narrensichere Methode, um Nicht-Ravenclaws draußen zu halten, doch das sollte es auch gar nicht. Jeder, der Ravenclaws würdig war, war eingeladen, hereinzukommen. Hermine mochte den Gedanken, der dahinter steckte. Es war bei weitem nicht so stumpfsinnig wie das Passwort, das sich Gryffindors und auch Slytherins merken mussten. Sie stieg die lange, enge Wendeltreppe nach unten und durchquerte dann den Westflügel. Es war noch niemand auf den Gängen zu sehen, doch sie hielt sich trotzdem von allen Geheimgängen fern und nahm den langen Weg nach unten in die Große Halle, genau den Weg, den Lauren gestern mit ihr gegangen war. Als sie wieder einmal auf eine der Treppen wartete, die ihre Richtung nicht ändern wollte, beschloss sie, gleich nach dem Unterricht eine inszenierte Erkundungstour durch die Schule zu machen. Sie hasste das Haupttreppenhaus. Hier hatten die Treppen den Raum, die Richtung wie wild zu ändern, und taten nie das, was man gerade brauchte. In den Geheimgängen war meist rechts und links von einer Treppe Wand, sodass sie immer in die gleiche Richtung und in das gleiche Stockwerk führte. Außerdem würde sie heute Abend wieder einmal "Eine Geschichte von Hogwarts" durchlesen. Sie kannte das Buch zwar bereits auswendig, doch wenn sie es gelesen hatte, konnte sie ohne zu lügen behaupten, sich zumindest grob in Hogwarts auszukennen und niemand würde Verdacht schöpfen. Sie würde zwar gegenüber den Ravenclaws etwas vorsichtiger sein müssen, als sie es von ihren Gryffindors gewohnt war, doch wenn sie die Ravenclaws nicht täuschen konnte, wie wollte sie dann Tom Riddle etwas vormachen? Sie betrat die Große Halle, stellte mit einem Blick auf den Himmel fest, dass immer noch dichter Nebel herrschte, und sah sich um. Fast wäre sie zum Gryffindortisch gegangen, doch sie blieb noch rechtzeitig stehen, bevor es jemandem auffallen konnte. Die Halle war relativ leer, es war gerade erst sieben. Dumbledore saß bereits an seinem Platz und aß munter vor sich hin lächelnd ein Brot mit - Nutella? Nun, bei Dumbledore sollte es sie nicht weiter wundern. Sie nickte ihm zu, als er sie breit anlächelte. Am Ravenclawtisch saßen bereits ein paar ältere Schüler, doch sie kannte keinen davon. Vom Hufflepufftisch winkte ihr jedoch eine bereits putzmuntere Lucy zu. Hermine lächelte und setzte sich zu ihr. „Guten Morgen!“, meinte Lucy überschwänglich. „Morgen“, antwortete Hermine und griff nach der Teekanne. Lucy strahlte geradezu. „Bist du morgens immer so gut gelaunt?“ Lucy nickte. „Ich bin eine ziemliche Frühaufsteherin. Meine Freunde haben mir sogar schon mal Traumlosschlaftrank verpasst, damit ich sie am Wochenende nicht aufwecke.“ Hermine grinste und nahm einen Schluck schwarzen Tee. Sie selbst war zwar keine Langschläferin, aber ganz auf Touren war sie morgens ohne ihren Tee nicht. Lucy warf einen Blick in Hermines Tasse und schüttelte sich. „Du trinkst den Tee schwarz? Da würde es mich schütteln.“ Sie füllte ihre Tasse erneut und griff nach der Zuckerdose, die zwar einen Fluchtversuch unternahm, aber von Hermines strengem Blick gestoppt wurde. Lucy seufzte. „Danke. Irgendwie mögen mich die Zuckerdosen nicht... Wie machst du das?“ Hermine schnappte sich die Schüssel mit den gebackenen Tomaten und lud sich den Teller voll. „Ungesagter Impedimenta“, meinte sie kurz angebunden und begann zu essen. Jetzt erst bemerkte sie, dass sie Hunger hatte. Lucys Augen wurden groß. „Ohne Zauberstab?“ Hermine blickte auf und verfluchte sich im nächsten Moment selbst. Zauberstablose Magie sollte sie eigentlich noch nicht beherrschen. Das war, wenn überhaupt, Stoff der siebten Klasse. Hermine hatte es während ihrem Duelltraining für den Kampf gegen Voldemort gelernt. Jetzt musste sie sich etwas einfallen lassen. Sie dankte Merlin dafür, dass sie wenigstens nur Lucy vor sich sitzen hatte und nicht Lauren. Sie zuckte mit den Schultern. „Manchmal kann ich das. Nicht immer. Ich weiß selber nicht, wieso.“ Lucy nickte stumm, mit Bewunderung in den Augen. Hermine atmete innerlich auf. Lucy hatte die Geschichte geschluckt. Jetzt konnte sie nur hoffen, dass sie es nicht Lauren erzählte. Die würde nämlich mit Sicherheit nachbohren. Sie hatte sie gestern schon am längsten gelöchert. Schweigen kehrte zwischen ihnen beiden ein. Hermine ließ den Blick durch die Halle schweifen - und konnte sich gerade noch davon abhalten, zusammen zu zucken. Tom Riddle hatte gerade die Halle betreten, zusammen mit zwei Jungen in seinem Alter, die Hermine irgendwie bekannt vorkamen. Sie war sich sicher, diese Gesichtszüge schon irgendwo gesehen zu haben, wusste nur nicht mehr genau, wo. Rasch verglich sie die Gesichter mit denen aller Zauberer, die in ihrer Zeit Professor McGonagalls Alter gehabt hatten, doch es wollte ihr keiner einfallen. Vielleicht Väter von jemandem, den sie kannte? Doch dann konnte sie nicht mehr vergleichen - immerhin hatten die Söhne sicher auch Merkmale von ihren Müttern. Sie beschloss, es auf sich beruhen zu lassen, obwohl ihr Gehirn sich am liebsten zu einem Fragezeichen verbogen hätte. Wenn diese Personen wichtig für Tom Riddle waren, würde sie schon noch erfahren, wie sie hießen. Ihr Blick kreuzte den von Tom Riddle. Kaum einen Moment später spürte sie wieder den mentalen Fühler in ihrem Geist, der gestern schon versucht hatte, ihre Barrieren zu durchbrechen. Sie legte den Kopf schief, setzte ihr süßestes Lächeln auf und katapultierte ihn wieder heraus. Diesmal zog er eine Augenbraue hoch, nickte ihr dann jedoch zu und setzte sich an den Slytherintisch. Hermine grinste innerlich, während sie weiter aß. Es schien fast so, als hätte sie ihn auf sich aufmerksam gemacht, weil sie Okklumentik beherrschte - oder auch nur bemerkte, dass er in ihren Geist einzudringen versuchte. Er stellte sich geschickt an, krachte nicht mit voller Wucht gegen ihre Schilde, sondern schob langsam und bedacht einen Fühler an sie heran, in der Hoffnung, ein kleines Schlupfloch zu finden. Sie war sich sicher, hätte sie keinen Unterricht in Okklumentik und auch Legilimentik gehabt, sie hätte ihn nicht bemerkt. Das wiederum ließ sie vermuten, dass Tom bei jedem, der ihm gerade über den Weg lief, Legilimentik anwendete. Die Vorstellung war erschreckend; allein die Tatsache, dass er auf sie aufmerksam geworden war - und zwar mehr als auf einen normalen neuen Schüler - passte ihr gut ins Konzept. Ein Problem weniger, über dass sie sich Gedanken machen musste. ~*~ Eine halbe Stunde später hatte auch Lauren, die sich wenig später zu ihnen gesetzt hatte, fertig gefrühstückt und die drei drehten eine Runde über die Ländereien, am See vorbei, bis zu den Gewächshäusern. Hermine warf einen Blick auf Hagrids Hütte. Es war bereits Hagrids Hütte, da war sie sich sicher. Sie erinnerte sich noch daran, dass Harry ihr erzählt hatte, Tom hätte die Kammer in seinem fünften Jahr geöffnet. Als sie diesen Gedanken weiter dachte, musste sie schlucken. Myrthe war bereits durch Toms Hand gestorben. Dieser Junge war gefährlich. Bevor sie jedoch weiter darüber grübeln konnte, ob es das Risiko wert war, sich mit ihm einzulassen, waren sie angekommen und betraten Gewächshaus vier, wo bereits ein freundlich lächelnder Professor in einem braunen, abgewetzten Umhang vor dem großen Arbeitstisch wartete. „Das ist Professor Merrythought“, flüsterte Lauren ihr zu. „Er ist ziemlich gutmütig und macht gerne lustigen Unterricht, aber seine Prüfungen sind gnadenlos.“ Hermine nickte, als die Glocke läutete und der Unterricht begann. Sie stellte schon nach zwei Minuten fest, dass sie das Thema der Stunde bereits kannte, und ihre Gedanken schweiften ab, zurück zu Tom Riddle und der Kammer des Schreckens. Doch sie drehte sich im Kreis. Immer wieder kehrten ihre Gedanken zu dem Punkt zurück, an dem sie selbst vor so langer Zeit in ihrem Taschenspiegel zwei große, gelbe Augen gesehen hatte, hinter der nächsten Ecke ein Zischeln gehört hatte - und dann rückwärts umgefallen war, ohne die Möglichkeit, sich zu bewegen. Ihre Augen waren zu dem Zeitpunkt offen gewesen, und ihr Bewusstsein war nicht mit eingefroren worden. Die folgenden Wochen hatte sie auf der Krankenstation verbracht, teilweise schlafend mit offenen Augen, teilweise hellwach. Sie musste sich mit Gewalt davon abhalten, wieder zu zittern. Immer, wenn sie an diesem Punkt ihrer Erinnerungen angelangt war, begann sie zu zittern. Und das seit Jahren. Sie hörte Madam Pomfrey förmlich vor sich, wie sie sagte: „Es ist einfach sinnlos, zu einer versteinerten Person zu sprechen.“ Das bewies nur, dass Madam Pomfrey selbst noch niemals versteinert gewesen war. Denn es stimmte einfach nicht. Hermine hatte zwar nicht antworten oder sich anderweitig bemerkbar machen können, doch sie hatte jedes Wort verstanden, das in den langen Wochen damals zu ihr gesagt worden war. Sie hatte mitbekommen, was um sie herum geschah. Sie hatte jede einzelne Sekunde ihr Schicksal verflucht - nur dazuliegen und nichts, absolut gar nichts tun zu können, sich nicht einmal kratzen, wenn es sie irgendwo juckte, oder die Augen schließen, wenn sie schlafen wollte. Sie konnte von Glück reden, dass ihr Stoffwechsel von Madam Pomfrey mit eingefroren worden war. Jedenfalls soweit, wie es möglich war. Ansonsten... Hermine schüttelte sich bei dem Gedanken an Magensonden, Infusionen und Windeln, die auch in der magischen Medizin eingesetzt wurden, weil es einfach keine magischen Entsprechungen gab. Die Nährstoffe mussten nun einmal in den Körper und der Abfall wieder heraus. Sie war heilfroh, dass ihr zumindest diese Peinlichkeit erspart geblieben war. Es war schwer genug gewesen, all die langen Tage nicht wahnsinnig zu werden. Sie presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen, beschloss, ab sofort wieder einen Spiegel mit sich herumzutragen und konzentrierte sich auf ihre Pflanzen, die sie umtopfen sollte. Einzig der Gedanke, dass die Kammer des Schreckens wohl nicht mehr geöffnet werden würde - sie wüsste es sonst! - gab ihr ein wenig Ruhe wieder, doch die Angst vor dem Basilisken blieb. ~*~ Nach dem Kräuterkundeunterricht verabschiedete sich Lucy in der Eingangshalle von Lauren und Hermine und marschierte in ihre Verwandlungsklasse. Lauren und Hermine jedoch machten sich auf den Weg in die Kerker, zu Zaubertränke. Lauren beschrieb Hermine den Weg und zeigte ihr Türen und Statuen, an denen sie sich orientieren konnte, denn, wie sie sagte waren die Kerker berüchtigt dafür, dass sich Erstklässler darin verliefen. Hermine wunderte sich kein bisschen, dass diesmal mehr Schüler den gleichen Weg wie sie gingen - welche Ravenclaws waren auch so verrückt, in den Kerkern nach Geheimgängen zu suchen? Als sie bei ihrem Klassenzimmer angekommen waren, setzte Lauren sich mit einem entschuldigenden Blick zu Hermine neben eine Slytherin, mit der sie schon nach einem Moment ein scheinbar anregendes Gespräch begann. Es gibt also auch nette Slytherins, dachte Hermine, während sie sich nach einem freien Platz umsah. Sie waren wohl ziemlich spät gekommen, denn so gut wie alle Plätze waren bereits besetzt. Der einzige freie, den Hermine auf die Schnelle entdeckte, war neben ihm. Tom Riddle. Sie holte tief Luft. Es war also so weit. Sie straffte die Schultern und durchquerte rasch den Klassenraum, bis sie neben seinem Tisch stand. „Ist hier noch frei?“, fragte sie, und beglückwünschte sich selbst dafür, dass ihre Stimme nicht zitterte. Sie hatte Angst vor ihm, das war ihr gerade in Kräuterkunde mehr als alles andere bewusst geworden. Er war der Dunkle Lord. Er wusste es zwar noch nicht, aber die Veranlagung besaß er bereits. Er blickte sichtlich überrascht auf, musterte sie einen Moment und nickte schließlich. Kaum hatte sie sich gesetzt, spürte sie wieder den Fühler in ihrem Geist. Sie seufzte, stellte ihre Tasche ab und sah ihm dann ins Gesicht, während sie den Fühler beseitigte. „Wie wäre es, wenn du dich erst mal vorstellst? Dann kannst du mich gerne fragen, was du von mir wissen willst, und wir sparen uns dieses Theater“, meinte sie leise. Tom blickte wieder überrascht. Hermine musste sich ein Grinsen verkneifen. Es fühlte sich gut an, ihn überraschen zu können. Doch schon nach einem Moment hatte er wieder seinen ausdruckslosen Blick aufgesetzt, was ihren Triumph etwas dämpfte. Er streckte ihr seine rechte Hand hin. „Gestatten, Tom Vorlost Riddle, Vertrauensschüler aus Slytherin“, sagte er übertrieben gekünstelt. Hermine zog eine Augenbraue in die Höhe, ergriff seine Hand jedoch. Sie war überrascht, als sie seine warme Haut und seinen festen Händedruck spürte. Irgendwie war sie immer davon ausgegangen, dass seine Haut kalt wäre... Doch warum sollte sie das sein? Im Moment war er ein Mensch wie jeder andere auch. Diese Erkenntnis erschütterte sie ein wenig, aber nicht genug, als dass sie ihre verschlossene, freundlich Miene aufgegeben hätte. „Ich nehme an, du hast meinen Namen noch nicht vergessen?“, gab sie zurück. „Trotzdem. Ich bin Hermine Wilson. Schön, dich kennen zu lernen.“ Er nickte knapp. „Ebenfalls – auch wenn das überflüssig war.“ Sie lächelte schmal und ließ seine Hand genau in dem Moment los, in dem Professor Slughorn das Klassenzimmer betrat. Sie musste schlucken, als sie ihn wieder erkannte. Er war noch nicht ganz so ausladend wie zu ihrer Zeit, und seine Haare waren noch voll und strohblond. Alles in allem sah er beinahe gut aus, mit seinem beinahe doppelt so großen Bart wie in ihrer Erinnerung und seinen blitzenden Augen. Er ließ den Blick suchend über die Klasse wandern, bis er an ihr hängen blieb. „Miss Wilson! Herzlich Willkommen in meinem Kurs! Ich freue mich außerordentlich, Sie hier zu sehen! Professor Dippet hat mir gegenüber erwähnt, dass Sie Zaubertränke an Morgana mit Ohnegleichen abgeschlossen haben, stimmt das?“ Hermine nickte. Slughorn lächelte breit. „Nun, dann werde ich hoffentlich von Ihnen heute nicht enttäuscht werden!“ Er wandte sich wieder an die ganze Klasse. „Ich werde jedem von Ihnen jetzt eine Phiole mit einem Ihnen unbekannten Trank geben. Bis zum Ende der Stunde analysieren Sie mir bitte diesen Trank, und als Hausaufgabe erwarte ich einen Aufsatz, in dem Sie Ihr heutiges Vorgehen beschreiben sowie den Trank, den Sie erhalten haben, mit seinen Zutaten, Eigenschaften und Einsatzmöglichkeiten!“ Er schnippte mit dem Zauberstab, und auf jedem Platz erschien eine kleine Phiole. Hermines war ein durchscheinender, blauer Trank, der ein wenig blubberte, fast wie Mineralwasser. Sie entkorkte das Fläschchen, roch daran und musste lächeln, als sie ihn als Heiltrank erkannte. Was genau er heilte, sah sie zwar noch nicht, doch da sie wusste, dass es ein Heiltrank war, wusste sie auch, mit welchen Lösungsmitteln sie die einzelnen Substanzen isolieren konnte. Sie stand auf und sah sich kurz um, bis ihr Blick auf den offenen Zutatenschrank fiel, bevor sie dorthin ging. Die meisten anderen durchblätterten ihre Bücher, ein paar schnüffelten schon fast an ihren Tränken, doch alle saßen noch auf ihren Plätzen. Fast alle. Tom hatte das Klassenzimmer lautlos eine Bankreihe weiter durchquert und kam gleichzeitig mit ihr am Schrank an. Während sie sich ihre Zutaten zusammensuchten, meinte er leise: „Ohnegleichen? In Hogwarts wäre das mit Sicherheit nur ein „Erwartungen übertroffen“. Morganas Standards sind bei weitem nicht auf Hogwartsniveau.“ Hermine schnaubte nur und murmelte: „Wir werden sehen.“ Die beiden kehrten schweigend auf ihre Plätze zurück und begannen zu arbeiten. Hermine wusste, dass er ein Genie war, doch sie konnte nicht anders, als beeindruckt zu sein, bei jedem Blick, der auf seine Bankhälfte hinüber schweifte, während sie auf eine Reaktion ihres Tranks wartete. Er arbeitete schnell, geschickt und präzise. Keine einzige Bewegung wurde ohne Sinn und Ziel ausgeführt, keine Anstrengung zu viel unternommen, nicht einmal die Stirn hatte er gerunzelt. Er hatte entweder einen leichter in seine Bestandteile zu trennenden Trank bekommen, oder er war schlichtweg schneller als sie. Jedes Mal, wenn sie das feststellte, kehrte sie nur noch verbissener an ihren eigenen Trank zurück. Ein Gedanke hatte sich erst nur ganz leise, dann immer lauter in ihrem Kopf festgesetzt: Ihn zu übertreffen. Ihm zu zeigen, dass er nicht unschlagbar war. Dies in dieser Zeit auf so viel simplere Weise tun zu können als in ihrer, hatte sie beflügelt. Dennoch brauchte sie fast die ganze Stunde, um ihren Trank in seine Bestandteile zu zerlegen und zu analysieren, in welcher Reihenfolge sie zugegeben worden waren und reagiert hatten, während er bestimmt die letzten zwanzig Minuten lang schon an seinem Aufsatz saß. Es wurmte sie mehr, als sie sich selbst eingestehen mochte, dass sie ihn nicht hatte übertreffen können, so dass sie beim Klingeln aufsprang und, ohne sich von ihm zu verabschieden, wie sie es ursprünglich geplant gehabt hatte, aus dem Klassenzimmer rauschte. Kapitel 6: Hogwarts ist zu klein für zwei Genies ------------------------------------------------ 6. Hogwarts ist zu klein für zwei Genies Kaum war Hermine beim Ravenclawtisch angekommen und hatte sich mit Bedacht so gesetzt, dass sie mit dem Rücken zu den Slytherins saß, durchwühlte sie ihre Tasche und fischte ihren Stundenplan heraus. Und zog eine Augenbraue hoch. Nach dem Mittagessen hatte sie nur noch eine Stunde - und das war Verteidigung gegen die Dunklen Künste mit Slytherin. Mit Tom. Das würde lustig werden. Sie packte den Plan wieder weg und begann gerade zu essen, als Lauren mit Lucy in die Halle kam und die beiden sich zu ihr setzten. "Ist alles in Ordnung?", wollte Lauren wissen. Hermine runzelte die Stirn. "Ja, wieso?" "Weil du regelrecht aus dem Kerker geflohen bist. Hat Tom irgendwas komisches gemacht?" Hermine schüttelte mit vollem Mund den Kopf, schluckte und fragte: "Macht er denn komische Sachen?" Lucy nickte. "Wenn er dich ansieht, ist er richtig gruselig. Als würde er durch dich durch gucken. Und manchmal murmelt er vor sich hin. Außerdem hat er ziemlich fiese Freunde, die immer auf Muggelstämmigen rumhacken und sie verhexen. Er macht das zwar nicht selber, aber er scheint sowas wie ein Anführer von denen zu sein." Hermine nickte langsam. Aha. Also doch die Muggelstämmigen. Nur cleverer als die meisten anderen Slytherins. Eine Weile aßen sie schweigend, dann fragte Hermine: "Lauren, was macht ihr denn im Moment in Verteidigung?" "Duellzauber, wieso?" "Bin nur neugierig. Theorie oder auch duellieren?" "In der Doppelstunde am Mittwoch immer Theorie, Montagnachmittag Praxis. Das heißt, wir schlagen uns heute gleich die Köpfe ein. Hast du dich schon mal duelliert?" Hermine nickte. "Ja, es gab in meiner zweiten Klasse einen Duellierclub. Leider war der Lehrer absolut unfähig und wirklich viel habe ich nicht gelernt. Ich hab dann später einmal bei einer Art... Hausaufgabengruppe zum Üben von Duellzaubern mitgemacht. Die Gruppe gab es nicht lange, aber ich denke, die grundlegenden Sachen beherrsche ich." Lauren grinste. "Na, dann bin ich ja auf später gespannt." ~*~ Professor Cassady war eine Frau in den mittleren Jahren, mit kurzen schwarzen Jahren und harten, dunklen Augen. Hermine sah auf den ersten Blick, dass diese Frau Kampferfahrung hatte. Mit einem Schlucken erinnerte sie sich daran, dass Grindelwald noch frei draußen herumlief, und nahm sich vor, nach dem Abendessen in ihrem Geschichtsbuch aus der Zukunft das genaue Datum des Duells von Dumbledore und ihm nachzuschlagen. An diesem Tag würde sie nicht auf die Straße gehen. "Guten Mittag, Klasse", begrüßte sie die Schüler forsch und kurz angebunden. "Steht auf, wir üben heute alternative Schildzauber im laufenden Duell. Ich will keinen einzigen Protego hören, und wenn möglich sowieso keinen einzigen Zauber." Als alle standen, schnippte sie einmal mit dem Zauberstab und die Tische und Bänke stapelten sich an der Rückwand auf, sodass ein großer, freier Raum entstand. "Für das erste Duell dürft ihr eure Partner selbst aussuchen. Auf mein Zeichen geht es los!" Lauren winkte Hermine, und die beiden stellten sich einander gegenüber. Es bildeten sich zwei Reihen von Schülern, die sich gegenüber standen, die Zauberstäbe zückten und auf das Signal warteten. Als rote Funken aus Cassadys Zauberstab sprühten, war auf einmal die Hölle los. Hermine wunderte sich nicht im Geringsten, dass Lauren Fluch ungesagt war. Ein paar sprachen die Zauberformeln zwar noch aus, doch die meisten duellierten sich stumm. Hermine erschuf ebenso stumm einen in allen Farben leuchtenden, durchscheinenden Schild, an dem der Fluch mit einem glockenhellen Klang abprallte und neben Lauren in die Wand einschlug. Bevor sie oder Lauren einen neuen Fluch abschießen konnten, ertönte Professor Cassadys Stimme neben Hermine und ließ sie erschrocken herumwirbeln. Bevor sie realisierte, was sie tat, hatte sie den Zauberstab auf ihre Professorin gerichtet. Erst nach einem Moment, in dem die beiden sich erstarrt in die Augen gesehen hatten, ließ Hermine verlegen den Zauberstab sinken. Cassady musterte sie aufmerksam. "Sie haben schon einmal auf Leben und Tod gekämpft, nicht wahr? Gute Reaktion." Sie nickte Hermine zu. "Und ein guter Gegenfluch. Den Tueror beherrschen nicht viele in Ihrem Alter. Können Sie mir sagen, welchen unschätzbaren Vorteil dieser Zauber hat?" Hermine kniff einen Moment lang die Augen zusammen und verdrängte die Tatsache, dass Cassady ihren Kampfstil auch als solchen erkannt hatte. "Er lässt sich nicht nur vor dem eigenen Körper beschwören, sondern an jeder Stelle in Sichtweite. Damit ist es möglich, auch andere zu schützen, nicht nur man selbst. Außerdem klingt er unterschiedlich, je nachdem, ob ein heller oder dunkler Fluch auf ihn trifft." Cassady nickte anerkennend. "Exakt. Zehn Punkte für Ravenclaw. Weiter so, Miss Wilson." Damit ging sie weiter die Reihe entlang. Hermine nickte Lauren zu und die beiden setzten ihr Duell fort. Doch Hermine dachte nicht mehr über das Duellieren nach. Es ging mechanisch, war reine Reaktion auf Reaktion. Ihre Gedanken hingen bei Cassadys Kommentar, dass sie schon einmal auf Leben und Tod gekämpft hatte. Sie brauchte für den Fall der Fälle eine glaubhafte Geschichte, die sie ihr erzählen konnte. Sie musste recherchieren. Dringend. Und hoffen, dass ihre Lehrerin sie heute nicht mehr danach fragen würde. Erst eine erneute Woge aus roten Funken riss sie aus ihren Gedanken. Die Duelle brachen ab. Cassady schritt zwischen den beiden Reihen hindurch und bellte, auf einzelne Schüler deutend, die sich daraufhin zu Paaren zusammen sortierten: "Jetzt will ich Duelle zwischen diesen Paaren! Ich habe Sie so zusammen sortiert, dass es relativ ausgeglichen sein dürfte. Diesmal keine Einschränkungen, was Zauber angeht, alles, was legal ist, darf verwendet werden. Ziel ist die Entwaffnung des Gegners innerhalb von zehn Minuten! Und los!" Mit einem leichten Schrecken sah Hermine, wie Cassady zum Schluss erst auf sie und dann auf Tom zeigte. Das sollte ausgeglichen sein? Sie schluckte, als er sich ihr gegenüber stellte und kaum, dass Cassadys "Los!" verhallt war, den ersten Fluch abschoss. Hermine biss sich auf die Lippe und wich zur Seite aus. Keinen Augenblick später hatte sie selbst einen Wabbelbeinfluch gewirkt und jagte einen Expelliarmus hinterher. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals, doch sie atmete tief durch und überließ ihrem Adrenalin, das bei der Erkenntnis, dass sie sich mit dem späteren Dunklen Lord duellieren sollte, durch jede Zelle gerauscht war, das Feld. Das hier war noch nicht der Dunkle Lord, das hier war lediglich ein, laut Professor Cassady vom Niveau am besten zu ihr passender, Slytherinsechstklässler. Das war zu schaffen. Doch schon binnen der ersten Sekunden bemerkte sie einen gewaltigen Unterschied zu dem vorherigen Duell mit Lauren: Das war eher ein wechselseitiger Schlagabtausch gewesen, bei dem jeder zwischendurch geschaut hatte, ob der andere bereits wieder in Position war. Das hier war ein richtiger Kampf. Tom nahm keinen Funken Rücksicht darauf, wenn sie sich zum Ausweichen geduckt hatte und noch nicht wieder auf den Beinen war, oder wenn sie gerade ihren Kopf weg gedreht hatte. Hermine registrierte es und ließ ebenfalls jede Zurückhaltung fallen. Sie jagte Fluch um Fluch los, so schnell sie konnte, und wechselte schwache mit starken, harmlose Entwaffnungszauber mit gemeineren Flüchen ab. Jeder ihrer früheren Freunde wäre wohl unter dem Fluchhagel in die Knie gegangen, doch nicht Tom. Er hatte eine Art zweite Haut um sich herum gezaubert, und Hermine bemerkte, dass er bestimmten Flüchen auswich und andere einfach von sich abprallen ließ. Sie wollte gerade auf andere Flüche umsteigen und beobachtete noch einmal, welche Toms seltsamer Schild nicht blockte, da traf sie ein Entwaffnungszauber - in den Rücken! Ihr Zauberstab flog ihr aus der Hand und Tom fing ihn lässig auf, ein schmales Lächeln auf den gekräuselten Lippen. Hermine keuchte und warf ihm einen finsteren Blick zu, während sie sich die Haare, die sich aus ihrem Pferdeschwanz gelöst hatten, wieder nach hinten band. Sie öffnete bereits den Mund, doch bevor sie etwas sagen konnte, ertönte - ein Klatschen? Sie sah sich um. Die anderen Duelle waren alle zum Stillstand gekommen und ausnahmslos alle starrten Tom und sie an. Professor Cassady war es, de klatschte, und nach ein paar Momenten fielen ihre Mitschüler ein. Hermine senkte peinlich berührt den Blick. So hatte sie sich das nicht vorgestellt gehabt - gleich am ersten Schultag zu einem potentiellen Tratschthema in zwei Häusern zu werden - jedenfalls mehr, als das durch ihren Eintritt während des Schuljahres der Fall war. Einen Moment später bellte Cassady: "Mädchen! Schauen Sie mich gefälligst an und seien Sie stolz auf Ihr Duell! Keiner Ihrer Mitschüler hat Riddle bisher so zugesetzt. Sie haben mit Abstand am längsten gegen ihn durchgehalten! Zwanzig Punkte für Ravenclaw!" Hermine zwang sich zu einem Lächeln. Sofort scheuchte Cassady die anderen wieder zu ihren Duellen. Hermine holte erleichtert Luft und ging zu Tom hinüber. Sie streckte fordernd die Hand aus, und als er ihr ihren Zauberstab wieder gab, fragte sie leise: "Macht sie immer so einen Aufstand um deine Duelle?" Er grinste wölfisch. "Nein. Meistens sind sie vorbei, bevor mein Gegner merkt, dass ich schon angefangen habe." Hermine ließ den Blick einmal durch das Klassenzimmer schweifen, in dem jetzt wieder Flüche kreuz und quer flogen. "Kann ich mir nicht vorstellen." Tom schnaubte. "Ist aber so. Die anderen duellieren sich nicht wirklich. Draußen wartet keiner, bis du einen Zauber dreimal probiert hast, bis er funktioniert." Hermine brummte zustimmend. Ihr "Duell" mit Lauren war nicht wirklich eins gewesen. In dem Moment tauchte Cassady vor ihnen auf. Der Frau entging auch nichts. "Kein Schwätzen in meinem Unterricht! Wenn Sie nicht wollen, dass ich Sie für den Rest der Stunde ausquetsche, woher Sie Ihre Kampferfahrung haben, Mädchen, dann kommen Sie in die Pötte und verpassen Sie Riddle noch einen Tritt in den Hintern!" Hermine schnaubte. "Ich soll ihn schon einen verpasst haben? ER hat doch schließlich gewonnen!" Als sie auf ihren Platz zurückkehrte, rief Cassady, schon im Weitergehen, noch zu: "Ja, aber diesmal musste er sich ausnahmsweise einmal anstrengen!" Hermine konnten nicht anders. Nach dieser Aussage schlich sich ein breites Grinsen auf ihr Gesicht, das auch nicht mehr weg zu bekommen war, als sie sich zu Tom drehte. Er zog bloß eine Augenbraue hoch. "Bilde dir nicht zu viel auf Cassadys Gerede ein. Du kommst nicht gegen mich an", meinte er selbstgefällig. Hermine schnaubte wieder. "Werden wir sehen", gab sie zurück und feuerte ohne Vorwarnung den ersten Fluch ab. Kapitel 7: Mehr als nur Bücher ------------------------------ 7. Mehr als nur Bücher Als Lauren sich von Hermine verabschiedet hatte, um zu ihrer Muggelkunde-Stunde zu gehen, tappte Hermine nur bis zum nächsten leeren Klassenzimmer, schloss sich darin ein und ließ sich erledigt auf eine Bank fallen. Kein einziges Mal hatte sie es geschafft, Tom zu entwaffnen, dafür hatte sie selbst den Zauberstab fünf weitere Male verloren. Sie hatte zwar jedes Mal ein wenig länger stand gehalten, doch der einzige Lohn, den das mit sich gebracht hatte, waren diverse blaue Flecken, ein verrissener Hals und pochende Kopfschmerzen. Tom hatte sie manchmal mit Flüchen, die zu schnell für einen Schildzauber waren oder keine gerade Flugbahn hatten, wie der erste Expelliarmus, der sie erwischt hatte, regelrecht tanzen lassen. Letztendlich war sie recht glimpflich davon gekommen, wenn sie an einige Flüche zurückdachte, die höchstwahrscheinlich gerade noch am Rande des Legalen gewesen waren, doch das machte die Sache nicht weniger schmerzhaft. Sie murmelte einige Heilzauber und seufzte auf, als die Schmerzen nachließen. Doch auch, als sie sich wieder halbwegs ganz fühlte, nagte immer noch etwas an ihr. Ihr Stolz. Tom hatte sie wieder geschlagen. Haushoch. Laut Professor Cassady war er den anderen Schülern noch um einiges weiter voraus, aber das machte für Hermine keinen Unterschied. Sicher hatte sie gewusst, dass er ein Genie war - aber hatten das die Lehrer über sie nicht auch ab und zu gesagt? Zu sehen, mit welcher Leichtigkeit er sie gerade geschlagen hatte, war - enorm demoralisierend. Gerade jetzt, wo wieder ein Funke Kampfeswille in ihr erwacht war, gerade jetzt, wo sie eine Chance bekommen hatte, sich friedlich direkt mit ihm zu messen... Sie schüttelte den Kopf, straffte die Schultern und stand auf. Es hatte keinen Sinn, hier herum zu sitzen und sich düstere Gedanken zu machen. Das hatte sie in der Zukunft schon lange genug für ihr restliches Leben getan. Hier konnte sie noch etwas ändern. Aber dafür musste sie zuallererst einmal ihre Noten halten - sonst würde sie wohl kaum interessant für Tom bleiben. Noch war sie es - sie hatte es in seinem Blick beim Duell vorhin gesehen - und diese Zeit musste sie nutzen. ~*~ Als sie die Bibliothek betrat, sog sie als allererstes, wie jedes Mal, wenn sie hierher kam, den Duft der Bücher ein. So roch Wissen. Lernen. Erfahren. Sie hatte mit einem Blick auf ihren Stundenplan festgestellt, dass Lauren und Lucy gerade Muggelkunde hatten. Zwar war das eine Klasse aus allen vier Häusern, aber sie konnte sich nicht ernsthaft vorstellen, dass Tom Muggelkunde belegt hatte - wenn, hätte er niemals so verquere Ansichten entwickelt. Außerdem war er wie sie in der Muggelwelt aufgewachsen - wozu also? Vielleicht war er ja sogar hier? Sie ging leise die langen Regalreihen entlang. Am Ende von den meisten standen in den Nischen Arbeitstische. Einige waren bereits besetzt, allerdings herrschte noch Stille. Später am Nachmittag würde es lauter werden, wenn die anderen auch keinen Unterricht mehr hatten. Hermine schlenderte auf der Suche nach einem bekannten Gesicht immer tiefer in die Bibliothek, bis sie in die Nähe der verbotenen Abteilung kam. So weit hinten standen nur die Bücher über höhere Magie - die, die gerade noch nicht in die verbotene Abteilung gehörten. Hermine war in der Zukunft oft hier gewesen, doch normalerweise fand man hier nur selten Schüler. Umso erstaunter war sie, als sie Stimmen hörte. Und damit nicht genug, es war auch noch Tom! Die andere Stimme kam ihr auch bekannt vor, doch sie konnte sie ohne das dazugehörige Gesicht nicht zuordnen. Die beiden sprachen sehr leise, flüsterten fast . Sie wurde neugierig und drückte sich rasch an das letzte Regal vor der verbotenen Abteilung. Als sie um die Ecke spähte, bot sich ihr ein seltsames Bild. Die zweite Stimme gehörte Marc, dem Schulsprecher. Er hatte einen Fuß in der Tür zur verbotenen Abteilung, offensichtlich, um sie offen zu halten, und drückte Tom gerade ein kleines, schon reichlich zerfleddert aussehendes Buch in die Hand. "Morgen Abend um elf wieder hier, Riddle", zischte er. "Länger kann ich dir wirklich nicht geben. Danach fällt es auf, dass das Buch fehlt." "Kein Problem", gab Tom aalglatt zurück. "Von mir aus auch heute Abend um elf." Marc schüttelte den Kopf. "Nein, morgen. Da hab ich Aufsicht. Wann bekomme ich die Bezahlung?" "Auch dann." Hermine hielt die Luft an. Das war ja hochinteressant. Marc ließ sich dafür bezahlen, Tom verbotene Bücher unter der Hand auszuleihen. Marc nickte, wirbelte auf dem Absatz herum und floh geradewegs aus der Bibliothek. Hermine stolperte zurück, als er an ihr vorbei rauschte. Anscheinend hatte sie dabei mehr Lärm gemacht, als sie dachte, denn im nächsten Moment stand sie mit dem Rücken an das Bücherregal gepresst, Toms Hände an den Schultern. Einen Moment lang starrten die beiden sich unverwandt in die Augen. Hermine schluckte, als Tom wieder einmal seine Legilimentik-Fühler ausfuhr. Sie schnaubte, schubste ihn aus ihrem Geist und schlug seine Arme weg. Er versuchte nicht, sie wieder festzuhalten, doch er versperrte ihr den Weg zwischen den Regalreihen auf den Mittelgang hinaus. Sie war gefangen. Doch das kümmerte sie nicht im Geringsten. In dem Moment, in dem sie den Fühler gespürt hatte, war urplötzlich Wut in ihr hochgeflackert. Die Wut, die sie seit dem ersten Duell auf ihn hatte. Sie funkelte ihn an. "Warum tust du das immer? Hast du inzwischen nicht langsam gemerkt, dass das bei mir nicht funktioniert?" Er zuckte nur mit den Schultern. "Irgendwann kriege ich dich", meinte er gelassen. Hermine schnaubte wieder und schüttelte den Kopf. "Ich will nicht wissen, bei wem du das sonst noch alles machst. Was bringt dir das eigentlich?" Er lehnte sich locker an eins der Regale, doch Hermine ließ sich nicht täuschen. Er versperrte ihr immer noch den Weg. Sie hatte jedoch keine Lust, auszuprobieren, was er anstellte, wenn sie versuchte, an ihm vorbei zu kommen. Jetzt kräuselten sich seine Lippen wieder. "Es hilft gegen Langeweile." Sein Blick wurde hart. "Und ich merke, wenn mich jemand anlügt." "Warum sollte dich jemand anlügen?", wollte Hermine wissen und legte stirnrunzelnd den Kopf schief. Er antwortete nicht, sondern schnellte urplötzlich vor wie eine Schlange und pinnte sie erneut mit den Schultern am Regal fest. "Kein Wort darüber, oder über die Sache mit Glenn, hast du verstanden?" Er blitzte sie an, mit einem Mal bedrohlich. Einen Moment herrschte quälende Stille, ein Moment, in dem Hermine dachte, ihr Herz müsste zerspringen, so schnell pochte es mit einem Mal. Sie hatte Angst. Dieser Junge war gefährlich. Doch mit einem Mal erwachte noch eine andere Seite in ihr. Eine irrwitzige Idee nahm in ihrem Kopf Gestalt an. Sollte sie...? Tom war immerhin ein Slytherin, es war durchaus möglich, dass er darauf ansprang... Sie holte tief Luft, lächelte süß und legte den Kopf schief. "Unter einer Bedingung: Du wendest ab sofort nie mehr bei mir Legilimentik an." Toms Griff lockerte sich, und er musterte sie ungläubig. "Warum sollte ich mich darauf verlassen, dass du dein Wort hältst?" Hermines Lächeln wurde breiter. "Ich bin kein Slytherin. Abgemacht?" Einen weiteren Augenblick lang herrschte dröhnende Stille. Toms Blick hatte sich mit ihrem verhakt, doch er versuchte nicht mehr, in ihren Geist einzudringen. Sie erwiderte ihn, ohne mit der Wimper zu zucken. Schließlich ließ er sie los. "Abgemacht." Im nächsten Moment war er herum gewirbelt und verschwunden. ~*~ "Hermine!" Hermine sah von ihrer Arbeit auf. Lauren kam auf sie zu, im Schlepptau einige jüngere Schüler. Was Hermine als Erstes ins Auge stach, war die bunte Mischung aus allen Häusern. Lauren setzte sich zu ihr an den großen, bis auf sie noch leeren Tisch und die Kleinen folgten ihr lautstark. Hermine zog fragend eine Augenbraue hoch, doch Lauren murmelte ihr nur kurz zu: "Gleich." Dann erhob sie ihre Stimme. "Okay, fangt mit den Hausaufgaben an. Wenn ich mit meinen auf morgen durch bin, könnt ihr mich fragen, was ihr wollt, wie gehabt." Ein großes Gewühle in Taschen, Spitzen von Federn, Rascheln von Pergament und Blättern von Büchern setzte ein. Nach ein paar Minuten kehrte wieder Ruhe ein, jeder hatte mit seiner Aufgabe begonnen. Hermine legte den Kopf schief, als Lauren sich wieder ihr zuwandte. "Ist das so eine Art Nachhilfegruppe?" Lauren runzelte die Stirn. "Ich würde es nicht als Nachhilfe bezeichnen. Ein paar von denen, die hierher kommen, sind richtig gut in der Schule. Die wollen dann Sachen wissen, die noch gar nicht behandelt wurden, einfach weil sie neugierig sind. Nenn es lieber eine Lerngruppe." Hermine lächelte. "Ich mag die Idee. Wie hast du es geschafft, alle Häuser an einen Tisch zu bekommen?" Lauren grinste. "Ich habe für ungerechtfertigte Laufwege quer durch die Bibliothek Punkte abgezogen." Hermine schnaubte. "Sicher, dass du nicht nach Slytherin gehörst?" Lauren lachte und machte sich an ihre Aufgaben. Wenig später hob Hermine den Blick von ihrem eigenen Aufsatz, als ein kleiner Junge aus Slytherin schüchtern fragte: "Lauren? Darf ich dich schon was fragen?" Lauren murmelte etwas unverständliches, sah aber nicht von ihrer Arbeit auf. Hermine zögerte keine Sekunde, legte die Feder weg und lächelte den Kleinen an. Er war höchstens in der zweiten Klasse. "Du kannst auch gerne mich fragen. Wie heißt du?" Er warf ihr einen undefinierbaren Blick zu, antwortete dann aber: "David Fielding. Du bist Hermine Wilson, richtig?" Hermine nickte. "Was willst du denn fragen?" Der Junge schob ihr einen halb fertigen Aufsatz hin und begann, zu erklären, wo er nicht weiter kam. ~*~ Als Lauren und Hermine zusammen die Bibliothek verließen, meinte Lauren: "Danke." Hermine lächelte. "Gern geschehen." Lauren blieb stehen und sah Hermine ins Gesicht. "Würde es dir was ausmachen, öfter mit der Meute zu lernen? Meine Hausaufgaben werden immer mehr, und bald kommen die Prüfungen, und ich weiß nicht, ob ich es weiter alleine schaffe. Ich will sie aber auf keinen Fall jetzt alleine lassen. Ein paar haben sich in den letzten Wochen enorm verbessert. Und du scheinst Spaß am Erklären zu haben." Hermines Lächeln wurde breiter. "Klar helfe ich dir. Wie oft lernt ihr denn zusammen?" Kapitel 8: Nichts Besonderes - oder doch? ----------------------------------------- Hallo ihr =) Ich bin schon halb unterwegs nach Prag, also heute keine Pinnwnadkritzeleien, sondern nur ein kurzes Dankeschön für eure Reviews! Viel Spaß beim Lesen! 8. Nichts Besonderes - oder doch? Nach einer anstrengenden Astronomiestunde und einer kurzen Nacht schlafwandelte Hermine mehr in die Große Halle, als sie lief. Lauren sah nicht viel besser aus, doch Lucy am Hufflepuff-Tisch hatte trotz Astronomie wieder gute Laune. Hermine ließ sich demonstrativ an den Ravenclawtisch fallen, als Lauren zu Lucy hinüber ging, und griff erst einmal nach der Kaffeekanne. Normalerweise trank sie keinen Kaffee, doch heute morgen war er einfach nötig. Als sie halbwegs wach war, schweifte ihr Blick durch die Halle - und blieb an Tom hängen. Er sah um einiges munterer aus, als sie sich fühlte. Kein Wunder, seine Astronomiestunde war an einem anderen Tag. Er sah sie durchdringend an. Sie hob nur eine Augenbraue und wandte sich wieder ihrem Frühstück zu. Er wandte keine Legilimentik an. Er hielt sein Versprechen. Hermine konnte nicht verhindern, dass ein Lächeln sich auf ihre Züge schlich. Der spätere Lord Voldemort hielt sich an ein Versprechen! Das war fast zu schön, um wahr zu sein. ~*~ Eine halbe Stunde später machte Hermine sich mit Lauren auf den Weg in die Bücherei. Die erste Stunde an diesem Dienstagmorgen war Pflege magischer Geschöpfe, was nur Lucy belegt hatte. Hermine hatte keine Hausaufgaben mehr zu erledigen, weil sie ja die von letzter Woche noch gar nicht mitbekommen hatte. Also fischte sie sich einen Zuckerfederkiel aus der Tasche und schlug "Eine Geschichte von Hogwarts" auf. Sie dankte Merlin dafür, dass sie diese Federkiele mitgenommen hatte, ansonsten hätte sie wirklich so tun müssen, als würde sie sich auf dieses Buch konzentrieren, dass sie mittlerweile auswendig kannte. Nach einigen Minuten kam jemand herein. Hermine hob den Kopf nicht, doch sie sah über den Rand ihres Buches den grünen Saum einer Robe. Die Schritte darunter würde sie überall wieder erkennen. Es war Tom. Er hatte eine ganz eigene Art zu gehen. Sie konnte es nicht wirklich beschreiben, doch sie erkannte seine Schritte auf Anhieb. Sie musste sich zwingen, nicht den Kopf zu heben, und starrte weiter ins Leere. Er sollte sich bloß nicht einbilden, dass die Welt sich um ihn drehte - und auch sie nicht. Nach einer Viertelstunde landete allerdings ein kleines Pergament auf ihrem Buch. Sie schreckte hoch und entfaltete es. Sie hatte Toms Schrift gestern kurz gesehen, als er in Zaubertränke seinen Aufsatz begonnen hatte, und erkannte sie wieder. "Was ist das für ein Zauber?" Sie runzelte die Stirn und sah auf. Tom saß an einem Tisch in einer Nische nicht weit entfernt und musterte sie. Sie legte fragend den Kopf schief und wies auf den Federkiel. Er nickte. Sie senkte den Blick wieder, biss sich auf die Lippe und dachte nach. Konnte sie es riskieren, ihm etwas zu verraten? Immerhin kam der Zauber aus der Zukunft. Allerdings - was würde geschehen, wenn sie es nicht tat? Würde er dann wieder Legilimentik anwenden, um dahinter zu kommen? Oder würde er es auf sich beruhen lassen? Sie konnte ihn nicht einschätzen. Aber wenn er per Legilimens dahinter kommen wollte, würde er noch viel schlimmere Sachen finden als diesen Zauber. Also blieb ihr eigentlich nichts anderes übrig, als... Sie fischte noch einen zweiten Zuckerfederkiel aus der Tasche, kritzelte eine Antwort auf das Pergament ("Find es selber raus") und ließ beides zu ihm zurück schweben. Er las den Zettel, hob eine Augenbraue und seine Lippen kräuselten sich zu einem schmalen Lächeln. Als Hermine ihm auffordernd zunickte, zückte er seinen Zauberstab und untersuchte den Federkiel damit. Hermine wollte den Blick abwenden, sie wollte es wirklich, aber sie konnte es nicht. Tom hatte eine ganz eigene Art, seinen Zauberstab zu benutzen. Bei jedem anderen war der Zauberstab ein Werkzeug wie ein Hammer oder ein Messer. Bei Tom war er etwas... viel höheres. Ein Messer oder einen Hammer ließ man nach getaner Arbeit unbeachtet liegen. Tom behandelte seinen Zauberstab fast so, als wäre er heilig. Außerdem war er vielmehr eine Verlängerung seines Armes als ein Werkzeug. Die Zaubersprüche schienen aus ihm selbst zu kommen anstatt aus dem Stab. Hermine war fasziniert. Sie kaute weiterhin auf ihrem Federkiel und warf ab und zu einen Blick auf ihr Buch, sodass es nicht auffiel, aber sie musterte ihn weiterhin. Er benahm sich so, als wäre er bereits mit dem Zauberstab in der Hand geboren worden. Fast sah es so aus, als hätte er gar keinen Stab in der Hand, während er den Federkiel untersuchte, der mittlerweile in einem hellen, gelben Licht glühte. Das ging wohl eine halbe Stunde so, dann schlich sich wieder sein kräuselndes Lächeln auf seine Lippen, und mit einem triumphierenden Blick richtete er den Zauberstab - direkt auf Hermine! Sie erschrak, doch schon flog ein beinahe unsichtbarer Fluch auf sie zu - und traf ihren Federkiel. Mit weit aufgerissenen Augen sah sie zu, wie er ebenfalls gelb leuchtete und dann wieder unschuldig in ihrer Hand lag, als wäre nichts gewesen. Rasch griff sie nach ihrem eigenen Zauberstab und murmelte einen Diagnosezauber. Und stöhnte leise. Sämtliche Zauber, die auf diesem Federkiel lagen, waren verschwunden. Der einzige, den sie noch fand, hielt die Zuckerkörner in ihrer Form. Sie warf Tom einen Todesblick zu. Er wagte es tatsächlich, sie anzugrinsen, bevor er aufstand und die Bibliothek verließ. Hermine seufzte schwer, stützte den Kopf in die Hände und begann, die "Geschichte von Hogwarts" zu lesen. ~*~ Als sie eine Stunde später mit Lauren zu Verwandlung kam, stellte sie fest, dass auch hier nur noch neben Tom ein Platz frei war. Er kräuselte seine Lippen und nickte ihr zu, als sie auf seinen Tisch zuging. Sie ließ sich neben ihn fallen und fragte, während sie ihre Tasche auspackte: "Warum ist eigentlich immer neben dir frei? Du hast nicht zufällig eine ansteckende Krankheit, von der ich wissen sollte?" Sein Lächeln wurde eine Spur breiter, aber auch überheblicher. "Vielleicht ist keiner von den anderen in der Lage, sich mit mir auf meinem Niveau zu unterhalten?" Hermine schnaubte nur. Einen Moment später betrat Professor Dumbledore das Klassenzimmer. Hermine konnte gerade noch ein Zusammenzucken verhindern. Sie hatte Dumbledore noch nie unterrichten sehen. Er hatte als Direktor immer über allem gestanden... Er zwinkerte ihr zu, und sie lächelte ihn an. Beiläufig bemerkte sie, dass bei seinem Eintreten mit einem Schlag respektvolle Stille eingetreten war. Seine Präsenz schien den ganzen Raum auszufüllen und selbst Toms mächtige Präsenz neben ihr zu schmälern. Daran änderte auch sein geblümter Umhang nichts, auch wenn Hermine belustigt dachte, dass er für die Sixties wohl noch etwas zu früh dran war. "Guten Morgen, Klasse!", rief er fröhlich. Ein Chor von "Guten Morgen"s folgte. Als wieder Stille eingetreten war, schwang er seinen Zauberstab, und vor jedem Schüler erschien eine simple Murmel. "Wir haben letzte Woche mit dem Verschwinden von Gegenständen begonnen. Heute üben wir noch einmal an kleinen Gegenständen, und jeder, der es geschafft hat, bekommt ein Lebewesen zu Verschwinden-lassen. Legen Sie los!" Überall im Raum wurden Zaubersprüche gezogen. Dumbledore kam zu Hermines und Toms Tisch. Noch bevor er angekommen war, hatte Tom die Murmel mit einem lässigen Schlenker seines Zauberstabs verschwinden lassen. Dumbledore warf ihm einen kritischen Blick zu, dann wandte er sich an Hermine. "Kennen Sie den Spruch?" Hermine nickte und zielte auf die rote Murmel. Ausgerechnet rot musste sie sein, rot wie seine Augen es einmal sein würden... Einen Augenblick später war auch ihre Murmel verschwunden. Dumbledore klatschte erfreut in die Hände. "Gut gemacht, Hermine! Fünf Punkte für Ravenclaw!" Tom neben ihr schnaubte. "Meine Murmel ist auch weg, Professor, falls Sie das nicht bemerkt haben sollten", schnarrte er. "Ich hätte gerne das Tier. Außerdem verstehe ich nicht, warum Wilson Punkte bekommt und ich nicht." Dumbledores Blick wurde einige Grad kälter, als er sich an Tom wandte und beinahe widerwillig heraus presste: "Fünf Punkte für Slytherin." Er beschwor den beiden zwei Mäuse herauf und ging weiter, um die anderen zu kontrollieren. Tom warf ihr einen schiefen Blick zu. "Du kannst den Spruch schon?" Hermine legte den Kopf schief und gab zuckersüß zurück: "Überrascht?" Wie nebenbei ließ sie dabei ihre Maus verschwinden. In der Zukunft hatte sie diesen Spruch bereits ein halbes Jahr lang beherrscht, bevor Ron... bevor sie hierher gekommen war. Dieses halbe Jahr zahlte sich nun aus. Dumbledore hatte den Termin, an dem sie angekommen war, klug gewählt. Als er fünf Minuten später wieder an ihrem Tisch kam, waren beide Mäuse verschwunden und Tom und Hermine schwiegen sich an. Er schlug theatralisch die Hände über dem Kopf zusammen. "Merlin und Morgana! Jetzt habe ich schon zwei Schüler in meinem Unterricht, die ich irgendwie vom Einschlafen abhalten muss! Sie beide werden mir eines Tages graue Haare bescheren!" Hermine konnte sich gerade noch ein Lachen verkneifen, als sie sich den Dumbledore aus der Zukunft vorstellte. "Zehn Punkte für jeden von Ihnen. Wissen Sie was? Sie beschwören jetzt die Murmeln und Mäuse wieder herauf, damit sollten selbst Sie eine Weile beschäftigt sein." Damit war er wieder davon gerauscht. Tom schnaubte, sobald er außer Hörweite war. "Der bekommt auch ohne mich graue Haare." Hermine zog eine Augenbraue hoch. "Magst du ihn nicht?" Er schüttelte den Kopf. "Er beobachtet mich die ganze Zeit. Irgendwas an mir muss ihn wohl stören. Trottel." Hermine schnaubte ebenfalls. "Ich bin sicher, wenn er dich beobachtet, hat er einen guten Grund dafür. Ich habe nur Gutes über ihn gehört. Er soll einer der größten Zauberer in Großbritannien sein." Tom schenkte ihr einen herablassenden Blick. "Er ist wahnsinnig, das ist alles. Wenn er wirklich so mächtig wäre, warum hat er Grindelwald dann noch nicht aufgehalten?" Daraufhin schwieg Hermine und senkte den Blick. Jetzt bloß nichts sagen, bloß nichts sagen, nichts sagen... Um ihn abzulenken, schwenkte sie ihren Zauberstab und ließ die Murmel wieder erscheinen. Kaum einen Moment später folgte seine Murmel der ihren wieder auf den Tisch. Hermine seufzte resigniert. Es zupfte wieder einmal an ihrem Stolz. "Gibt es eigentlich etwas, was du nicht kannst?", wollte sie schließlich frustriert wissen. Tom lachte leise. "Wenn, dann werde ich es dir ganz bestimmt nicht sagen." Sie warf ihm einen Todesblick zu. Er grinste überheblich. Mit einem weiten Schwung ihres Zauberstabs beschwor sie ihre Maus wieder herauf. Die Maus quiekte verängstigt und Hermine streichelte sie rasch, um sie zu beruhigen. Tom warf einen Blick auf die Maus, schnaubte und schwang seinen eigenen Zauberstab. Seine Maus erschien ebenfalls wieder, doch sie quiekte nicht. Sie lag ganz still da. Keine Regung, kein Schnuppern, kein Zucken. Hermine beugte sich über sie und legte ihr einen Finger auf die Brust. Die Maus war eiskalt und steif. Wie vom Blitz getroffen zuckte sie zurück und funkelte Tom vorwurfsvoll an. "Du hast sie umgebracht!" In diesem Moment trat Dumbledore wieder an ihren Tisch. "Lassen Sie mich einmal sehen. Oh, Hermine! Die Murmel UND die Maus! Gut gemacht! Zwanzig Punkte für Ravenclaw!" Dann wandte er sich Tom zu. "Die Murmel, gut, gut, zehn Punkte für Sie, Tom, und die Maus... Nun, da hat Hermine es doch tatsächlich geschafft, Sie zu schlagen. Versuchen Sie es noch einmal." Er beschwor Tom eine neue Maus herauf und ließ die tote verschwinden. Während Tom Dumbledore mit seinen Blicken erdolchte, hallten dessen Worte in Hermine Kopf wieder, immer wieder, wurden lauter und lauter. "Da hat Hermine es doch tatsächlich geschafft, Sie zu schlagen." Sie hatte Tom Riddle geschlagen. Sie hatte Lord Voldemort geschlagen. Als Tom seine zweite Maus ebenfalls nicht lebendig wieder heraufbeschwören konnte, strahlte Hermine aus allen Knopflöchern. Sie hatte zwar Mitleid mit der Maus, doch heute würde nichts auf der Welt ihre Laune mehr trüben können. Sie hatte ihn geschlagen!! Kapitel 9: Die Toilette der Maulenden Myrthe -------------------------------------------- Hallo ihr! Tut mir Leid, dass ihr so lange warten musstet. Das RL hat mich in letzter Zeit ziemlich auf Trab gehalten, aber jetzt geht es weiter! ~*~ 9. Die Toilette der Maulenden Myrthe Am Ende der Woche hatte Hermine sich bereits gut in den Schulalltag eingelebt. Allerdings war die Maus, die sie lebendig wieder hatte erscheinen lassen können und Tom nicht, eine einmalige Leistung geblieben. In Zauberkunst hatte sie den Blick nicht von Minerva McGonagall nehmen können, da war Tom sowieso nicht da gewesen. In Geschichte der Zauberei hingegen war wieder nur neben ihm ein Platz frei, von dem es Hermine aber beinahe wieder auf den Boden befördert hätte, als sie einen noch quicklebendigen und absolut nicht durchsichtigen Professor Binns durch die Tür hatte kommen sehen. Rasch musste sie feststellen, dass sein Unterricht zu Lebzeiten absolut nicht interessanter war. In alte Runen saß sie zwar neben Lucy, aber da Tom nur einen Tisch weiter saß, war es fast so, als würde sie erneut neben ihm sitzen. In Arithmantik hingegen war von Tom weit und breit nichts zu sehen, dafür war hier der einzige freie Platz - Hermine verfluchte den Zufall - neben Minerva. Nach den ersten Minuten allerdings stellte sie fest, dass Minerva als Schülerin äußerst sympathisch war, und legte ihren Argwohn ab. Bis zum Wochenende hatte sie es geschafft, von den Lehrern in den Himmel gelobt und auf eine Stufe mit Tom gestellt zu werden - obwohl er ihr immer noch meilenweit voraus war. Tom schien ihr das übel zu nehmen, was allerdings auch bedeutete, dass sie interessant für ihn blieb. Er beobachtete sie, wann immer sie in Sichtweite war, sie spürte es, doch er hielt sein Versprechen und wandte keine Legilimentik mehr an. ~*~ Am Montagnachmittag in der Zwischenpause, als sie mit Lauren gerade auf dem Weg zur Toilette war, hatte Hermine wieder einmal Gelegenheit, die Unwissende zu spielen und so Dinge aus erster Hand zu erfahren. Sie waren gerade im zweiten Stock und Lauren lotste sie direkt an der Toilette der Maulenden Myrthe vorbei. Hermine überlegte nur den Bruchteil einer Sekunde, dann sagte sie: "Warte! War das grade nicht eine Toilette?" Laurens Gesicht verdüsterte sich, und sie zog Hermine rasch in die entgegengesetzte Richtung. "Das... ist zwar eine Toilette, aber... niemand geht da rein. Wir gehen in den dritten Stock." "Warum nicht?" Lauren senkte die Stimme. "Vor ungefähr einem Jahr... wurde eine Schülerin dort gefunden. Sie war tot." Hermine schlug die Hände vor ihr Gesicht. "Wie konnte das passieren?", wisperte sie. Lauren schüttelte den Kopf. "Der Direktor sagt, es war ein Unfall. Aber... ich glaube ihm nicht." Hermine wurde hellhörig. Dippet hatte also versucht, die Sache zu vertuschen. "Du glaubst ihm nicht?" Lauren schüttelte den Kopf. "Nein. Davor sind... andere Dinge passiert..." Sie stieß die Toilettentür auf. "Ich will nicht darüber nachdenken, ehrlich. Sonst bekomme ich nur Angst, dass es nochmal passieren könnte. Bitte, frag jemand anders, wenn du mehr wissen willst." Hermine starrte einen langen Moment auf die Kabine, in der Lauren verschwunden war, dann ging sie in die nächste. Sie wusste schon, wen sie fragen würde. Lauren war eine Ravenclaw. Sie war schlau, ohne Zweifel, doch sie war auch sehr schnell verängstigt. Sie brauchte jemanden mit dem Mut, sich zu erinnern... ~*~ Eigentlich hatte Hermine gedacht, bis Freitag zu ihrer Arithmantikstunde warten zu müssen. Doch die passende Gelegenheit bot sich kaum eine Viertelstunde später, nachdem Lauren zu Muggelkunde gegangen war und Hermine in die Bibliothek. Der Tisch, an dem sie die letzten paar Tage gearbeitet hatte, war besetzt - von Minerva McGonagall. "Hallo. Kann ich mich zu dir setzen?", fragte sie. Minerva lächelte und nickte. Hermine setzte sich auf die andere Seite des Tisches und packte ihre Hausaufgaben aus. Eine Weile arbeiteten sie schweigend, dann seufzte Hermine gespielt auf und legte ihre Feder weg. Minerva sah auf. "Ist was?" Hermine schwieg einen langen Moment, dann meinte sie langsam: "Um ehrlich zu sein... ja. Kann ich dich was fragen?" "Natürlich!" Hermine holte tief Luft. "Lauren hat mir erzählt, dass in der Toilette im zweiten Stock vor einem Jahr... ein Mädchen gestorben ist. Und dass davor auch irgendwas komisches passiert ist, aber sie wollte nicht darüber reden. Was war denn los?" Minerva blickte mit einem Mal bestürzt und legte die Feder weg. "Oh, das... Natürlich, das kannst du nicht wissen." Sie schwieg einen langen Moment, dann straffte sie ihre Schultern. "Mehrere andere Schüler wurden... versteinert. Es waren alles Muggelstämmige. Und es gab... eine Schrift... auf einer Wand, in dem Korridor, der zu dieser Toilette führt." Sie schluckte. " 'Die Kammer des Schreckens wurde geöffnet. Feinde des Erben, nehmt euch in Acht.' ... Die Lehrer sagen zwar, Myrthes Tod hat damit nichts zu tun, aber sie war auch muggelstämmig, also..." Sie verstummte. Hermine verknotete ihre Hände und fragte leise: "Weißt du, was der Spruch an der Wand bedeuten könnte?" Minerva seufzte. "Nur teilweise. Es wurden nur Muggelstämmige angegriffen, also muss der Erbe, von dem die Rede war, der Erbe Slytherins sein - wenn man mal davon ausgeht, dass es ein Erbe der Gründer war. Mir fällt aber niemand anders ein, der in Frage kommen könnte. Und über die Kammer des Schreckens weiß niemand etwas. Es gibt nur Gerüchte, davon aber jede Menge." Hermine beugte sich aufgeregt nach vorne. "Was für Gerüchte?" Minerva zuckte bekümmert mit den Schultern. "Die meisten sind so absurd, dass es fast schon wieder zum Lachen wäre, wenn nicht alle Angst hätten. Aber... ein Gerücht behauptet, dass Slytherin diese Kammer ins Schloss eingebaut haben soll, ohne dass die anderen Gründer davon wussten. Hast du 'Eine Geschichte von Hogwarts' gelesen?" Hermine nickte. "Dann weißt du, dass Slytherin sich mit den anderen wegen der Aufnahme von nicht reinblütigen Kindern gestritten und danach die Schule verlassen hat. Er soll diese Kammer nach dem Streit eingebaut haben, und da drinnen ist ein Monster oder so, was eines Tages die Schule von allen... säubern würde, die nicht reinblütig sind." Minerva senkte den Blick. Eine Weile schwiegen sie beide, dann fragte Hermine leise: "Und nachdem dieses Mädchen... tot war, ist dann noch etwas passiert?" Minervas Lippen wurden schmal. "Kennst du unseren Wildhüter, Rubeus Hagrid? Er lebt in einer Hütte am Waldrand." "Ich habe die Hütte gesehen, aber ich kenne ihn nicht." Minerva nickte langsam. "Er ist der riesige Junge, der am Rand vom Lehrertisch sitzt. Er war bis zu Myrthes Tod ein Schüler in meinem Haus. Dann wurde er rausgeworfen und sein Zauberstab zerbrochen. Seitdem ist nichts mehr passiert." Hermine legte den Kopf schief. "Du meinst... er war es?" Minerva sah sie einen langen Moment an, dann beugte sie sich vor und flüsterte: "Nein. Alle, die ihn nicht gut kannten, glauben, dass er es war. Sie wissen bloß, dass er Monster liebt. Er war manchmal nachts im Verbotenen Wald, um mit Trollen zu raufen und solche Sachen, aber er kann es nicht gewesen sein. Er ist viel zu gutmütig dafür. Er könnte keiner Fliege was zuleide tun, und sein bester Freund bis dahin war ein Muggelstämmiger. Es macht keinen Sinn." Hermine nickte langsam. "Er sieht nicht besonders gefährlich aus", gab sie zu. "Also glaubst du, der Erbe ist noch auf freiem Fuß?" Minerva nickte, die Lippen wieder zu einem festen Strich zusammengepresst. "Jetzt war fast ein Jahr lang Ruhe, aber es kann gut sein, dass es irgendwann wieder passiert." Hermine schluckte. Mit einem Mal überfiel sie wieder die alte Angst. Sie wusste zwar, dass Tom die Kammer nicht mehr öffnen würde, aber Ängste waren nun mal nichts, was durch logische Erklärungen aus der Welt geschafft werden konnte. Sie sah wieder die großen, gelben Augen des Basilisks in ihrem Spiegel vor sich, als wäre es erst gestern gewesen. Dieses Biest lebte noch, es schlief bloß... Sie schluckte und verdrängte die Erinnerung. "Danke", murmelte sie schließlich. "Danke, dass du mir das erzählt hast." Minerva lächelte dünn. "Kein Problem." Sie griff wieder nach ihrer Feder, doch dann fügte sie noch hinzu: "Du solltest vielleicht noch wissen, dieses Mädchen, Myrthe... ihr Geist spukt in diesem Klo. Sie lebt dort in den Abwasserleitungen. Und, nun ja, sie heult gerne. Deswegen geht keiner dorthin." Hermine nickte langsam, dann griff sie ebenfalls wieder nach ihrer Feder und machte sich an die Arbeit. Sie hatte das dumpfe Gefühl, dass es damit nicht getan war. Sie wusste nun zwar offiziell, was passiert war, aber etwas sagte ihr, dass die Kammer des Schreckens noch eine Rolle spielen würde... Schließlich war Tom noch in der Schule. Dass der Basilisk niemanden mehr angreifen würde, konnte alles, aber auch nichts heißen... Kapitel 10: Frühling -------------------- 10. Frühling Die folgenden Wochen und Monate verliefen ruhig. Zu ruhig, für Hermines Geschmack. Doch die Ruhe half ihr auch, die Angst vor dem Basilisken zu beherrschen. Tom hatte nichts getan, um ihr zu schaden - er wusste nicht einmal, dass sie muggelstämmig war. Sie dankte Merlin und Morgana dafür, dass sie in ihrer erfundenen Geschichte eine Halbblüterin war. Tom und sie waren weiter die unangefochtenen Klassenbesten, auch wenn Tom immer noch fast überall einen Hauch besser war. Lediglich in Verwandlung schlug sie ihn manchmal - immer dann, wenn er etwas Lebendiges entweder verschwinden lassen und wieder auftauchen lassen sollte, oder wenn er etwas Lebendiges in einen Gegenstand und wieder zurück verwandeln sollte. Die Tiere waren hinterher bei ihm immer tot. Hermine schob das auf die Tatsache, dass andere Leben für ihn nicht viel bedeuteten. Da sie allerdings meistens entweder die Rückverwandlung nicht ausführen mussten oder aber nur Tiere in Tiere und Gegenstände in Gegenstände verwandelten, war er trotzdem meistens besser als sie. ~*~ In der Woche vor den Prüfungen schließlich geschah etwas, womit Hermine nicht gerechnet hatte. Sie hatten gerade Verwandlung und wiederholten die Verwandlung von einfachen Schlangen in magische Tierwesen, in ihrem Fall Wichtel. Das war zwar schon so schwer die der Stoff vom nächsten Jahr, aber Professor Dumbledore schien mit dem Lehrplan ein gutes Stück voraus zu sein. Hermine verwandelte ihre Schlange und lähmte den knallblau leuchtenden Wichtel sofort, bevor er das Klassenzimmer verwüsten konnte. Sie musste wieder an Lockhart denken und unterdrückte ein Grinsen. Zu dem Zeitpunkt hatte sie ihn noch vergöttert, aber im Nachhinein war es einfach nur komisch, sich daran zu erinnern, wie die Wichtel seine Bücher und seine Selbstportraits an den Wänden zerstört hatten. Ihr Blick wanderte zu Tom, um zu sehen, ob er sie schon wieder übertrumpft hatte. In der Erwartung, einen perfekten Wichtel zu finden, erstarrte sie verblüfft. Tom hatte noch nicht einmal damit begonnen, seine Schlange zu verwandeln, sondern er - streichelte sie. Die Schlange gab ein eindeutig zufriedenes Zischen von sich. Im nächsten Moment kippte Hermine beinahe vom Stuhl. Tom beugte sich zu der Schlange vor - und zischte etwas zurück. Sie hielt die Luft an und gab vor, mit einem Diagnosezauber den Zustand des Wichtels zu kontrollieren, während sie Tom aus den Augenwinkeln beobachtete. Definitiv, er unterhielt sich mit der Schlange! Einen langen Moment blickte sie wie gebannt auf seine zischenden Lippen, dann verstummte er und sah zu ihr auf. Seine Augen verengten sich. "Was?", zischte er. Hermine machte große Augen und mimte einmal mehr die Unwissende. Es fiel ihr mittlerweile sehr leicht, sie war wirklich in ihre Rolle hinein gewachsen. "Du - hast du gerade... Parsel gesprochen?" Toms Augen wurden noch kleiner. "Wenn du das irgendjemandem erzählst, dann - " "Ich hatte nicht vor, es jemandem zu erzählen", unterbrach sie ihn. "Hast du?" Tom musterte sie einen Moment lang völlig ausdruckslos, dann nickte er fast unmerklich. Hermines Herz machte einen Hüpfer. Die Tatsache, dass Tom es bestätigte, musste heißen, dass er ihr bis zu einem gewissen Punkt vertraute. Das war gut, sehr gut sogar. Sie war ihm nämlich nicht wirklich näher gekommen. Er beobachtete sie immer noch, genauso wie sie ihn. Das war jetzt vielleicht der entscheidende Schritt... Doch bevor sie noch etwas sagen konnte, trat Dumbledore an ihren Tisch und Tom verwandelte seine Schlange kommentarlos. Dumbledore lobte ihre Arbeit, wie immer, dann bat er sie beide, nach der Stunde zu Professor Dippet zu kommen. Als es klingelte und sie ihre Sachen packten, fragte Hermine: "Hast du eine Ahnung, warum Dippet uns sehen will?" Tom schnaubte. "Warum ich hin soll, weiß ich, was du damit zu tun hast... keine Ahnung." "Warum denn?" Doch Tom gab keine Antwort, als er das Klassenzimmer verließ. Hermine beeilte sich, ihm zu folgen. Wenig später hatten sie den steinernen Wasserspeier erreicht, und Tom sagte laut und deutlich: "Mandragora." Der Wasserspeier erwachte zum Leben und ließ sie passieren. Oben angekommen, klopfte Tom an die Tür, und die beiden traten ein. "Ah, da sind Sie ja! Setzen Sie sich", wurden sie empfangen, und Dippet beschwor zwei Stühle vor seinem Schreibtisch. Hermine und Tom ließen sich darauf nieder. Dippet legte die Hände aneinander, eine Geste, die Hermine eher an Dumbledore erinnerte. "Tom, Sie wissen, warum Sie hier sind. Miss Wilson, ich habe von Albus erfahren, dass Sie über den Sommer auch auf Hogwarts bleiben möchten, da Sie keinen Kontakt mehr zu Ihren Eltern haben. Ist das richtig?" Hermine nickte rasch. "Ja, sie wollten nicht, dass ich wegziehe, und wollten mich aufhalten. Es ging nicht anders. Ich weiß nicht, wo ich in den Ferien hin soll." Sie wunderte  sich selbst ein wenig, wie schnell ihr die Lügen mittlerweile über die Zunge kamen, aber sie verbot sich, darüber nachzudenken. Was nötig war, war nötig. Sie wandte sich an Tom. "Ich will den Sommer AUCH in der Schule bleiben? Willst du denn auch?" Er nickte, sagte jedoch nichts. "Nun", meinte Dippet. "Jetzt, da Sie bereits zu zweit sind und ein Jahr lang nichts geschehen ist, sollte es machbar sein. Immerhin sind Sie beide die besten Schüler seit bestimmt ein paar Jahrzehnten und solange Sie nicht alleine durch die Schule wandern, sollte nichts passieren. Sie werden allerdings zur Sicherheit trotzdem beide zusammen in ein Haus ziehen, in welches, können Sie unter sich ausmachen. Keiner von Ihnen geht alleine irgendwohin, wenn es nicht nötig ist, und Sie verlassen das Gelände nur unter Aufsicht. Haben wir uns verstanden?" Beide nickten. Hermine blickte zu Tom. "In welches Haus wollen wir? Mir ist es egal." "Zu dir", kam die prompte Antwort. Hermine nickte. "In Ordnung." Sie fragte sich, ob Tom nicht wollte, dass sie in seinem Territorium in den Kerkern herum lief. Nun, sie hatte nicht gerade ein inniges Verhältnis zu den Kerkern, sie war eigentlich ganz froh, dass Tom zu ihr in den Turm zog anstatt umgekehrt. "Gut", meinte Professor Dippet. "Miss Wilson, Sie können dann einfach in Ihrem Schlafsaal wohnen bleiben, und Ihnen, Tom, werde ich ein Zimmer einrichten. Ich erwarte, dass Sie beide sich am letzten Schultag bei mir melden, wenn Tom umgezogen ist. Ab dann will ich Sie nirgendwo mehr alleine herumlaufen sehen, haben wir uns verstanden? Zu zweit kann ich es ihnen erlauben, aber ich werde nicht zulassen, dass einer von Ihnen sich in Gefahr begibt." Wieder nickten die beiden. "In Ordnung, das wäre alles. Dann raus mir Ihnen, Sie haben sicherlich noch genug zu lernen." Sie verabschiedeten sich, doch kaum waren sie unten angekommen, knurrte Tom. "Was ist?", wollte Hermine wissen. Sie hatte ihn noch nie knurren gehört, in der Tat hatte sie bisher nicht mehr Gefühlsregung von ihm erlebt als sein gekräuseltes Lächeln oder seine gelangweilte Miene in den meisten Unterrichtsstunden. "Weißt du, was das heißt? Dippet lässt uns die ganzen Ferien zusammenhängen wie Runespoorköpfe. Warum hat er uns nicht gleich aneinander gekettet?" Hermine gab leise zurück: "Es hat schon seinen Grund. Immerhin ist er verantwortlich für uns, falls etwas passiert." Tom schnaubte. "Was soll schon groß passieren? Außerdem ist keiner für mich verantwortlich, ich bin bereits volljährig." "Das bin ich auch, aber trotzdem. Und nachdem, was ich über die Ereignisse im letzten Jahr erfahren habe, kann man nicht vorsichtig genug sein." Sie blickte ihn besorgt an, während sie den Gang entlang gingen. Tom warf ihr einen seltsamen Blick zu, den sie nicht deuten konnte. An der nächsten Treppe verließ er sie ohne ein Wort. ~*~ Während dem Wochenende vor den Prüfungen verdrängte sie den Gedanken, dass sie ihre Ferien mit Tom verbringen würde, erfolgreich aus ihren Gedanken. Es gab so viel zu lernen und zu wiederholen... Sie hatte die Prüfungen zwar schon einmal hinter sich gebracht, doch sie wollte so gut sein wie nur irgend möglich, vielleicht in Verwandlung sogar besser als Tom. Das wäre eine Genugtuung, die sie die ganzen Ferien genießen würde. Doch dafür musste sie lernen, lernen, lernen... Außerdem hatte Lauren ihr ihre Lerngruppe fast vollständig überlassen, mit dem Kommentar, dass sie das Lernen für die Prüfungen nötiger hatte als Hermine. Mehr als einmal besuchte Hermine in diesen Tagen die Küche, um sich Kaffee zu holen - ohne Kaffee wäre sie schon mehrmals über ihren Büchern eingeschlafen. Den gab es an den Haustischen nicht, damit die jüngeren Schüler ihn nicht in die Finger bekamen. Es widerstrebte Hermine zwar, den Hauselfen noch mehr Arbeit zu machen, doch sie sah, dass sie glücklich waren. Hogwarts kümmerte sich gut um sie. Außerdem wusste sie, dass sie hier noch viel mehr Gegenwehr bekommen würde als zu ihrer Zeit, falls sie B.Elfe.R wieder aufleben lassen wollte. Hier gab es noch nicht einmal einen Dobby, den sie als Vorbild hinstellen konnte (auch wenn er das nie gemocht hatte). Zähneknirschend musste sie sich eingestehen, dass es hier nichts gab, was sie für die Elfen tun konnte. Nun, sie hatte B.Elfe.R. nicht vermisst. Es war Teil ihres alten Lebens, und das war unwiederbringlich vorbei. ~*~ Die Prüfungen bereiteten Hermine keine Schwierigkeiten. Im Gegenteil, meistens war sie mit dem schriftlichen Teil schon nach der Hälfte der Zeit fertig. Mit einem kurzen Blick neben sich stellte sie dann meistens fest, dass Tom auch fertig war. Bei der ersten Prüfung - Zauberkunst - hatte Tom ihr einen leicht überraschten Blick geschenkt, bevor er wieder gelangweilt aus dem Fenster gesehen hatte. Hermine hatte sich die Chance nicht entgehen lassen - sie hatte ein kleines Stück Pergament aus ihrer Tasche gefischt und Striche für Buchstaben darauf gemalt. Dann hatte sie es Tom hin geschoben. Tom hatte sie mit einem herablassenden Blick bedacht und darunter geschrieben: "Galgenmännchen? Ist das dein Ernst? Glaubst du wirklich, ich würde mit dir Galgenmännchen spielen?" Hermine warf einen Blick zum leeren Pult von Professor Weston - sie musste nicht anwesend sein, das ganze Zimmer war mit Anti-Schummel-Zaubern belegt – dann schrieb sie zurück: "Nein, aber uns ist beiden langweilig. Das ist sicher besser als Löcher in die Luft zu starren." Tom runzelte die Stirn, als er das Pergament zu sich heranzog und schenkte ihr einen ungläubigen Blick, bevor er seine Antwort darunter kritzelte. Als Hermine das Pergament wieder zu sich zog, schlich sich ein Lächeln auf ihr Gesicht. Er hatte zwar noch darunter geschrieben: "Wer sagt denn, dass ich Löcher in die Luft starre?", doch darunter stand: "E?" ~*~ Von diesem Moment an spielten sie in jeder schriftlichen Prüfung, in der sie nebeneinander saßen, Galgenmännchen. Hermine machte es einen Riesenspaß. Mit Harry oder... Ron... hatte sie immer haushoch gewonnen, die beiden gaben ihr einfach zu vorhersehbare Wörter wie "Feuerblitz" oder "Chudley Cannons" zum Raten. Im Gegenzug hatten sie viele Fachwörter, die Hermine ihnen gegeben hatte, nicht einmal gekannt, und sich beschwert, dass sie ihnen unlösbare Aufgaben stellte. Für Tom allerdings konnte sie die schwierigsten Wörter heraussuchen, die sie kannte, und er erriet sie trotzdem nach einer Weile. Er gab ihr auch reichlich komplizierte Wörter zum Raten, die ihr ein herrliches Kopfzerbrechen bereiteten, das sie noch nie bei diesem Spiel gehabt hatte. Endlich hatte sie jemanden auf ihrem Niveau gefunden, mit dem sie spielen konnte. Und wenn sie sich nicht sehr täuschte, machte es Tom auch Spaß. Immerhin hätte er ihr ansonsten in Verwandlung keinen Zettel hin geschoben, auf dem stand: "Bist du bald fertig? Mir ist langweilig." Hermine hatte lächeln müssen und zurückgeschrieben: "Verwandlung ist das einzige Fach, wo ich eine Chance habe, dich zu schlagen. Denkst du, da schreibe ich auch nur ein Wort weniger hin, als ich weiß?" Und dann geschah das Wunder, als er ihre Antwort las. Er lächelte! "Versuch es ruhig", hatte er zurückgeschrieben. "Darauf kannst du wetten", hatte Hermine gekritzelt und sich wieder tief über ihren Prüfungsbogen gebeugt. ~*~ Erst am letzten Prüfungstag dachte Hermine wieder daran, dass Tom in den Ferien nicht von ihrer Seite weichen würde. Vorher hatte sie nicht allzu lange darüber nachgedacht, doch nun hatte sie doch ein klein wenig Angst. Sicher, Tom war eindeutig der beste Gegner, den sie beim Galgenmännchen je gehabt hatte, doch das änderte nichts daran, dass er bereits die Kammer des Schreckens geöffnet hatte. Er war gefährlich. Es war etwa anderes, mit ihm in dieselbe Schule zu gehen, als von früh bis spät in seiner Gegenwart zu sein. Auf der einen Seite war das wohl die beste Chance, die Hermine je bekommen würde, aber auf der anderen machte sie sich schon ein wenig Sorgen. Doch nun war es zu spät, umzukehren. Es war schon seit Monaten zu spät, umzukehren, da würde sie jetzt auch keinen Rückzieher machen. Sie hatte nur noch dieses Leben, und alles, was hier wichtig war, war Tom. Da würde sie doch wohl keine Angst haben, mit ihm Wand an Wand zu wohnen! Auch wenn sie hier in Ravenclaw war, in ihrem Herzen war sie eine Gryffindor, und sie würde das durchziehen. Kapitel 11: Der erste Ferientag ------------------------------- 11. Der erste Ferientag Hermine stand am Seeufer und sah über die Ländereien zum Schlosstor hinüber. Die Sonne ging gerade auf, als sie aus Hogsmeade ein schrilles Pfeifen hörte. Der Hogwarts-Express war eingefahren. Am Tor startete gerade die letzte Kutsche. Hermine hatte die letzte Stunde fasziniert die Thestrale beobachtet. Es war das erste Mal, dass sie sie sah. Sie waren genau wie in den Lehrbüchern und doch völlig anders. Die Skizzen in Büchern konnten die unheimliche Aura, die von ihnen ausging, niemals darstellen. Die Bilder bewegten sich zwar, doch sie hatten nicht die leichtfüßige, dunkle Eleganz, die von den echten Thestralen ausging. Als das Tor hinter der Kutsche mit einem Zittern ins Schloss fiel, wieherte einer der Thestrale. Es war ein Laut wie nicht von dieser Welt. Hermine zuckte zusammen. "Schöne Tiere, nicht wahr?", ertönte mit einem Mal eine Stimme hinter ihr. Wieder fuhr sie zusammen und wirbelte herum. Tom stand hinter ihr und blickte ebenfalls den Kutschen hinterher. "Du kannst sie sehen?", wollte sie leise wissen. Tom nickte. "Konnte ich schon immer." Hermine öffnete den Mund und zögerte. Sollte sie...? Toms Lippen kräuselten sich. Sein Blick wurde hart und undurchdringlich. "Meine Mutter ist bei meiner Geburt gestorben." Er klang nicht bedrückt, sondern eher vorwurfsvoll. Hermine legte langsam den Kopf schief. Das passte zu dem, was Harry und Dumbledore in der Zukunft über Tom herausgefunden hatten. "Tut mir Leid", murmelte sie. Doch Tom winkte ab. "Nicht der Rede wert. Ich habe sie nicht gekannt." Hermine nickte langsam. "Was willst du?", fragte sie schließlich. Tom tat nie etwas ohne einen konkreten Nutzen, so gut kannte sie ihn mittlerweile. Besonders fiel das im Zaubertrankunterricht auf. Er machte keine Bewegung zu viel. "Dippet will uns sehen. Wir bekommen unsere Zeugnisse und wahrscheinlich noch eine Ermahnung, uns nicht alleine herum zu treiben." Er rollte mit den Augen. Hermine lächelte. "Besser als nach Hause gehen zu müssen, oder?" Er blickte sie verschlossen an. "Mein Zuhause ist hier." Damit wandte er sich um und marschierte zum Schloss hinauf. Hermine folgte ihm. Während dem Weg zu Dippets Büro sprachen sie beide kein Wort mehr. Innen angekommen, bekamen sie genau das, was Tom prophezeit hatte: Eine Ansprache über die Gefahren einer menschenleeren Schule, den Hinweis, dass Dippet selbst Urlaub nehmen würde und ihr Ansprechpartner Dumbledore sein würde, was Tom ein missmutiges Schnauben entlockte, und zu guter Letzt ihre Zeugnisse. Hermine überflog ihre Noten und Punktzahlen eilig. Sie hatte überall ein O, in Verwandlung, Zaubertränke und Arithmantik sogar mit voller Punktzahl. Ansonsten schwankten die Punktzahlen, bei Verteidigung gegen die dunklen Künste war sie sogar nah an die Grenze zum E gekommen. Sie atmete tief durch. Der Moment, bevor sie ein Zeugnis bekam, war immer einer der schlimmsten im ganzen Schuljahr. Doch sie hatte es wieder einmal überlebt. Sie war zufrieden. Mehr noch, ihr Blick blieb an der vollen Punktzahl für Verwandlung hängen und ein triumphierendes Grinsen schlich sich auf ihre Lippen. Sie verkniff sich einen Kommentar und sah zu Dippet auf. "Danke", meinte sie. "Noch etwas, was wir wissen müssen?" Er schüttelte den Kopf. "ich habe bereits alles gesagt, denke ich. Ab sofort ist keiner von ihnen mehr alleine unterwegs. Ihr Zimmer, Tom, ist bereits eingerichtet, Sie müssen nur noch das Gepäck aus den Kerkern holen. Für Sie beide gilt selbstverständlich das Zauberverbot während der Ferien nicht, da Sie auf der Schule bleiben." Er holte tief Luft. "Dann wünsche ich Ihnen beiden schöne Sommerferien. Ich will keine Beschwerden hören, wenn ich wieder komme." Beide nickten, und Hermine meinte: "Ihnen auch schöne Ferien, Direktor." Dippet lächelte schwach. "Danke." Er entließ die beiden mit einer Handbewegung. Kaum hatten sie die Wendeltreppe hinter sich gebracht, platzte Hermine regelrecht heraus: "Wie viele Punkte hast du in Verwandlung?" Tom musterte sie missmutig. "90 von 100, also noch O. Sag mir bitte nicht, du hast mehr." Hermine Herz machte einen Satz bis zum Astronomieturm. "Volle Punktzahl", erwiderte sie grinsend. Tom schnaubte. "Das ist mit Sicherheit nicht aus der Prüfung, ich bin mir sicher, da alles richtig beantwortet zu haben." Hermine grinste immer noch. "Sei froh, dass im praktischen Teil kein Lebewesen aus dem Nichts oder einem Gegenstand wieder zurückverwandeln musstest, das hätte dich mit Sicherheit dein O gekostet." Tom warf ihr einen Todesblick zu. "Streu nicht noch Salz in die Wunde, das könnte dir übel bekommen." Hermine zog bloß eine Augenbraue hoch. "In welchen Fächern hast du die volle Punktzahl?" "In allen anderen." Hermines Euphorie schmälerte sich etwas. "Und ICH streue Salz in die Wunde? Du hast mich in allen anderen Fächern geschlagen oder zumindest die gleiche Punktzahl." Toms Blick wurde wieder etwas weicher, während sie die Treppen in die Kerker hinab gingen. An einer Abzweigung meinte er schließlich: "Warte hier", und verschwand um die Ecke. Hermine hörte ihn etwas Unverständliches flüstern, denn ertönte ein leises Rumpeln und sich entfernende Schritte. Das Rumpeln wiederholte sich und Hermine wusste, dass sich die Tür zum Gemeinschaftsraum der Slytherins wieder geschlossen hatte. Sie war in ihrem alten Leben Vertrauensschülerin gewesen, sie hatte gewusst, wo der Eingang war. Doch sie blieb hinter der Ecke. Tom sollte sehen, dass sie ihm vertraute. Dem war zwar nur teilweise so, und sie traute auch nur einem sehr kleinen Teil von ihm, aber das musste er ja nicht wissen. Eine Weile später kam er wieder heraus, einen Schrankkoffer vor sich her schweben lassend. Ohne ein Wort machten die beiden sich wieder auf den Weg nach oben zum Ravenclawturm. Das Rätsel an der Tür löste Tom, noch bevor Hermine auch nur den Mund öffnen konnte. Mit einem Anflug von Trotz stellte sie fest, dass sie die Antwort auch gewusst hatte. Tom verschwand sofort mit seinem Koffer im Gang zu den Jungenschlafsälen. Es war offensichtlich, dass er sich hier auskannte. Sie hatte ihn hier zwar noch nie gesehen, aber sie verbrachte auch viel mehr Zeit in der Bibliothek als hier, also kein Wunder. Etwas unschlüssig sah sie sich im leeren Gemeinschaftsraum um und ließ sich schließlich in einen Sessel am Fenster fallen. Wenig später kam Tom wieder und setzte sich etwas eleganter in den Sessel neben ihr. Eine Weile blickten sie beide schweigend aus dem Fenster. Die Stille umfing sie und wurde drückend. Irgendwann fragte Hermine verlegen: "Und was machen wir jetzt?" Tom zuckte mit den Schultern. "Was machst du denn sonst in den Ferien?" Hermine legte den Kopf in den Nacken und starrte an die Decke. "Bisher habe ich immer viel mit meinen Eltern unternommen." Und das war nicht einmal gelogen. Mit einem Schlag traf sie die Erkenntnis, dass sie ihre Eltern nie wieder sehen würde. Sie presste die Lippen aufeinander und schloss die Augen. Sie hatte gewusst, worauf sie sich einließ, als sie diese Zeitreise angetreten hatte, aber es tat immer noch weh. Himmel, heute tat es so weh, dass sie sich einmal mehr fragte, warum sie das alles überhaupt tat. Doch dann stand ihr wieder Rons Gesicht vor Augen, wie er sie breit anlächelte, und Harry, wie er verbrannt im St. Mungos lag. Sie schluckte den Kloß in ihrem Hals und sperrte ihre Trauer in den letzten Winkel ihres Verstandes. Dafür war jetzt kein Platz. Sie hatte diesen Sommer die einmalige Chance, Tom näher zu kommen und herauszufinden, inwieweit er schon zu Lord Voldemort geworden war und ob sie ihn ändern konnte. Trauern konnte sie später. Sie atmete einmal tief durch und meinte dann mit einer Stimme, die fester klang, als sie sich fühlte: "Was machst du denn sonst so in den Ferien?" Toms Blick war eiskalt, als er antwortete: "Die Muggel in meinem Waisenhaus überleben, ohne einen von ihnen umzubringen." Hermine verschluckte sich. Toms Gesichtsausdruck veränderte sich keinen Millimeter, als er noch hinzufügte: "Wir müssen die nächsten Wochen auch von früh bis spät miteinander auskommen, ohne uns umzubringen, also solltest du wissen, worauf du dich einlässt. Ich bin nicht der nette Junge von nebenan." Sie hustete noch einmal und murmelte dann leise: "Hatte ich nicht erwartet, aber..." "Aber was?" Toms scharfe Stimme zerschnitt die Luft wie ein Messer. Hermine suchte seinen Blick. "Hast du das wörtlich gemeint oder im übertragenen Sinn?" Er schnaubte. "Wie hat es sich denn angehört?", gab er zurück, Verbitterung in der Stimme. Hermine schluckte. "Was tun die Muggel in deinem Waisenhaus denn so schlimmes?" Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals. Sie war ganz nah dran, das spürte sie. Wenn sie heraus fand, wieso er die Muggel so hasste, dann hatte sie eine Chance... Tom wandte sich von ihr ab und blickte aus dem Fenster. Er antwortete nicht. Hermine biss sich auf die Lippe, um nicht nach zu bohren. Sie wusste, wenn sie jetzt nachhakte, würde er niemals damit herausrücken. Eine Weile blickten beide wieder stumm nach draußen, dann beschloss Hermine, Tom eine Möglichkeit zu geben, das Thema zu wechseln. Sie stand auf und lief in ihren Schlafsaal hinauf. Oben angekommen, verschloss sie sorgfältig die Tür, dann zog sie aus ihrer Rocktasche die verkleinerte, alles fassende Tasche mit ihren Sachen aus der Zukunft und hexte sie wieder auf Originalgröße. Einen Moment lang überlegte sie zwar, ob es klug war, Tom noch einen Gegenstand aus der Zukunft zu geben, aber da sie etwas ähnliches schon bei den jüngeren Schülern gesehen hatte, würde es wohl keinen Verdacht erregen. Sie fischte ihre explodierenden Mau Mau-Karten aus der Tasche, verkleinerte sie wieder und packte sie wieder in ihren Rock. Sie hatte sie die ganze Zeit immer mit sich herum getragen. Man konnte nie wissen... Als sie wieder in den Gemeinschaftsraum kam, saß Tom noch exakt so da, wie sie in verlassen hatte. Sie ließ einen kleinen Tisch zwischen ihre Sessel schweben und legte die Karten darauf. Tom warf nur einen kurzen Blick darauf. "Mau Mau? Galgenmännchen war ja wenigstens noch halbwegs anspruchsvoll, aber Mau Mau?" Hermine lächelte, schlüpfte aus ihren Schuhen und zog die Beine auf den Sessel. "Explodierendes Mau Mau", verbesserte sie ihn. Toms abfällige Miene veränderte sich. Hermine sah einen Funken Interesse in seinen Augen auflodern. Ihr Lächeln wurde breiter. Sie schnappte sich die Karten und begann zu mischen. ~*~ Eine halbe Stunde später ließ Hermine ihre verbrannten Haare wieder nachwachsen, während Tom mischte. "Das war mies, und das weißt du", zischte sie. Er zuckte bloß mit den Schultern und lächelte. "Du hast mir nicht verboten, die Regeln zu ändern." Sie schnaubte. "Das waren nicht die Regeln. Das war der Zauber, der die Explosion auslöst!" Er zog bloß eine Augenbraue in die Höhe und erwiderte trocken: "Gut kombiniert, Watson." Hermine schnappte nach Luft. "Du kennst Sherlock Holmes? Und das, nachdem du mir gesagt hast, du willst die Muggel im Waisenhaus am liebsten umbringen?" Er zuckte mit den Schultern. "Hab ich gelesen, bevor ich nach Hogwarts gekommen bin. Irgendwas musste ich ja schließlich tun." Hermine atmete tief durch. Sie waren wieder an dem Punkt angekommen, an dem sie gerne nachhaken wollte, aber sie wusste nicht, wie weit sie gehen konnte. "Irgendwas musstest du tun? Aber... heißt das, du hast die ganze Zeit früher nur gelesen? Ich dachte, in einem Waisenhaus sind viele Kinder, mit denen man spielen kann." Er sah von den Karten auf. "Dummheit steht dir nicht, Hermine. Frag mich doch einfach, was du wissen willst. Oder hast du Angst vor mir?" Hermine schluckte. Am Rande registrierte ihr Gehirn, dass er sie noch nie mit 'Hermine' angesprochen hatte. Es erstaunte sie immer wieder, wie lange man jemanden kennen konnte, ohne seinen Namen wissen und aussprechen zu müssen. Lavender und Parvati hatten diese Fähigkeit perfektioniert. Ihr Namensgedächtnis war grauenhaft gewesen. "Vielleicht. Ich höre nicht täglich jemanden sagen, dass er jemand anders am liebsten umbringen möchte", gab sie bissig zurück. Sie weigerte sich, jetzt klein bei zu geben. Tom ließ hier gerade ein Stück seiner Maske fallen, da würde sie nicht kuschen, auch wenn ihr das Herz bis zum Hals schlug. Er verteilte die Karten schweigend, und ebenso schweigend begannen sie die nächste Partie. Nach einer Weile meinte Tom leise: "Sie haben mich wie Dreck behandelt. Ich war immer der Sündenbock. Zuerst nur für die Erzieher, aber irgendwann haben auch die anderen Kinder alles auf mich geschoben. Gut, manchmal war ich es wirklich, wenn ich mit meiner Magie experimentiert habe, aber das rechtfertigt nicht, mich wie einen Aussätzigen zu behandeln. Als ich nach Hogwarts gekommen bin, waren alle froh, dass ich gehe. Und wenn ich im Sommer wieder gekommen bin, habe ich die Angst in ihren Augen gesehen. Dabei wissen sie nicht einmal, dass ich ein Zauberer bin. Ab dem ersten Sommer nach Hogwarts war ich für sie eine tickende Zeitbombe. Das war zwar besser, als immer angemotzt zu werden, aber… " Hermine atmete tief durch. Er hatte von sich erzählt! Er hatte wahrhaftig von sich erzählt! Einen Moment schwieg sie noch, dann meinte sie leise: "Danke." Er sah auf, das Gesicht ausdruckslos. "Wofür?" "Für die Antwort." Sie lächelte schwach. Er musterte sie einen Moment, dann nickte er und blickte wieder in seine Karten. Kapitel 12: Genies unter sich ----------------------------- 12. Genies unter sich Hermine erwachte am nächsten Morgen davon, dass etwas sie in die Seite pikste. Sie schlug schlaftrunken um sich, doch das Piksen hörte nicht auf. Mit einem Stöhnen öffnete sie schließlich die Augen. Ihr Zauberstab schwebte vor ihr in der Luft und stach sie immer wieder in die Seite. Einen Moment lang lag ihr ein Fluch auf den Lippen und sie fragte sich, wie sie es geschafft hatte, den Weckzauber zu Beginn der Ferien nicht auszumachen, dann holten sie die Ereignisse der letzten Tage wieder ein. Tom. Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr und stöhnte erneut, bevor sie die Füße aus dem Bett schwang und missmutig ins Badezimmer tappte. Es war gerade erst sieben, aber Tom und sie hatten sich um halb acht unten im Gemeinschaftsraum verabredet, um zu frühstücken. Sie beschloss, ihm für den nächsten Tag erst halb neun vorzuschlagen, während sie unter die Dusche stieg. Einen endlosen Moment lang überlegte sie, das Wasser auf kalt zu drehen, um aufzuwachen, doch sie konnte sich nicht dazu überwinden. Während sie sich also warm duschte und dabei noch ein wenig weiter döste, schweiften ihre Gedanken zum gestrigen Abend zurück. Tom und sie hatten tatsächlich mehrere Stunden lang Karten gespielt, allerdings hatte Hermine sich für ihre verbrannten Haare gerächt und auch an dem Explosionszauber herum gespielt, sodass er sich ebenfalls die Haare und Augenbrauen versengt hatte. Wenig später hatte Hermine ein Explosion abbekommen - er hatte wieder die Regeln geändert. Sie rächte sich ebenfalls wieder und so wurde der Zauber auf den Karten an diesem Abend unzählige Male geändert. Letztendlich hatten sie nach komplett anderen Regeln gespielt als zu Beginn, weil die Karten nun bei völlig anderen Anlässen in die Luft gingen. Besonders schwierig war es geworden, weil er ihr und sie folglich auch ihm nicht gesagt hatte, dass der Zauber geändert worden war, sodass die Karten praktisch jederzeit in die Luft fliegen konnten. Nachdem er den Zauber zum zweiten Mal geändert hatte, hatte sie festgestellt, dass er zauberstablose Magie beherrschte - sie hatte ihn seit der ersten Explosion nicht aus den Augen gelassen. Es hatte sie nicht sonderlich überrascht, und fortan hatte sie den Zauber ebenfalls ohne ihren Stab geändert. Es war zwar verdammt schwierig, doch sie schaffte es. Er hatte die verbrannten Augenbrauen hochgezogen und einen bedeutungsvollen Blick auf ihre Umhangtasche, in der der Zauberstab steckte, geworfen, doch nichts weiter dazu gesagt. Hermine hatte in sich hinein gegrinst, als sie festgestellt hatte, dass er nun wesentlich vorsichtiger mit den Karten umging als vorher. Nach dem Gespräch über Toms Waisenhaus hatten sie sich eine Weile angeschwiegen, aber als ein Hauself aufgetaucht war, der ihnen ihr Abendessen gebracht hatte, waren sie wieder ins Gespräch gekommen - von Höflichkeit gegenüber Hauselfen über die Eigenheiten des Schlosses (Hermine war froh gewesen, dass sie schon lange genug hier war, um sich nicht dumm stellen zu müssen - sie gab Tom recht, dumm stand ihr nicht und sie hasste es, sich dumm zu stellen) bis zu Zaubertheorie und dem Kreieren neuer Zauber. Hermine hatte sich bisher in der Zukunft nur mit Dumbledore auf diesem Niveau unterhalten können - und der war meist zu beschäftigt gewesen, als dass sie ihm ihre Gesellschaft hatte aufdrücken wollen, bloß weil sie mit ihm reden wollte. Sie hatte es gestern genossen, sich mit jemandem zu unterhalten, der genauso schnell und logisch dachte wie sie. Sie hatte es so sehr genossen wie schon lange nichts mehr. Schon bald waren sie vertieft gewesen in einer regen Diskussion, welchen Zauber man wie verbessern könnte und welchen Zauber man neu erfinden könnte. Hermine hatte schon ein paar kleinere Zauber, meist Haushaltszauber, erfunden, und Tom hatte ganz offensichtlich ebenfalls schon Erfahrung. Es war regelrecht berauschend gewesen, mit ihm darüber zu diskutieren, wie man die Magie und das Ziel in die lateinischen Worte hinein brennen konnte, so dass aus normalen Wörtern ein Zauberspruch wurde. Eigentlich wäre jedes Wort möglich gewesen, aber damit man nicht versehentlich zauberte, hatte sich die Internationale Zauberergemeinschaft vor ein paar Jahrhunderten auf Latein geeinigt, da das in der Zaubererwelt nicht mehr gesprochen wurde. Sie hatten auch ihren lateinischen Wortschatz ausgetauscht, und Hermine hatte erfreut festgestellt, dass sie Tom hier überlegen war. Sie hatte in der Zukunft in den Sommerferien immer Lateinkurse belegt, damit ihr nicht mehr so fürchterlich langweilig war. Doch Tom bügelte dieses Manko einfach wieder aus, indem er seine Zaubersprüche nicht in lateinische Wörter brannte, sondern in Alte Runen. Hermine dankte dem Himmel dafür, dass sie in ihrer Runenklasse nur übersetzten, und sie hoffte, dass Tom die zauberstablose Magie noch nicht so sehr ins Blut übergegangen war, dass er aus Versehen beim Vorlesen seiner Übersetzung einen Zauber losließ. Andererseits waren zauberstablose Zauber meist recht harmlos - doch Tom war nicht normal, also musste sie auf der Hut sein. Mit einem Lächeln stieg Hermine aus der Dusche, trocknete sich ab und schlüpfte in ein rotes Sommerkleid. Sie hatte den Abend mit ihm, trotz aller Explosionen und verbrannter Haare und Kleider, in vollen Zügen genossen. Mehr noch, sie freute sich darauf, ihn gleich wieder zu sehen und den Tag mit ihm zu verbringen. Eine kleine Stimme in ihrem Kopf rief ihr zwar zu, dass das immer noch der zukünftige Lord Voldemort war, aber sie brachte sie mit dem Argument zum Schweigen, dass es schließlich ihr Plan gewesen war, sich mit ihm anzufreunden. Sie wollte ihn nicht töten oder etwas in der Art. Nein, sie wollte, dass er gar nicht erst zu Voldemort wurde und einen anderen, friedlichen Weg einschlug. Um das zu erreichen, musste sie seinen Charakter und seine Einstellungen zur Zaubererwelt verändern, und bei einem Genie wie ihm kam ein Gedächtniszauber nicht in Frage. Er hätte ihn schneller gelöst, als sie "Obliviate" sagen konnte. Also blieb der langsame, vielleicht nicht von Erfolg gekrönte Weg, seine vermurkste Kindheit durch echte Freundschaft wieder auszumerzen, bevor er ernsthafte Revolutionspläne schmieden konnte. Es war nicht schlecht, ihn zu mögen - schließlich log sie ihn schon in genug Dingen an, da war es gut, wenn sie ihm ihre Freundschaft nicht vorspielen musste. Mit einem raschen Schwung ihres Zauberstabs brachte sie ihre Haare in Ordnung und verstaute den Stab in einer eigens dafür angenähten Tasche in ihrem Kleid. Dann atmete sie tief durch, steckte in ihrem Schlafsaal auch die verkleinerte Tasche mit den Sachen aus der Zukunft in die Tasche ihres Kleides und ging dann nach unten in den Gemeinschaftsraum. Tom war bereits da. Er stand am Fenster und blickte auf die Ländereien hinaus. "Morgen", meinte sie und musste gähnen. Seine Lippen kräuselten sich, als er sich umdrehte. "Morgen." Ohne ein weiteres Wort gingen sie in die Große Halle hinunter. Die vier Haustische und auch der Lehrertisch waren verschwunden. Stattdessen stand ein einzelner, runder Tisch an der Stelle des Lehrertisches, um den sieben Stühle standen. Die fünf anderen Plätze waren bereits besetzt - mit Dumbledore, einem jungen Hagrid, dessen direkter Anblick in leichter Schock für Hermine war, die es bisher vermieden hatte, ihn direkt anzusehen, Professor Cassady, Professor Binns und dem Hausmeister, von dem Hermine nicht einmal den Namen kannte. Sie setzten sich dazu und frühstückten, ohne ein Wort miteinander zu sprechen. Hermine dankte dem Himmel dafür, dass sie hier immer Kaffee bekommen würde - an den Haustischen gab es ihn nur in Ausnahmefällen, um die jüngeren Schüler nicht auf dumme Ideen zu bringen. Nach einer Weile, während der Schweigen am Tisch herrschte, meinte Professor Dumbledore: "Na, wie lange waren Sie denn gestern Abend noch wach, Miss Wilson? Scheint reichlich spät geworden zu sein." Er zwinkerte. Wie zur Bestätigung musste Hermine wieder gähnen und lächelte. "Keine Ahnung, aber es war spät. Wie lange gibt es denn in den Ferien Frühstück? Ich fürchte, morgen werde ich länger brauchen, um wach zu werden, wenn das so weiter geht." Dumbledore lächelte sein alles wissendes Lächeln. "Bis zehn, keine Sorge. Darf ich so neugierig sein und fragen, wieso es so spät geworden ist?" Hermine öffnete schon den Mund, um begeistert über ihre Gespräche und das explodierende Kartenspiel zu erzählen, doch Tom war schneller. "Wir haben diskutiert." Hermine warf ihm einen Blick zu und schloss ihren Mund wieder. Er suchte ebenfalls ihren Blick und nur einen Moment später fühlte sie seine Anwesenheit, schon fast in ihrem Geist, doch er berührte die Barrieren nicht. Seine Stimme hallte in ihrem Kopf wieder. 'Das geht niemanden etwas an, Dumbledore am allerwenigsten.' Sie schluckte und sandte einen Gedanken zurück. 'Okay.' Dumbledore musterte sie neugierig, und sein Lächeln wurde breiter. Er zwinkerte Hermine zu und wies mit den Augen auf Tom. Hermine zog eine Augenbraue hoch. Was genau dachte Dumbledore über sie beide? Doch nicht etwa, dass sie und er gestern...? Sie runzelte die Stirn und schüttelte unmerklich den Kopf. Dumbledore schien ein wenig enttäuscht zu sein. Den Rest des Frühstücks verbrachten Hermine und Tom schweigend, während die Lehrer sich darüber unterhielten, was ihre Kollegen wohl in den Ferien alles unternahmen. Hermine bemerkte allerdings, dass Dumbledores Blick immer wieder zu Tom und ihr herüber wanderte. Wenn er dachte, dass sie ihn nicht ansah, blieb er ziemlich lange auf ihr liegen. Sie hatte das unangenehme Gefühl, als würde er in sie hineinsehen, sogar durch ihre Okklumentikschilde. Rasch überprüfte sie sie. Sie waren noch intakt und von Dumbledore war nichts zu spüren. Gut. Schließlich meinte sie, mit einem Blick auf Toms leeren Teller: "Bist du fertig? Gehen wir?" Er nickte stumm und die beiden verließen die Halle. Sie schüttelte sich noch immer bei Dumbledores Blick. In der Zukunft hatte er sie zwar ebenfalls ab und zu durchdringend gemustert, aber das jetzt war anders. Vielleicht, weil er in der Zukunft wusste, wer sie war, und hier nicht. Er vertraute ihr hier nicht vollkommen, wurde ihr mit einem Mal klar. Sie fröstelte. "Hast du Dumbledore gesehen? Ich glaube, er hat mich jetzt auch auf dem Kieker." Tom nickte. "Er glaubt wohl nicht, dass ich mit überhaupt irgendjemand eine vernünftige Diskussion führen kann. Er hat erst, nachdem ich es erzählt habe, so geschaut." Hermine brummte, während sie zurück in den Gemeinschaftsraum gingen. "Und er hat mich so angeschaut, als ob er fragen würde, ob wir beide..." Sie brach ab. Jetzt, wo sie es laut aussprach, kam es ihr noch lächerlicher vor. Tom schnaubte. "Dumbledore ist nun mal ein hoffnungslos verklärter Romantiker. Er sollte sich lieber mal um sein eigenes Liebesleben kümmern, als anderen Leuten irgendwelche Beziehungen anzudichten." Hermine nickte zustimmend. Sie hatten die Tür zum Gemeinschaftsraum erreicht, und diesmal löste sie das Rätsel. Drinnen angekommen, sah sie sich ein wenig verlegen um. "Was wollen wir jetzt machen?" "Hausaufgaben. Wenn wir sie weg haben, können wir uns um bei weitem interessantere Sachen kümmern. Ich hab von Dippet eine Erlaubnis für die Verbotene Abteilung bekommen." Hermine klappte der Mund auf, und sie musste lachen. "Hoff mal, dass Marc das nicht erfährt. Er könnte sich ziemlich veralbert vorkommen." Tom zuckte mit den Schultern. "Wieso? Er wurde doch gut bezahlt." Damit verschwand er zu den Jungenschlafsälen, um seine Schulsachen zu holen. Hermine schüttelte den Kopf und setzte sich an den Tisch, den sie schon vor Wochen für sich gepachtet hatte und auf dem schon ihre Hausaufgaben verteilt lagen. ~*~ Tom und sie saßen ganze drei Tage an den Hausaufgaben. Sie wusste, dass die Lehrer ihnen zwar einige schwierige Sachen aufgaben, doch nie soviel, dass sie ihnen damit die ganzen Ferien vermiesten. Sie schätzte, dass Harry vielleicht zwei Wochen für die Aufgaben gebraucht hätte bei den Dursleys und Ron einen Monat, wenn Fred und George zu Hause waren. Sie selbst hatte nie länger als eine Woche gebraucht, und ihre Eltern hatten die meisten Ausflüge immer auf die Zeit nach den Hausaufgaben gelegt. Dennoch hatte sie sich immer fürchterlich gelangweilt. Die Lateinkurse waren wirklich Rettung in letzter Sekunde gewesen. ~*~ Jetzt jedoch war das anders. Heute war der vierte Ferientag, und Tom und sie waren nach dem Frühstück schnurstracks in die Bibliothek marschiert. Hermine war bisher nur selten in der Verbotenen Abteilung gewesen, und jedes mal war es ihr schwerer gefallen, sie wieder zu verlassen. Die Bücher zogen sie magisch an, noch mehr als Bücher es sonst taten, und das hatte sicher auch etwas damit zu tun, dass sie unter Verschluss waren. Tom war zielstrebig in eine Regalreihe abgebogen und hatte fast ohne Suchen ein Buch herausgezogen und es sich damit in einer großen Fensternische bequem gemacht. Hermine schlenderte eine Weile unentschlossen durch die langen Regale und griff schließlich nach "Faszination des Bösen oder Warum die dunkle Magie nicht ausstirbt". Sie setzte sich neben Tom in die Nische, schlüpfte aus ihren Schuhen und zog die Beine auf den Sitz. Er sah auf, als sie ihn aus Versehen mit einem Fuß am Bein streifte, und blickte auf ihr Buch. "Faszination des Bösen? Du liest sowas? Hätte ich nicht gedacht." Hermine zuckte mit den Schultern und griff nach seinem Buch, sodass sie den Titel sehen konnte. "'Parselmünder der letzten 3000 Jahre und ihre Schlangen'? Auch nicht gerade eine normale Bettlektüre", gab sie zurück. Toms Lippen kräuselten sich, und ohne zu antworten las er weiter. Hermine schlug ebenfalls ihr Buch auf. ~*~ "Wusstest du, dass Glumbumbelsirup die explosive Wirkung von Erumpent-Sekret aufhebt?", wollte Hermine eine Woche später wissen und blickte von "Höchst potente Zaubertränke" auf. "Faszinierend", brummte Tom unverkennbar sarkastisch, ohne von seinem Buch aufzusehen. "Denkst du, das wusste ich noch nicht?" Hermine schnaubte und strich sich, mit einem Mal wütend, die Haare hinter die Ohren, die ihr ins Gesicht gefallen waren. Nun blickte er doch auf, die Lippen zu einem dünnen Lächeln gekräuselt. Eigentlich mochte Hermine dieses Lächeln, doch im Moment regte es sie noch mehr auf. Diese Momente, in denen er so grenzenlos arrogant war, wurden zwar seltener - oder bildete sie es sich nur ein? - doch sie waren immer noch da und sie hätte ihn dafür jedes Mal schlagen können. Immer, wenn er wieder so furchtbar selbstverliebt daher redete, wurde ihr wieder schmerzhaft klar, wie weit sie noch von ihrem Ziel entfernt war. Sie blätterte die Seite so heftig um, dass sie um ein Haar eingerissen wäre. "Hast du schon mal darüber nachgedacht, statt Affodill Glumbumbelsirup im Trank der lebenden Toten zu verwenden?", erklang nach einem Moment der Stille seine Stimme. Hermine, die sich schon vorgenommen hatte, heute nicht mehr allzu freundlich zu ihm zu sein, verschluckte sich und sah auf. Für Toms Verhältnisse kam das einer Entschuldigung auf Knien gleich. Sie starrte ihn einen Augenblick verblüfft an, dann begann ihr Hirn zu arbeiten und ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. "Das würde die Nebenwirkungen der Schrumpelfeige mildern und die Wirkung fast nicht verändern", gab sie strahlend zurück, bevor sie die Stirn runzelte. "Die Veränderung ist zu einfach, als dass noch nie jemand daran gedacht haben könnte. Es muss einen Haken haben, oder?" Tom legte den Kopf schief. "Nun, der Sirup ist teurer als Affodill, aber das alleine würde es nicht rechtfertigen, dass es keine Rezepte mit ihm gibt. Es könnte sein, dass der Trank dadurch instabiler wird. Vielleicht verdampft ein Teil der Ingredienzien schon bei niedrigeren Temperaturen?" Hermine konnte nicht anders, als ihre Wut zu vergessen, und für die nächste Stunden waren die beiden am Tüfteln. Kapitel 13: Ein Denkwürdiger Tag -------------------------------- 13. Ein Denkwürdiger Tag Am 31. Juli gingen Tom und Hermine, begleitet von den Professoren Dumbledore und Cassady, in die Winkelgasse, um ihre Schulsachen für das nächste Schuljahr einzukaufen. Hermine hätte diesen Tag am liebsten alleine verbracht, in Gedanken bei Harry, aber das war ihr wohl nicht vergönnt. Nun ja, sie war nicht in Hogsmeade gewesen unter dem Jahr, sie war auch froh, das Gelände einmal zu verlassen. Sicher, Hogwarts war ihr Zuhause, aber das bedeutete ja schließlich nicht, dass sie dort eingesperrt war. Die vier machten sich also nach dem Frühstück auf den Weg zu den Grenzen des Grundstückes, wo sie per Portschlüssel in die Winkelgasse reisten. ~*~ Als die Welt aufhörte, sich zu drehen, stolperte Hermine gegen Tom und krallte ihre Finger in seinen Arm, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Sie löste ihre andere Hand von der rosanen Socke in ihrer Mitte und sah sich um. Sie waren in einem Hinterzimmer des tropfenden Kessels gelandet, welches leer war bis auf einen riesigen offenen Kamin - eins der Zimmer, die nur zur Durchreise genutzt wurden. Sie blieben nicht lange dort, sondern gingen gleich in die Winkelgasse. Cassady hatte, als Dumbledore anscheinend mit jemandem im Schankraum ein Gespräch beginnen wollte, darauf bestanden, zusammen zu bleiben und nicht herum zu trödeln. Zuerst gingen sie zu Gringotts, wo Tom mit Dumbledore eines der Verliese besuchte. Soweit Hermine die leisen Worte, die Dumbledore mit dem Kobold am Schalter gewechselt hatte, richtig verstanden hatte, gehörte das Verließ nicht Tom, sondern Hogwarts, und war zur Förderung armer Schüler gedacht. Tom sah nicht besonders glücklich aus, als er mit gefülltem Geldbeutel wieder erschien. Entweder war ihm die Fahrt nicht gut bekommen, oder aber er ärgerte sich darüber, dass er in puncto Geld von Hogwarts abhängig war. Wahrscheinlich beides, dachte Hermine, als sie die Bank wieder verließen. Sie selbst hatte ihr gesamtes Vermögen mit in die Vergangenheit genommen - was einiges war, da sie ihre Muggelsparbücher aufgelöst und umgetauscht hatte, ohne dass ihre Eltern davon wussten - so dass sie nicht zugeben musste, kein Verließ zu besitzen. Als erstes besuchten die vier Madam Malkins. Hermine, Tom und Professor Cassady standen gelangweilt, genervt oder in Hermines Fall amüsiert neben den Umkleiden herum und sahen zu, wie Dumbledore sich einen neuen Umhang in Pink aussuchte. Als nächstes ging es zu einer Filiale von Derwish & Banges, der wohl in dieser Zeit das Monopol für Zaubererbedarf innehatte und nicht, wie in Hermine Zeit, nur in Hogsmeade verkaufte. Tom und sie kauften neues Pergament, Federn und Tinte, und Dumbledore wurde nicht müde, ihnen Tintenfässer in den kuriosesten Farben zu zeigen, unter anderem eines, bei dem sich die Farbe der Tinte beim Schreiben veränderte, und eines, welches blassrosane Schrift mit blauen i-Punkten produzierte. Cassady musste ihn regelrecht aus dem Laden schleifen. Bei Flourish & Blotts trennten sie sich, hier wollte jeder etwas anderes besorgen. Hermine und Tom gingen in den ersten Stock hinauf, wo die Schulbücher verkauft wurden. Schweigend suchten sie die Bücher zusammen. Als sie schon fast alle Fächer beisammen hatten, bimmelte unten die Türglocke, trampelnde Schritte ertönten und jemand schrie: "Grindelwald! Er ist hier!" Hermine schnappte nach Luft und suchte Toms Blick. Einen langen Moment starrten die beiden sich an, dann stellte Tom seinen Bücherstapel ab und lief die Treppe hinunter ins Erdgeschoss, wo mittlerweile die Hölle los war. Hermine biss sich auf die Lippe, folgte ihn dann jedoch. Sie erwischte ihn gerade noch, als er schon fast an der Tür war, und riss ihn am Arm zurück. "Was machst du?", rief sie entsetzt. "Du kannst da jetzt nicht rausgehen!" "Schau", gab er nur zurück und wies nach draußen. Hermine klappte der Mund auf, als sie seinem Finger folgte. Dumbledore und Cassady hatten den Laden verlassen und gingen langsam, mit gezückten Zauberstäben, die Straße hinunter. Die Passanten drängten sich in die Geschäfte, bis auf die zwei war die Straße leer. Fast. Sie machte eine Biegung, sodass Hermine und Tom nicht allzu weit sehen konnten, und hinter dieser Biegung flog mit einem Mal ein Flüchehagel hervor. Die Flüche flogen ausnahmslos alle auf Cassady, die unter dem Sturm schließlich zusammenbrach und reglos liegen blieb. Dumbledore schenkte ihr nur einen kurzen Blick, dann ging er weiter und verschwand hinter der Ecke. Hermine schluckte, als ihr Hirn ihr plötzlich die Tatsache um die Ohren schlug, dass sie vergessen hatte, das genaue Datum des Duells zwischen Dumbledore und Grindelwald nachzuschlagen. Sie bemerkte erst, dass sie Tom losgelassen hatte, als die Türglocke ging und er nach draußen auf die Straße lief. Sie biss die Lippen aufeinander. Ihr Blick wanderte zu Professor Cassady, die sich jetzt langsam wieder regte, aber den Zauberstab verloren hatte, und Tom, der sich hinter die nächste Hausecke kauerte, mit gezücktem Zauberstab, und versuchte, einen Blick auf Dumbledore und Grindelwald zu erhaschen. Sie schluckte den Kloß in ihrem Hals entschlossen hinunter und folgte ihm nach draußen. Geduckt lief sie zu Cassady, kniete sich neben sie und sah die Straße hinunter. Dumbledore stand einem Zauberer etwa in seinem Alter gegenüber, der fast so lange Haare wie er hatte, nur waren seine in einem leuchtenden Blond und um einiges lockiger als Dumbledores. Die beiden kämpften nicht. Sie redeten miteinander, aber so leise, dass Hermine kein Wort verstand. Toms Blick nach zu schließen, verstand er ebenso wenig, auch wenn er hinter seiner Ecke ein ganzes Stück näher an den beiden war. Hermine schluckte und untersuchte Cassady. Sie war wieder bei Bewusstsein, aber ihr Kreislauf war sehr schwach. Sie glaubte nicht, dass sie aufstehen konnte, ohne wieder ohnmächtig zu werden. Gerade, als sie eine Trage herbei zaubern wollte, sah sie aus den Augenwinkeln einen Blitz, riss den Kopf in die Höhe und beschwor nach einer Schrecksekunde den Tueror-Schild vor ihnen beiden. Dumbledore und Grindelwald hatten aufgehört, sich zu unterhalten. Jetzt flogen Flüche zwischen ihnen beiden hin und her. Es war aber kein gewöhnliches Zauberduell. Hermine konnte den Blick nicht abwenden und beobachtete fasziniert, wie Dumbledore einen Schwarm kleiner Vögel gegen Grindelwald schickte, der sie in grüne Flammen verwandelte, die auf Dumbledore zurück flogen. Dieser ließ sie gegen eine Wand aus Wasser krachen, und sie erloschen. Dafür erhob sich nun die Wasserwand zu einer riesigen Welle, die auf Grindelwald zu rauschte. Hermine konnte nicht wegsehen. Dagegen war ihr Duellierstil fast der eines Kleinkindes... Mit einem Schlucken wandte sie sich wieder Professor Cassady zu, die sich gerade stöhnend auf alle viere aufrichtete und sich umsah. Hermine legte ihr die Hand auf die Schulter, um zu verhindern, dass sie aufstand. Als ihre Lehrerin die Lage erkannt hatte, stöhnte sie. "Wo ist mein Zauberstab?", wisperte sie. Hermine zuckte mit den Schulten, zückte dann jedoch ihren eigenen und murmelte: "Accio Professor Cassadys Zauberstab." Cassady schnappte nach Luft und drückte Hermines Zauberstabhand nach unten. "Was tun Sie denn da? Ich hätte nicht gedacht, dass sie etwas so dummes anstellen würden, sollte es einmal ernst werden", zischte sie und blickte besorgt zu Grindelwald hinüber, der sich gerade aus einer magischen Schlange heraus wand. Ein Zauberstab flog ihm aus dem Umhang, er griff danach, erwischte ihn jedoch nicht mehr, und er flog direkt zu Cassady, die ihn aus der Luft fing. Grindelwalds Blick war dem Stab gefolgt und lag nun auf ihnen. Rasch wehrte er Dumbledores neue Attacke ab, dann jagte er einige fiese Flüche und einen Schwarm Fledermäuse auf sie los. Hermine japste und verstärkte ihren Tueror, während Cassady hinter ihr auf die Füße sprang und schwankte. Hermine folgte ihr rasch und stützte sie, bevor sie umkippen konnte. Die Lehrerin ließ einige Gegenflüche los, dann zischte sie mit zusammen gebissenen Zähnen: "Himmel noch mal, warum haben Sie mich nicht einfach liegen gelassen? Jetzt stehen Sie mit in der Schusslinie!" "Ich konnte Sie da nicht liegen lassen! Er hätte Sie jederzeit umbringen können!", gab Hermine ebenso bissig zurück und ließ ihrerseits einen Flüchehagel los. Grindelwalds Lächeln, welches die ganze Zeit auf seinen Zügen gelegen hatte, verschwand. Er wurde ernst, und seine Flüche kamen in kürzerem Abstand. Er wich nicht zurück, auch wenn er jetzt gegen drei auf einmal kämpfte. Hermine schluckte. In diesem Moment bemerkte Cassady Tom. "Riddle", zischte sie. "Was zur Hölle denkt er eigentlich, was er da tut? Einfach mal so nebenbei ein tödliches Duell beobachten, nur weil es interessant ist! Er sollte aus der Schusslinie, verdammt!" Tom saß immer noch reglos, aber mit gezücktem Zauberstab, hinter der Hausecke. Hermine schluckte und blickte zu ihm hinüber. Für einen irrwitzigen Moment war sie froh, dass er dort stand, weil sie sich absolut nicht sicher war, auf welcher Seite er denn mitkämpfen würde, sollte er mitkämpfen, dann schrie Cassady auf und Hermine sah mit Schrecken, dass sie sich zu lange hatte ablenken lassen. Eine neue Ladung Flüche kam auf sie zu, und einer davon brachte ihren Schild zum Bersten. Hermine hatte keine Zeit mehr, zu reagieren. Ein Fluch traf sie in die Magengrube und schleuderte sie ein paar Meter rückwärts durch die Luft. Der Aufprall an einer Hauswand presste ihr alle Luft aus den Lungen und sie brüllte auf. Schließlich sackte sie benommen am Fuß der Wand zusammen. Einen wundervollen Moment lang wünschte sie sich, einfach ohnmächtig zu werden - dann hustete sie und ihr Blick wurde wieder klarer. Ihr Zauberstab lag dort, wo sie vorher gestanden hatte, außer Reichweite. Cassady war nicht weit davon ohne Hermine, die sie stützte, wieder in die Knie gegangen und schaffte es anscheinend gerade noch, nicht wieder umzukippen, und Dumbledore hatte sich so vor Grindelwald gestellt, dass dieser Cassady nicht im Blick hatte - allerdings lag Hermine nicht direkt hinter Cassady, sodass Grindelwald sie sehr wohl sehen konnte. Sie stöhnte leise. "Accio Zauberstab", flüsterte sie. Doch nichts geschah. "Accio Zauberstab", wiederholte sie drängender. Doch noch immer klappte es nicht. Das war der Hake an zauberstabloser Magie - sie funktionierte nur bei vollster Konzentration, und Hermines Schädel dröhnte so laut und sie brauchte so viel Kraft, um nicht einfach umzukippen, dass es nicht reichte. Sie presste die Lippen aufeinander und versuchte, so unauffällig wie möglich aus der Schusslinie zu kriechen. Doch sie war nicht schnell genug. "Na, na, Mädchen!", rief eine höhnische, dunkle Stimme. Hermine stellten sich alle Nackenhaare auf. Das musste Grindelwald sein. "Du willst doch nicht einfach so sang- und klanglos verschwinden? Nachdem du Cassady so mutig beschützen wolltest?" Hermine schluckte, biss die Zähne zusammen und kroch schneller. Die Stimme klang viel zu melodisch für einen Bösewicht, dachte sie zusammenhanglos. Ihr Hirn wollte ihr nicht mehr recht gehorchen. Ihre Beine anscheinend auch nicht, oder aber Grindelwalds Flüche waren einfach zu schnell. Sie kamen als helle Blitze auf sie zu gejagt, ohne dass sie die Möglichkeit gehabt hätte, auszuweichen. Ihr Herz machte einen Satz, als sie sie aus den Augenwinkeln sah, und sie nahm ihre ganze Kraft zusammen, um noch schneller zu kriechen - auch wenn sie irgendwo in ihrem Unterbewusstsein wusste, dass sie es nie rechtzeitig schaffen würde, ihnen zu entkommen. Und dann, als sie schon jeden Moment damit rechnete, getroffen zu werden, erklang ein dumpfes Dröhnen und - ihr geschah nichts. Sie sah auf. Vor ihr schwebte ein leuchtender Tueror-Schild, ebenso wie vor einer erneut bewusstlosen Cassady. Tom hatte sich an der Hauswand aufgerichtet, den Zauberstab erhoben, und huschte konzentrierte von Haus zu Haus, in ihre Richtung. Hermine atmete erleichtert aus, und ihr rasendes Herz beruhigte sich wieder. Eine Last, von der sie nicht gewusst hatte, dass sie sie überhaupt trug, schien ihr von den Schultern zu fallen, als Tom sich neben sie kniete, schon fast nebenbei die Zauber abwehrte, die in ihre Richtung flogen und fragte: "Alles in Ordnung?" Hermine nickte, unfähig, etwas zu sagen. Sie hatte wirklich gezweifelt, ob er sich nicht doch, falls er eingreifen sollte, auf Grindelwalds Seite stellen würde, doch hier war er, neben ihr, und hielt ihr eine Hand hin, um ihr aufzuhelfen. Rasch ergriff sie sie und klammerte sich an seine Schulter, als sich die Welt um sie herum zu drehen begann. Er kämpfte noch, doch er schaffte es irgendwie, dabei ruhig stehen zu bleiben, sodass Hermine sich auf ihn stützen konnte, bis sie alles wieder klar sah und ihr Kreislauf wieder funktionierte. Nach einer Weile, als die Welt wieder still stand, sah sie vorsichtig wieder auf, immer noch eine Hand auf Toms Schulter und eine um seinen linken Arm geklammert. Dumbledore hatte Grindelwald zurückgetrieben, von ihnen weg die Straße hinunter, und sie konnte ihn kaum noch sehen. Schließlich verschwanden die beiden aus ihrem Sichtfeld. Tom ließ den Zauberstab sinken und sah sie an. "Wie fühlst du dich?" "Ich lebe noch", murmelte sie. "Du?" Toms Lippen kräuselten sich. "Blendend", gab er ironisch zurück. Sie stellte fest, dass auch er etwas wacklig auf den Beinen war - er lehnte sich in ihren Griff. Irgendein Fluch musste ihn auch erwischt haben. Sie zog eine Augenbraue hoch. "Was hat dich erwischt?" "Keinen Schimmer", gab er leise zurück. Hermine biss sich einen Moment auf die Lippen, dann fiel ihr Blick auf Professor Cassady, die immer noch ohnmächtig mitten auf der Straße lag. Der Lärm des Duells war schon ein Stück entfernt, doch noch immer war die Straße menschenleer. "Wir müssen sie hier wegbringen", meinte sie und deutete auf ihre Lehrerin. Tom nickte. Hermine schlang ihm einen Arm um die Schultern, und er packte sie ebenfalls mit einem Arm um die Taille, und zusammen schafften sie die paar Meter zu Cassady hinüber. Tom schwenkte seinen Zauberstab, und Hermines eigener schwebte zu ihr herüber. "Danke", murmelte sie. Die beiden gingen neben ihrer Professorin in die Knie, und Tom weckte sie mit einem Wink seines Zauberstabs. Sie setzte sich langsam auf und blickte mit bewölktem Blick durch die Gegend, als ein ohrenbetäubender Knall ertönte. Aus den umliegenden Läden erklang Geschrei. Hermines Blick huschte hoch. Hinter der Hausecke, wo Dumbledore und Grindelwald verschwunden waren, leuchtete etwas magisches. Das Leuchten währte nur einen kurzen Augenblick, dann erlosch es wieder. Sie schluckte. Irgendwas war gerade geschehen. Sie hoffte, dass der Knall nicht Dumbledore erwischt hatte, sondern Grindelwald. Cassady fluchte und griff nach ihren Zauberstab, doch sie schaffte es nicht einmal auf die Knie. Daraufhin fluchte sie noch mehr. "Wir müssen hier weg", sprach Hermine das Offensichtliche aus. "Wir können alle drei nicht mehr anständig kämpfen." Tom brummte zustimmend und beschwor kurzerhand eine Trage neben Cassady herauf. Die starrte ihn ungläubig an. "Ich soll da drauf? Niemals! Ich bin doch kein Invalide!" Sie versuchte erneut, auf die Füße zu kommen, schwankte - und fiel einfach um, wieder ohnmächtig. Tom levitierte sie kommentarlos auf die Trage und ließ die Trage dann auf Bauchhöhe in der Luft stehen. Dann schob er sich den Zauberstab in den Ärmel und griff nach Hermines Hand. Irgendwie schafften sie es, wieder auf die Füße zu kommen, und klammerten sich wie vorher aneinander fest. "Dumbledore hatte den Portschlüssel, oder?", fragte Hermine leise. Wieder brummte Tom. "Verdammt", murmelte sie. Einen Moment lang standen sie unschlüssig mitten auf der leeren Straße, dann tauchte Dumbledore hinter der Ecke auf. Sein Umhang war zerrissen und seine Haare ein ganzes Stück kürzer als vorher, doch er sah recht zufrieden mit sich aus. Neben ihm schwebte ein bewusstloser Grindelwald. Es war, als hätte er irgendeinen Schalter umgelegt, der die Ladentüren bisher geschlossen gehalten hatte und sie jetzt aufgehen ließ. Die Leute strömten auf die Straße, schnattern, jubelnd, kreischend. Sie trampelten um sie alle herum, bestürmten sie mit Fragen, wollten ihnen die Hände schütteln... Hermine wünschte sich schon nach kurzer Zeit, einfach verschwinden zu können. Jetzt verstand sie zum ersten Mal, wie Harry sich wohl immer gefühlt haben musste. Sie hasste es. Schließlich hatte Dumbledore sich zu ihnen durchgeschlagen und hielt Tom die rosane Socke hin. "Der Portschlüssel bringt Sie direkt in die Krankenstation", meinte er ohne sein übliches Zwinkern. "Nehmen Sie Cassady mit. Ich kümmere mich um ihre Schulsachen." Hermine stieß erleichtert die Luft aus und griff nach der Socke. "Danke, Professor", meinte sie einen Moment, bevor die Welt sich auflöste. ~*~ "Mir geht es gut, danke! Ich will nicht über Nacht hier bleiben!" Hermine war langsam am Ende ihrer Geduld. Rasch hatte sie festgestellt, dass die Vorgängerin von Madam Pomfrey, Madam Harper, noch schlimmer und gluckenhafter war. Madam Pomfrey war immer noch irgendwo in Ordnung gewesen, diese Person hier nicht. Sie würde um keinen Preis der Welt länger als unbedingt nötig hier bleiben, auch wenn ihr schon wieder ein wenig schwindelig war. Mit einem bitteren Triumph sah sie, wie Madam Harper schließlich kapitulierte. "Also gut, Mädchen, aber kommen Sie ja nicht wieder und betteln um einen Stärkungstrank, hören Sie?" Hermine schüttelte den Kopf. Keine gute Idee, die Welt verschwamm für einen Moment. "Danke." Sie machte sich auf den Weg nach draußen. Laufen war auch keine gute Idee alleine. Wieder schwankte die Welt, und es wurde mit jedem Schritt schlimmer. Doch sie würde den Teufel tun, jetzt zusammen zu klappen. Nicht vor Madam Harpers Nase. Tom hatte es schließlich auch geschafft, ihr zu entkommen, da konnte es doch wohl nicht so schwer sein, es ihm gleichzutun! Nach einer gefühlten Ewigkeit hatte sie es endlich nach draußen geschafft und die Tür zum Krankenflügel fiel hinter ihr zu. Sie stöhnte leise und stützte sich mit einer Hand an der Wand ab, um den Schwindel loszuwerden. "Na, auch entkommen?", ertönte Toms Stimme aus dem Halbdunkel. Sie blinzelte. Er saß auf einer Steinbank in einer Nische und hatte den Kopf in die Hände gestützt. Sie stolperte mehr, als dass sie lief, zu ihm hinüber. "Ja, aber frage nicht, wie." Er lachte leise. "Mir dreht sich auch immer noch alles." Hermine seufzte. "Lieber schwindlig als eine Nacht mir ihr eingesperrt zu sein." Tom brummte zustimmend und stand langsam auf. Hermine reichte ihm eine Hand, und er hielt sich an ihr fest. Sie schlang ihm wieder ihren Arm um die Schultern, und in stillem Einverständnis legten sie den Weg zum Ravenclawgemeinschaftsraum zurück - fast ohne Schwanken. Drinnen angekommen, setzten sie sich auf eins der Sofas, die in Richtung der Glaswände ausgerichtet waren. Die Sonne versank gerade über dem Verbotenen Wald. Sie waren länger im Krankenflügel geblieben, als Hermine gedacht hatte. Eine Weile schwiegen sie, doch es war kein unangenehmes Schweigen mehr, wie zu Beginn der Ferien. Dann gab sie sich einen Ruck und fragte leise: "Tom?" Er wandte den Blick vom Fenster ab und sah sie an. "Danke." Sie lächelte müde. "Wofür?", wollte er wissen, Verblüffung in der Stimme. "Du hast mir das Leben gerettet. Ohne dich hätte Grindelwald mich umgebracht, als ich meinen Zauberstab verloren hatte." Tom erwiderte nichts, er schien ein wenig peinlich berührt zu sein. Hermine biss sich auf die Lippe, doch sie brachte zu Ende, was sie sich vorgenommen hatte. Sie umarmte ihn. Einen Moment lang war er wie erstarrt, doch gerade, als Hermine sich mit flammenden Wangen wieder zurückziehen wollte, spürte sie seine Hand auf ihrem Rücken und er erwiderte die Umarmung. Eine Weile hielten sie sich fest, dann löste Tom sich langsam wieder von ihr. Sie lächelte breit, als sie es sich auf ihrer Seite des Sofas gemütlich machte und ihre Füße auf die Sitzfläche zog. Er sah regelrecht süß aus, so ratlos, wie er gerade guckte. Es war offensichtlich, dass ihn diese Umarmung überfordert hatte und er nicht wusste, wie er jetzt mit ihr umgehen sollte. Immer noch zufrieden lächelnd schloss Hermine die Augen. Kurz darauf war sie eingeschlafen. Was sie nicht mehr mitbekam, war, dass Tom, solange noch Licht durch die großen Fenster fiel, den Blick nicht von ihr nahm. Als die Dunkelheit sich endgültig über den Gemeinschaftsraum legte, machte er sich nicht die Mühe, den Kamin zu entzünden. Er schlüpfte ebenfalls aus seinen Schuhen und legte sich komplett auf das Sofa. Wenig später war er ebenfalls eingeschlafen. Kapitel 14: Aussprachen ----------------------- 14. Aussprachen Hermine wurde von einem dumpfen Schlag wach. Sie blinzelte. Es war fast komplett dunkel, nur der Mond beleuchtete den Gemeinschaftsraum. Einen Moment lang wusste sie nicht, wo sie war, doch schließlich kehrte die Erinnerung an den vergangenen Abend zurück und sie lächelte leise. Dann sah sie sich um, was den Schlag verursacht haben könnte - und sah einen missmutigen und verschlafenen Tom neben dem Sofa liegen. Offensichtlich war er im Schlaf hinunter gefallen und dadurch aufgewacht. Sie streckte sich und gähnte vernehmlich. Tom fluchte. "Na herrlich. Jetzt bist du auch noch wach." Hermine sah ihn verständnislos an. "Was ist daran so schlimm?" Er schnaubte und krabbelte zurück auf das Sofa. Seine Haare standen wirr in alle Richtungen ab, und Hermine konnte nicht anders, als diesen Anblick süß zu finden. "Dass du mich so siehst?" Er sah sie an, als hätte sie ihn gefragt, was eins und eins ergibt. Sie lächelte. "Jeder sieht zerzaust aus, wenn er schläft", gab sie ruhig zurück. "Und denkst du, ich wäre noch nie vom Sofa oder aus dem Bett gefallen?" Er fuhr sich mit der Hand durch die Haare und gähnte. "Na, wenn du meinst... Aber wehe, jemand erfährt irgendwas hiervon!" Ihr Lächeln wurde breiter. "Wieso sollte ich jemandem etwas davon erzählen? Keiner würde glauben, dass man mit dir auch nur ansatzweise auskommen kann, geschweige denn, auf dem gleichen Sofa zu schlafen." Tom brummte, dann stand er auf und entfachte ein Feuer im Kamin. Er blieb davon stehen und starrte in die Flammen, den Rücken zu ihr. Er drehte sich nicht um, als er fragte: "Was erzählst du deinen Freunden dann, wie die Ferien waren?" Hermine seufzte leise. "Frag mich was leichteres. Am liebsten würde ich ihnen gar nichts erzählen. Von gestern schon gar nicht, und dass wir uns verstehen, brauchen sie nicht zu wissen. Ich denke, ich werde einfach nur sagen, dass wir die meiste Zeit gelesen haben..." Tom drehte sich um und setzte sich wieder auf das Sofa. "Danke", sagte er so leise, dass sie es fast nicht gehört hätte - doch sie hörte es. Ein breites Lächeln erschien auf ihrem Gesicht. Eine Weile schwiegen sie, dann fragte Hermine: "Warum willst du nicht, dass jemand erfährt, dass du auch nett sein kannst?" Er sah sie an, plötzlich wieder sehr verschlossen. "Ich will nicht schwach sein", kam seine Antwort nach einer langen Stille. "Ich brauche niemanden." Hermine schluckte. Sie wollte etwas sagen, ihn davon überzeugen, dass er nicht schwach war, wenn er Freunde hatte - doch sie wusste absolut nicht, wie sie es am dümmsten ausdrücken sollte. Das hieß, sie wusste schon, wie sie es jemand anderem erklärt hätte, aber Tom war anders. Schließlich entschloss sie sich ebenfalls zu ein wenig Verletzlichkeit. Sie schob einen mentalen Fühler zu seinem Geist, stoppte aber, bevor sie seine Okklumentikbarrieren erreichte. Seine Augen weiteten sich einen Tick, ansonsten rührte er sich jedoch nicht. Sie biss sich auf die Lippe. Das hier war ein Balanceakt, der alles verderben konnte - oder aber einen gewaltigen Schritt vorwärts bedeutete. Sie zapfte ihre positiven Gefühle für Tom aus ihrem Geist ab - sie wunderte sich selbst ein wenig, wie viel sie dort fand - und zeigte sie ihm. Er schnappte nach Luft. Sie lächelte verschmitzt und betrachtete ihn ruhig, wie er ihr da verdattert am anderen Ende des Sofas gegenüber saß und versuchte, diese Information irgendwie zu verdauen. Es gelang ihn anscheinend nur sehr langsam. Hermine jedoch konnte warten. Sie studierte jedes Zucken, jeden Schatten, den die Flammen warfen, jede Bewegung in seinem Gesicht. Es war schon erstaunlich. Zu Beginn hatte sie kaum Gefühle in diesen Zügen gesehen, doch nun sah sie Verunsicherung, leise Hoffnung, Verbitterung, Einsamkeit und Entschlossenheit in rasendem Wandel. Sie schluckte, als er nach einer Ewigkeit den Mund öffnete und heiser flüsterte: "Woher nimmst du den Mut, anderen deine Gefühle zu zeigen? Hast du keine Angst, enttäuscht zu werden?" Sie biss sich auf die Lippe. War es das? War das der Grund, warum er nie richtige Freunde gehabt hatte? "Ich... ich weiß nicht", gab sie ebenso leise zurück. "Ich habe schon manchmal Angst, aber... meistens kann ich recht gut einschätzen, ob jemand ablehnend reagieren würde oder nicht. Ich..." Sie stolperte über die Worte. Noch immer klangen sie nicht genau so, wie sie sie haben wollte, aber besser würden sie nicht werden. "Ich denke, es ist kein Zeichen von Schwäche, anderen zu zeigen, was man fühlt. Ich meine, ist man denn zusammen nicht stärker als alleine?" Sie sah, wie Tom die Lippen zusammen presste. "Natürlich, aber... wenn du alleine bist, kann dir niemand in den Rücken fallen." Hermine öffnete den Mund, schloss ihn wieder, öffnete ihn erneut und fragte verzagt: "Hat dir schon einmal jemand vollkommen vertraut?" Es war, als würden sich kleine, stahlgraue Türen hinter Toms Augen schließen. Sein Blick wurde dumpf, und seine Miene verschloss sich. "Ich denke, du kennst die Antwort", meinte er bitter. Sie schluckte. Schließlich beugte sie sich nach vorne und griff nach seiner Hand. Sie drückte sie kurz und hielt sie fest. Die Stille zwischen ihnen wurde größer und legte sich wie ein Tuch über sie. Doch Tom zerfetzte dieses sanfte Tuch mit seiner nächsten Frage so abrupt, dass Hermine sich vorkam, als hätte ihr jemand einen Eimer Eiswasser ins Gesicht geschüttet. "Tust du es denn?" Sie schnappte nach Luft - und entschloss sich dann für die Wahrheit. Mit Lügen würde sie ihm letztendlich mehr wehtun, und das konnte und wollte sie nicht. "Nicht vollkommen. Ich würde dir gerne vertrauen, aber der Satz, dass du die Muggel in deinem Waisenhaus am liebsten umbringen würdest..." Tom nicke langsam. Seine Hand zuckte in ihrer, doch er zog sie nicht zurück. "Du bist ehrlich zu mir. Das ist mehr, als ich von allen anderen sagen kann", meinte er nach einer Weile. Dieser Satz gab Hermine den Mut, ihn ihrerseits zu fragen: "Und was ist mit dir?" Toms Gesicht verzog sich fast zu etwas wie einer Grimasse. "Frag mich etwas leichteres", gab er leise zurück und starrte in die Flammen. "Ich bin noch nie jemandem wie dir begegnet", wisperte er schließlich zögerlich. "Ich vertraue niemandem, aber wenn ich mir eine einzige Person aussuchen müsste, der ich vertrauen sollte..." Hermines Herz pochte mit einem Mal doppelt so schnell wie vorher, und sie umklammerte seine Hand noch etwas fester. Schließlich schüttelte Tom jedoch den Kopf. "Ich weiß nicht viel über dich. Um ehrlich zu sein, glaube ich nicht an deine Geschichte mit Morgana. Und solange ich nicht weiß, woher du gekommen bist und warum, kann ich dir nicht vorbehaltlos vertrauen." Mit einem Mal schien Hermine zu fallen, direkt durch die Sitzfläche des Sofas, durch den massiven Steinboden, die vielen Stockwerke hinunter, und auf dem massiven Grundgestein im Erdgeschoss aufzuschlagen. Das war garantiert nicht so geplant gewesen. Doch sie hätte eigentlich damit rechnen müssen, dass er ihre magere Lüge durchschauen würde... Schließlich lächelte sie wehmütig. "Danke, dass du ehrlich zu mir bist." Tom zog eine Augenbraue hoch. "Das heißt, du bist wirklich nicht aus Kanada und du willst mir die Wahrheit nicht erzählen?" Seine Miene wurde düster. Sie presste ihre Lippen zusammen. Das hier lief aus dem Ruder. Es lief verdammt noch mal viel weiter aus dem Ruder, als sie vorgeplant hatte, und sie musste sich schnell etwas einfallen lassen. Verdammt schnell. Eine vage Idee formte sich in Ihrem Kopf. Sie dachte kurz darüber nach, dann stand sie auf und zog ihn mit auf die Beine. Sie musste handeln. Das, was sie vor hatte, war zwar ziemlich mies, aber anders ging es nicht. "Komm mit", meinte sie kalt und entschlossen. Tom folgte ihr widerstandslos, er ließ noch nicht einmal ihre Hand los, als sie den Gemeinschaftsraum verließen. "Was hast du vor?", wollte er wissen, als sie einige Treppen nach unten nahm, durch die stockdusteren Korridore. "Wirst du sehen." Nach einigen Minuten des Schweigens steuerte Hermine zielgenau die Toilette der Maulenden Myrthe an. Sie hatte sich bereits ein paar Mal mit Myrthe unterhalten, als sie alleine unterwegs gewesen war, und Myrthe war zu dem Schluss gekommen, dass Hermine durchaus erträglich war - zumindest hatte sie beim letzten Besuch vor den Sommerferien so etwas verkündet. Als Tom bemerkte, wohin sie gingen, wurde er langsamer, doch Hermine zog ihn unbarmherzig weiter, ohne ihn auch nur einmal anzusehen. Sie stieß die Tür auf und trat ein. Der Boden war ausnahmsweise einmal trocken, und Hermine steuerte die Kabine an, in der Myrthe im Klo hauste. Sie klopfte an die angelehnte Kabinentür. "Myrthe? Kann ich dich kurz sprechen? Es ist wichtig." Ein Rauschen ertönte, dann schwappte eine Ladung Wasser aus der Kloschüssel, und Myrthe tauchte auf. "Oh, Hermine! Du bist es! Was ist denn so wichtig?" Hermine schluckte. "Ich... ich will dich nicht verletzen oder so, aber ich muss es wissen. Wie bist du gestorben?" Bevor Myrthe auch nur die Gelegenheit hatte, zu antworten, riss Tom sich von Hermine los und rief laut: "Was?" Seine Worte hallten von den Wänden wieder, als er sie fassungslos anstarrte. Hermines Gesicht wurde hart, und sie zog blitzschnell den Zauberstab. Bevor Tom wusste, wie ihm geschah, hatte sie ihn entwaffnet. "Wag es, wegzulaufen, und ich gehe zu Dumbledore", meinte Hermine nur, bevor sie sich wieder Myrthe zuwandte. "Tut mir Leid, dass er uns unterbrochen hat." Myrthe lächelte. "Schon okay. Du bist die erste, die mich das gefragt hat, weißt du? Nicht einmal meine Lehrer gleich nach meinem Tod. Dabei sollte man meinen, sie hätten die Aufgabe, herauszufinden, was dahinter steckt..." Sie schnaubte. "Jedenfalls... Ich weiß es nicht genau. Ich war hier drinnen und habe geweint, weil ich wieder mal geärgert worden bin. Dann habe ich gehört, dass ein Junge etwas gesagt hat... ich weiß nicht was, ich habe es durch das Wasserrauschen von den offenen Wasserhähnen nicht mitbekommen. Ich drehe immer die Wasserhähne auf, wenn ich hier weine, weißt du, damit nicht alle merken, dass ich traurig bin und sich darüber lustig machen können." Hermine nickte und lächelte schwach. "Verständlich." "Naja, ich bin jedenfalls aus meiner Kabine gekommen, weil ich ihm sagen wollte, dass hier für Mädchen ist, aber ich habe ihn nicht gesehen. Alles, was ich gesehen habe, waren zwei große, gelbe Augen - und dann war ich tot." Hermine schluckte. "Einfach so?" Myrthe nickte. "Ich weiß auch nicht, wieso. Als ich dann als Geist wieder gekommen bin, war ich alleine hier. Keine Ahnung, was das war." Hermine nickte langsam. Ihr Magen verknotete sich, als ihr wieder klar wurde, dass Tom ein Mörder war. Und sie hatte wirklich begonnen, ihn zu mögen... Wie hatte sie das nur verdrängen können? "Danke, dass du mir das erzählt hast, Myrthe. Wir gehen dann wieder und lassen dich weiter schlafen." Myrthe nickte. "Kein Problem. Gute Nacht." "Gute Nacht." Hermine packte Tom am Handgelenk und zerrte ihn fast grob den gleichen Weg wieder zurück in den Gemeinschaftsraum. Dort angekommen, stellte sie sich ihm gegenüber, den Zauberstab auf sein Gesicht gerichtet und seinen sicher in ihrem Umhang mit der anderen Hand gepackt. Toms Gesicht war blass, aber gefasst. "Myrthe ist durch einen Blick aus großen gelben Augen gestorben. Sie wurde ansonsten nicht angegriffen oder verletzt. Sie ist eine Muggelstämmige. Und davor wurden andere Muggelstämmige versteinert." Sie sah Toms Adamsapfel sich bewegen, als er schluckte. "Das einzige, was diese Folgen auslösen könnte, ist ein Basilisk. Und es wird immer wieder von Slytherins Monster gesprochen, dass angeblich in der Kammer des Schreckens haust. Und ganz zufällig war Slytherin ein Parselmund, genau wie du einer bist. Mal ganz abgesehen davon, dass Hagrid es nicht gewesen sein kann und du mir persönlich gesagt hast, dass du die Muggel in deinem Waisenhaus am liebsten umbringen willst." Sie seufzte schwer und ließ ihren Zauberstab sinken. "Du wirst niemandem erzählen, dass meine Geschichte erstunken und erlogen ist, und ich werde dich nicht ausliefern. Du musst dich allerdings damit abfinden, dass ich dir nicht erzählen werde, woher ich komme und warum ich hier bin. Deal?" Sie hielt ihm seinen eigenen Zauberstab hin. Er verengte seine Augen. "Woher weißt du, dass ich dich nicht einfach umbringe, wenn du mir die Gelegenheit dazu gibst?" Hermine biss sich auf die Lippe. Ihr Herz flatterte vor Angst. Schließlich beschloss sie, noch einen Schritt weiter zu gehen. Schlimmer konnte es sowieso nicht mehr werden. "Weil du mich zumindest ein bisschen magst, auch wenn du mir nicht vertraust." Er zog eine Augenbraue hoch. "Und woher willst du das wissen?" Ein trauriges Lächeln erschien auf ihren Lippen. "Du erzählst mir von dir. Du rettest mir das Leben. Du läufst an meiner Hand durch die ganze Schule, ohne dich zu wehren, auch wenn ich hinter dein Geheimnis gekommen bin. Das liegt doch auf der Hand, oder?" Etwas in ihm schien zu verlöschen, und er schrumpfte einige Zentimeter. Langsam griff er nach seinem Zauberstab. "Deal." Sie gab ihm seinen Stab zurück. Er sah auf. "Es ist eine verdammte Verschwendung, dass du nicht in Slytherin bist, weißt du? Hinterhältig genug bist du." Sie lächelte. "War das ein Kompliment oder eine Beleidigung?" Seine Lippen kräuselten sich. "Wie du es lieber hast." ~*~ Hermine starrte missmutig in ihre Kaffeetasse. Sie hatte in der restlichen Nacht nicht mehr viel Schlaf gefunden, auch wenn sie wieder in ihrem Bett geschlafen hatte statt auf dem Sofa. Die Tatsache, dass sie Tom mochte, machte ihr zu schaffen. Konnte sie einen Mörder wie Tom gerne haben? Durfte sie es überhaupt? Andererseits war er endlich ein Freund auf ihrer Wellenlänge, mit den gleichen Denkmustern und dem gleichen Wissensdurst. Sie konnten stundenlang nebeneinander sitzen und lesen, oder über alles mögliche diskutieren. Vor zwei Wochen hatten sie sogar einen neuen Zauberspruch erfunden. "Miss Wilson?", riss sie Dumbledores Stimme aus ihren Grübeleien. "Ich würde Sie nach dem Frühstück gerne sprechen. Es ist sehr wichtig." Hermine nickte mechanisch und nahm einen Schluck Kaffee. ~*~ Eine Viertelstunde später machte sie sich mit Tom und Dumbledore auf den Weg zu dessen Büro. Es war ziemlich irritierend, als sie zu McGonagalls künftigem Büro gingen statt zu dem des Schulleiters. Tom wartete draußen, und Hermine trat ein. Kaum hatten die beiden sich gesetzt - in grellorangene Sessel am Kamin - wurde Dumbledore ernst. "Wussten Sie, dass das Duell gestern war?" Hermine brauchte einen Moment, bis ihr klar wurde, was er meinte. Dann schüttelte sie den Kopf. "Ich wusste, dass es irgendwann dieses Jahr passieren müsste. Ich wollte das genaue Datum noch nachschlagen, habe es aber vergessen." Dumbledore nickte langsam. Eine Weile starrte er ins Feuer, dann straffte er die Schultern und blickte sie ohne sein übliches Lächeln oder Zwinkern an. "Nichtsdestotrotz haben Sie sich in ein Duell eingemischt, das sicher in den Geschichtsbüchern auftauchen wird, wenn Sie ohne nachzuschlagen das Jahr wissen. Sie bringen mehr Unordnung in diese Zeit, die nicht Ihre ist, als Sie sollten." Hermine schluckte und entgegnete ebenso fest: "Ich tue, was ich tun muss, Sir." Dumbledore seufzte. "Mag sein, aber was genau tun Sie? Es hat etwas mit Tom zu tun. Was wird er in der Zukunft anstellen, das Sie verhindern wollen?" Hermine presste die Lippen aufeinander. Erst Tom, jetzt Dumbledore... Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass seit gestern Nacht alles schief lief. Sie atmete tief durch und entgegnete entschlossen: "Das darf, will und werde ich Ihnen nicht sagen. Mit Verlaub, Sir, damit würde ich die Zeitlinie erst recht durcheinander bringen. Immerhin sind Sie jetzt, wo Grindelwald aus dem Verkehr gezogen worden ist, einer der mächtigsten Zauberer der Welt." Dumbledore nickte langsam. "Verstehe. Dann werden Sie aber auch verstehen, dass ich mich jetzt verstärkt Ihrem Zeitumkehrer widmen werde und sobald ich den Zauber umgekehrt habe, Sie in ihre Zeit zurückschicken werde." Die Welt um Hermine schien sich einen Moment lang zu drehen, bevor sie tief Luft holte. Sie konnte nicht gehen. Wer weiß, was Tom anstellen würde, wenn sie einfach verschwand, noch bevor sie ihn soweit verändert hatte, dass er keine Mordgelüste gegen Muggel mehr hegte... "Ich werde nicht freiwillig gehen, ehe ich das erreicht habe, weshalb ich hier bin, das ist Ihnen hoffentlich klar", gab sie mit Nachdruck zurück. Dumbledore seufzte. "Bekomme ich auch eine Prognose, wann das der Fall sein wird?" Hermine senkte den Blick. "Ich fürchte, nein. Wie Sie bemerkt haben, hat es mit Tom zu tun, und er ist schwer einzuschätzen. Wenn es nur um mich ginge, würden Sie eine bekommen, aber dem ist nicht so." Dumbledore nickte. "Gut, dann... das wäre alles. Sie können gehen." Hermine erhob sich, aber kurz vor der Tür wandte sie sich noch einmal um. "Falls Sie mich früher zurückschicken wollen, als ich gehen will, werde ich mich mit allen Mitteln wehren, haben Sie verstanden? Es ist mir egal, ob ich damit alle Punkte für Ravenclaw verliere oder schlimmeres, aber gegen meinen Willen bekommen Sie mich so leicht nicht von hier weg." "Ich verstehe", meinte Dumbledore leise. Hermine schluckte, dann straffte sie die Schultern und trat auf den Gang hinaus. Tom, der an eine Wand gelehnt gewartet hatte, schloss sich ihr schweigend an, als sie zum Gemeinschaftsraum zurück marschierte. Das Gespräch mit Dumbledore hatte ihr gezeigt, dass sie sich beeilen musste, aber es hatte auch ihre Gedanken geklärt. Sie würde tun, was sie musste. Da war es egal, ob sie Tom nun mochte oder nicht. Sie wollte weitere Morde verhindern, nicht ihm die zum Vorwurf machen, die sie nicht hatte verhindern können. Sie sollte ihn nicht wie einen Mörder, sondern wie einen Menschen behandeln, ansonsten würde er auf ewig ein Mörder bleiben. Oben angekommen, seufzte sie und fuhr sich mit der Hand durch die Haare. "Hast du Lust, an den See runter zu gehen? Ich brauche jetzt frische Luft." "Gerne", meinte Tom und packte mit einem Wink seines Zauberstabs ihre Bücher zusammen. "Was hältst du von Zauberschach? Langsam werden die Karten langweilig." Hermine lächelte gequält. "Ich bin eine furchtbare Spielerin, aber meinetwegen." Wenig später lagen sie auf der saftigen Wiese auf ihren Umhängen, die sie in der warmen Morgensonne nicht brauchten, und spielten Schach. Hermine war nicht ganz bei der Sache, doch sie hatte wieder einen Plan. Einen Monat hatte sie Tom noch für sich, und den würde sie nutzen. Kapitel 15: Magisches Blut, Träume und Albträume ------------------------------------------------ 15. Magisches Blut, Träume und Albträume Die nächsten Tage wurde es eher noch heißer, obwohl die Sonne jetzt im August schon wieder früher unterging. Hermine und Tom verbrachten ihre Tage draußen am Seeufer. Die meiste Zeit lagen sie entweder im Gras und spielten Karten oder Schach oder sie saßen nebeneinander an den Stamm einer alten Weide gelehnt und lasen. Kurz nach Toms Quasi-Geständnis, die Kammer des Schreckens geöffnet zu haben, waren sie beide recht schweigsam gewesen. Doch nach und nach fachsimpelten sie wieder zu viel wie vorher. Zwei weitere Zaubersprüche wurden ausgetüftelt und neue Trankrezepte kreiert. Fast sehnte Hermine sich schon nach dem Ende der Ferien, wenn Professor Slughorn wiederkommen würde und sie sie endlich ausprobieren konnten. Doch so produktiv ihre Diskussionen auch waren, nie gingen sie über die sachliche Ebene hinaus, bis Tom eines Tages fragte: "Bist du wirklich eine Halbblüterin oder war das auch eine Lüge?" Hermine sah von ihrem Buch auf, zögert und meinte dann weich: "Macht das einen Unterschied?" Tom riss den Mund auf, um anscheinend heftig zu protestieren, schloss ihn dann jedoch wieder und musterte sie stumm. Sie lächelte. "Was würdest du sagen, wenn ich dir sagen würde, dass ich eine Reinblüterin oder Muggelstämmige wäre? Würdest du mir überhaupt glauben?" Seine Lippen kräuselten sich. "Die Reinblüterin würde ich dir abnehmen, das Schl - die Muggelstämmige nicht." Hermine ignorierte seinen "Versprecher", zog eine Augenbraue hoch und richtete ihren Zauberstab auf sich selbst. "Veritas", sagte sie klar und deutlich. Es war einer der Zauber, die sie zusammen erfunden hatten. Er wirkte wie das Veritaserum, war allerdings kein Trank, sondern eben ein Zauber. Sie sah Tom direkt in die Augen. "Ich bin muggelstämmig." Nichts geschah. Hätte sie gelogen, hätte ihr Kopf angefangen, rot zu glühen und sie dazu gezwungen, die Wahrheit zu sagen. Tom klappte der Mund auf. Hermine lächelte schmal und ließ den Zauberstab sinken. "Es kommt nicht darauf an, ob deine Eltern magisch sind. Es kommt nur darauf an, was du aus deiner Magie machst." Tom starrte sie noch einen Moment lang entsetzt an, dann wandte er sich abrupt von ihr ab und blickte stur in sein Buch. Sie schluckte und berührte ihn vorsichtig an der Schulter. "Tom?" Er zuckte wie vom Schlag getroffen zusammen und sah auf. "Was hast du gegen Muggelstämmige?" Er antwortete nicht. Stattdessen packte er seine Bücher zusammen und setzte sich kommentarlos an einen anderen Baum. Hermine lehnte sich zurück, schloss die Augen und seufzte. Sie hoffte, sie hatte ihn jetzt nicht endgültig verschreckt. ~*~ Als Hermine und Tom an diesem Abend zusammen ins Schloss zurückkehrten, sprachen sie kein Wort miteinander. Sowohl beim Abendessen, als auch im Gemeinschaftsraum schwiegen sie sich an. Hermine seufzte schwer, als sie ihre Bücher um acht Uhr abends zusammen packte. Die Funkstille zwischen ihnen hatte ihr die Laune verdorben. Sie hatte es nicht einmal geschafft, das zu behalten, was sie heute gelesen hatte. Das war ihr schon seit Jahren nicht mehr passiert. Sie fühlte sich entsetzlich alleine. Sie machte sich auf den Weg zu den Schlafsälen, auch wenn es draußen noch hell war. Kurz vor der Wendeltreppe blieb sie jedoch noch einmal stehen und sah zu Tom zurück. Er saß in einem Sessel an der Fensterfront und starrte auf die Ländereien hinaus. Nichts deutete darauf hin, dass er ihre Anwesenheit überhaupt bemerkte. Der Anblick gab ihr einen Stich. Es konnte so schön sein, sich mit ihm zu unterhalten - und doch trennten sie im Augenblick Welten. "Ich weiß nicht, wie es bei dir ist", meinte sie leise, aber deutlich, "Aber mir ist ein Freund wichtiger als ein Stammbaum. Und ich fände es verdammt schade, wenn wir wegen so einer Kleinigkeit nicht mehr miteinander reden würden." Ohne eine Antwort abzuwarten, lief sie die Treppe hinauf. ~*~ In dieser Nacht schlief Hermine schlecht. Sie träumte von grellen, gelben Basiliskenaugen in ihrem Taschenspiegel, die sie erstarrt auf den Rücken fallen ließen. Ein Tom mit roten Augen stand gemein lächelnd über ihr und meinte gehässig: "Es war sehr dumm von dir, mir zu erzählen, dass du ein Schlammblut bist. Du wusstest, dass ich mein Haustier auf alle von euch hetze." Sein Gesicht verzog sich zu einer Grimasse, unter der Hermine das hässliche Antlitz des späteren Lord Voldemorts erkennen konnte, und zischte mit einer beängstigenden Befriedigung in den glühenden Augen: "Crucio." Hermine wollte sich winden, vor Schmerzen brüllen, sich einrollen, sich die glühenden Messer aus der Haut ziehen, die stechenden Nadeln aus jeder Pore ihres Körpers kratzen - doch sie konnte keinen Finger rühren. Sie musste untätig mit ansehen, wie eine gigantische, grüne Schlange zu Tom kroch. Er umarmte sie und - sie hätte gewürgt, wenn sie es gekonnt hätte - küsste sie auf die dicke Schnauze. Als die Schlange sein Gesicht abzüngelte, zischte er, eindeutig in Parsel, doch Hermine verstand jedes Wort. "Töte sie, dann gibt es nur noch uns beide." Die Schlange wandte ihr den Kopf zu, Hermine wollte die Augen schließen, konnte es jedoch nicht - und starrte geradewegs in die dunkelgelben, stechenden Augen des Basilisks. ~*~ Mit einem Schrei wachte sie auf. Zitternd holte sie Luft und starrte an den dunkelblauen Baldachin ihres Himmelbetts, ohne den Stoff wirklich zu sehen. Die Bilder aus ihrem Albtraum zogen wieder und wieder an ihrem inneren Auge vorbei und ließen sich nicht vertreiben. Schließlich gelang es ihr, sich aus den schweißnassen Kissen heraus zu drücken und sich hinzusetzen. Keuchend verbarg sie das Gesicht zwischen den Händen und versuchte, zur Ruhe zu kommen. Doch so recht wollte ihr das nicht gelingen. Ihr Herz flatterte förmlich in ihrer Brust, und ihr Magen hatte sich bei der Vorstellung, Tom könnte den Basilisk küssen, regelrecht verknotet. Schließlich strich sie sich eine feuchte Haarsträhne aus der Stirn, verließ das Bett und warf sich ihren Morgenmantel über. Sie musste eine Weile wach sein, sonst würde der Traum wieder kommen, das wusste sie. Müde tapste sie die Treppe hinunter und setzte sich im Gemeinschaftsraum vor den Kamin, der offensichtlich von den Hauselfen angefeuert worden war, als sie geschlafen hatte. Sie schlang die Arme um die Knie, legte ihr Kinn darauf und starrte in die Flammen. Sie wusste nicht, wie lange sie dort gesessen hatte, als irgendwann hinter ihr Schritte ertönten. Sie wirbelte herum. Tom stand in Pyjama und Morgenmantel am Treppenaufgang zu den Jungenschlafsälen. Einen Moment lang wollte sie ihn anlächeln, dann kam die Erinnerung an den vergangenen Tag wieder und sie wandte sich ohne ein Wort wieder dem Feuer zu. Sie zwang sich, sich nicht nach ihm umzudrehen, als seine leise Schritte näher kamen. Schließlich setzte er sich neben sie. Immer noch sprach keiner der beiden ein Wort, sie blickten bloß in die Flammen. Nach einer gefühlten Ewigkeit, in der die Stille um sie herum Hermine schon beinahe in den Ohren gedröhnt hatte, wisperte Tom: "Erzähl mir von deinen Eltern." Hermine verschluckte sich. "WAS?", gab sie entgeistert zurück und starrte ihn an. Er drehte langsam den Kopf zu ihr. "Wenn du willst, dass ich besser über Muggel denke, dann erzähl mir von ihnen", meinte er ruhig. Hermines Hirn brauchte einen Moment, bis es diese Information verdaut hatte, dann lächelte sie und begann zu erzählen. ~*~ Als Hermine verstummte, graute bereits der Morgen. Sie gähnte vernehmlich. "Warum warst du eigentlich heute Nacht hier unten?", wollte sie wissen. Tom zuckte mit den Schultern und schob ein Holzscheit in das herunter gebrannte Feuer. "Ich konnte nicht schlafen. Zu viel, über das ich nachdenken musste. Du?" Hermine seufzte. "Ich hatte einen Albtraum. Ich wollte eine Weile wach bleiben, damit er nicht wieder kommt." Unwillkürlich war sie ein Stück näher an Tom heran gerutscht. Es tat unendlich gut, wieder mit ihm zu sprechen. "Was für ein Albtraum?", wollte Tom wissen. Hermine presste die Lippen zusammen und antwortete nicht. Sie beobachtete aus den Augenwinkeln, wie er offensichtlich mit sich kämpfte, ihr dann aber eine Hand auf die Schulter legte. Sie war wunderbar warm und gab ihr ein Stück der Sicherheit wieder, die ihr der Traum genommen hatte. "Ich hatte noch nie jemanden, mit dem ich über meine Träume hätte reden können. Ich habe mir oft gewünscht, ich hätte jemanden gehabt." Er machte eine Pause. "Also erzähl. Dann geht es dir besser." Hermine seufzte und schloss die Augen. "Ich habe von dir geträumt. Und... und von dem Basilisken. Du... hast ihn auf mich losgelassen, weil ich... muggelstämmig bin. Ich habe seinen Blick hinter einer Ecke mit einem Spiegel gesehen und wurde versteinert. Dann kamst du und..." Sie brach ab und schüttelte den Kopf. Der Cruciatus hatte sich so echt angefühlt... Sie begann zu zittern. "Hey", wisperte Tom und rückte noch ein Stück zu ihr. "Was hab ich denn so schreckliches getan?" Ein ironischer Unterton schwang in seinen Worten mit, der das Ganze irgendwie erträglicher machte. Sie schluchzte trocken und legte ihren Kopf auf seine Schulter. "Du hast mich mit dem Cruciatus belegt." Sie spürte, wie er erstarrte. "Ich habe WAS?", flüsterte er. Nach einem langen Moment des Schweigens legte er ihr seinen Arm komplett um die Schultern, drückte sie kurz und meinte: "Was ist dann passiert?" Hermine rutschte noch ein Stück näher an ihn heran. Die Nähe zu ihm wärmte sie um einiges mehr als das Kaminfeuer, sein Arm um ihre Schultern half ihr mehr als noch so viele gut gemeinte Worte, zu begreifen, dass es nur ein Traum gewesen war. Sie erzählte Tom noch vom Rest des Traums. Am Ende fühlte sie sich tatsächlich besser, auch wenn sie nicht wusste, ob das daran lag, dass sie ihm davon erzählt hatte, oder daran, dass er sie hier im Arm hielt und damit den Tag des Schweigens zwischen ihnen mehr als wieder gut machte. Eine Weile saßen sie in einvernehmlichem Schweigen dicht nebeneinander. Das Feuer wurde kleiner und kleiner, und draußen ging die Sonne vor den Baumwipfeln auf. Schließlich traute Hermine sich, die Frage noch einmal zu stellen, mit der der Ärger gestern angefangen hatte. "Was hast du gegen die Muggelstämmigen?" Er erstarrte wieder, doch er behielt seinen Arm um ihre Schultern. Sie rührte sich ebenfalls nicht, als ob eine falsche Bewegung die Nähe zwischen ihnen zerstören könnte. "Bevor du gekommen bist... dachte ich, dass alle, die bei Muggeln aufgewachsen sind, eine ähnlich miese Kindheit wie ich hatten und deshalb... aggressiv und unberechenbar geworden sind, wie einige in meinem Waisenhaus. Oder verschlagen und hinterhältig - wie ich, schätze ich mal. Außerdem hatten sie alle keine Ahnung von magischen Traditionen und die meisten hatten auch keine Lust, sich darüber schlau zu machen. Wie wollen sie so jemals in die Zaubererwelt passen? Und ich habe in Slytherin die Reinblüter gesehen, die eine richtig schöne Kindheit hatten, mit allem, was sie sich nur wünschen konnten." Hermine spürte, wie er seinen Kopf sacht auf ihrem ablegte und hielt den Atem an, um ja still zu liegen. Um nichts in der Welt hätte sie sich jetzt bewegt. "Ich habe auch ein paar Muggelstämmige gekannt, die eine furchtbare Wut auf die Zaubererwelt hatten, weil die Zauberer ihnen nie geholfen haben. Das waren zufällig wirklich welche aus kaputten Familien, auf die mein Bild gepasst hat. Allen anderen habe ich nicht geglaubt, wenn sie etwas anderes erzählt haben. Vielleicht auch, weil das die dümmsten aus dem Haufen waren. Deshalb wollte ich verhindern, dass sich Zauberer und Muggel mischen. Damit keine Muggelstämmigen mehr geboren werden, die dann schlecht behandelt werden." Hermine zuckte leicht. "Wie hängt das denn zusammen? Ich dachte, Muggelstämmige sind... nun ja, rein von Muggeln abstammend." "Nein. Nicht ganz. Magie ist ein starkes Gen, sie kann allerdings auch über Generationen schlafen, wenn sie mit starken Muggelgenen zusammen in einen Topf geworfen wird. Du hast irgendwo vielleicht einen magischen Urgroßvater oder so." Hermine brummte. "Müsste ich glatt mal nachforschen." Tom lachte leise. "Ich helfe dir gerne." Sie schnaubte. "Kommt nicht in Frage. Du willst doch bloß wissen, wo ich herkomme. Versuch nicht, abzulenken!" Sie spürte, wie sein Mund sich zu einem Lächeln verzog. "Schuldig im Sinne der Anklage", meinte er. Sie musste ebenfalls Lächeln. Das war wieder einmal typisch für ihn. "Du hast gesagt, das war, bevor du mich getroffen hast. Was denkst du jetzt?" Tom seufzte. "Um ehrlich zu sein, ich bin mir bei vielen Dingen nicht mehr sicher. Du hattest eine schöne Kindheit bei Muggeleltern und bist trotzdem nicht so naiv und unwissend wie die muggelstämmigen Kinder, denen ich nicht geglaubt habe. Im Gegenteil, du bist die einzige, mir der ich mich anständig unterhalten kann." Er machte eine Pause. "Das hat mein ganzes Weltbild durcheinander geschmissen. Wenn ich daran denke, dass ich den Basilisk wirklich auf dich losgelassen hätte unter anderen Umständen..." Er schüttelte sich. "Die Vernichtung von Muggelstämmigen kann nicht die Lösung sein", wisperte er leise, wie zu sich selbst. "Ich kann nicht alle über einen Kamm scheren, das hast du mir gezeigt. Eine magische Überwachung von Geburt an wäre vermutlich sinnvoller..." Hermine wagte kaum, zu atmen. Das war mehr, als sie in so kurzer Zeit zu hoffen gewagt hatte... Mit einem Mal hatte sie eine fast schon unverschämt gute Laune. "Danke, dass du mir das erzählst", flüsterte sie, hob ihren Kopf ein Stückchen von seiner Schulter und umarmte ihn. Diesmal erwiderte er die Umarmung ohne zu zögern. Hermine seufzte glücklich und schloss ihre Augen. Wenn irgendjemand aus der Zukunft sie so sehen könnte, dachte sie zusammenhanglos, sie würden sie alle für wahnsinnig erklären. Und seltsamer Weise ließ sie dieser Gedanke völlig kalt. Die Zukunft war nicht mehr ihre Zeit. Sie gehörte genau hierher, in dieses Jahr, in diese Sekunde, an diesen Ort, zu Tom. Kapitel 16: Sommerabend ----------------------- 16. Sommerabend Hermine setzte ihren Turm in die Mitte des Schachbrettes. "Was ich mich frage", meinte sie und sah zu, wie Tom über seinen nächsten Zug nachdachte. "Wie willst du das eigentlich alles schaffen? Du redest immerhin über eine Revolution der gesamten Zaubererwelt." Tom machte seinen Zug und sah dann erst auf. "Meine Noten schlagen alle Rekorde seit Dumbledores Schulzeit und die meisten Lehrer würden mir mit Freuden ein Empfehlungsschreiben für alle möglichen Stellen ausschreiben. Es sollte kein Problem sein, innerhalb von zehn Jahren Zaubereiminister zu werden." Sie musste lachen. "Bescheiden bist du gar nicht, was?" Seine Lippen kräuselten sich. "Du hast gefragt." Hermine schob die Zunge zwischen die Lippen und studierte das Schachbrett, bevor sie einen Läufer versetzte. Noch immer schlug Tom sie mit Leichtigkeit, doch langsam war sie hinter das Denkmuster dieses Spiels gestiegen. Es ging um Sieg um jeden Preis, auch wenn man dabei fast alle Figuren opfern musste. Sie verstand, wieso Tom dieses Spiel liebte, und seit ihrer Zeitreise war auch ihr die Idee des Spiels nicht mehr fremd. Hatte sie nicht selbst ihr altes Leben aufgegeben, um für eine bessere Welt zu kämpfen, überspitzt gesagt? Jedenfalls brauchte Tom Tag für Tag länger, um sie zu schlagen. Irgendwann würde sie sein Level erreicht haben, das wusste sie. Sie brauchte nur genug Zeit. "Außerdem", fügte er noch hinzu, "Habe ich sowohl die Reinblüter hinter mir, die einen strengeren Umgang mit Muggelstämmigen fordern, als auch die Muggelstämmigen, denen die Integration in die Zaubererwelt wirklich wichtig ist. Die werden meine Reformen mit Sicherheit unterstützen. Auf die anderen können wir sowieso verzichten." Er packte seine Dame, zog sie quer über das Brett und verkündete: "Schach Matt." Hermine fluchte lächelnd und rollte sich auf den Rücken. Der Himmel sah heute aus wie ein blaues Bettlaken, auf dem ab und zu weiche, weiße Federn lagen. Die Sonne war bereits wieder am Sinken. Stille breitete sich zwischen ihnen aus, aber es war eine angenehme Stille. Eine Weile lagen sie beide reglos im Gras, dann ertönten leise Schritte. Einen Moment später schnaubte Tom. "Muss der uns schon wieder nerven?" Hermine setzte sich auf. Dumbledore kam auf sie zu. Als Tom keine Anstalten machte, aufzustehen, blieb Hermine ebenfalls demonstrativ sitzen. Mit wachsendem Unbehagen beobachtete sie jeden seiner Schritte. Seine Ankündigung, sie so bald wie möglich in ihre Zeit zurück zu schicken, lag ihr schwer im Magen. Auf der einen Seite hatte sie Tom so weit, nicht mehr alles mit Mord und Totschlag klären zu wollen, aber... wer wusste schon, wie viel von seinen guten Vorsätzen übrig sein würde, sollte er es jemals bis nach oben schaffen - ob als Zaubereiminister oder Dunkler Lord, war ja letztendlich egal. Außerdem wollte sie ihn nicht verlassen. Ihr altes Leben schien ihr jetzt so fern wie die Erinnerung an Ausflüge mit ihren Eltern, noch bevor sie gewusst hatte, dass sie eine Hexe war. Eine verblasste Erinnerung, nichts weiter. Ihr Leben war hier. "Hermine, Tom", begrüßte Dumbledore sie mit einem Nicken. Sie erwiderten das Nicken beide schweigend. "Professor Dippet ist gerade aus den Ferien zurück gekehrt und möchte Sie beide sprechen, so bald wie möglich. Das Passwort lautet 'Transfiguration'." "Heißt das, auch jetzt sofort?", wollte Tom wissen. Hermine konnte das hinten angestellte 'damit ich es bald hinter mir habe' schon fast hören und schmunzelte leise. "Ja, wenn Sie das denn möchten... Sie sehen aus, als würden Sie sich hier gut amüsieren." Hermine stand demonstrativ auf. "Wir haben gerade zu Ende gespielt, wir gehen gleich zu ihm." Sie verabschiedeten sich von Dumbledore und machten sich auf den Weg zu Dippet. ~*~ "Ah, da sind Sie ja. Schön, Sie wieder zu sehen. Setzen Sie sich doch." Hermine und Tom gehorchten schweigend. Dippet hatte zwar ein wenig Farbe bekommen, doch er sah immer noch reichlich unscheinbar aus. Er setzte sich ihnen gegenüber und machte eine wichtige Miene. Hermine sah Toms Mundwinkel zucken. Er fand das auch noch lustig! Nun ja, sie hatten nichts angestellt über die Ferien, sie hatten wohl kaum eine Standpauke zu erwarten. Wenn man mal von der Geschichte mit Grindelwald absah, zumindest. "Weswegen ich Sie beide sprechen wollte, ist folgendes: Die Besetzung des Schulsprecheramtes im neuen Schuljahr." Er schenkte ihnen einen erwartungsvollen Blick, anscheinend erwartend, das sie ihn mit Fragen löcherten, wen er denn nun ausgesucht hatte. Als sie ihm den Gefallen nicht taten, räusperte er sich und fuhr fort: "Es werden traditioneller Weise immer ein Junge und ein Mädchen ausgewählt. Was den Jungen anging, gab es glücklicher Weise keine großen Schwierigkeiten, einen passenden Kandidaten zu finden." Er blickte zu Tom. "Ich bin sicher, Sie haben es geahnt. Das Amt würde ich keinem der anderen Vertrauensschüler anvertrauen wollen. Meinen Glückwunsch." Tom nickte und brachte ein steifes "Danke" heraus. Hermine war sich nicht sicher, ob er glücklich mit dem neuen Posten war. Seine Miene verriet nichts. Sie würde später noch einmal nachhaken, wenn sie alleine waren, beschloss sie. Dippet seufzte schwer. "Was den Posten des Mädchens angeht, musste ich mir länger den Kopf zerbrechen. Ein Kriterium sind gute Noten, weil damit eine hohe Leistungsbereitschaft einhergeht und auch die Möglichkeit, sich die Zeit so einzuteilen, dass man Zeit für die Aufgaben eines Schulsprechers hat. Was das angeht, sind Sie die unangefochtene Spitzenreiterin, Miss Wilson. Keine ihrer Klassenkameradinnen hat auch nur annähernd einen solchen Schnitt wie Sie." Er senkte den Blick. "Das andere Kriterium jedoch ist Erfahrung als Vertrauensschüler, was Sie in keinster Weise aufweisen. Sie dürften noch nicht einmal alle Ecken der Schule kennen. Insofern wäre es verantwortungslos, ihnen den Posten zu geben." Hermine verschränkte demonstrativ die Arme. "Machen Sie es nicht so spannend", meinte sie mit einem aufgesetzten neckenden Unterton. "Wollten Sie mich nur hier haben, weil wir nicht alleine durch Schloss laufen sollen, oder bekomme ich den Posten?" Sie lächelte versöhnlich, um die Ungeduld in ihrer Stimme zu verbergen. Dippet wollte eine große Show daraus machen, doch sie hatte absolut keine Lust, so zu tun, als würde sie ihn nicht durchschauen. Er schien den Faden verloren zu haben. Es dauerte eine Weile, bis er den Mund wieder auf bekam. "Ja, Sie bekommen ihn, unter einer Bedingung: Tom wird Ihnen den Rest der Ferien alles beibringen, was Sie über diese Schule wissen müssen und noch nicht wissen." Hermines Herz machte einen kleinen Salto. Wenn er wüsste, dass sie schon einmal Schulsprecherin gewesen war und das Schloss besser kannte als er selbst... Sie lächelte breit. "Danke für ihr Vertrauen in mich, Direktor. Ich werde Sie nicht enttäuschen." Selbst in ihren Ohren klang es hölzern, doch Dippet schien es nicht zu bemerken. Sicher, sie würde die Aufgabe gerne wieder übernehmen, doch mit Dippet als Direktor würde es bei weitem nicht so angenehm werden wie mit Dumbledore. Ganz abgesehen von ihrem Lügengerüst. Fast war sie jetzt froh, dass sie zumindest Tom nichts mehr vorspielen musste. Geistesabwesend suchte Dippet in einer Schreibtischschublade nach etwas und reichte ihnen schließlich zwei nagelneue Schulsprecherplaketten. Sie bedankten sich und wurden, nachdem er ihnen erzählt hatte, was Hermine schon wusste über das Amt und ihre Aufgaben, aus dem Büro geworfen. Als sie wieder nach draußen gingen, fragte Hermine: "Wolltest du den Job?" Tom brummte. "Weiß nicht. Auf der einen Seite ist es natürlich immer von Vorteil, Schulsprecher zu sein, aber auf der anderen muss ich einiges an Krempel erledigen, was ich nicht machen möchte. Es ist schon eine Einschränkung." Hermine seufzte. "So in etwa waren auch meine Gedanken. Ich meine, es ist schon toll, aber..." Schweigend traten sie aus dem Schlosstor. Als sie wieder am See angekommen waren, setzte sich Tom und zwinkerte. Tatsächlich, er zwinkerte. "So, dann lass mich mal überlegen, was ich dir über dieses Schloss noch beibringen muss..." Seine Lippen kräuselten sich. "Ich nehme an, du weißt alles, was in 'Eine Geschichte von Hogwarts' steht. Also kommen wir zu den interessanten Dingen, wie zum Beispiel, wo du nicht hingehen solltest, wenn du keinen Basilisken über den Weg laufen willst oder wo die Slytherins ihren Feuerwhiskey bunkern." Hermine lachte. "Doch hoffentlich nur die volljährigen?" Tom schnaubte. "Das sind Slytherins, was erwartest du?" ~*~ Der Sommer ging schneller zu Ende, als es Hermine lieb war. Der August hatte in der Nacht vor dem Kamin nach ihrem Albtraum so lange ausgesehen, so viel Zeit für sie beide alleine, doch jeder Tag schien kürzer zu sein als der vorherige und schneller vorbei zu fliegen. Tom und sie arbeiteten, redeten, forschten an neuen Zaubern, lachten, spielten oder saßen stundenlang an ihrer Weide am Seeufer nebeneinander an den Stamm gelehnt und lasen in dicken Wälzern. Das Thema Muggel hatten sie noch das ein oder andere Mal gestreift, doch nie länger diskutiert. Tom schien noch keine neue, feste Meinung dazu zu haben, und Hermine hatte nicht vor, ihm ihre aufzuzwingen - vor allem, weil sie ab und zu bemerkte, dass er ihr immer noch nicht vertraute. Wie sollte er auch - sie weigerte sich, ihm zu erzählen, woher sie plötzlich unter dem Jahr quasi aus dem Nichts hergekommen war. Wären die Rollen vertauscht gewesen, sie hätte ihm auch nicht vertraut. Doch diese Momente, in denen die Distanz zwischen ihnen deutlich sichtbar wurde, wurden weniger. Ein Außenstehender hätte nicht daran gezweifelt, dass sie ganz normale, gute Freunde waren. Meist fühlte sich Hermine auch so, und sie genoss es in vollen Zügen. Sie war sich manchmal zwar noch unsicher, wie sie mit ihm umgehen sollte, wenn die Sprache auf Muggel kam oder Moral, doch diese Unsicherheit verflog jedes Mal rasch. Das musste wohl an Tom liegen. Er schaffte es irgendwie immer, sie von unangenehmen Themen abzulenken, und Hermine bemerkte das ein oder andere Mal, wie sie sich bereitwillig ablenken ließ. Doch sie war ja schließlich nicht hier, um mit ihm Grundsatzdiskussionen zu führen. Sie wusste sehr genau, dass so etwas seine Meinung nicht ändern würde - er musste sich von sich aus ändern wollen. Sie hatte also kein schlechtes Gewissen dabei, wenn sie einfach die Zeit mit ihm genoss. So eine Freundschaft hatte sie noch nie erlebt. Es war, als wären sie von früh bis spät in einem Rausch, in einem Rausch des Wissensaustauschs, des logischen Denkens und des Erforschens. Hermine spürte förmlich, wie sie jeden Tag ein Stückchen weiter über sich hinaus wuchs, weil sie endlich jemanden gefunden hatte, der ihr nicht nur folgen konnte, sondern ihr auf vielen Gebieten sogar überlegen war. Sie diskutierten über Dinge, die sie vor einem Jahr noch nicht einmal in ihren Träumen für möglich gehalten hatte, und erfanden Zaubersprüche, von denen sie sich schon jahrelang gewünscht hatte, dass es sie gab, es aber immer als unmöglich verworfen hatte. Je kürzer der Rest der Ferien wurde, desto öfter überfiel sie leises Bedauern darüber, ihn bald nicht mehr die ganze Zeit um sich zu haben. Sicher, im Unterricht saßen sie nebeneinander, und sie mussten auch als Schulsprecher zusammen arbeiten, aber es war etwas anderes, mit ihm in einem Turm zu wohnen und quasi nirgendwo ohne ihn hinzugehen. ~*~ Am ersten September befahl Dippet Tom, wieder nach Slytherin umzuziehen, bevor die anderen Schüler in Hogsmeade ankamen. Außerdem sollten Tom und Hermine die Vertrauensschüler am Bahnhof in Empfang nehmen, da diese im Normalfall bereits im Zug über ihre Aufgaben informiert wurden. Sie sollten nicht mit den anderen zu Abend essen, sondern bekamen ein eigenes Zimmer, in dem sie nach dem Essen ihre Besprechung abhalten konnten. An diesem Vormittag war Hermine stiller als sonst. Da es normalerweise sie war, die die meiste Zeit redete, verbrachten sie den Tag recht leise. Nur das Rascheln der Buchseiten störte die Stille der Bibliothek, wo sie in ihrer Nische saßen und lasen. Sie wollten den letzten Tag in der verbotenen Abteilung ausnutzen. Nach dem Mittagessen packte Tom schließlich seine Sachen. Hermine wartete im Gemeinschaftsraum auf ihn, sie wollte ihn zu den Kerkern hinunter begleiten, bevor sie sich auf den Weg nach Hogsmeade machten. Sie steckte gerade ihr Schulsprecherabzeichen auf ihrer Robe fest, als er mit seinem Koffer im Schlepptau die Treppe herunter kam. Sie durchquerten die Schule schweigend. In den Kerkern angekommen, meinte Tom: "Komm ruhig mit, du kennst den Eingang jetzt als Schulsprecherin sowieso schon." Sie schluckte die Trauer, die sie plötzlich überfallen hatte, herunter und lächelte. In der Tat hatte Tom ihr die Eingänge zu allen vier Häusern bereits gezeigt, doch sie war noch nie im Gemeinschaftsraum selbst gewesen. Staunend sah sie sich um. Es ähnelte in keinster Weise dem Gemeinschaftsraum der Gryffindors oder Ravenclaws. Fenster gab es keine. Die steinernen Wände waren schmucklos und schimmerten grün, da die vielen Kugellampen grünes Licht bis in die hintersten Ecken des Raumes verbreiteten. Es gab keine Sofas, stattdessen viele einzelne Lehnstühle. Hermine wunderte das nicht - die Slytherins waren wohl zum Großteil nicht sehr kuschelfreudig und hatten Sofas somit nicht nötig. Auch hier standen einige Schreibtische auf einer Seite des Raumes. Scheinbar waren die Gryffindors tatsächlich das faulste Haus. In dem riesigen Kamin brannte kein Feuer, und Hermine fröstelte. Ob das an den Kerkern an sich oder dem grünen Licht lag, konnte sie nicht sagen. "Komm", meinte Tom und steuerte ein unscheinbare Tür an, die in einen langen Korridor mündete, von dem hier und dort Türen abzweigten. Es fühlte sich falsch an, zu den Schlafsälen zu gehen, ohne eine Wendeltreppe hinauf zu steigen. Sie sollten nicht auf der gleichen Höhe sein. Doch Hermine überwand sich und folgte Tom, der allerdings gleich bei der ersten Tür stehen blieb. Ein Schild hing daran: "Tom Riddle, Schulsprecher". Hermines Hirn machte einen Satz, sie kombinierte blitzschnell, was das heißen musste - und schnaubte. "Dippet hätte ruhig mal erwähnen können, dass ich auch umziehen muss", meinte sie schnippisch. Toms Lippen kräuselten sich, als er die Tür öffnete. "Mach dir nichts daraus. Er ist alt und senil. Ich warte schon seit Jahren darauf, dass er zurücktritt." Er trat ein, und Hermine folgte ihm zögernd. Das Zimmer sah um einiges gemütlicher aus als der Gemeinschaftsraum. Das obligatorische Himmelbett - hier natürlich mit grünen Vorhängen und Baldachin - stand in einer Ecke, ein künstliches Fenster erzeugte eine Illusion der Ländereien draußen, ein kleiner Kamin verbreitete wohlige Wärme und unter dem Fenster stand ein Schreibtisch. Tom lächelte schmal. "Endlich bin ich diese Hohlköpfe aus meinem Schlafsaal los", meinte er und schob seinen Koffer ungeöffnet unter das Bett. Dann schnippte er mit dem Zauberstab und ein Sofa erschien vor dem Kamin. Er bedeutete ihr, sich zu setzen, und ließ sich auf der anderen Seite des Sofas nieder. Hermine seufzte und starrte ins Feuer. "Ich will nicht, dass die Ferien zu Ende sind", sprach sie den Gedanken, der sie seit Tagen verfolgte, aus. Tom schnaubte. "Wieso? Dann gibt es endlich wieder etwas zu arbeiten." Sie lächelte wehmütig, lehnte sich zurück und sah ihn an. "Das ist es nicht. Wir haben in den Ferien sicher nützlichere Sachen erfunden, als wir dieses Jahr lernen werden", meinte sie leise. Seine Lippen kräuselten sich. "Allerdings. Ich habe die Lehrpläne gesehen. Schwachsinn." Ihr Lächeln wurde ein wenig breiter, doch gleich darauf verschwand es. "Es ist wegen dir." Tom blickte sie unschlüssig an, als wüsste er nicht recht, was er darauf erwidern sollte. "Ich meine", fuhr Hermine mit roten Ohren fort, "Wir sehen uns zwar trotzdem noch jeden Tag, aber wir haben keine Zeit mehr für uns... Das werde ich vermissen." Nach einem Moment des Schweigens brummte Tom. Hermine nahm es als Zustimmung. Sie holte tief Luft. "Danke, Tom. Danke für die tollen Ferien." Bevor er irgendwie reagieren konnte, umarmte sie ihn. Offensichtlich hatte sie ihn damit überrumpelt, denn er erstarrte. Die letzte Umarmung war fast einen Monat her, dachte sie zusammenhanglos, doch sie ließ ihn nicht los. Er würde ihr nicht entkommen. Schließlich entspannte er sich und erwiderte die Umarmung. Hermine seufzte leise und legte ihren Kopf aus seine Schulter, ohne ihn loszulassen. Sie wusste nicht, wie lange sie so da saßen, als Tom ihr plötzlich zu wisperte: "Dir auch Danke." Sie lächelte und drückte ihn noch fester. Kapitel 17: Freunde oder solche, die es sein sollten ---------------------------------------------------- 17. Freunde oder solche, die es sein sollten Die Sonne verschwand schon hinter den Baumwipfeln, als endlich das erlösende Schnauben der Dampflok in der Ferne erklang und die ersten Rauchwolken aufstiegen. Hermine atmete erleichtert auf. Mittlerweile spürte sie ihre Füße kaum noch. Sie hätte nicht gedacht, dass der Zug so lange auf sich warten lassen würde. Tom und sie standen nebeneinander auf dem dunklen Bahnsteig und warteten auf die Ankunft ihrer Mitschüler - bestimmt schon eine Stunde lang. Jetzt betrat auch Hagrid den Bahnhof. Hermine hatte sich mittlerweile an seinen jungen Anblick gewöhnt und nickte ihm zu, als er sich an das andere Ende des Bahnsteiges stellte. Tom ignorierte ihn - doch was sollte sie schon groß anderes erwarten? Der Zug kam in Sicht, die zwei Scheinwerfer wurden immer größer und heller, und der Lärm zerriss die Stille. Schließlich kam der Zug mit einem ohrenbetäubenden Quietschen zum Stehen. Fast sofort gingen die ersten Türen auf und eine große, schnatternde Schülertraube ergoss sich auf den Bahnsteig. "Erstklässler zu mir!", rief Hagrid. Hermine musste lächeln. Es war wie immer. Einen Moment später ertönte neben ihr Tom gebieterische Stimme: "Vertrauensschüler zu mir!" Lauren war die Erste, die sie beide fand. Sie fiel Hermine um den Hals. "Hermine! Ich hab dich vermisst! Wie geht es dir? Hattest du schöne Ferien?" Sie drückte Hermine enger an sich und flüsterte ihr ins Ohr: "Hat Tom irgendwas komisches gemacht?" Hermine lächelte. Es tat gut, Lauren wieder zu haben. Erst jetzt bemerkte sie, dass sie ihr gefehlt hatte. "Nein, hat er nicht, keine Sorge", flüsterte sie zurück. Lauren seufzte erleichtert. "Na, ein Glück, ich dachte schon - " Sie wich ein Stück von Hermine zurück und starrte auf ihre Brust. Anscheinend hatte das Schulsprecherabzeichen sie gepiekt, als sie Hermine umarmt hatte. Einen Moment lang starrte sie ungläubig darauf, dann suchte sie wieder Hermines Blick. Mit einem Mal war die Freude aus ihren Augen verschwunden. "Das ist ein Scherz, oder? Du bis noch nicht mal ein Jahr auf dieser Schule!" Hermine schluckte. Etwas unbeholfen zuckte sie schließlich mit den Schultern und meinte: "Frag Dippet doch, ob er das als Scherz gemeint hat. Ich denke nicht, dass er bei so etwas Scherze macht." Lauren wich ein Stück weiter zurück. Ihr Blick huschte zu Toms Abzeichen und sie stöhnte. "Dass du es wirst, Tom, das war klar, Dippet liebt dich, aber... Hermine?" Enttäuschung schwang in ihren Worten mit, und Eifersucht. Hermine presste ihre Lippen zusammen, als sie das hörte. "Ich hab nicht darum gebettelt, falls es dich interessiert", fauchte sie. "Aber ich hab es nun einmal bekommen und werde daraus das Beste machen. Wenn du damit nicht klarkommst, dann geh doch!" Lauren stolperte verletzt noch einen Schritt rückwärts. Hermine schluckte, als sie sah, wie ihre Worte Lauren getroffen hatten. "Tut mir Leid", meinte sie leise. "War nicht so gemeint." Da ertönte plötzlich Toms Stimme in ihren Gedanken: 'Und wie das so gemeint war, Lügnerin.' Er schien amüsiert zu sein. Sie gab ihm bloß einen mentalen Stoß mit dem Ellbogen. Laurens Blick wurde mit einem Mal kalt. "Wie du meinst", gab sie zurück und stellte sich zu den anderen fünf Vertrauensschülern aus Ravenclaw, die jetzt eingetroffen waren. Hermine ließ den Blick schweifen. Es gab zwei Vertrauensschüler pro Haus und Jahrgang, davon immer ein Junge und ein Mädchen. Mit Tom und ihr waren sie also sechsundzwanzig. "Alle da?", meinte Tom. "Gut, wir essen nicht in der Halle, sondern zusammen in einem Zimmer, wo wir danach unsere Besprechung abhalten. Ich habe Kutschen reserviert, wir sollten gehen." Alle nickten stumm, offensichtlich eingeschüchtert von Tom. Lauren schenkte ihr keinen weiteren Blick, als sie zu ihren Ravenclawfreunden in eine Kutsche stieg. Hermine schluckte, starrte einen Moment auf die verschlossene Tür, hinter der sie verschwunden war, und folgte Tom dann in eine andere. ~*~ Wie Hermine den Abend heil überstanden hatte, wusste sie selbst nicht. Viele der anderen Vertrauensschüler musterten sie mit unverhohlener Abneigung. Die Ravenclaws schienen sich Lauren kommentarlos angeschlossen zu haben. Sie saßen als geschlossener, blauer Block am anderen Ende des Tisches. Die Gryffindors hatten sich daneben, ebenfalls als geschlossener Block nieder gelassen, einzig Minerva warf Hermine ab und zu einen entschuldigenden Blick zu. Hermine war etwas verdattert gewesen, als sie bemerkt hatte, dass Minerva eine Vertrauensschülerin war. Sie musste wirklich blind gewesen sein. Doch sie erwiderte Minervas Entschuldigung mit einem Lächeln, wann immer sich ihre Blicke trafen. Es tat gut, dass nicht auch alle Gryffindors gegen sie waren - immerhin war sie in ihrem Herzen irgendwo doch noch Gryffindor. Die Slytherins musterten eher Tom - anscheinend verstanden sie nicht, wie er sich mit einer Ravenclaw so gut verstehen konnte. Einzig die Hufflepuffs scheinen vorurteilsfrei zu sein. Sie unterhielten sich auch mit Hermine und Tom, was der Rest nicht tat, und musterten Hermine lediglich mit höflichem Interesse. Es gab ihr einen Stich, als sie an einen Kommentar Draco Malfoys dachte, den sie - obwohl er von ihm gekommen war - wohl immer irgendwie gelebt hatten. 'In Hufflepuff sind ne Menge Flaschen.' Sie sah jetzt, wie falsch das war. Lucy hatte sie zwar noch nicht gesehen seit dem Sommer, doch sie konnte sich nicht vorstellen, dass Lucy ebenso reagieren würde wie Lauren. Lucy war eine tolle Freundin. Sie erinnerte sich auch an das Trimagische Turnier. Cedric Diggory war ein Hufflepuff gewesen. Die Tatsache, dass der Feuerkelch ausgerechnet einen Hufflepuff als würdigen Vertreter von Hogwarts ausgesucht hatte, sprach doch für sich. Und jetzt hier die Hufflepuff-Vertrauensschüler, die sie als einzige akzeptierten... Mit einem Mal hatte sie ein schlechtes Gewissen den Hufflepuffs aus der Zukunft gegenüber. Sie hatte sich nie die Mühe gemacht, sie kennen zu lernen. Und jetzt war es zu spät. ~*~ Hermine hatte ihren Schlafsaal geräumt und das Einzelzimmer bezogen und fiel jetzt erschöpft in die Kissen. Laurens Blicke, als sie ihre Sachen gepackt hatte gerade eben, hatten ihr den Rest gegeben. Sie fühlte sich schrecklich alleine. Tom war nicht nebenan, sondern am anderen Ende des Schlosses, sie hatten seit Stunden kein privates Wort mehr gewechselt, und sie hatte ihre beste Freundin hier verloren. Hoffentlich würde wenigstens Lucy nicht so schlecht von ihr denken... Hermine fasste einen Entschluss. Sie stand wieder vom Bett auf, warf sich ihren warmen Umhang über, steckte den Zauberstab in die Tasche und machte sich auf den Weg nach draußen. Sie war Schulsprecherin, sie durfte jeder Zeit nachts auf den Gängen patrouillieren oder schauen, ob alle in ihren Betten lagen - was sprach dagegen, Lucy jetzt noch zu besuchen? Es war noch nicht einmal zehn, sie würde mit Sicherheit noch wach sein. Entschlossen verließ sie den Gemeinschaftsraum und marschierte die Treppen hinunter in den Keller. In dem Gang, in dem auch der Eingang zu den Küchen lag, blieb sie vor einem Portrait mit einem alten Zauberer mit Hörrohr stehen, der in einem Pavillon im Grünen saß. Sie lächelte ihn an. "Tut mir Leid, dass ich so spät noch störe. Wäre es möglich, dass Sie mich durchlassen, bitte?" Der Mann quiekte und ließ das Hörrohr fallen. Hermine griff in das Bild hinein. Sie hatte es zwar schon einmal getan, es war allerdings immer noch ein komisches Gefühl. Sie sah ihre Hand auf der Leinwand erscheinen. Vorsichtig griff sie nach dem Hörrohr und gab es dem Mann zurück. Er lächelte müde. "Danke, Kind. Natürlich." Sie erwiderte das Lächeln, auch wenn ihr nicht wirklich danach zumute war. "War doch selbstverständlich." Das Portrait schwang auf und sie trat ein. Der Gemeinschaftsraum der Hufflepuffs hatte Ähnlichkeit mit dem Slytherins. Es war ebenfalls ein lang gezogener Steinsaal. Doch hier gab es wesentlich mehr Schreibtische, noch mehr als in Ravenclaw. Lediglich eine Ecke war voll gestellt mit vielen weichen, dunkelgelben Sofas, die sich alle um den gigantischen Kamin drängten. Bei ihrem Eintreten schnellten alle Köpfe zu ihr herum, und das Schnattern, das den Raum erfüllt hatte, brach ab. Lucy erhob sich von einem der Sofas. "Hermine!" Sie kam auf sie zu und umarmte sie. Hermine atmete erleichtert aus und erwiderte die Umarmung. "Kann ich dich alleine sprechen, Lucy?", fragte sie leise. Diese ließ sie los und griff lächelnd nach ihrem Handgelenk. "Natürlich, komm mit." Sie führte sie in ihren Schlafsaal und bedeutete ihr, sich auf ihr Bett zu setzen. Sie selbst rollte sich neben ihr ein. "Dann erzähl mal", meinte sie lächelnd. "Wie waren deine Ferien? Und wie ist es, Schulsprecherin zu sein?" Hermine seufzte schwer und ließ sich rücklings auf die gelbe Decke sinken. "Lauren spricht nicht mehr mit mir, seit sie es weiß. Ich glaube, sie ist eifersüchtig." Lucy schnappte nach Luft. "Lauren? Na gut, sie war schon immer ehrgeizig, aber... Das kann ich mir irgendwie nicht vorstellen." "Ist aber so. Wie findest du es?" Lucys Hand tastete nach ihrer und drückte sie fest. "Ich freue mich für dich. Es ist zwar etwas ungewöhnlich, aber du hast Spitzennoten, warum also nicht?" Hermine drehte den Kopf und sah sie an. Lucy lächelte aufmunternd. Warme Freude durchströmte Hermine. "Danke", meinte sie nur. Sie wusste, dass Lucy sie verstand. Kapitel 18: Auf ein Neues ------------------------- 18. Auf ein Neues Ihre Fächer hatten sich nicht geändert, daher war auch ihr Stundenplan der Gleiche geblieben. Der erste Schultag war ein Mittwoch, sie hatte Vormittags Zauberkunst und Verteidigung gegen die Dunklen Künste. In beiden Fächern saß sie neben Lauren. Missmutig kippte sie ihren Tee hinunter und packte ihre Tasche am Hufflepufftisch neben Lucy noch einmal neu, um nicht gemeinsam mit Lauren die Halle verlassen zu müssen, die gerade aufstand. Zehn Minuten später verabschiedete sie sich von Lucy und machte sich auf den Weg zu Professor Westons Klassenzimmer. Dort angekommen, sah sie sich um. Sie war recht spät gekommen, doch ihre Lehrerin war noch nicht da. Die Sitzordnung war die gleiche wie im letzten Jahr geblieben. Ihr Blick wanderte über Laurens betont ausdrucksloses Gesicht, den leeren Platz neben ihr und dann zwei Reihen weiter nach hinten, wo Minerva neben einem Jungen aus Ravenclaw saß, den Hermine nicht näher kannte. Sie wusste gerade einmal seinen Namen. Sie holte tief Luft und ging zu den beiden hinüber. "Ähm, Roger?" Roger sah auf. "Hast du etwas dagegen, mit mir Platz zu tauschen? Lauren und ich haben uns gestritten und ich..." Er brummte. "Habs schon mitbekommen." Langsam räumte er seine Sachen zusammen. "Meinetwegen. Soll mir egal sein, wo ich sitze." Hermine zwang sich zu einem Lächeln. "Danke." Sie setzte sich neben Minerva, sobald Roger weg war. Minerva grinste. "Du kennst Roger nicht, oder?" Sie schüttelte den Kopf. "Er ist eine furchtbare Nervensäge. Du hast mir einen Gefallen getan und Lauren ganz schön eins ausgewischt." Hermine musste lachen. "Na dann... hab ich doch gern gemacht." ~*~ In Verteidigung gegen die Dunklen Künste blieb sie ebenfalls im Türrahmen stehen und überlegte, wie sie von Lauren wegkommen konnte, die sie jetzt ganz offensichtlich feindselig musterte. Roger hatte sie die ganze Stunde Zauberkunst zugetextet. Ihr Blick wanderte auf die Slytherinseite der Klasse, wo neben einem schlecht gelaunten Tom eine verschüchterte Delia saß. Delia war eines der Mädchen gewesen, mit denen sich Hermine letztes Jahr einen Schlafsaal geteilt hatte, und soweit sie das mitbekommen hatte, verstand sie sich gut mit Lauren. Sie holte tief Luft und marschierte geradewegs auf sie zu. "Delia?" Delia schreckte hoch und musterte sie dann abweisend. Hermine schluckte. Anscheinend hatte Lauren sie bereits gegen sie aufgebracht. Sie hatte nicht gedacht, dass Lauren so mies sein konnte. "Hast du Lust, mit mir Platz zu tauschen?" Delias Augen weiteten sich, und sie nickte so schnell, dass ihre schwarzen Locken sich fast an der Stuhllehne verfingen. Einen Moment später war sie bereits vorne bei Lauren. Es gab Hermine einen Stich, als sie die beiden tuscheln sah. Sie seufzte schwer und ließ sich auf den nun leeren Stuhl neben Tom fallen. Frustriert fuhr sie sich mit der Hand durch die Haare. "Morgen, Tom." "Morgen", meinte er dumpf. "Immer noch Funkstille zwischen euch?" Hermine schnaubte. "Von mir aus Funkstille bis zu Circes millionstem Todestag. So jemand wie die brauche ich nicht." Tom lächelte mit gekräuselten Lippen. "Besser so, als wenn du niemals erfahren hättest, dass sie so ist." Hermine brummte und holte ihre Feder und das Tintenfässchen aus der Tasche. "Weißt du jetzt, warum ich so ungern vertraue?", fragte er leise. Sie blickte auf und biss sich auf die Lippe. Dann tastete sie unter der Bank nach seiner Hand und drückte sie kurz. "Ja. Trotzdem kann es sich lohnen, man muss nur an den Richtigen geraten." Er zog eine Augenbraue hoch. "Dann bin ich wohl ein ziemlicher Pechvogel, was?" Sie musste lächeln. "Scheint so." Verteidigung gegen die Dunklen Künste mit Tom machte um einiges mehr Spaß, als wenn sie neben Lauren saß. Sie hatten sich zwar schon letztes Jahr in den praktischen Stunden immer duelliert, aber die Theorie war nicht übermäßig spannend gewesen. Jetzt jedoch kommentierte Tom beinahe jeden Satz, den Cassady vorne von sich gab, und nicht selten war er der Meinung, dass ihnen etwas falsch beigebracht oder bewusst ausgelassen wurde. Cassadys missmutiges Gesicht, wenn ausgerechnet Tom schwätzte, war auch ein Anblick für sich, mal abgesehen davon, das er überraschend oft Recht hatte. ~*~ Nach dem Mittagessen, das sie alleine am Ravenclawtisch verbracht hatte, nachdem sie Lauren bei Lucy hatte sitzen sehen, ging sie in die Bibliothek, um in der Freistunde ihre Hausaufgaben zu machen. Sie sah Laurens - und eigentlich auch ihre - Lerngruppe eifrig arbeitend um einen der großen Tische sitzend. Bevor sie sich allerdings zu ihnen setzen konnte, marschierte Lauren an ihr vorbei und zischte ihr dabei noch ein "Wag es ja nicht!" zu, bevor sie sich zu ihren Schützlingen setzte. Etwas in Hermine zog sich schmerzhaft zusammen, als die Kleinen alle auf Lauren einredeten, sie lachte und begann, ihnen nacheinander zu antworten. Sie sollte mit an diesem Tisch sitzen. Sie hatte die Kleinen mittlerweile echt gerne gehabt - und sie half immer gerne. Jetzt jedoch war dieser Tisch tabu. Mit zusammengepressten Lippen ging sie weiter in die Bibliothek hinein - und stand auf einmal vor der Tür zur Verbotenen Abteilung. Dort drinnen war die Fensternische, in der sie so viele Tage verbracht hatte, neben Tom, die Nase in dicken Büchern. So nah und doch so unerreichbar... Sie seufzte schwer. "Hermine!", ertönte in diesem Moment von der Seite eine Stimme. Sie blickte in den letzten Gang vor der Verbotenen Abteilung - und sah an dessen Ende Tom in einer genauso aussehenden Fensternische sitzen, vor der auf einem Tisch seine Hausaufgaben ausgebreitet lagen. Sie schüttelte lächelnd den Kopf und setzte sich zu ihm. "Täusche ich mich oder war diese Nische gestern noch nicht da?" Er kräuselte seine Lippen. "Besondere Umstände erfordern besondere Mittel." Er lehnte sich zurück und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. "Wir sollten zu Dippet gehen und eine Erlaubnis für die verbotene Abteilung einholen. Glenn hatte eine, und der Schulsprecher vor ihm auch. Ich glaube kaum, dass er sie uns nicht gibt." Hermine Laune stieg schlagartig. "Das wäre großartig!" Mit einem versonnenen Lächeln machte sie sich an die Arbeit. Es war wie in den Ferien. Die gleiche einvernehmliche Stille zwischen ihnen. Nur dumm, dass sie bald wieder zum Unterricht mussten... ~*~ Zu Geschichte der Zauberei gingen sie gemeinsam. Hermine ignorierte die Blicke, die Lauren ihr zuwarf, als sie mit Tom die Bibliothek verließ. Sie waren nicht nett. Kaum waren sie auf den Gängen draußen, schnaubte Tom. "Ich kann nicht glauben, dass sie jemals deine Freundin gewesen sein soll. In ihren Gedanken ist kein Funke Zuneigung mehr übrig, nicht einmal mehr eine positive Erinnerung an dich." Hermine sah ihn schräg von der Seite an. "Sag mal, gibt eine auch nur eine Person, deren Gedanken du nicht liest, außer mir und vielleicht Dumbledore?" Toms Lippen kräuselten sich. "Cassady. Ansonsten alle." Hermine musste lachen. "Und, lohnt es sich?" Er grinste regelrecht dreckig. "Also, an was die Leute in Binns' Unterricht alles denken, ist schon sehr interessant..." Hermine schnappte nach Luft. "Keine weiteren Infos, bitte!" Er lachte leise. Ein nachdenklicher Ausdruck schlich sich auf Hermine Gesicht. "Wobei... was Binns selber denkt beim Unterrichten, würde mich schon interessieren..." Tom schnaubte. "Nichts. Rein gar nichts. Sein ganzes Denken besteht nur aus seinem Stoff und vielleicht ein paar Begrüßungs - und Abschiedsworten, die er für den täglichen Umgang braucht. Mehr nicht." "Wundert mich nicht", gab Hermine zurück. Immerhin würde er sogar in fünfzig Jahren als Geist noch unterrichten. Sie unterdrückte den Impuls, ihm davon zu erzählen, und war heilfroh, dass er ihren Geist in diesem Moment in Ruhe ließ. ~*~ Beim Abendessen hatte Hermine sich kurzentschlossen mit zu Tom gesetzt, als sie festgestellt hatte, dass Lauren und Lucy sich am Ravenclawtisch zusammen gesetzt hatten. Die meisten Slytherins - und auch viele aus den anderen Häusern - beäugten sie misstrauisch, doch sie ignorierte die Blicke, die auf ihr ruhten, und unterhielt sich weiter mit Tom. Irgendwann murmelte er ihr zu: "Die halten dich alle für wahnsinnig. Und die Slytherins fragen sich, wie du es schaffst, dich mit mir zu unterhalten, wenn es noch nicht mal sie hinbekommen." Hermine kicherte leise. "Sollen sie ruhig", gab sie zurück. Irgendwie war ihr die Meinung der anderen noch nie so egal gewesen. Hauptsache, sie saß neben Tom. Nun ja, fast. Ihr Blick wanderte zu Lucy, die gerade anscheinend von Lauren zugetextet wurde. Lauren Seitenblicken zu ihr herüber zu schließen, redeten sie gerade über sie. Lucy blickte auf, als hätte sie Hermines Blick gespürt, und sah sie fragend, aber nicht abweisend oder sauer, an. Hermine formte mit den Lippen ein "später" und Lucy nickte. Tom blickte von ihr zu Lucy, kniff die Augen zusammen, und und flüsterte: "Sie weiß nicht recht, was sie davon halten soll, dass du hier bist. Sie denkt allerdings, dass wir uns in den Ferien angefreundet haben könnten, auch wenn sie das bezweifelt, weil ich ihr unheimlich bin. Sie verurteilt dich allerdings nicht, sie will erst wissen, was du dazu sagst." Hermine sah empört auf. "Tom!" Er legte den Kopf schief und zog eine Augenbraue hoch. "Was denn?" Sie seufzte und legte ihr Besteck weg. "Ich weiß zwar, dass du unmöglich Manieren gelernt haben kannst, aber man stöbert nicht einfach in den Gedanken anderer Leute, hat dir das noch nie jemand gesagt?" Seine zweite Augenbraue wanderte ebenfalls in die Höhe. "Vorhin hast du selber darüber gelacht und wolltest wissen, was Binns denkt. Denkst du, du bist besser, weil du es nicht tust?" Hermine biss sich auf die Lippen. Bei Tom war es verdammt einfach, mit Vollgas mit dem Kopf gegen eine steinharte Wand aus Argumenten zu krachen - er war nun einmal ein Genie. Sie holte tief Luft. "Nein, so viel besser war ich heute auch nicht", gab sie zu. "Trotzdem gibt es so etwas wie Privatsphäre." Er zuckte mit den Schultern. "Schon, aber... irgendwas muss ich ja tun. Du solltest eigentlich wissen, wie schnell mir langweilig wird." Sie verengte ihre Augen. "Das ist kein Argument, Tom! Die Sommerferien hast du auch ohne überlebt!" Er grinste. "Nein. Ein paar Lehrer waren ja da." Sie schnappte nach Luft und schlug ihm dann spielerisch auf den Arm. "Trottel." Damit stand sie auf, nickte Lucy zu und machte sich auf den Weg nah draußen. Lucy folgte ihr nur wenige Minuten später, und die beiden setzten sich auf die große Treppe, die vom Eingangstor auf die Ländereien hinunter führte. "Du magst ihn, oder?", fragte Lucy nach einer Weile. "Hmmm", murmelte Hermine. "Ist...ist er dir denn gar nicht unheimlich?", fragte sie unsicher. Hermine seufzte und sah der Sonne beim Versinken zu. "Doch, ab und zu schon. Aber immer seltener." Lucy schnaubte. "Jetzt lass dir doch nicht jedes Wort aus der Nase ziehen! Was findest du an ihm, sag schon!" Hermine lachte, dann blickte sie wieder auf den Sonnenuntergang. "Wir denken ähnlich", begann sie leise. "Wir fühlen uns beide regelmäßig im Unterricht unterfordert und lernen deswegen viel schwierigere Sachen, damit uns nicht langweilig ist. Wir können über Sachen diskutieren, die soweit über Hogwartsniveau liegen, dass kein anderer mithalten kann." Lucy legte ihr einen Arm um die Schultern. "Zwei Genies, hm?" Hermine lachte leise. "Ja, so ungefähr. Er ist aber trotzdem fast überall besser als ich." "Fast?", fragte Lucy aufgeregt. "Wo bist du denn besser?" Hermine drehte sich zu Lucy und sah ihr ins Gesicht. "Er killt mich, wenn ich es dir verrate", meinte sie grinsend. Lucy lachte. "Okay, ich hab nicht gefragt." Hermine suchte ein wenig unsicher Lucys Blick. "Du findest es nicht... schlimm oder komisch, dass ich ihn mag?" Lucy schüttelte den Kopf. "Wieso sollte ich? Wenn du glücklich bist, ist alles in Ordnung." Sie grinste. "Und außerdem sieht er irgendwie weniger furchteinflößend aus, wenn du neben ihm sitzt." Hermine musste lachen. In diesem Moment ertönte eine dunkle Stimme hinter ihnen: "Ich dachte, du wolltest niemandem von den Ferien erzählen?" Die beiden Mädchen zuckten zusammen, als Tom zu sie trat und sich neben Hermine auf die Treppe setzte. Sie fixierte seine Augen. "Sie hat gefragt. Und ich werde sie nicht anlügen, nur um deinen Ruf zu retten." "Verstehe", meinte Tom. "Der dürfte nach dem Abendessen heute eh schon ruiniert sein", fügte Hermine noch hinzu. Tom schnaubte. "Definitiv." Lucy musterte ihn verschüchtert, dann meinte sie leise: "Was hast du denn dagegen, wenn die anderen erfahren, dass ihr befreundet seid? Jeder hat doch Freunde, es ist nichts besonderes." Hermine presste die Lippen zusammen und wartete auf den Knall. Das würde Tom nicht gefallen... Doch zu ihrem Erstaunen legte er bloß den Kopf schief. "Vielleicht hast du Recht. Jetzt kann ich sowieso nichts mehr daran ändern..." Hermine lächelte breit, als ihr Herz einen Salto schlug. Es war einfach zu schön, zu sehen, dass Tom bereit war, mit Lucy zu sprechen. Und das Lucy nicht so viel Angst vor Tom hatte, dass sie ihm nicht sagen konnte, was sie dachte. Was wollte sie mehr? Kapitel 19: Die Zeit läuft... ----------------------------- Hallo alle zusammen! Danke euch allen für eure Kommis, ich hab leider den Überblick verloren, wem ich schon geantwortet habe und wem nicht... tut mir Leid! Viel Spaß mit dem neuen Kapitel! 19. Die Zeit läuft... "Miss Wilson! Auf ein Wort zu mir, bitte!" Hermine schluckte, als Dumbledores Stimme sie erreichte. Die Stunde Verwandlung war zu Ende und ihre Klassenkameraden verließen den Raum. Tom stand ein wenig unschlüssig neben ihrem Pult, doch die schüttelte unmerklich den Kopf und meinte leise: "Geh, ich komme nach." Er zog eine Augenbraue hoch, nickte aber und verließ das Klassenzimmer. Hermine packte ihre Bücher so langsam wie möglich und hielt den Blick gesenkt. Zwei Wochen war der erste Schultag nun her. In diesen zwei Wochen hatte sich einiges getan. Die Ravenclaws in ihrem Jahrgang sprachen kaum noch mit ihr, nur, wenn es sich nicht vermeiden ließ. Sie waren einstimmig der Meinung, dass Hermine Lauren den Schulsprecherposten vor der Nase weggeschnappt hatte. Sie konnte noch so oft beteuern, dass sie Dippet nicht darum gebeten hatte - niemand hörte ihr zu. Mittlerweile war sie nur noch zum Schlafen im Ravenclawturm. Sie stand vor allen anderen auf und blieb abends immer bis nach Mitternacht in der Bibliothek, um den kalten, anschuldigenden Blicken aus dem Weg zu gehen. Hätte sie Tom nicht gehabt, sie wäre wohl schon mehr als einmal zusammen geklappt. Nicht selten hatte er sie, wenn sie bei ihm war, einfach ein paar Stunden auf dem Sofa schlafen lassen. Tom hatte es erstaunlich wenig gekümmert, dass der Rest der Schule sehen konnte, wie gut sie mittlerweile befreundet waren. Hermine war positiv überrascht gewesen. Die Dinge entwickelten sich besser, als sie gedacht hatte. Nun jedoch schlich sich ein Hauch Furcht in ihre Gedanken. Sie steckte den Zauberstab unauffällig in ihren Ärmel, bereit, ihn jederzeit zu benutzen, stärkte ihre Okklumentikwälle und holte tief Luft. Dann richtete sie sich auf, hängte sich ihre Tasche über ihre Schulter und ging langsam nach vorne zum Pult. Dumbledore sah ungewöhnlich ernst aus. "Ich nehme an, Sie werden mir nicht verraten, wie viele Jahre, Tage und Stunden genau Sie in die Vergangenheit gereist sind?" Hermine hielt seinen Blick einen Moment, fixierte dann jedoch mit einer düsteren Vorahnung einen Punkt schräg hinter seinem rechten Ohr an der Wand, als sie den Kopf schüttelte. "Nein. Wie schon gesagt, ich werde nicht freiwillig gehen. Ich habe noch nicht erledigt, weswegen ich hier bin." Dumbledore seufzte. "Das ist bedauerlich. Dann bleibt mir wohl keine Wahl." Hermine sah wieder in seine Augen - ein Fehler. Nicht einmal eine Sekunde später krachte etwas mit einer solchen Wucht gegen ihre Okklumentikschilde, dass sie scharf die Luft einsog und einen Schritt rückwärts machte. Doch die Schilde hielten. "Wie können Sie es wagen?", zischte sie und zückte ihren Zauberstab. "Ihnen ist wohl nicht klar, dass Sie mit dem Wissen, dass Sie aus meinem Kopf bekommen würden, selbst unterbewusst die Zeitlinie mehr durcheinander bringen können, als ich es je getan habe?" Dumbledore strich sich mit bekümmertem Blick über den Bart. "Ich würde niemals jemandem davon erzählen, Hermine, das müssen Sie mir glauben." Hermines Augen verengten sich. "Für Sie immer noch Miss Wilson", zischte sie und schob einen sanften, mentalen Fühler weg, der sich gerade an ihrem Okklumentikwall vorbei schleichen wollte. Er war fast nicht spürbar - doch sie hatte nicht umsonst mit dem fünfzig Jahre älteren Dumbledore Okklumentik trainiert. "Das ändert nichts daran, dass Sie damit bruchstückhafte Bilder aus der Zukunft bekommen würden, die aus dem Kontext gerissen sind und die Sie somit falsch interpretieren würden. Und Sie selbst haben gesagt, sie wollen keine Fragen stellen. Finden Sie sich damit ab, dass ich so lange bleibe, wie ich will." Während sie gesprochen hatte, hatten sich gleich mehrere Fühler an ihren Geist heran getastet. Sie wirkte einen ungesagten Protego - und krachte gegen seine Schilde. Er stolperte rückwärts. "Wie können Sie es wagen-" "Wie können SIE es wagen!", fauchte Hermine. "Noch ein Angriff, und ich erzähle Professor Dippet, dass Sie in meinen Geist eindringen wollten. Das ist gleichzusetzen mit Kindesmissbrauch und würde ihrer Lehrerkarriere ein Ende machen. Wollen Sie das riskieren?" Sie wartete seine Antwort nicht mehr ab, sondern marschierte zur Tür - die verschlossen war. Sie seufzte. "Und wenn Sie mich nicht sofort gehen lassen, kommt Freiheitsberaubung dazu." Es klickte, und die Tür schwang auf. Hermine warf einen letzten Blick zurück auf einen ernst dreinschauenden Dumbledore, dann machte sie, dass sie weg kam. Je weiter sie weg war, desto schwieriger würde es sein, in ihren Geist einzudringen. ~*~ Hermine rannte beinahe die Korridore entlang. Die verwirrten Blicke der anderen Schüler bemerkte sie nicht einmal. Ihre Gedanken wirbelten im Kreis. Dumbledore meinte es ernst - er würde ebenso wenig zögern, sie mit Gewalt zurückzuschicken, wie sie zögern würde, Gewalt einzusetzen, um hier zu bleiben. Sie musste jetzt noch mehr als vorher sichergehen, dass ihre Okklumentikschilde nicht brachen, nicht einmal im Schlaf. Solange er nicht wusste, woher sie kam, konnte er sie auch nicht wegschicken. Aber wenn er bereits so weit ging und Legilimentik einsetzte - was würde er dann als nächstes versuchen? Sie musste gegen alles gewappnet sein. Keuchend blieb Hermine stehen. Sie war, ohne es zu bemerken, zum Eingang des Slytherin-Gemeinschaftsraumes gelaufen, wie so oft in letzter Zeit. Sie hoffte nur, dass Tom hier war und nicht in der Bibliothek. Sie rang gerade nach Luft, da hörte sie etwas. Etwas, vor dem sie sich seit ihrer Zeitreise unterbewusst gefürchtet hatte. Ihr Verstand hatte immer dagegen gehalten und auf harte Fakten verwiesen, doch das Geräusch war da. Ein Zischen, das aus dem Nichts kam oder - aus der Wand. Sie schnappte nach Luft, stammelte das Passwort und drängte durch die erst halb geöffnete Tür. Das durfte doch nicht wahr sein! Warum musste das ausgerechnet jetzt passieren, wenn sie sowieso schon genug Ärger um die Ohren hatte? Mit großen Schritten durchquerte sie den Gemeinschaftsraum und klopfte an Toms Zimmertür. "Herein!" Ein Stein fiel ihr vom Herzen. Er war da. Sie atmete noch einmal tief durch, um ihr immer noch viel zu schnell pochendes Herz zu beruhigen und trat dann ein. Tom saß an seinem Schreibtisch und schrieb gerade etwas. Als er aufblickte, huschte für einen Moment ein Lächeln über sein Gesicht, bevor es einem besorgten Gesichtsausdruck Platz machte und er die Feder weglegte. "Was ist dir denn für ein Flubberwurm über die Leber gelaufen?" Hermine schloss die Tür hinter sich, ließ die Schultasche einfach an Ort und Stelle liegen und tappte zu seinem Sofa, auf das sie sich fallen ließ. Ihre Gedanken gewannen langsam wieder die Oberhand über ihre plötzlich aufgewallte Angst - und ihr kam eine Idee. Vielleicht war es doch nicht so schlecht, dass es gerade jetzt passiert war. "Ich - ich habe etwas zischen gehört. Wie eine Schlange. Aber ich habe nirgends eine gesehen. Es klang fast so, als - als käme das Zischen aus der Wand." Sie sah Tom schlucken. Doch einen Moment später schüttelte er den Kopf und lächelte besänftigend. "Der Basilisk schläft. Garantiert. Ich habe ihn selbst verzaubert." Hermine schnaubte. "Du bist auch nicht unfehlbar, Tom, und - und ich habe Angst." Er setzte sich neben sie. "Wieso?" Sie rollte mit ihren Augen. Erstaunt bemerkte sie, dass sie zwar eigentlich etwas übertreiben wollte, die Angst ihr aber tatsächlich wieder in die Knochen kroch. Sie spielte nicht. "Wenn du einen Fehler gemacht haben solltest und der Basilisk nicht oder nicht mehr schläft... Dann ist er hier irgendwo im Schloss und macht Jagd auf Muggelstämmige. Das heißt, ich falle genau in sein Beuteschema. Ist das Grund genug, um Angst zu haben?" Tom schien einen Moment haltlos verblüfft zu sein, dann legte er ihr einen Arm um die Schultern und meinte leise: "Ich würde dir doch nichts tun." Hermine schnaubte und schob den Arm weg. Diesmal musste sie spielen. Am liebsten hätte sie sich von ihm umarmen lassen und sich sagen lassen, dass alles in Ordnung war und sie keine Angst zu haben brauchte und ihn nie mehr losgelassen, aber - Moment, was dachte sie da überhaupt? Freunde, gut, aber das... Sie schüttelte den Kopf und verdrängte ihre widerspenstigen Gedanken. "Du hast selber gesagt, er schläft. Wenn er also wach ist, ist das nicht auf deinen Mist gewachsen. Ergo kannst du ihm auch nicht gesagt haben, dass er mich in Ruhe lassen soll!" Tom seufzte und fuhr sich mit der Hand über die Augen. "Ich glaube immer noch nicht, dass er tatsächlich wieder wach sein soll. Angst ist nicht rational. Wahrscheinlich hast du irgendetwas ganz harmloses gehört und dir nur etwas eingebildet." Hermine schüttelte energisch den Kopf. "Aber das hilft mir kein bisschen! Wie du gesagt hast, Angst ist nicht logisch, also kannst du sie mir auch nicht ausreden!" Tom ließ die Hand sinken und sah ihr direkt in die Augen. "Was erwartest du dann von mir?" Kapitel 20: Im Angesicht der Schlange ------------------------------------- 20. Im Angesicht der Schlange "Ich halte das ja immer noch für unnötig, aber..." Tom blickte ein wenig skeptisch, während er neben Hermine die dunklen Gänge entlang ging. Hermine schnaubte. "Jetzt hör auf, zu meckern! Du warst einverstanden, oder? Immerhin hast du auch etwas davon." Es war schon spät abends, weit nach der Ausgangssperre. Da allerdings Freitag war, störte es die beiden Schulsprecher nicht sonderlich. Sie hatten den ganzen Abend, mal abgesehen von einem Abstecher zum Abendessen, in Toms Zimmer gesessen und gearbeitet oder geredet. Jetzt waren sie auf dem Weg zum Raum der Wünsche. Tom schüttelte den Kopf, die Mundwinkel gekräuselt. "Dir ist schon klar, dass ich bei weitem mehr davon habe als du, oder? Duelltraining, das dir in der Schule nichts bringen wird, weil du sowieso schon auf Ohnegleichen stehst, und im Gegenzug Nachhilfe im einzigen Fach, dass du besser kannst als ich... Damit wirst du mich in den UTZs gar nicht mehr schlagen können." Hermine musste lächeln. "Besser, als aus Angst vor einer riesigen Schlange nicht mehr schlafen zu können." Und mit den Zaubern, die ich von dir lernen will, komme ich im Notfall eine Weile gegen Dumbledore an, fügte sie in Gedanken hinzu. "Wenn du meinst", gab Tom mit zweifelnder Stimme zurück. Einen Moment später erstarrte er. Hermine blieb ebenfalls stehen suchte fragend seinen Blick, doch dann hörte sie es auch. Ein Zischen. So leise, dass ihre Schritte es übertönt hätten. Tom rührte sich bestimmt eine Minute lang nicht von der Stelle. Hermine suchte unwillkürlich seine Nähe, als das Zischen lauter wurde. Sie hatte sich also nicht getäuscht. Ihr Mund wurde trocken, als sie seine Gesichtszüge betrachtete. Sein vorher leicht amüsierter Ausdruck wich immer mehr konzentrierter Anstrengung - und Besorgnis. Hermine schluckte und versuchte, so tief und ruhig wie möglich zu atmen, doch es half nicht. Bei seinem Anblick hatte sich ihr Herz ängstlich zusammen gezogen und war dann mit doppeltem Tempo losgaloppiert. Der Basilisk war wieder unterwegs, kein Zweifel. Nach einer gefühlten Ewigkeit atmete Tom tief durch und packte sie an den Schultern. "Du hattest Recht. Er ist wach und unterwegs. Ich muss ihn stoppen, und zwar auf der Stelle. Noch einmal komme ich damit nicht davon, mal ganz abgesehen davon, dass du in Gefahr bist." Hermine nickte schwach. Tom atmete noch einmal durch, bevor er leise fortfuhr: "Ich habe nie gewusst, wer das nächste Opfer wird. Ich habe bloß einen Zauber auf ihn angewandt, der ihn Muggelstämmige am Geruch erkennen lässt. Also bist du am sichersten, wenn du bei mir bleibst." Wieder nickte Hermine. Toms Stimme wurde unsicher. "Ich werde ihn jetzt suchen gehen und ihm befehlen, wieder in die Kammer zurückzugehen. Dann gehe ich hinunter und versetze ihn wieder in einen magischen Schlaf. Wie gesagt, du bist bei mir am sichersten..." Er brach ab und biss sich auf die Lippe. Hermines Gehirn schien vor Angst langsamer zu arbeiten als gewöhnlich, und dröhnende Stille breitete sich zwischen ihnen aus, bevor sie erkannte, was er ihr damit sagen wollte. "Du - du willst, dass ich mitkomme? In die Kammer?", flüsterte sie erstickt. Tom nickte. Hermines Mund klappte auf, zu, wieder auf - "Das ist nicht dein Ernst." Sein Griff um ihre Schultern wurde ein wenig fester. "Mein voller Ernst. Ich kann dich nicht zwingen, aber es wäre am sichersten. Ich weiß nicht, wo er ist und welchen Weg er nach unten nimmt. Wenn ich dich jetzt alleine lasse, begegnest du ihm womöglich." Hermine schluckte und senkte den Blick auf ihre Schuhspitzen. Was verlangte Tom da von ihr? Seine rechte Hand verschwand von ihrer linken Schulter und ließ sie kalt zurück, bevor sich seine Finger an ihr Kinn legten und es anhoben, bis sie ihm wieder direkt in die Augen sah. Er wirkte so unsicher wie noch nie. Seine Zunge befeuchtete seine Lippen, und er schluckte deutlich hörbar, bevor er leise fragte: "Hermine... vertraust du mir?" Hermines Herz setzte einen Schlag aus, dann noch einen, bis es schließlich mit nochmals erhöhtem Tempo wieder gegen ihren Brustkorb trommelte. Ihr Hals wurde eng. Einen Moment lang schossen ihr all die Erinnerungen an Voldemort und seinen Krieg durch den Kopf, doch sie wurden rasch von den friedlichen Erinnerungen an ihre Zeit zu zweit und dem übermächtigen Gedanken 'Er hat es noch nicht getan', abgelöst. Plötzlich - mit einer schönen Verspätung, wie sie zusammenhanglos feststellte - wurde sie von einer Welle der Zuneigung für ihn überschwemmt. Er wollte sie nur mitnehmen, damit er auf sie aufpassen konnte. Er machte sich Sorgen um sie. Er wollte ihr nichts böses, im Gegenteil. Sie traf ihre Entscheidung, doch bis ihr Körper ihr wieder gehorchte, dauerte es einige Sekunden. Mühsam schluckte sie den Kloß in ihrem Hals herunter und wisperte: "Ja. Ich vertraue dir." ~*~ Und das tat sie wirklich, stellte sie wenig später ein wenig von sich selbst überrascht fest, als sie dicht hinter ihm durch die Schule lief. Er rief den Basilisken anscheinend auf Parsel, und das körperlose Zischen kam immer näher. Trotzdem hielt sich Hermines Angst nun in Grenzen. Solange sie sich dicht hinter Tom hielt und nur auf seinen Rücken blickte, sich nicht umsah - solange war sie sicher. Irgendwann hielten sie direkt vor einer nackten Steinwand an. Tom drehte sich zu ihr um und legte den Finger auf die Lippen. Hermine nickte rasch. Er drehte sich wieder zur Wand und zischte eindeutig befehlend. Hermine hielt die Luft an. Einen Moment herrschte Stille - dann drang ein Zischen direkt aus der Wand an ihre Ohren. Sie schlug die Hände vor den Mund. Das Zischen wurde langsam leiser und verstummte dann ganz. Tom atmete hörbar aus. "Gut, er geht in die Kammer zurück." Er drehte sich wieder zu Hermine herum, die langsam die Hände sinken ließ und Luft holte. "Bereit?", fragte er leise. Sie presste die Lippen zusammen und schluckte. Dann griff sie nach seiner Hand und nickte langsam. "Bereit." Der Hauch eines Lächelns erschien auf Toms Gesicht, er drückte ihre Hand leicht, dann zog er sie mit sich zum Treppenhaus. Sie waren bis in den fünften Stock gelaufen, und Hermine wunderte sich kein bisschen, dass sie jetzt wieder in den zweiten hinunterstiegen. Kurz darauf standen sie, immer noch Hand in Hand, in der Toilette der Maulenden Myrthe vor den Wand mit den Waschbecken. "Hier?", fragte Hermine leise, und, wie sie hoffte, zweifelnd. Tom nickte und sagte wieder etwas auf Parsel. Hermine schnappte nach Luft, als eines der Waschbecken in der Wand versank und schließlich das Ende eines breiten Rohres freigab, das sie ein wenig an die Wasserrutschen in der Muggelwelt erinnerte. Nur, dass sie da gewusst hatte, was am anderen Ende war. Natürlich hatten Harry und Ron erzählt, was sie dort unten erlebt hatten, aber es war doch noch etwas anderes, selbst vor dieser Röhre zu stehen. Tom setzte sich hinein, hielt sich aber noch an der Wand fest. "Setz dich hinter mich und halte dich an mir fest", befahl er. Hermines Herz flatterte irgendwo in ihrem Hals, als sie gehorchte und ihre Arme um seine Taille schlang. "Keine Angst", murmelte er. "Uns passiert nichts, versprochen." "Hoffen wir es", brummte sie und vergrub ihr Gesicht in seinem Umhang. Im nächsten Moment ließ er los. Hermine schrie kurz auf und klammerte sich fester an Tom, als das Rohr nach dem ersten Meter steil nach unten wegkippte und sie sich einen Moment fast im freien Fall befanden. Sie hätte hinterher nicht mehr sagen können, wie lange die Rutschpartie gedauert hatte. Während sie am Rutschen war, schienen sich Sekunden zu Stunden zu dehnen, doch als sie beide am Ende in einer Pfütze in einem dunklen Korridor landeten, kam es ihr vor, als wären sie nur einen Wimpernschlag unterwegs gewesen. Sie rappelten sich auf und ließen ihre Zauberstäbe aufleuchten. Hermine griff wieder nach Toms Hand und flüsterte: "Was jetzt?" "Komm", murmelte er und machte den ersten Schritt in den langen Gang. Wieder verlor Hermine jegliches Zeitgefühl. Die Wände waren kahl, es gab keine Punkte, an denen ihre Augen Halt fanden. Der Tunnel kam ihr unendlich lang vor. Endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, bogen sie um eine Kurve und standen vor einer Wand, in die zwei Schlangen eingemeißelt waren, die sich umeinander wunden. Hermines Griff um Toms Hand wurde fester, ihre andere Hand mit dem Zauberstab zitterte. Mit einem Mal war die Angst wieder da. "Dahinter ist die Kammer. Hab ich Recht?" Tom nickte. Er musterte die Schlangen einen langen Augenblick lang, dann wandte er sich zu ihr um. "Hermine, hör mir zu. Der Basilisk gehorcht mir zwar, aber er hat hier unten nicht genug zu Fressen. Und wenn er dich riecht, dann werde ich ihn nicht aufhalten können. Wir müssen deinen Geruch neutralisieren, sodass er nur mich riecht. Er kann dich zwar auch sehen, aber seine Augen sind nicht allzu gut. Ein Desillusionierungszauber sollte genügen." Er tippte ihr mit dem Zauberstab auf den Kopf und Hermine spürte den Zauber förmlich, wie er sich über ihren Körper ausbreitete. Sie löschte das Licht an ihrem Zauberstab. "Was hast du wegen dem Geruch vor?", fragte sie mit zitternder Stimme. Tom musterte ihre ineinander verschlungenen Finger. "Ich dachte an eine Abwandlung des Kopfblasenzaubers um deinen ganzen Körper. Die Blase ist dicht. Dafür... müsstest du mich aber loslassen." Doch er machte keine Anstalten, seine Hand aus ihrer zu lösen. Hermine biss sich auf die Lippe. Sein fester Griff um ihre Finger schien mit einem Mal der rettende Anker zu sein, und die Vorstellung, ihn loszulassen, kam in etwa der gleich, mit Atmen aufzuhören. Ein paar Minuten standen sie schweigend da, die Blicke auf ihre Hände gerichtet, und doch konnte keiner der beiden loslassen. Schließlich nahm Hermine sich allerdings ein Herz, als sie spürte, wie die Angst mit jeder Minute, die sie untätig hier stand, größer wurde. Sie ließ seine Hand los, überbrückte mit einem Schritt die Distanz zwischen ihnen und umarmte ihn so fest sie konnte. Seine Arme schlangen sich um sie und hielten sie ebenso fest. Womit sie allerdings nicht gerechnet hatte, war, dass Loslassen hier noch viel schwieriger sein würde. Eine Welle der Zuneigung zu Tom überspülte Hermine, wischte ihre Angst ebenso einfach und schwerelos hinweg wie den dunklen Korridor um sie herum, bis es nichts mehr gab als sie beide, die Wärme, die er ausstrahlte, den Geruch seiner frisch gewaschenen Schuluniform vermischt mit seinem eigenen und die langen, schmalen Finger, die sanft über ihren Rücken strichen. Diesmal war er es, der den Bann nach einer Weile brach und sie sachte, aber bestimmt, ein Stück von sich wegschob. "Bringen wir es hinter uns, Mine", flüsterte er und sah ihr ernst in die Augen. "Hinterher haben wir genug Zeit." Sie nickte, jetzt wieder entschlossener. Er richtete den Zauberstab auf sie und schnippte ihn einmal. Eine fast durchsichtige Blase hüllte Hermine ein. Sie machte probeweise einen Schritt vorwärts - die Blase folgte ihr. Noch einmal holte sie tief Luft, dann meinte sie leise, aber bestimmt: "Okay, ich bin soweit. Gehen wir." Tom nickte. "Bleib direkt hinter mir, schau nur auf meinen Rücken, und sobald die Tür sich wieder geschlossen hat, bleibst du an der Wand stehen und schließt die Augen." Hermine nickte. Tom drehte sich zu der Wand mit den Schlangen um und zischte etwas. Die steinernen Schlangen entknoteten sich und in der Wand erschien ein Spalt. Tom trat ohne zu zögern ein. Hermine beeilte sich, ihm zu folgen, machte einen Schritt zur Seite und als sie die harte, kalte Steinwand in ihrem Rücken spürte, überwand sie ihre Neugier und schloss die Augen. Alles in ihr schrie danach, sie sofort wieder zu öffnen, vor allem, als sie unmissverständliche Schleifgeräusche und zweistimmiges Zischen hörte, doch sie presste die Lider zusammen und widerstand der Versuchung. Solange sie die Augen geschlossen hielt, war sie für den Basilisken unsichtbar und er konnte ihr nichts anhaben. Solange sie hier stehen blieb... Fast hätte sie sie wieder geöffnet, als das Zischen erstarb und Tom stattdessen einen lateinischen Singsang begann, doch sie hielt sich gerade noch davon ab. Nach endlosen Sekunden verstummte auch der Singsang und Hermine hörte nur noch das Plätschern einiger Wassertropfen, das hohl von den Wänden widerhallte. Trotzdem rührte sie sich nicht von der Stelle, bis - "Mine?" Wie von der Tarantel gestochen riss sie die Augen auf und sah sich um. Sie stand am Ende einer lang gezogenen steinernen Kammer, die von Säulen gesäumt wurde, die ebenfalls mit Schlangen verziert worden waren. Am Ende der Kammer war es heller, deutlich hob sich der Umriss von Tom gegen das Licht ab. Er winkte sie zu sich. Sie schluckte und ging langsam los, doch ihre Schritte wurden immer hastiger, bis sie neben ihm stand. Sie wagte jedoch nicht, ihn zu berühren, aus Angst, die Blase zu zerstören. Aus der Rückwand der Kammer war eine Statue einer Zauberers heraus gemeißelt, dessen Gesicht Hermine zur Genüge aus Eine Geschichte von Hogwarts kannte: Salazar Slytherin. Doch nun war sein Mund weit geöffnet, ein riesenhaftes, schwarzes Loch. "Ist er-", flüsterte sie. "Da drin? Ja, und er schläft, aber wer weiß, für wie lange." Hermine wirbelte entsetzt herum und starrte Tom ungläubig an. "Das klingt so, als könnte er jeden Moment wieder aufwachen!" Tom zuckte mit den Schultern, er sah ein wenig hilflos aus. "Das letzte Mal dachte ich, der Zauber würde ausreichen, damit er nicht mehr aufwacht, aber das war ja offensichtlich ein Irrtum." Hermine musste schlucken. "Gibt es denn keine Möglichkeit, den Zauber... stärker zu machen als beim letzten Mal?" Tom legte den Kopf schief. Nach einigen Augenblicken Stille kräuselten sich seine Lippen. "Ja, ich denke schon. Gib mir deine Hand." Er streckte ihr die linke Hand entgegen. Hermine nahm sie perplex. "Was wird das?" "Ich werde deine Magie einfach mit benutzen. Mit der doppelten Magiemenge sollte es funktionieren." Hermine festigte ihren Griff um seine Hand. "Was muss ich tun?", fragte sie nur. ~*~ Zehn Minuten später waren sie auf dem Rückweg, immer noch Hand in Hand. Hermine hatte gar nicht erst losgelassen. An der Rutsche angekommen, fragte Hermine: "Wie kommen wir da wieder hoch?" Tom lächelte nur und zog sie in eine dunkle Nische. Dort zischte er etwas auf Parsel, und bevor Hermine wusste, wie ihr geschah, hob sich der Boden unter ihren Füßen mit einer beängstigenden Geschwindigkeit und sauste durch einen dunklen Schacht nach oben. Hermine quietschte überrascht und schlang die Arme um Toms Taille. Wenig später standen sie in einer Nische in der Toilette der Maulenden Myrthe, die Hermine noch nie bemerkt hatte. Tom schob sie in die Mitte des Raumes, ohne ihre Arme von ihm zu lösen, und die Nische verschwand hinter ihnen, als hätte es sie nie gegeben. "Musstest du mich so erschrecken?", fauchte Hermine, doch es klang nicht halb so sauer, wie sie es beabsichtigt hatte. Tom grinste leicht. "Wo bleibt sonst der Spaß?" Hermine seufzte, schloss die Augen und legte ihren Kopf an seine Brust. "Slytherin", murmelte sie und drückte ihn noch ein wenig fester. Seine Arme legten sich um ihre Schultern wie ein warmer Mantel. "Höchstpersönlich", zischte er ihr amüsiert ins Ohr. Kapitel 21: Ein ganz normaler Geburtstag ---------------------------------------- 21. Ein ganz normaler Geburtstag Drei Tage später tappte Hermine übermüdet zum Frühstück. Der Basilisk schlief zwar wieder, aber sie hatte auf ihr Duelltraining bestanden und so hatten Tom und sie nahezu das ganze Wochenende im Raum der Wünsche verbracht, mit Duellieren, Verwandlungszaubern und ihrer mittlerweile schon üblichen Fachsimpelei. Darüber hatten sie nicht selten die Zeit vergessen, und so hatte Hermine nicht sonderlich viel Zeit zum Schlafen gehabt. Als sie Lucy alleine am Hufflepufftisch sitzen sah, hatte sie mit einem Mal ein schlechtes Gewissen. Sie hatte seit den Sommerferien viel zu wenig Zeit mit ihr verbracht. Sie hatte sich regelrecht in Toms Zimmer verzogen. Das hatte Lucy nicht verdient. Immerhin hatte sie sich nicht auf Laurens Seite geschlagen, sondern hatte Hermine versichert, dass sie weiterhin ihre Freundin bleiben würde. Ihre Füße hatten sie schon halb zum Slytherintisch getragen, als sie die Richtung änderte und sich Lucy gegenüber setzte. "Morgen", murmelte sie und griff wie üblich als erstes zur Teekanne. Lucy sah auf und lächelte. "Guten Morgen! Alles Gute zum Geburtstag!" Hermine klappte der Mund auf. Sie rechnete das Datum nach - tatsächlich, es war der neunzehnte September. Aber wieso wusste Lucy - ? Sie kicherte angesichts Hermines völlig verblüffter Miene. "Sag bloß, du hast deinen eigenen Geburtstag vergessen!" Hermine blinzelte und schluckte. Ihr Hirn arbeitete auf Hochtouren. Der einzige, der ihr Geburtsdatum wissen konnte, war Dippet. Sie hatte ihm schließlich gefälschte Zeugnisse vorlegen müssen. Darauf hatte sie einfach die Jahreszahl geändert, den Tag aber gleich gelassen. Aber wie kam die Info von Dippet zu Lucy? Langsam schüttelte sie den Kopf. "Anscheinend... woher weißt du überhaupt, wann ich Geburtstag habe?" Lucys Blick verdüsterte sich. "Ich hab Lauren mit einer Freundin darüber reden gehört. Anscheinend hat sie es irgendwie raus gekriegt und plant irgendetwas. Sie nennt es eine Geburtstagsüberraschung..." Lucy biss sich auf die Lippe und legte eine Hand auf Hermines. "Sei heute vorsichtig, egal, was du tust. Sie ist immer noch der Meinung, dass sie diejenige ist, die Schulsprecherin hätte werden sollen. Sie könnte sich etwas richtig mieses einfallen lassen." Hermine nickte. Lucy lächelte wieder. "Wie auch immer, das hier ist für dich." Sie fischte ein wunderschön eingepacktes, grünblaues Päckchen unter dem Tisch hervor. Hermine klappte zum zweiten Mal der Mund auf. "Das - das ist für mich? Danke!" Sie stand auf, beugte sich über den Tisch und umarmte Lucy über ihr Frühstück hinweg. Dann wickelte sie das Päckchen langsam aus. Eine wunderschöne Schreibfeder kam zum Vorschein, anscheinend von einem Fasan. Hermine strich bewundernd darüber, und Lucy meinte: "Du brauchst keine Tinte, die Feder füllt sich immer wieder selbst." Hermines Kopf zuckte nach oben. Plötzlich sah sie Harrys Handrücken vor sich, mit den Narben, die die Worte bildeten: 'Ich soll keine Lügen erzählen'. Misstrauisch blickte sie wieder auf die Feder. Dann beschloss sie, Lucy ihren Argwohn nicht an den Kopf zu werfen. Vielleicht war sie einfach nur paranoid. Stattdessen holte sie einen Pergamentfetzen aus ihrer Schultasche und schrieb langsam ihren Namen, immer mit einem Seitenblick auf ihren Handrücken. Doch die Schrift war schwarz, sie spürte keinen Schmerz und ihre Haut sah genauso unberührt aus wie zuvor. Sie schluckte das Misstrauen hinunter und lächelte Lucy an. "Der ist wunderschön. Danke." ~*~ Während Kräuterkunde und Zaubertränke am Vormittag beobachtete Hermine Lauren aus den Augenwinkeln, doch sie benahm sich nicht verdächtiger als sonst. Nur die üblichen abweisenden Blicke. Beim Mittagessen setzte sie sich in sichere Entfernung zu Tom. Langsam wurde sie wirklich nervös. Sie hasste es, untätig abwarten zu müssen und genau zu wissen, dass bald etwas passieren würde. Als Tom und sie eine Stunde später das Klassenzimmer für Verteidigung gegen die dunklen Künste betraten, standen sie in einem Raum, der sehr an 'ihren' Raum der Wünsche vom Wochenende erinnerte - eine große, freie Fläche in der Mitte, Zielscheiben an den Wänden und ein geriffelter, glatter Boden, damit niemand ausrutschen konnte. Bisher hatte der Raum auch zum Duellieren immer wie ein Klassenzimmer ausgesehen, heute war also etwas Besonderes. Cassady stand in der Mitte des Raumes und winkte die herein tröpfelnden Schüler, sich in einen Kreis zu stellen und die Taschen alle in eine Ecke zu legen. "Guten Mittag, Klasse!", rief sie. Das Tuscheln erstarb. "Eigentlich sind wir mit den Duellzaubern fertig, heute wird der letzte Tag sein, an dem wir duellieren üben. Stellt euch in den Paaren gegenüber, die ich vorgegeben habe, und legt los. Es ist alles erlaubt, was legal ist. Wenn ihr euer Gegenüber entwaffnet habt, fangt ein neues Duell an. Zählt jeweils eure Siege und Niederlagen. Ich werde heute Noten machen, also strengt euch an!" Hermine und Tom stellen sich in die hintere Ecke des Klassenzimmers, die sie schon seit einigen Stunden für sich gepachtet hatten. Der Rest der Klasse hielt sich wohlweislich von ihnen fern. Das nächste Pärchen waren Lauren und Delia, stellte Hermine missmutig fest, doch schon eine Sekunde später verschwand alles außer Tom aus ihren Gedanken, als Cassady "Los!" rief. Sie waren mittlerweile, nicht zuletzt dank des vergangenen Wochenendes, gut aufeinander eingespielt. Das Duell war wie immer um einiges härter als das ihrer Klassenkameraden, doch jeder wusste mittlerweile, wie sein Gegenüber kämpfte und hatte sich darauf eingestellt. Das erste Duell kämpften sie 'normal', ab dem zweiten stiegen sie auf die Verwandlungszauber um, die sie die letzten beiden Tage geübt hatten. Hermine hatte oft genug Gelegenheit gehabt, Dumbledore kämpfen zu sehen, um sich einige Flüche zusammenzureimen, die er benutzt hatte, und mit diesen kämpften sie nun. Feuer, Wasser, Wind, Tiere - Es war um einiges schwieriger, machte aber auch um einiges mehr Spaß, stellte Hermine nicht zum ersten Mal fest. Sie steigerten sich immer weiter hinein, ihre Zauber wurden immer größer und mächtiger. Schließlich rauschte eine gewaltige Welle eiskalten Wassers auf Hermine zu, sie zückte den Zauberstab, um sie in einen Strudel zu verwandeln, der wieder zu Tom zurück schwappen würde - aber es funktionierte nicht. Sie hatte nur den Bruchteil einer Sekunde Zeit, bevor die Welle sie erreichen würde - doch der Zauberstab gehorchte ihr mit einem Mal nicht mehr. "Was-?", rief Tom in diesem Moment und Hermine kombinierte blitzschnell, was das heißen musste - Wenn Tom abgelenkt war, dann konnte er die Welle nicht mehr kontrollieren. Sie tat das Einzige, was noch möglich war - sie warf sich auf den Boden, rollte sich zu einer Kugel zusammen, schützte den Kopf mit den Händen und hielt die Luft an. Einen Wimpernschlag später brach die Welle über ihr zusammen und das Wasser verteilte sich im gesamten Klassenzimmer. Es war eiskalt, durchnässte sie bis auf die Knochen und die Wassermassen, die auf sie niederprasselten, drückten ihr die Luft aus den Lungen. Als die Welle verebbt war, richtete Hermine sich bibbernd auf die Knie auf und schnappte nach Luft. Das Zimmer glich einem Schwimmbad. Das Wasser war bestimmt einen halben Meter tief, und die anderen Schüler fluchten, kreischten oder versuchten, in der Ecke ihre Taschen zu retten. Es war ein heilloses Chaos. Hermine schnippte mit den Fingern und ihr Zauberstab kam aus dem Wasser wieder in ihre Hand geflogen. Dann rappelte sie sich auf und schüttelte ihre nasskalte Lockenmähne. "RUHE!", ertönte mit einem Mal Cassadys gebieterische Stimme. Das Geschehen schien einzufrieren. Sie trat, ebenfalls bis zur Hüfte durchnässt, in die Mitte des Raumes und ließ das Wasser mit einem ausladenden Schwung ihres Zauberstabs verschwinden. Mit einem weiteren Schnippen waren ihre Schultaschen in der Ecke und sämtliche Schuluniformen wieder trocken. "Keine Panik, es ist nichts passiert! Weitermachen!" Hermine schüttelte sich noch einmal, um ihre Gänsehaut loszuwerden, da ertönte Laurens aufgeregte Stimme: "Professor! Professor!" Mit einem unguten Gefühl in der Magengegend wandte Hermine sich zu ihr um - und schnappte nach Luft. Lauren kniete neben einem offensichtlich bewusstlosen Tom. Hermine eilte zu ihm und fiel auf seiner anderen Seite auf die Knie. Sie wollte gerade einen Enervate anwenden, da packte Lauren ihre Zauberstabhand und hielt den Stab woanders hin. "Untersteh dich!", faucht sie. "Du hast ihn so zugerichtet! Wag es ja nicht, noch einen einzigen Zauber auf ihn anzuwenden!" Hermine riss ihre Hand los. "Hab ich gar nicht!" "Auseinander, ich mache das", fuhr Cassadys Stimme dazwischen und sie kniete sich ebenfalls neben Tom. Sie schnippte einmal mit dem Zauberstab, doch es geschah nichts. Ihre Stirn legte sich in Falten, und sie führte eine komplizierte Zauberstabbewegung durch. Diesmal hatte sie Erfolg. Tom stöhnte und schlug die Augen auf. Hermine wollte ihn stützen, als er sich langsam aufsetzte, doch Cassady fauchte: "Finger weg!" Hermine zuckte zurück, als ob sie sich verbrannt hätte. "Was für einen Zauber haben Sie verwendet?", fragte sie Hermine. Hermine schüttelte den Kopf. "Keinen! Ich habe die Welle abwehren wollen, und mein Zauberstab hat nicht gehorcht, das ist alles. Ich weiß nicht, was mit ihm passiert ist!" Lauren schnaubte. "Wer es glaubt. Ich hab den schwarzen Blitz doch genau gesehen!" Hermine runzelte die Stirn. "Was für ein schwarzer Blitz?" Cassadys Gesicht verdüstert sich. "Es passt. Ich konnte Mr. Riddle nicht mit einem einfachen Enervate wieder aufwecken." Ohne Federlesen hatte sie Hermine den Zauberstab aus der Hand gerissen. "Haben Sie den Imbecillitas-Fluch verwendet?" Hermine klappte der Mund auf. "Nein! Wieso sollte ich? Er ist verboten und bösartig!" "Und wieso kam dann ein schwarzer Blitz aus deiner Richtung, als die Welle hier für Ablenkung gesorgt hat?", zischte Lauren. Hermine starrte sie verdattert an. "Was für ein schwarzer Blitz? Du lügst doch!" "Das lässt sich feststellen", meinte Cassady und hielt die Spitze ihres Zauberstabs an die Spitze von Hermines. "Prior Incantado." Hermine sog scharf die Luft zwischen die Zähne. Sie kannte diesen Zauber. Jetzt würde sich zeigen, dass sie Recht hatte - doch fassungslos musste sie mit ansehen, wie aus der Spitze ihres Zauberstabs der unverkennbare schwarze Blitz hervorbrach, den nur der Imbecillitas-Fluch verursachen konnte. "Aber", murmelte sie verdattert. Ihr Hirn schien plötzlich auszusetzen, als sie Toms mit einem Mal eiskalte Blick auf sich spürte. Cassady seufzte schwer. "Von Ihnen hätte ich das nicht erwartet, Miss Wilson. Kommen Sie mit, alle drei, wir gehen zum Direktor. Ich muss Ihnen hoffentlich nicht erklären, dass die Konsequenzen für den Gebrauch von schwarzer Magie ernst sind." ~*~ Hermine lief wie betäubt hinter Tom und Lauren die Wendeltreppe von Dippets Büro nach unten. Der leere Fleck auf ihrem Umhang, wo vorher das glänzende Schulsprecherabzeichen gesteckt hatte, schien sich in sie hinein zu fressen. Lauren und sie hatten Dippet beide ihre Version der Geschichte erzählt, und so hätte es Aussage gegen Aussage gestanden, wenn Hermines Zauberstab nicht gewesen wäre. Hermine hatte sich sogar bereit erklärt, unter ihrem eigenen Wahrheitszauber auszusagen, um ihre Version trotz des Zauberstabs zu verifizieren, doch da der Zauber frisch erfunden und noch nicht offiziell zugelassen war, war ihr das nicht erlaubt. Sie hätte sogar Veritaserum geschluckt, doch das war per Schulordnung verboten. Hermine hatte sich selbst ein wenig darüber gewundert, dass sie bereit war, so weit zu gehen, doch sie hatte es sich damit erklärt, dass sie eine Weile in einem Krieg überlebt hatte, in dem Wahrheit Menschenleben retten konnte. Da verlor man Skrupel. Es hatte jedoch nichts genutzt. Sie hatte den Posten der Schulsprecherin an Lauren abtreten müssen und die nächsten Wochen jeden Abend Nachsitzen bei Professor Cassady bekommen. Am unteren Treppenabsatz trat Hermine frustriert nach der Wand. Das war einfach nicht fair! Sie hatte keine Ahnung, was ihr Zauberstab da verbockt hatte, aber sie war es garantiert nicht gewesen! Wieso sollte sie Tom auch einen schwarzmagischen Fluch aufhalsen? Als die Treppe endete, meinte Lauren mit einem eindeutig triumphierenden Lächeln: "Einen schönen Geburtstag noch, Herm!" Dann verschwand sie um die nächste Ecke. Hermine blickte ihr fassungslos hinterher. Mit einem Mal fielen alle Puzzleteile an ihren Platz und sie schnappte nach Luft. Ohne Tom anzusehen, der neben ihr stehen geblieben war, meinte sie: "Sie war es. Ich hab die Welle nicht abwehren können, mein Zauberstab hat gesponnen. Und als ich das Wasser abbekommen habe, habe ich meinen Zauberstab für einen Moment nicht in der Hand gehabt. Und sie war als Erste bei dir und hat mich beschuldigt. Sie wusste sogar, welcher Zauber dich umgehauen hat." Sie blinzelte und starrte immer noch die Ecke an, hinter der Lauren verschwunden war. Einen Moment schwieg sie, dann fluchte sie herzhaft. "Und dieser Trottel von Schulleiter lässt mir keine Möglichkeit, ihm zu beweisen, dass ich nicht lüge!" Tom trat hinter sie und legte ihr eine Hand auf die Schulter. "Ich glaube dir", meinte er leise. Hermine seufzte und schloss die Augen. Die Hand auf ihrer Schulter schien sie bis in den kleinen Zeh zu wärmen. Mit einem undefinierbaren Laut drehte sie sich zu ihm herum, schlang die Arme um seinen Hals und legte ihren Kopf an seine Brust. "Danke, Tom", nuschelte sie. Seine Arme schlossen sich um sie. "Sag mal, hab ich das richtig verstanden? Hast du heute Geburtstag?", wollte er leise wissen. Hermine nickte stumm. Sein Kinn legte sich auf ihren Kopf. "Eigentlich mag ich weder Weihnachten noch Geburtstage oder andere Feiertage", meinte er. "Aber wenn ich es gewusst hätte, dann hätte ich dir etwas geschenkt." Hermine lächelte. Die Wut, die sie im Bauch gehabt hatte, verflog. Stattdessen machte ihr Herz einen Hüpfer. Sie hätte niemals gedacht, von Tom Riddle etwas zum Geburtstag zu bekommen... oder auch nur ihn sagen zu hören, dass er ihr gerne etwas schenken würde... Es war fast zu schön, um wahr zu sein. "Oder... Moment...", murmelte er. Sie sah auf. "Was?" Er wich ihren Blick aus. "Vielleicht habe ich doch etwas für dich", wisperte er fast unhörbar. "Was denn?", gab Hermine genauso leise zurück und schluckte. "Mach die Augen zu", flüsterte er und hielt sie noch ein wenig fester. Hermine gehorchte. Dunkelheit umhüllte sie. Er schwieg einen endlosen Moment lang. Hermines Herzschlag schien sich mit einem Mal zu verdreifachen. Was hatte er vor? Sie hielt den Atem an, als sie seinen warmen Atem auf ihrer Wange spürte. Einen Moment später legten sich seine Lippen sanft auf ihre. Hermines Herz machte einen Satz bis zum Mond und wieder zurück, und bevor sie wusste, was sie tat, erwiderte sie seinen vorsichtigen Kuss. Kapitel 22: Wiedersehen ----------------------- Kapitel 22 - Wiedersehen Am nächsten Morgen wurde Hermine wieder einmal von ihrem aufdringlichen Zauberstab geweckt, der anscheinend gestern etwas unter Lauren gelitten hatte und nun - ob absichtlich oder nicht - nicht mehr auf ihren Bauch zielte, sondern ihr unbarmherzig gegen die Schläfen hämmerte. Sie stöhnte und zog sich die Decke über den Kopf. "Ist ja gut, ist ja gut", brummte sie eine Minute später, als der Stab immer noch nicht aufgegeben hatte. Sie zog sich die Decke wieder herunter, blinzelte in das helle Sonnenlicht und fing ihren Zauberstab aus der Luft, bevor er ihr noch ein Auge ausstechen konnte. Anschließend sah sie sich ein wenig wehmütig um. Es war fast wie an ihrem ersten Morgen hier - sie war noch gestern wieder in ihren alten Schlafsaal umgezogen, Laurens selbstzufriedenen, lächelnden Blick im Nacken. Zum Glück schliefen die anderen Mädchen noch. Hermine schwang ihren Zauberstab, um dafür zu sorgen, dass sie erst aufwachen würden, wenn sie schon weg war, und kniete sich dann neben ihr Bett, um den Schrankkoffer darunter hervorzuziehen. Zeit für einige Sicherheitsmaßnahmen. Die anderen hatten Hermine nicht wieder willkommen geheißen, nein. Sie hatte nur Schweigen und Todesblicke geerntet, als sie ihren Koffer wieder in den Schlafsaal gebracht hatte. Auch im Bad gestern Abend waren sie ihr aus dem Weg gegangen, hatten ihr allerdings das warme Wasser kalt gehext, als Hermine unter der Dusche gestanden hatte. Diesen Leuten vertraute sie nicht mehr. Sie erschuf eine perfekte Illusion ihres Schrankkoffers, samt Ersatz-Schuluniformen. Ihren richtigen Schrankkoffer verkleinerte sie und packte ihn mit in die verkleinerte, alles fassende Tasche, die sie immer mit sich herumtrug. Jetzt ließ sie in diesem Zimmer nicht einmal eine Socke zurück, nichts, was gegen sie verwendet werden konnte. ~*~ Als Hermine den Gemeinschaftsraum verließ und sich auf den Weg zum Frühstück machen wollte, brach aus dem Nebenkorridor plötzlich ein silbernes Etwas heraus. Sie zuckte zusammen, bevor sie erkannte, was es war: Ein Patronus. Ein Patronus in Form eines Raben. Er flatterte ein paar Mal um ihren Kopf und flog dann wieder in den Nebengang davon. Hermine musste lächeln. Der Patronus wollte offensichtlich, dass sie ihm folgte. Blitzschnell hatte sie überlegt, wem er gehören könnte. Lauren und Lucy beherrschten keinen und Dumbledores war kein Rabe, sie hatte ihn oft genug gesehen. Blieb also nur noch... Sie hätte zwar bei ihm nie mit einem Raben gerechnet, doch er war der Einzige, der in Frage kam. Ihr Herz machte einen Satz, kaum, dass der Gedanke in ihrem Gehirn Gestalt angenommen hatte, und sie beeilte sich, dem Raben zu folgen. Und tatsächlich – als sie um die Ecke bog, erblickte sie in einer der Nischen der raumhohen Fenster Tom, der mit angezogenen Beinen auf den kalten Steinen saß und abwesend mit seinem Zauberstab spielte. Der Rabe zog draußen vor dem Fenster weite Kreise über den Ländereien. Tom sah auf, und sein üblicher gelangweilter Gesichtsausdruck wurde durch ein strahlendes Lächeln ersetzt. Hermine blieb regelrecht die Luft weg, als sie es sah. Einen Moment später war er bei ihr und schloss die Arme um sie. Sie seufzte, schlang die Arme um seinen Hals und drückte ihn so fest sie konnte. Tom vergrub das Gesicht in ihren Haaren und drückte sie ebenfalls fester an sich. Hermine schloss die Augen und lächelte selig. Sie hätte nicht gedacht, dass sie nach Laurens Auftritt gestern so schnell wieder so glücklich hätte werden können, doch Toms „Geburtstagsgeschenk“ hatte sie eines Besseren belehrt. Bis zu diesem Moment war ihr nicht klar gewesen, was Lucy scheinbar schon seit den Sommerferien wusste – hatte sie sie nicht gefragt, was Hermine an Tom fand? Diese Formulierung war eindeutig gewesen – doch Hermine hatte es nicht wahrhaben wollen. Jetzt jedoch gab es keinen Zweifel mehr. Wärme durchströmte sie bis in den kleinen Zeh und erfüllte sie so vollkommen, dass sie sich nicht mehr vorstellen konnte, wie sie je ein Leben ohne Tom hatte leben können. Sie konnte sich keinen Ort der Welt vorstellen, an dem sie jetzt lieber wäre. Nach einer glückseligen Ewigkeit lockerte sich sein Griff etwas und er blickte ihr ins Gesicht. „Morgen, Mine.“ Sie lächelte. „Morgen.“ Er erwiderte ihr gelöstes Lächeln, überbrückte die letzten Zentimeter zwischen ihnen und küsste sie sanft. Hermine seufzte auf und drängte ihre Lippen regelrecht gegen seine. Am liebsten wäre sie in diesem Moment in ihn hineingekrochen, so nah wollte sie ihm sein. Es war nicht genug. Sie wusste genau, dass es nie genug sein würde. Er lachte leise in ihren Kuss und öffnete seine Lippen. Hermine folgte ihm sofort und ihre Zungenspitze schlüpfte in seinen Mund. Es gab keine Zweifel mehr, kein Zögern. Sie hatte das Gefühl, in ihm zu ertrinken und gleichzeitig von seinen Armen vor dem Ertrinken bewahrt zu werden. Es war berauschend, noch viel berauschender als ihre Gespräche. Tom wusste ja gar nicht, wie süchtig er machen konnte... Als sie sich nach einigen Minuten atemlos wieder voneinander lösten, verzog Tom das Gesicht und strich sich durch seine nun zerwuschelten Haare. „Musste das sein?“ Hermine grinste. „Klar. Außerdem bist du ein Zauberer, oder?“ Toms Lippen kräuselten sich und er brachte seine Haare mit einem Fingerschnippen wieder an ihren Platz. Mit einem weiteren Fingerschnippen flog aus einer dunklen Ecke ein Korb zu ihm, den er lässig aus dem Flug fing. „Lust auf Picknick? Ich habe nicht das geringste Bedürfnis, mit den anderen in der Halle zu frühstücken.“ Hermine nickte strahlend. „Am See unten?“ „Wo du willst“, gab Tom zurück und legte ihr einen Arm um die Schultern. Sie schlang ihren Arm um seine Taille, und sie machten sich auf den Weg nach draußen. ~*~ „Du hast einen verdammt schlechten Einfluss auf mich, ich hoffe, das ist dir klar, Tom“, meinte Hermine, als sie sich wieder auf den Rückweg ins Schloss machten. „Ich weiß nicht, was du meinst“, gab er betont unschuldig zurück. Hermine musste lachen, zog an seiner Hand, die sie in ihrer hielt, sodass er in ihre Richtung stolperte, und fing seine Lippen zu einem schnellen Kuss ein. „Oh doch, das weißt du ganz genau.“ Seine Lippen an ihren verzogen sich zu einem Grinsen, als eine Hand sich in ihre wirren Locken wühlte und seine Zunge ihre Lippen teilte. Minuten später erst lösten sie sich wieder voneinander und Tom meinte nur: „Als ob es uns etwas ausmachen würde, einen Tag Unterricht zu verpassen.“ „Uns nicht, aber den Lehrern“, gab sie zurück. „Und du bist Schulsprecher.“ Tom schnaubte. „Das heißt nur, dass ich mich bis zu den Prüfungen zehnmal so viel, wie ich eigentlich wollte, mit Lauren herumschlagen muss. Ich bin ernsthaft am Überlegen, ob ich den Posten abtrete.“ Hermine blickte ihm in die Augen, die ihr so klar und meerblau wie noch nie vorkamen. „Wegen Lauren?“ Er schüttelte den Kopf. „Auch, aber nicht hauptsächlich. Wegen dir. Wenn du Dippet sogar anbietest, Veritaserum zu trinken, sollte er dir Glauben schenken – und ich nehme es ihm übel, dass er es nicht getan hat.“ Er ließ sie los und begann wieder zu laufen. „Außerdem hättest du den ganzen Sommer über Zeit gehabt, mir etwas anzutun und hast es nicht getan – mal von den explodierenden Karten abgesehen.“ Hermine lächelte, holte ihn ein und griff im Laufen nach seiner Hand. „Tu es nicht, nicht wegen mir. Der Vermerk, dass du Schulsprecher warst, macht sich in deinem Zeugnis besser als jedes Empfehlungsschreiben.“ Tom blieb stehen und sah sie direkt an. „Aber was ist, wenn ich es will?“ Sie rollte mit den Augen. „Dann kann ich dich sowieso nicht davon abhalten.“ Diesmal war sie es, die den Weg zum Schlossportal wieder aufnahm. Tom folgte ihr auf dem Fuß. In der Eingangshalle wurde Hermine langsamer. Der übliche Lärm einer vollbesetzten großen Halle beim Abendessen schlug ihr durch die offene Tür entgegen. Als Tom neben ihr stehen blieb, meinte sie: „Was hältst du von Plan B – Essen in der Küche bestellen und bei dir essen?“ Tom lachte leise auf. „Hatten wir jemals einen Plan A?“, war alles, was er sagte, bevor er sie wieder an der Hand nahm und sie sich auf den Weg in die Küche machten. ~*~ Eine Stunde später saßen sie in Toms Zimmer über ihren Hausaufgaben – Tom hatte einen Slytherin aus seinem Jahrgang gefragt, was sie verpasst hatten – und arbeiteten. Nun ja, zumindest Tom schien zu arbeiten. Hermine stöhnte jedoch nach einer Weile frustriert auf und warf die Feder auf den Tisch. „Ich hasse es!“ Tom sah auf und runzelte die Stirn. „Was denn?“ „Gezwungen zu werden, einen ellenlangen Aufsatz über die Unmöglichkeit von Wahrheitszaubern zu schreiben und unseren Zauber nicht erwähnen zu dürfen“, zischte sie. Toms Lippen kräuselten sich. „Ich habe das Thema einfach etwas weiter ausgelegt. Ich schreibe, warum nach Lehrbuchmeinung ein Wahrheitszauber nicht existieren kann, zerlege deren Argumente allerdings sofort wieder und beweise, warum es doch geht. Mach doch das Gleiche, vielleicht schaffen wir es zu zweit endlich, Weston in den Wahnsinn zu treiben – meine Aufsätze alleine reichen dafür ja anscheinend nicht.“ Hermine musste lachen. „Hab ich dir schon mal gesagt, dass du genial bist, Tom?“ Er zog eine Augenbraue hoch und grinste schief. „Das musst du mir nicht sagen, ich weiß es auch so, Mine.“ Sie lachte wieder, beugte sich über den Schreibtisch, an dem sie sich gegenüber saßen, und küsste ihn kurz auf den Mund. „Und so bescheiden noch dazu“, meinte sie, zerknüllte ihren angefangenen Aufsatz und begann auf einem leeren Pergamentbogen noch einmal von vorne. ~*~ Es war schon nach Mitternacht, als Hermine wieder auf die Uhr blickte. Sie seufzte schwer. „Ich sollte dringend ins Bett.“ Doch sie machte keine Anstalten, sich von der Stelle zu rühren. Tom kräuselte seine Lippen. „Dann geh doch.“ Sie vergrub ihren Kopf wieder an seiner Brust und kuschelte sich noch ein wenig enger an ihn. „Ich will aber nicht gehen.“ Seine Hand fuhr ihr durch die verwuschelten Haare und er drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. „Tja, ob du willst oder nicht, ich sollte so langsam jedenfalls ins Bett. Wenn wir hier auf dem Sofa einschlafen, dann haben wir morgen mordsmäßige Rückenschmerzen.“ Hermine brummelte etwas, blieb jedoch halb auf Tom, halb neben ihm, liegen, ohne auch nur einen Finger zu rühren. Als sie schließlich blinzelnd zu ihm aufsah, schlich sich ein teuflisches Grinsen auf seine Lippen. „Okay, Zeit für Plan B.“ Er zog sie ein Stück höher und küsste sie. Hermine schnappte nach Luft, und Tom nutzte diesen Moment sofort, um mit seiner Zunge in ihren Mund einzudringen. Gleichzeitig wanderten seine Hände zum Bund ihres Rockes, aus dem sich die Bluse längst gelöst hatte, und schlüpften unter die Bluse auf ihren bloßen Rücken. Eine Hand streichelte ihren Rücken, während die andere am Rockbund entlang auf ihren Bauch strich und schließlich ihren Bauchnabel umkreiste, bevor sie wieder den Streifen Haut direkt über dem Stoff des Rocks nachfuhr und ihn dabei einen Millimeter nach unten schob. Verlangen schoss heiß durch Hermines Körper und sammelte sich in ihrer Mitte. Sie unterbrach den Kuss, drängte sich noch enger an Tom und keuchte. „Wie sieht Plan B aus?“, wollte sie atemlos wissen und strich sich die wilden Locken aus dem Gesicht. Er grinste. „Du bleibst hier, aber wir ziehen ins Bett um. Einverstanden?“ Sie biss sich auf die Lippen und musterte ihn einen Moment, dann schlich sich auf ihr Gesicht ein ebenso teuflisches Grinsen. Sie küsste ihn auf die Nasenspitze, ein Stück neben seine Nase, auf die Wange, noch ein Stück weiter außen auf die Wange, dann schnappte sie nach seinem Ohrläppchen und saugte daran. Tom stöhnte leise auf und presste seine Hüften gegen ihre. Sie ließ von ihm ab und flüsterte ihm ins Ohr: „Hatten wir jemals einen Plan A?“ ~*~ Hermine wurde unsanft geschüttelt. „Mine! Aufwachen!“ Sie brummte nur und drehte sich von der Stimme – Tom, teilte ihr schläfriges Hirn ihr mit – weg. „Mine! Verdammt, du bist wahnsinnig!“ Sie packte ihr Kissen und zog es sich über den Kopf. „Danke, weiß ich“, murmelte sie schlaftrunken. „Darf ich jetzt weiter schlafen?“ Das Kissen wurde ihr vom Kopf gerissen, und einen Moment später wurde ihr auch die Decke weggezogen. Sie quietschte und rollte sich zu einer Kugel zusammen. „Nein, darfst du nicht. Wir müssen zum Unterricht!“ Mit einem Schlag war sie wach, riss die Augen auf und setzte sich auf. „Was? Wie spät ist es?“, fragte sie leicht panisch, nur um sich einen Moment später den Kopf zu greifen und wieder auf die Matratze zurückzufallen. Alles drehte sich. So schnell hinsetzen war wohl doch keine gute Idee gewesen... Irgendwo über ihr hörte sie Tom lachen. „Erst halb sieben, keine Sorge, aber wir sollten so langsam aufstehen.“ Hermine brummte und setzte sich ein wenig langsamer auf. Diesmal blieb die Welt an ihrem Platz. „Okay, und wieso bin ich wahnsinnig?“ Tom hielt ihr ihren Zauberstab unter die Nase. „Dein Weckzauber hätte mir fast die Augen ausgestochen!“ „Oh, das... Vor der Aktion von Lauren hat er eigentlich immer nur auf den Bauch gezielt – muss wohl einen Schlag haben.“ Tom brummelte etwas und legte ihn wieder weg – dann glitt sein Blick über ihren nackten Körper, von den Zehen bis zu ihrem noch etwas verschlafenen Blick. Das helle Blau seiner Augen glühte regelrecht, als er sie mit einer fließenden Bewegung an sich zog, seine Arme um sie schlang und seine Lippen sich auf ihre legten. Hermine seufzte auf und zog ihn noch näher an sich. Die Bilder von letzter Nacht drängten sich wieder vor ihre Augen, und sie brauchte ihre gesamte Willenskraft, um den Kuss zu unterbrechen und Tom ein Stück von sich wegzuschieben. „Wir müssen aufstehen“, murmelte sie, keineswegs begeistert. Toms Lippen kräuselten sich. „Ich hab ein eigenes Badezimmer... Also...“ Hermine lachte. „Auf den Geschmack gekommen, was?“ Er grinste, beugte sich vor und knabberte an ihrem Ohrläppchen, während eine Hand die Innenseite ihres Oberschenkels nach oben strich. Hermine seufzte genüsslich. „Okay, überredet, ich bleibe zum Duschen.“ ~*~ Ich hätte es wissen müssen, dachte Hermine, als sie auf ihrem weg in die Bibliothek Dumbledore über den Weg lief. Tom war im Unterricht, doch sie hatte heute Nachmittag frei. Als sie sah, wie Dumbledore direkt auf sie zusteuerte, kaum,dass er sie erblickt hatte, wünschte sie sich verzweifelt zu Tom zurück – warum mussten sie auch gerade jetzt keine parallelen Stundenpläne haben? „Miss Wilson, auf ein Wort in mein Büro, wenn ich bitten darf.“ Sie schluckte, kratzte ihren letzten Rest Gryffindormut zusammen und straffte den Rücken. „Egal, was es ist – können wir es nicht gleich hier besprechen? Ich habe noch zu tun.“ Dumbledores Blick wurde stählern und Hermine sank das Herz. „Es geht den Rest des Schlosses nichts an, also nein. Kommen Sie, ich bin sicher, es wird nicht allzu lange dauern.“ Er nickte auffordernd mit dem Kopf und machte auf dem Absatz kehrt. In diesem Moment stand die Welt für Hermine einen Moment lang still. Sie wünschte sich verzweifelt, es wäre noch nicht alles gesagt worden zwischen Dumbledore und ihr – doch das war es. Die Fronten waren klar abgesteckt, es gab keine Unklarheiten oder Zweifel. Und dass er sie in sein Büro bittete, konnte nur eines bedeuten. Hermines Eingeweide scheinen sich bei diesem Gedanken zu verknoten und die Welt drehte sich einen Moment um sich selbst. Nein, dachte sie. Nicht jetzt. Nicht jetzt, wo... Sie schluckte, starrte auf Dumbledores Rücken, der sich gerade in Bewegung setzte – dann wirbelte sie auf dem Absatz herum und lief in die andere Richtung, so schnell sie konnte. Ihre Schuhe klackerten viel zu laut auf den kalten Steinen, als sie um eine Ecke in einen schmalen Seitenkorridor stürmte, einen Wandteppich zur Seite riss und dahinter in einem Geheimgang eine Treppe nach unten rannte – direkt zu den Kerkern. Nur verschwommen nahm sie wahr, dass keine Schritte ihr folgten – die Welt drehte sich immer noch, und ungeweinte Tränen brannten in ihren Augen und ließen ihr Sichtfeld verschwimmen. Am Fuß der Treppe zerrte sie einen weiteren Wandteppich zur Seite – und etwas riss sie mit einem Ruck hinter ihrem Bauchnabel in einen schillernden Wirbel aus Farben. Sie hatte das Wort „Portschlüssel“ noch nicht ganz zu Ende gedacht, da landete sie auch schon hart auf kaltem Stein. Sie hustete, rappelte sich auf – und fand sich Auge in Auge mit Dumbledore wieder, in seinem Büro. Japsend stolperte sie einen Schritt von ihm weg. Dumbledores Blick war stählern. „Es hat keinen Sinn, wegzulaufen. Sie wussten, dass dieser Moment eines Tages kommen würde.“ Hermine schnaubte und strich sich wütend die Haare aus der Stirn. „Und Sie wussten, dass ich alles tun würde, um hier zu bleiben.“ Damit zog sie ihren Zauberstab. Dumbledore musterte den Stab, der direkt in sein Gesicht zielte, einen Moment lang bekümmert, bevor er mit den Fingern schnipste. Der Stuhl vor seinem Schreibtisch erwachte zum Leben und drängte Hermine zurück gegen die Wand. Sie japste erneut und schoss einen Brandzauber auf den Stuhl ab. Er ging sofort in Flammen auf, doch nun hatte auch Dumbledore seinen Zauberstab gezogen und schoss einen Lähmfluch auf sie ab. Hermines Augen weiteten sich entsetzt. Sicher, sie hatte es provoziert, doch sie war nicht wirklich auf ein Duell mit ihm eingestellt gewesen. Haarscharf duckte sie sich unter dem Fluch weg und fand sich in einer Windhose wieder, die sie genau auf Dumbledores zweite Hand zutrieb – in der der Zeitumkehrer war. Sie keuchte einen Gegenfluch und brachte wieder einen sicheren Abstand zwischen sie beide. Dummerweise stand er nun vor der einzigen Tür nach draußen. Hermine schluckte, dann schoss sie ihren ersten Zauber auf ihn ab. Schon eine halbe Minute später dachte sie, dass sie es hätte wissen müssen – das Training mit Tom hatte nur bedingt geholfen. Sie war Dumbledore hoffnungslos unterlegen, nur mit Mühe schaffte sie es, sich gegen ihn zur Wehr zu setzen. Nachdem sie einige seiner Elementarzauber wie die Windhose hatte auflösen können, war er dazu übergegangen, sie in viel schwächerer Form sehr schnell hintereinander loszuschicken, sodass ihr keine Zeit für Gegenflüche blieb. Statt majestätischen Wellen oder Feuerbällen wurde sie nun unbarmherzig von magischen Hagelkörnern mit der Durchschlagskraft einer Pistole bombardiert, die sie langsam aber sicher in eine Ecke des Raumes zurücktrieben. Sie hatte nicht einmal mehr Zeit für Gegenschläge, so beschäftigt war sie, sich nicht treffen zu lassen. Sie konnte sie nicht alle auflösen, sie lenkte sie um, transformierte sie in Wasser oder hüpfte kreuz und quer aus dem Weg. Irgendwann jedoch schien ihr Zauberstab ihr nicht mehr zu gehorchen. Keuchend warf sie sich auf den Boden, um dem Hagel zu entgehen – da schoss etwas auf sie zu, das größer war als die Hagelkörner, und traf sie an der Hand. In dem Moment, als ihre Welt verschwamm, erkannte sie den Zeitumkehrer. ~*~ Obwohl die Reise durch den vertrauten, bunten Wirbel nur wenige Sekunden dauerte, schaffte Hermine es, sich währenddessen dreiundzwanzig wenig schmeichelhafte Namen für Dumbledore einfallen zu lassen – und als der Wirbel verschwand und sie als Erstes wieder ihn sah, warf sie sie ihm alle an den Kopf. Er strich sich über seinen nun wieder silbergrauen Bart und ließ die Tirade ohne mit der Wimper zu zucken über sich ergehen. Irgendwann jedoch gingen Hermine die Wörter aus und sie richtete sich keuchend auf. Dumbledore straffte seine Schultern und und meinte nur: „Wir sollten in mein Büro gehen, Minerva würde nicht erfreut sein, wenn sie wüsste, dass wir ohne ihre Erlaubnis hier sind.“ Hermine schluckte und sah sich um. Als sie den Hut mit dem grünen Schottenkaro auf einer Anrichte liegen sah, sickerte die Wahrheit langsam in ihr Bewusstsein. Sie war wieder zurück. In ihrer Zeit. In einer Zeit, in der alles anders war. Oder etwa nicht? „Professor, was-“ „Nicht hier. In meinem Büro“, meinte Dumbledore mit demselben stählernen Blick, den er kurz zuvor auch in der Vergangenheit getragen hatte. Hermine verstummte, schluckte und nickte. Schweigend folgte sie ihrem Schulleiter durch das verlassene Schloss. Es war Nacht, die einzigen Geräusche, die neben ihren Schritten die Stille durchbrachen, waren die Schreie der Eulen, die durch die offenen Fenster hereinfielen. Hermine Gedanken rasten. Sie war wieder zurück. Das bedeutete, jetzt würde sie erfahren, ob sich etwas geändert hatte. Ob sie etwas erreicht hatte. So schlecht kann es gar nicht aussehen, dachte sie, immerhin hatte Tom so wie es aussieht außer mir nie eine Freundin. Sie wagte gar nicht, darauf zu hoffen, doch wenn er sie wirklich geliebt haben sollte, war das dann nicht Grund genug, sich zu ändern? Vorausgesetzt, er hatte sie geliebt... aber hätte er - „Zischende Wisbies“, ertönte Dumbledores Stimme und riss sie aus ihren Gedanken. Sie waren am Schulleiterbüro angekommen, stiegen die Treppe hinauf und traten ein. Dumbledore wies auf einen Stuhl vor seinem Schreibtisch und ließ sich selbst dahinter nieder. Hermine setzte sich und atmete tief durch. „Sie wissen, was ich wissen will.“ Dumbledore nickte langsam und seufzte mit bekümmertem Blick. „Es hat sich nichts geändert.“ Einen Moment lang starrte Hermine ihren Schulleiter fassungslos an, dann flüsterte sie kraftlos: „Aber – aber warum...“ Er legte seine Fingerspitzen aneinander. „Um wirklich etwas ändern zu können, hätte der Zeitumkehrer mehrere Zeitlinien schaffen müssen. Das tut er jedoch nicht. Alles, was Sie getan haben, ist bereits geschehen, bevor Sie überhaupt geboren wurden. Sie waren dazu bestimmt, zurück zu reisen und wieder zu kommen, einfach dadurch, dass Sie bereits in der Vergangenheit waren, lange bevor Sie wussten, dass Sie dorthin gehen würden. Es ist quasi eine selbst erfüllende Prophezeiung gewesen.“ Manchmal hasste Hermine ihr Gehirn. Dieser Moment war so ein Augenblick, in dem sie das tat. Es hätte nicht so logisch sein sollen. Nicht so offensichtlich. Sie war oft genug mit dem Zeitumkehrer gereist, um es eigentlich erkennen zu müssen. Es gab keine Fehler, die man ausradieren konnte – was geschehen war, war geschehen. Alles, was sie in der Vergangenheit veränderte, war bereits beim ersten Durchlauf verändert gewesen. Wenn sie die Zeit eine Stunde zurückgedreht hatte, um in einem anderen Klassenzimmer sein zu können, war sie tatsächlich jedes mal in zwei Klassenzimmern zeitgleich gewesen und nicht im zweiten statt im ersten. Es war so einfach – wie hatte sie das nur übersehen können? Nachdem sie begriffen hatte, wie und warum es nicht hatte funktionieren können, traf sie die Tatsache, DASS es nicht funktioniert hatte, wie ein Schlag in die Magengrube. Alles war umsonst gewesen. Tom war immer noch zu Voldemort geworden. Tom existierte nicht mehr. Und sie war wieder hier, in einer Zeit, in der Ron tot war und Harry schwerverletzt im Krankenhaus lag. Sie bemerkte nicht, wie Tränen sich in ihren Augen sammelten und über ihre Wangen liefen. Schließlich kam ihr jedoch ein Gedanke. Dumbledore hatte nicht glücklich darüber gewirkt, sie zurückzuschicken. Er hatte mehrmals sein Gesicht vor ihr verborgen, sodass sie seine Gefühle und Gedanken nicht erraten konnte. Jetzt ergab es Sinn. Einen Sinn, der Hermine allerdings absolut nicht gefiel. „Sie wussten es.“ Dumbledore seufzte schwer und nickte. Hermine schluchzte auf, als sie sich zu allem Überfluss auch noch von ihm verraten sah. „Wenn – wenn Sie es wussten, warum haben Sie mich dann gehen lassen? Warum haben Sie mir den Zeitumkehrer besorgt?“ Er senkte den Blick. „Weil ich wusste, dass Ihre Zeitreise unausweichlich war. Ich habe Sie in der Vergangenheit gesehen. Ich wusste, dass Sie früher oder später gehen würden. Also habe ich Ihnen lediglich etwas Ärger auf dem Weg zum Zeitumkehrer erspart.“ Hermine schwieg. Es klang logisch. Sie schwieg eine lange Zeit, doch ihre Tränen wollten einfach nicht aufhören zu fließen. Sämtliche Hoffnung hatte sie verlassen. Sie hatte keinen Ron mehr, Harry würde vielleicht für immer blind sein – und vor allem gab es keinen Tom mehr. Hermine fühlte sich schrecklich, dass neben Tom ihre zwei ältesten Freunde verblassten – auch wenn sie wieder in ihrer Zeit war, doch sie konnte nichts dagegen tun. Er war ihr Freund gewesen, und das sicher nicht von ungefähr. Es war nicht einfach so, dass sie nicht mehr zusammen waren – er war jetzt fünfzig Jahre älter als sie und ein psychopathischer Massenmörder. Sie schluchzte auf, als ihre Gedanken an diesem Punkt anlangten. Sie hatte ihn mehr verloren, als man geliebte Menschen an den Tod verlieren konnte. Sie hatte das Gefühl, nur noch aus eisiger Luft zu bestehen, in die Leere in sich hinein zu fallen, zu gefrieren und nie wieder heraus zu kommen... Plötzlich nahm sie eine Bewegung wahr und ihr Blick klärte sich wieder. Dumbledore zielte mit seinem Zauberstab auf sie. „Was – was tun Sie?“, wollte sie entsetzt wissen. Dumbledore seufzte leise. „Ich brauche Sie. Und zwar voll einsatzfähig. So kann ich mit Ihnen nichts anfangen. Ich werde Ihnen die Erinnerung an diese ganze Geschichte nehmen.“ Hermine schnappte nach Luft. „Aber-“ Doch sie kam nicht weiter. Dunkelheit umfing sie und zog sie mit sich ins Vergessen. ~*~ Als Hermine wieder erwachte, lag sie auf einem Sofa in einer dunklen Ecke des Schulleiterbüros, das sie noch nie bemerkt hatte. Der Duft von heißer Schokolade stieg ihr in die Nase und brachte sie dazu, sich aufzusetzen. Kaum hatte sie die Waagrechte verlassen, begann ihr Schädel zu dröhnen, als hätte sie sich am Tag zuvor betrunken – doch sie wusste, dass dem nicht so war. Warum hatte sie dann das Gefühl, einen Filmriss zu haben? Sie blinzelte, als Dumbledore ihr die Tasse mit der dampfenden Flüssigkeit hinhielt, die sie gerade bereits gerochen hatte. Sie lächelte ihn dankbar an, griff nach der Tasse und nahm einen Schluck. Fast augenblicklich ließen die Kopfschmerzen nach. „Was ist passiert?“, wollte sie leise wissen. „Ich kann mich nicht erinnern, wie ich hierher gekommen bin.“ Dumbledore lächelte wehmütig. „Wir haben über Ronald Weasleys Tod gesprochen. Sie hatten eine Art... Nervenzusammenbruch. Ich habe Ihnen einen Traumlosschlaftrank verabreicht, damit Sie sich ein wenig erholen.“ Hermine nickte langsam. De Kopfschmerzen waren genau wie nach einer Überdosis dieses Tranks. „Sie müssen eine zu starke Dosis erwischt haben, Professor. Mein Kopf fühlt sich an, als würde er platzen.“ Wieder lächelte Dumbledore dieses wehmütige Lächeln. „Das tut mir Leid. Ich hatte ihr Gewicht wohl falsch eingeschätzt.“ „Kein Problem“, gab sie zurück, trank ihre Schokolade aus und sah aus dem Fenster. Die Sonne ging gerade auf. „Wenn Sie nichts dagegen haben, werde ich in meinen Schlafsaal zurückkehren und noch ein paar Stunden schlafen. Ich fühle mich immer noch wie gerädert.“ Dumbledore nickte sichtlich erleichtert. „Tun Sie das. Kommen Sie heute Abend wieder, dann besprechen wir das weitere Vorgehen, jetzt wo Harry und Ronald ausfallen.“ Hermine nickte, verabschiedete sich und verließ das Büro. ~*~ Auf der Treppe nach unten fühlte sie sich plötzlich, als würde sie aus ihrem Körper gezogen, machte einen Salto rückwärts – und stand in einer kalten, grün ausgeleuchteten steinernen Halle, Voldemort höchstpersönlich gegenüber, der seinen Zauberstab gegen ihre Schläfe gedrückt hatte und sie fassungslos anstarrte. Als sie blinzelte, stolperte er fast einige Schritte rückwärts, als könnte er nicht fassen, was er gerade gesehen hatte. Kapitel 23: Gegenwart und Realität ---------------------------------- Kapitel 23 – Gegenwart und Realität Hermine schluckte. Sie fühlte sich mit einem Mal so leer wie noch nie – weder Gefühle noch Gedanken wirbelten wie sonst durcheinander. Eigentlich wäre das jetzt der passende Augenblick für einen Nervenzusammenbruch, dachte sie zusammenhanglos. Doch der kam nicht. Die Leere hielt an, und Hermine hielt den Blickkontakt mit diesen blutroten Augen, die im Gegensatz zu den ihren alle möglichen und unmöglichen Emotionen widerspiegelten. Nach einem Moment, der eine Ewigkeit zu dauern schien, machte Voldemort wieder einen Schritt vorwärts – diesmal stolperte Hermine zurück. Sie gab es auch vor sich selbst nur ungern zu, doch in diesem Moment kehrte eine Emotion wieder – Angst. Sie wusste nicht, was in diesem brillianten Kopf vor ihr vor sich ging, doch sie ahnte, dass es nichts Gutes war. Voldemort öffnete den Mund, als ob er etwas sagen wollte, wirkte mit einem Mal unsicher – und wirbelte auf dem Absatz herum. Einen Moment später fiel eine schwere Eichenholztür hinter ihm ins Schloss und Hermine war alleine. Sie zuckte beim Knall der Tür zusammen. Das Geräusch durchschnitt die Stille wie ein Kanonenschuss und brachte irgendwo in Hermine einen Damm zum Bersten. Schmerz brach so plötzlich über sie herein, dass sie unter dem Ansturm in die Knie ging. Mit einem Mal war jedes Puzzleteil auf seinen Platz gefallen. Die alte Angst vor Voldemort und der dumpfe Schmerz über Rons Tod, den sie erst jetzt wieder wahrnahm, der sie aber nie ganz verlassen hatte, vermischten sich mit der vergessenen Zuneigung zu Tom und dem frischen Verlust seines alten Ichs. Denn verloren hatte sie es. Das, was gerade noch vor ihr gestanden war, hatte nichts mehr mit Tom gemeinsam. Das war der Dunkle Lord, nicht mehr und nicht weniger. Es war alles umsonst gewesen. Es hatte nicht ausgereicht. Ein unkontrolliertes Schluchzen brach aus ihr heraus und hallte von den kahlen Steinwänden wider, erschreckte sie sogar selbst. Als ob das nicht genug gewesen wäre, hatte sich ihr Hirn gerade diesen Moment ausgesucht, um seinen Dienst wieder aufzunehmen, wie immer schnell und logisch – auch wenn sie nicht bereit für die Erkenntnisse war, die es ihr lieferte. Voldemort hatte ihr gesagt, sie hätte ihm etwas angetan. Natürlich, sie war sang- und klanglos verschwunden, und Dumbledores Erklärung dafür musste für ihn wie Hohn geklungen haben, schließlich wusste er, dass ihre Geschichte nicht stimmte. Er musste sich verraten vorgekommen sein. Er musste geglaubt haben, sie hätte ihn eiskalt fallen gelassen, gerade, als sie sich sein Vertrauen erschlichen hatte. Hermine schnappte nach Luft, als ihre Gehirnzellen diesen Gedankengang ohne Rücksicht auf Verluste zu Ende führten. Er war von Muggeln und Muggelstämmigen immer nur enttäuscht worden und hatte schließlich niemanden mehr an sich heran gelassen. Doch dann war sie aufgetaucht und hatte seine wohlgeordnete Welt durcheinander gebracht. Sie war sich zwar nicht sicher, inwieweit sie seine Ansichten bezüglich Muggeln revidiert hatte, doch es musste auf jeden Fall genug gewesen sein, um ihr bis zu einem bestimmten Punkt zu vertrauen. Und was hatte sie getan? Sich in Luft aufgelöst, niemals existiert, egal, wie sehr er nach ihr gesucht haben mochte, und ihn auch enttäuscht. Doch diesmal musste es ihn schwerer getroffen haben als all die anderen Male, sie hatte es schließlich geschafft, hinter seine Maske zu blicken. Wie tief, das wusste wohl nur er – doch es musste seinem Muggelhass neue Nahrung gegeben haben – und damit auch seiner Gewaltbereitschaft. Sämtliche Kompromisse, die er vielleicht im Sinn gehabt haben mochte, was die muggelstämmigen Zauberer und Hexen anging, mussten ihm wie ein Hohn vorgekommen sein. Er musste sich von sämtlichen Kompromissen wieder ab- und der Gewalt zugewandt haben – und Lord Voldemort geworden sein. „Und ich bin Schuld“, wisperte Hermine erstickt, bevor sich ihr letzter Rest an Beherrschung verabschiedete und sie schluchzend zusammenbrach. Wie hatte das alles nur so schieflaufen und nach hinten losgehen können? Zitternd rollte sie sich auf den eisigen Steinen zu einer Kugel zusammen und ließ ihren Tränen freien Lauf. Sie wusste nicht, wie lange sie dort lag und weinte, doch mit jedem Augenblick wurde die Kälte allmächtiger, kroch weiter in ihren Körper hinein und schüttelte sie, während sie das Gefühl in den Fingern und Zehen verlor. Dunkelheit kroch vom Rand ihres Bewusstseins auf sie zu, doch sie wehrte sich nicht dagegen. Was hätte es schon geändert? Alles, was nur schieflaufen konnte, war bereits schiefgelaufen. Ihr Zittern und ihre Schluchzer ließen nach, doch die Tränen liefen weiter, als die Dunkelheit über ihr zusammenschlug und sie in Vergessen hüllte. ~*~ Als sie wieder erwachte, lag sie auf etwas erstaunlich weichem und warmen. Sie blinzelte und sah sich um. Sie lag in einem großen Himmelbett mit einem blauen Baldachin über ihrem Kopf. Etwas störte sie an diesem Bild, sie brauchte allerdings etwas, bis sie wusste, was es war. Blau, nicht grün. Blau wie... Ravenclaw. War das gut oder schlecht? Langsam setzte sie sich auf. „Gut, Sie sind endlich wach“, ertönte eine dunkle Stimme neben ihr, die sie auf Anhieb wiedererkannte, auch wenn sie sie, wenn sie die Zeit in ihren Erinnerungen mitrechnete, lange nicht mehr gehört hatte. Sie zuckte zusammen und drehte sich zur Seite. In einem Sessel neben ihrem Bett saß Severus Snape, den Zauberstab zwischen den Fingern zwirbelnd. Sie schluckte. „Wo – wo bin ich?“ Er strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Sie befinden sich in einer Unterkunft im privaten Flügel des Dunklen Lords.“ Seine Augenbraue hob sich. „Und ich wurde offiziell zu Ihrem Kindermädchen ernannt. Also, falls Sie etwas brauchen, scheuen Sie sich nicht, mir auf die Nerven zu fallen – wäre ja nichts neues.“ Einen wundervollen Moment lang musste Hermine lachen, dann holten ihre Gedanken sie wieder ein. „Was hat er mit mir vor?“, fragte sie leise. Snape zuckte mit den Schultern. „Das ist die Frage. Seit Sie hier sind, hat niemand ihn zu Gesicht bekommen. Er hat sich in seinen Räumen eingeschlossen und gibt nur noch per Patronus Anweisungen. Das war am Anfang vielleicht ein Chaos...“ „Am Anfang?“, unterbrach ihn Hermine. „Wie lange war ich denn bewusstlos?“ Er runzelte die Stirn. „Fast fünf Tage. Sie können von Glück reden, dass ich hier war und dafür gesorgt habe, dass Sie durchkommen. Sonst wären Sie vermutlich an Dehydration gestorben.“ Hermine ließ sich langsam in die Kissen zurückfallen, den Blick ins Leere gerichtet. „Fünf Tage“, flüsterte sie. Die Worte schienen einen Moment lang im Raum zu schweben, dann kam Hermine ein Gedanke und sie setzte sich so ruckartig wieder auf, dass ihr schwindlig wurde. Stöhnend fasste sie sich an den Kopf und wartete ungeduldig, bis die Welt wieder stillstand. „Waren Sie durchgehend hier? Wie viel weiß Dumbledore?“ Snapes Augenbrauen zogen sich zusammen. „Er weiß gar nichts. Ich hatte genug damit zu tun, Sie davon abzuhalten, mir unter den Händen wegzusterben. Wussten Sie, dass Sie sich im bewusstlosen Zustand weigern, zu schlucken? Ich musste Sie unter Imperius aufwecken, damit Sie Flüssigkeit bekommen haben – und Sie sind mir jedes Mal wieder weggekippt, sobald ich ihn aufgehoben hatte.“ Nun war es Hermine, die irritiert die Brauen zusammen zog. „Haben Sie keine Infusionen?“ Snape verdrehte die Augen. „In einer Festung voller Muggelhasser. Natürlich. Haben Sie einen Schlag auf den Kopf bekommen?“ „Nein“, gab sie kleinlaut zurück, sich für ihre dumme Frage verfluchend. „Das will ich doch hoffen“, brummte er. „Wir brauchen Ihren Kopf.“ Hermine legte den Kopf schief. „Wer ist wir?“ Snapes Mundwinkel zuckten, und für einen Augenblick spielte ein süffisantes Lächeln darum, welches Hermine ebenso kurz erwiderte. „Der Orden und vor allem Potter ist mehr denn je auf Sie angewiesen, auch Dumbledore, da er in Weasley einen guten Strategen verloren hat. Auf der anderen Seite scheinen Sie das Einzige zu sein, was zwischen dem Dunklen Lord und seinem Temperament steht. Nur auf Sie nimmt er noch Rücksicht, ansonsten geht er bei jedem falschen Schritt oder Wort in die Luft. Wir sind alle froh, uns nur das Gebrüll seines Raben und nicht sein eigenes anhören zu müssen, das ist weniger schmerzhaft.“ Hermine schüttelte den Kopf, das Lächeln schlich sich erneut auf ihr Gesicht. „Sie haben es wieder einmal geschafft. Aber glauben Sie ja nicht, ich würde aufgeben – eines Tages komme ich noch dahinter.“ Er hob eine Augenbraue und sah tatsächlich belustigt aus. „Ich warte darauf.“ Jetzt grinste sie tatsächlich einen Moment lang offen. Es war gut, dass sich diese Sache nicht geändert hatte und wohl auch nie ändern würde. Seit Hermine zusammen mit Harry und Ron begonnen hatte, aktiv mit dem Orden zu arbeiten, hatte sie herausfinden wollen, auf welcher Seite Snape denn nun stand – Dumbledores Wort stand gegen die Vermutungen ihrer beiden Freunde sowie die Berichte einiger verhörter Todesser. Doch Snape hatte sie gleich bei ihrem ersten Versuch, ihm etwas zu entlocken, durchschaut und gab ihr immer Antworten, die sie auslegen konnte, wie sie wollte. Es war ein regelrechtes Katz-und-Maus-Spiel zwischen ihnen geworden, ein Ritual, das sie jedes Mal, wenn sie zusammen arbeiteten, wiederholten. Lächelnd dachte Hermine an die ein oder andere Antworte zurück, bei der sie ihn nur um seinen unglaublich raschen Verstand beneiden konnte, dann fiel ihr jedoch an der letzten etwas auf. „Rabe? Sein Patronus ist ein Rabe?“ Snape nickte knapp. „Mittlerweile. Deswegen ja das Chaos. Wir waren seine Schlange gewohnt, aber seit fünf Tagen ist es ein Rabe.“ Irgendetwas in Hermines Gesichtsausdruck musste ihm gesagt haben, dass ihr Herz gerade einen Salto rückwärts veranstaltet hatte und ihr Puls mit einem Mal in die Höhe schnellte, denn er zog eine Augenbraue hoch und fragte mit einem fast schon befehlenden Unterton: „Wissen Sie, warum er seine Gestalt geändert hat? Haben Sie eine Ahnung, was mit ihm los ist? Und wagen Sie es ja nicht, einfach nein zu sagen – es ist eindeutig, dass Sie ihre Finger mit im Spiel haben.“ „Das ist leicht untertrieben“, murmelte sie fast unhörbar, dann erwiderte sie lauter: „Ich kann es mir denken, zumindest teilweise.“ Snapes zweite Augenbraue gesellte sich zu der ersten. „Ich höre.“ Hermine fällte in Sekundenschnelle einen Entschluss, und ihr Blick wurde hart. „Bei allem Respekt, Sir, aber das geht Sie nichts an.“ Sein Mund klappte für einen Sekundenbruchteil auf, bevor er offensichtlich merkte, was er tat und scharf erwiderte: „Das tut es sehr wohl. Ich muss Dumbledore Bericht erstatten, und diese Informationen sind sehr wichtig. So etwas ist noch nie vorgekommen.“ Hermine biss sich auf die Lippe und überlegte einen Moment. Im Grunde klang es vernünftig, was er sagte – doch mit einem Mal kehrte die Wut über Dumbledore zurück. Die Wut, dass er sie zurückgeschickt hatte, obwohl er ganz genau wusste, dass sie scheitern würde. Die Wut darüber, dass der Dumbledore in der Vergangenheit Schuld an ihrem Scheitern war. Und die Wut darüber, dass ausgerechnet jetzt einer seiner Ratschläge für schwierige Situationen in ihrem Kopf nachhallte. „Wenn Sie nicht wissen, was Sie tun sollen, leeren Sie ihren Geist. Befreien Sie ihn von allen Gefühlen, die Ihr Urteilsvermögen trüben. Erst dann können Sie nachdenken und eine vernünftige Entscheidung treffen.“ Schließlich die Wut darüber, dass dieser Spruch wahr war. Sie zwang sich, tief durchzuatmen. Dann leerte sie ihren Geist. Wunderbare, klare Linien empfingen sie unter dem Wirrwarr ihrer Gefühle, und die legte sie eine nach der andren frei. Schließlich rekapitulierte sie noch einmal alles – und sah Dumbledore aus seinen eigenen Augen. Der Dumbledore in der Vergangenheit hatte ihr nichts Böses gewollt – er hatte lediglich befürchtet, sie würde die Zeitlinie durcheinander bringen und zwar stark genug, um Geburten zu verhindern oder ähnliches. Kein Wunder, dass er schließlich nicht gezögert hatte, sie mit Gewalt zurück zu schicken, sie wusste im Grunde ja selbst, was alles schon passiert war. Da fiel ihr auf – wie hatte er eigentlich gewusst, an welchen Zeitpunkt er sie hatte schicken müssen? Sie behielt die Frage im Hinterkopf und dachte ihren angefangenen Gedanken zu Ende. Der Dumbledore aus der Gegenwart hatte schon gewusst, dass es schiefgehen würde. Warum hatte er sie trotzdem gehen lassen, nein, ihr sogar den Weg zum Zeitumkehrer erleichtert? Im Grunde war es lächerlich, noch zu grübeln. Er hatte es selbst gesagt, und er hatte wie immer Recht gehabt: Zeitreisen waren oft selbsterfüllende Prophezeiungen. Er hatte gewusst, dass sie die Zeitreise antreten würde, weil es zu dem Zeitpunkt, als ihr die Idee kam, ja schon geschehen war. Er hätte es nicht verhindern können, also war es durchaus vernünftig gewesen, ihr den Zeitumkehrer zu besorgen, bevor sie am Ende noch etwas dummes anstellte wie ins Ministerium einzubrechen. Und der Gedächtniszauber... Es war vielleicht nicht anständig von ihm, diese Episode ihres Lebens einfach wegzuschließen, aber in Anbetracht des Krieges war es die einzige Entscheidung gewesen, die sie von Dumbledore erwartet hatte – und vielleicht auch selbst getroffen hätte, wäre sie an seiner Stelle gewesen. Es war nicht das beste für sie gewesen, doch der Orden hatte sie gebraucht – und zwar nicht noch kaputter, als sie nach Rons Tod sowieso schon war. So gesehen hatte Dumbledore zwar nicht immer die richtige Entscheidung getroffen, ihr aber auch nie etwas Böses gewollt. Er hatte einfach nicht hellsehen können und hatte später Schadensbegrenzung betrieben. Hermine dachte noch einen Moment nach, dann nickte sie Snape zu. Sie würde Dumbledore Bericht erstatten – aber ohne Snape einzuweihen. „Sagen Sie ihm, dass sein Zauber auf mir gelöst wurde und es mir gut geht, ich allerdings im Augenblick nicht allzu gut auf ihn zu sprechen bin, auch wenn ich seine Beweggründe verstehe.“ Snape musterte sie eindeutig überrascht. Mit dieser Antwort hatte er wohl nicht gerechnet. „Miss Granger, Sie-“ „Tut mir Leid, aber von mir erfahren Sie nicht ein Wort mehr. Wie gesagt, es geht Sie nichts an – und Sie wissen genug, damit Dumbledore Bescheid weiß.“ Kapitel 24: Erwachen -------------------- Kapitel 24 - Erwachen Als Severus seinen Bericht beendete, hatte Dumbledore die Augen geschlossen. Er musterte ihn einen Moment lang fast argwöhnisch, als er auch weiterhin keine Reaktion zeigte. Schließlich wagte er, zu fragen: „Direktor?“ Dumbledore öffnete langsam die Lider. Der Anblick ließ Severus schlucken. Die sonst so strahlenden und forschenden hellblauen Augen hatten ihren Glanz verloren. In ihnen spiegelten sich Schuld und Resignation, und der Blick ließ den Schulleiter ausnahmsweise nach dem aussehen, was er war: Ein alter Mann, der zu viel von der Welt gesehen hatte. Severus kannte diesen Anblick. Es war der gleiche Blick, den er auch beim Tod des Weasley-Sprosses und der Verwundung Potters getragen hatte; immer dann, wenn einer seine Pläne nach hinten losgegangen war. „Severus“, erwiderte Dumbledore schwach. Dieser verschränkte die Arme vor der Brust. „Das war eine schlechte Nachricht, nicht wahr?“ Dumbledore blinzelte und legte den Kopf schief. „Nicht zwangsläufig. Es kommt ganz darauf an, wie Voldemort jetzt reagiert.“ Severus schnaubte. „Wenn er endlich aus seinen Räumen herauskommt.“ „Das kann durchaus ein gutes Zeichen sein, Severus. Wenn er lange in seinen Räumen bleibt, würde das bedeuten, dass er ernsthaft nachdenkt.“ „Aha“, gab Severus wenig überzeugt zurück. „Ja, durchaus! Und wenn er Hermine zu sich ruft und mit ihr redet, wenn er wirklich mit ihr reden will und nicht nur... seine Aggressionen an ihr auslassen, dann ist das ein noch viel besseres Zeichen. Falls das geschehen sollte, richte Hermine bitte aus, dass ich sie bei allem unterstütze, was ihr einfällt.“ Severus zog eine Augenbraue hoch, als er das hörte. „Ihnen ist klar, dass ihre Einfälle in einer anderen Situation schon einmal fast zu einem Streik der Gryffindor-Hauselfen geführt haben?“ Auf Dumbledores Gesicht erschien ein leises Lächeln, und mit einem Mal sah er wieder viel lebendiger aus. „Solche verrückten Ideen braucht es in dem Fall. Sag Hermine, dass sie meine volle Unterstützung hat und ich darauf vertraue, dass sie das Richtige tut.“ Severus nickte knapp, obwohl er immer noch nicht wusste, was hier vorging. Hermine hatte Recht gehabt – Dumbledore rückte auch nicht wirklich etwas heraus. Er wusste nur, dass Hermine tief in alldem drin steckte. Sehr tief. Tiefer als er. Und das hatte er bisher immer für unmöglich gehalten. „Oh, und behalte die aggressiveren Todesser im Auge, die Lestranges im Besonderen. Sie könnten bei einem Anführer, der sich zu Hause verbarrikadiert, auf dumme Gedanken kommen. Das muss verhindert werden.“ Severus Gesicht wurde eine Spur kälter, als er realisierte, was das für ihn bedeutete, doch er nickte anstandslos. Es war nicht das erste Mal, dass er diesen Auftrag erhielt. „Ist das dann alles, Direktor?“ Mit einem Mal wirkte Dumbledore wieder alt und müde. „Ja. Auf Wiedersehen, Severus.“ „Wiedersehen.“ Severus schüttelte den Kopf, als die schwere Bürotür hinter ihm zugefallen war. Es gefiel ihm immer noch nicht, dass er diesmal nicht Bescheid wusste. Und den Blankoscheck, den der Direktor Hermine ausgestellt hatte, beunruhigte ihn. Was hatte sie mit dem dunklen Lord angestellt? Wie viel Macht hatte sie über ihn? ~*~ Kaum hatte Snape das Zimmer verlassen, schwang Hermine die Beine aus dem Bett und sah sich um. Ihr Verstand ratterte wieder wie üblich und verdrängte alle konfusen Gefühle und Gedanken. Sie musste jetzt erst einmal wissen, wo genau sie gelandet war. Das Zimmer war klein. Ein Bett, ein Schrank, ein Tisch, ein Stuhl und zwei Türen. Durch die eine war Snape gerade verschwunden. Hinter der zweiten entdeckte Hermine ein kleines Badezimmer, wie ihr Schlafzimmer ohne Fenster und nur von Leuchtkristallen erhellt. Sie schloss die Tür wieder und sah sich unschlüssig um. Schließlich warf sie einen Blick in den Schrank. Er war gefüllt mit schwarzer Kleidung aller Art. Sie musste schlucken. Offensichtlich hatte Voldemort nicht vor, sie allzu bald wieder gehen zu lassen. Apropos gehen lassen... rasch durchquerte sie das Zimmer und griff probeweise nach der anderen Tür. Sie schnappte nach Luft, als sie wirklich aufging. Nach einem Blick auf einen steinernen, fensterlosen Korridor, der von grünen Fackeln erhellt wurde, schloss sie sie rasch wieder und sah das erste Mal nach dem Aufwachen an sich herunter. Und atmete erleichtert aus. Snape hatte sie offensichtlich nicht umgezogen, sondern ihre Kleidung nur magisch gereinigt. Sie trug noch die Schuluniform mit der dicken dunkelblauen Kampfrobe darüber, die sie auch getragen hatte, als sie gefangen genommen worden war. Sie griff in ihre Zauberstabtasche – doch noch einmal hatte sie kein Glück. Natürlich war ihr Zauberstab weg. Was hatte sie auch erwartet? Trotzdem öffnete sie ihre Zimmertür wieder und spähte nach draußen. Die konnten doch nicht erwarten, dass sie einfach da blieb und vor sich hin brütete, wenn sie die Tür nicht absperrten? Sie schlüpfte durch die Tür und lehnte sie hinter sich an. Adrenalin durchströmte sie und erfüllte sie mit neuer Tatkraft. Einzig ihr fehlender Zauberstab machte ihr zu schaffen, doch sie sagte sich, dass Voldemort ihr nichts tun würde – ansonsten hätte er sie auch einfach in ein Verließ einsperren können, statt ihr ein komplettes Zimmer einzurichten. Hermine folgte dem Gang um ein paar Ecken. Immer wieder kam sie an geschlossenen Türen vorbei, die sie sich nicht öffnen traute, bis der Gang schließlich in einen größeren mündete. Sie zuckte zurück, als sie in der Kreuzung mehrere Gestalten in Todesserumhängen stehen und sich unterhalten sah. Die, deren Gesichter sie sehen konnte, kannte sie nicht. Sie schluckte und sah sich rasch um. Keine Ausweichmöglichkeit. Schließlich beschloss sie, es darauf ankommen zu lassen, und ging langsam weiter. Vielleicht würden sie sie ja gar nicht beachten... Sie war schon fast an ihnen vorbei und in dem anderen Korridor, als eine Frauenstimme rief: „Hey! Wer bist du?“ Hermine schluckte ihr plötzlich aufwallende Angst herunter, holte tief Luft und drehte sich um. Eine dickliche, fies aussehende Frau, die sie nicht kannte, hatte sich aus dem Kreis herausbewegt und starrte sie unverhohlen an. Ihre Augen weiteten sich, als sie Hermine offensichtlich erkannte und ein „Granger!“ von sich gab. Als sie ihren Zauberstab zückte, stolperte Hermine ein Stück rückwärts. Da ertönte eine zweite Stimme. „Alecto! Du weißt, was sein Patronus gesagt hat! Lass sie in Ruhe!“ Narcissa Malfoy trat ebenfalls aus dem Kreis und drückte Alectos Zauberstabhand nach unten. „Du solltest in deinem eigenen Interesse nicht alleine herumlaufen, Granger“, meinte sie leise, ließ Alecto los und kam ein paar Schritte auf Hermine zu. Diese schluckte, blieb aber diesmal stehen. Narcissa schien ihr nichts Böses zu wollen. „Es gibt zu viele Todesser, die dich trotz deutlicher Anordnungen zu gerne alleine erwischen würden – aus dem einen oder anderen Grund.“ Sie warf einen wütenden Blick über ihre Schulter und Hermine sah mit Schaudern, wie einer der Männer in dem Kreis sie eindeutig verlangend anstarrte. „Sie haben Recht“, murmelte sie, als die Angst mit einem Mal wieder übermächtig wurde. „Ich sollte nicht hier sein.“ Sie wollte sich gerade auf den Rückweg zu ihrem Zimmer machen, da griff Narcissa nach ihrem Arm. „Doch, solltest du, wenn du in diesem Schlangennest überleben willst. Aber nicht alleine. Komm mit.“ ~*~ „Manchmal hasse ich meine Mutter“, brummte Draco Malfoy, als er neben Hermine einen langen Korridor entlang trottete. „Mal ehrlich – HIER für DICH Fremdenführer spielen!“ Er schnaubte. „Als hätte ich nichts besseres zu tun.“ Hermine brummte. „Lass deinen Ärger nicht an mir aus, es war immerhin die Idee von deiner Mutter und nicht meine! Und mal so ganz nebenbei, was ist hier eigentlich los? Ich hab nur gehört, dass Vol-“ „-Wag es ja nicht!-“ „-dass der Dunkle Lord sich seit meiner Ankunft nicht mehr blicken lässt und dass ihr Todesser mir nichts tun dürft. Weißt du wieso oder weshalb?“ Draco zuckte mit den Schultern und bog um eine Ecke. „Du bist Schuld, dass er sich verbarrikadiert. Mehr weiß ich nicht. Er hat nur gesagt, dass er über dich nachdenken muss und du solange tabu für alle bist.“ Hermine seufzte schwer. „Aber fünf Tage lang? Ist... ist das für ihn normal oder eher ungewöhnlich?“ Sie betraten eine große Halle, die offensichtlich als Speisesaal benutzt wurde und mit zwei langen Tischen und vielen hohen Stühlen gefüllt war. Vereinzelt saßen Todesser an den Tischen und spielten Schach oder Karten. Sie sahen alle auf und musterten Hermine, und sie versuchte, keinem direkt ins Gesicht zu sehen. „Eher ungewöhnlich“, antwortete Draco, jetzt allerdings viel leiser. „Komm mit, ich mag es nicht, hier zu sein.“ Er beschleunigte seine Schritte und die beiden betraten einen Korridor am anderen Ende des Speisesaals. Erst, als sie um die Ecke gebogen waren, sprach Draco wieder. „Da drin darfst du kein einziges falsches Wort sagen, irgendjemand hört immer zu, der dich verpetzen könnte.“ „Aber – ihr seid doch alle auf der gleichen Seite! Das sind vielleicht Zustände...“ Hermine war zum Schluss hin immer leiser geworden, doch anscheinend nicht leise genug. Draco sah sich um, bevor er schnaubte. „Du sprichst ein großes Wort gelassen aus. Zustände. Sei froh, dass keiner von dir hier erwartet, dass du vor dem Dunklen Lord im Staub kriechst.“ Hermine musterte ihn mit neuem Interesse. „Bist du... bist du eigentlich ein vollwertiger Todesser oder nur hier, weil dein Vater einer ist?“, wollte sie leise wissen. Als Antwort schob Draco den linken Ärmel seines schwarzen Umhangs nach oben. Hermine schnappte nach Luft, als sie das Dunkle Mal auf seinem Unterarm erkannte. Draco musterte es fast ein wenig abfällig und murmelte dann fast unhörbar: „Wie hätte ich mit dem Vater nein sagen können? Nach der Pleite im Ministerium vor zwei Jahren hatte ich nicht wirklich eine Wahl.“ Hermine schluckte und musterte ihn einen langen Moment. „Wieso... bist du so anders?“ Draco zog eine Augenbraue hoch und schüttelte den Ärmel wieder herunter. „Inwiefern anders?“ Hermine biss sich auf die Lippe. „Naja... nicht so fies wie in der Schule.“ Draco zuckte offensichtlich etwas verlegen mit den Schultern und wandte sich ab, doch Hermine packte ihn am Arm und zog ihn wieder zu sich herum. „Sag schon.“ Er seufzte. „Find hier mal jemand in unserem Alter, mit dem du normal reden kannst.“ Hermine schluckte, als sie verstand. Draco war schon länger nicht mehr in der Schule gewesen, das war sogar Harry, Ron und ihr aufgefallen, obwohl sie wegen Ordenseinsätzen auch des öfteren gefehlt hatten. Er musste hier seit Monaten unter Todessern leben. Irgendetwas in ihrem Blick musste Draco verraten haben, was sie dachte, denn er knurrte: „Wag es nicht, Mitleid mit mir zu haben, Granger!“, bevor er wieder zu laufen begann. Hermine spürte den alten Zorn auf ihn aufwallen, doch er verschwand so schnell, wie er gekommen war. Das war ein anderer Draco Malfoy als der, der sie in der Schule geärgert hatte. Nachdenklich folgte sie ihm weiter durch den dunklen Korridor, bis sie in eine weitere Halle kamen, von der mehrere Korridore abzweigten. „Das hier ist die Eingangshalle“, meinte Draco leise, der am Rand der Halle stehen geblieben war. „Der Korridor da drüben führt von der anderen Seite wieder zu deinem Zimmer, und der hier links führt in einen großen Versammlungssaal. Dort finden die Todessertreffen statt. Du solltest von diesen Treffen wegbleiben – sie sind nicht schön.“ Hermine nickte stumm. Draco steuerte einen dritten, relativ unauffälligen Korridor an. „Wohin gehen wir?“, wollte sie wissen, als sie ihm durch die Halle folgte. „Wirst du sehen“, gab er zurück. Der Korridor wurde bald schmaler und die Fackeln seltener. Draco zog seinen Zauberstab und ließ ihn aufleuchten. Nach einer Weile drückender Stille hörte Hermine ein neues Geräusch, ein Geräusch, das nicht recht in diese verwinkelten, offensichtlich unterirdischen Gänge passen wollte. Rauschen. Fast wie... Wasser. Aber das konnte nicht sein. Doch je länger sie gingen, desto lauter und unverkennbarer wurde es. Nach einer gefühlten Ewigkeit betraten sie eine Höhle, in der das Rauschen fast unerträglich laut war. Hermine stockte der Atem. Vor ihr lag ein See mit einem unterirdischen Wasserfall, der von irgendwo aus der Decke herunter stürzte. Draco trat näher zu ihr und rief über das Rauschen hinweg: „Ich hab hier ein paar Leuchtkristalle aufgehängt, als ich den Gang gefunden habe. Es ist fast ein Wunder, aber außer mir kommt niemand hierher.“ Hermine wandte sich zu ihm um. Er wirkte gelöster und zufriedener, als sie ihn die ganze Zeit hier erlebt hatte. Anscheinend war das eine Art Versteck für ihn, wann immer er die Nase voll von den Todessern hatte. Sie lächelte und rief genauso laut zurück: „Danke, dass du mich hergebracht hast.“ Für einen Moment erwiderte er ihr Lächeln, dann winkte er ihr, ihm zu folgen, und stapfte über einige lose Steine direkt bis ans Ufer. Hermine folgte ihm und setzte sich neben ihn auf den großen, flachen Stein, auf dem er sich niedergelassen hatte. Er griff nach einem kleinen Kiesel und warf ihn so, dass er mehrmals auf dem Wasser hüpfte. Hermine musste wieder lächeln, zog die Beine an und schlang die Arme um die Knie, während sie Draco dabei zusah. Es hatte etwas beruhigendes. Nach gefühlten hundert Steinen verkrampfte sich Draco plötzlich, ließ einen Kiesel fallen und hielt sich den linken Unterarm. Rasch kroch Hermine auf ihn zu und rief über das Tosen des Wassers hinweg: „Ruft er euch?“ Draco zog eine Grimasse und nickte. „Ich muss gehen. Bleib du hier. Es ist ohne Zauberstab eine Sackgasse, also versuch nicht, zu tauchen. Ich hol dich später wieder ab.“ Hermine nickte und biss sich auf die Lippe. Draco sprang auf und lief davon. Sie seufzte und blickte wieder auf die spiegelnde Wasseroberfläche. Eine Weile hatte sie alles vergessen können, doch nun kamen ihre Sorgen wieder. War Voldemort wieder aus seiner Isolation aufgetaucht? Was hatte er jetzt vor? Und was würde mit ihr geschehen? Sie kaute auf einer Haarsträhne herum, während ihre Gedanken sich im Kreis drehten, und griff selbst nach einem flachen Kiesel. Sie musste sich ablenken, im Moment konnte sie sowieso nur warten, bis das Treffen vorbei war. Kapitel 25: Scherben -------------------- Hallo an alle, die mich noch nicht vergessen haben! Tja, was sagt man nach einer so langen Pause? Zuerst einmal: Es tut mir Leid. Ich finde es selbst immer richtig blöd, wenn eine Geschichte abgebrochen wird oder kurz vor dem Ende nicht mehr weiter geht, deswegen habe ich ein ziemlich schlechtes Gewissen, weil ich nicht genauso sein will - und trotzdem habe ich es getan. Sicher, ich war zu Beginn etwas planlos, nachdem ich die Rückblende beendet hatte, und auch mein RL war nicht unschuldig an der Pause, aber das ist keine Entschuldigung - ich hatte die Idee, wie es weiter gehen könnte, mittlerweile schon länger. Es tut mir wirklich Leid. Aber das wird mir nicht noch einmal passieren. Und damit ich diesmal nichts verspreche, was ich nicht halten kann, habe ich die Geschichte zuallererst komplett fertig geschrieben. Ihr könnt also damit rechnen, dass ich regelmäßig hochlade. Vielen Dank an jeden, der mir und dieser Geschichte trotz der Pause noch eine Chance gibt. ~*~ 25 – Scherben Hermine war noch nie gut darin gewesen, Kiesel über das Wasser hüpfen zu lassen. Doch heute übte sie mit einer Ausdauer, wie sie sie noch nie gehabt hatte. Alles war besser, als wieder zu denken und zu fühlen – alles war besser, als sich umzudrehen und dem Leben zu stellen, dass auf der anderen Seite eines langen, düsteren Korridors auf sie wartete. Doch Weglaufen funktionierte nur eine Zeit lang. Draco hatte gesagt, er würde sie wieder abholen. Es war nur eine Frage der Zeit. Trotzdem ignorierte sie die hallenden Schritte solange, bis sie rechts und links von sich jeweils ein paar Füße stehen hatte. Sie schloss die Augen, warf den letzten Stein ins Wasser und sah auf. Draco stand auf ihrer linken Seite, Snape auf der rechten. Sie schluckte und erhob sich. Wieso mochte Draco Snape mitgebracht haben? Das war sein Versteck, und Hermine fand es schon seltsam genug, dass er es ausgerechnet ihr gezeigt hatte. Warum dann auch noch Snape? Die Antwort kam auf dem Fuß, als Snape mit dem Zauberstab schnippte und mit einem Mal Stille herrschte. Hermine blinzelte. Es klang regelrecht falsch – wenn Stille denn klingen konnte. Das Rauschen des Wasserfalls hatte in der letzten Stunde ihre gesamten Gedanken erfüllt, und es jetzt so plötzlich zu verlieren, war fast wie ein Schlag ins Gesicht. Draco sah genauso bedröppelt drein – er hatte offensichtlich ebenso wenig wie Hermine mit so etwas gerechnet. „Miss Granger“, begann Snape. „Der Dunkle Lord hat für das Treffen seit fünf Tagen das erste Mal seine Räume verlassen – und er will Sie sehen, sofort.“ Hermine schnappte nach Luft. Ihr Magen verkrampfte sich bei dem Gedanken an ein Wiedersehen mit ihm. Sie wollte Voldemort nicht sehen – es würde sie nur daran erinnern, was sie alles verloren hatte. Sie wollte nicht sehen, was aus Tom geworden war. Doch sie wusste, dass sie nicht entkommen konnte. So presste sie die Lippen aufeinander, schob sämtliche Gefühle in den Hintergrund und nickte knapp. Je schneller sie das hinter sich brachte, desto schneller hatte sie wieder ihre Ruhe... Snape zog sie ein Stück von Draco weg und beugte sich zu ihr hinunter, um ihr noch etwas zuzuflüstern: „Ich habe mit Dumbledore gesprochen. Er lässt ausrichten, wenn der Dunkle Lord ernsthaft gesprächsbereit ist, dann haben Sie Dumbledores Unterstützung bei jeder noch so verrückten Idee.“ Er machte eine Pause und musterte ihr Gesicht, als würde sie ihm jetzt erzählen, was los war. Als sie ihm den Gefallen nicht tat, lächelte er schmal. „Sorgen Sie dafür, dass die Idee nicht wieder zu einem Beinahe-Hauselfen-Streik oder etwas ähnlichem führt. Das könnte hässlich werden.“ Hermines Mundwinkel zuckten, aber sie konnte nicht wirklich lächeln. Gesprächsbereit? Was sollte das bitteschön heißen? Dass Voldemort mal so mir nichts, dir nichts fünfzig Jahre Hass vergaß und friedlich wurde? Sie presste die Lippen zusammen. Dumbledore konnte doch nicht so naiv sein! Wie alt war er bitteschön? Sie atmete tief durch. „Ich kann wohl kaum nein sagen, also... wo ist er?“ „Ich bringe Sie hin“, meinte Snape. „Folgen Sie mir.“ Sie nickte mechanisch. Er schnippte erneut mit dem Zauberstab und das Rauschen kehrte mit voller Wucht zurück. Hermine und Draco zuckten synchron zusammen, dann ließ Draco sich auf dem Stein nieder und griff wieder nach seinen Kieseln. Hermine verfolgte den ersten noch mit ihrem Blick über die Wasseroberfläche, dann kratzte sie ihren letzten Rest Gryffindormut zusammen und folgte Snape zurück in die Festung Voldemorts. Je leiser das Rauschen wurde, desto lauter dröhnten ihr ihre Schritte in den Ohren. Und als es ganz verstummt war, schien das Dröhnen ihre Trommelfelle regelrecht zu sprengen. Was würde Voldemort wohl wollen? Ihr Mund zuckte, als sie die eine oder andere Vorstellung zuließ. Von Anschuldigungen im besten Fall bis zu Folter oder Mord im schlimmsten war alles dabei. Ein Kloß bildete sich in ihrem Hals, als ihr mit einem Mal so deutlich wie seit der Zeitreise nicht mehr Toms Gesicht vor Augen stand. Nicht Voldemorts. Das Gesicht von einem siebzehnjährigen Tom Riddle, der sie unschuldig anlächelte, nachdem er sie dazu gebracht hatte, einen Tag Schule zu schwänzen... Ihr Blick verschwamm. Verdammt, sie würde doch deswegen jetzt nicht weinen? „Wir sind da, Miss Granger“, ertönte Snapes dunkle Stimme irgendwo vor ihr. Sie schniefte, wischte sich mit dem Robenärmel über die Augen und sah auf. Er musterte sie besorgt. „Alles in Ordnung?“ Sie lachte zittrig auf. „Wie sollte es?“ Er öffnete den Mund, musterte sie einen Moment und schloss ihn wieder. Dann schüttelte er langsam den Kopf. „Ich würde Ihnen helfen, aber wenn ich nicht weiß, was los ist...“ Langsam hob Hermine den Blick und sah ihn starr an. „Nein.“ Er presste die Lippen zusammen. „Gut, wie Sie wollen.“ Mit einer Hand deutete er auf die Tür hinter sich, mit der anderen ein Stück den Gang hinunter. „Das hier sind die persönlichen Räume des Dunklen Lords, und wenn Sie dem Gang um die nächste Ecke folgen, ist Ihr Zimmer das zweite auf der linken Seite.“ Er nickte ihr noch einmal zu und rauschte davon. Hermine schnappte nach Luft. Im nächsten Moment kamen die Tränen wieder. Sie hatte ihn nicht verscheuchen wollen. Er war nett zu ihr, und das war wohl eines des Dinge, die hier weit mehr wogen als Gold – doch sie war selbst Schuld, wenn sie seine Hilfe weiterhin ablehnte, das war ihr klar. Noch eine Sache, die schiefgelaufen war... Schniefend klopfte sie an die massive Holztür vor ihr. Und als sie lautlos aufschwang, trat Hermine mit dem dumpfen Gedanken ein, dass jetzt sowieso alles egal war. ~*~ Lord Voldemort zuckte regelrecht zusammen, als es leise an seiner Tür klopfte. Ihm war klar, wer dort war – er hatte sie schließlich selbst zu sich gerufen. Was ihm nicht recht klar war – wollte er sie überhaupt sehen? Er seufzte schwer und schnippte mit dem Zauberstab, um die Tür zu öffnen. Er würde sich nicht ewig vor ihr verkriechen können, also konnte er auch genauso gut jetzt mit ihr reden. Während leise, langsame Schritte im Nachbarzimmer immer näher kamen, musterte er seinen Zauberstab – und beschloss, sie ein wenig zu schocken. Es würde kein angenehmes Gespräch werden, da konnte er es genauso gut mit einem Knall beginnen. ~*~ Hermine machte unsicher einen Schritt nach dem anderen in einen langen, leeren Raum hinein, der vermutlich als Eingangshalle benutzt wurde. Mehrere Türen gingen von ihm ab und er war nur spärlich möbliert. Nur eine einzige Tür stand offen. Als sie auf diese zuging, fiel die Eingangtür hinter ihr ins Schloss und ließ sie zusammenzucken. Sie holte tief Luft und schloss einen Moment lang die Augen. Es war alles egal. Es war schon alles schief gelaufen. Er konnte sie nicht mehr schocken. Als sie die Augen wieder öffnete, war ihr Blick starr, aber entschlossen. Etwas bestimmter machte sie die letzten Schritte zu der offenen Tür, spähte hindurch – und schlug entsetzt die Hände vor den Mund. Vor ihr stand... nicht Voldemort. Aber auch nicht Tom. Etwas dazwischen. Er hatte noch Toms dicke, schwarze Haare und auch die Nase existierte noch, doch die Augen funkelten in einem kalten rot und die Haut war weiß wie Schnee. Mit weit aufgerissenen Augen ließ sie langsam die Hände sinken. Soviel zum Thema, er konnte sie nicht mehr schocken... Die Erinnerungen purzelten bei seinem Anblick, der noch stark an den alten Tom erinnerte, nur so durcheinander, und ihr Herz schlug mit einem Mal doppelt so schnell, als gut für sie gewesen wäre. Als er dann auch noch lächelte, zerfiel der letzte Rest ihrer Beherrschung endgültig und sie sackte zusammen, ihn fassungslos anstarrend. Das Lächeln hatte sich keinen Deut verändert. Mit diesem Lächeln hätte er sie damals am Ende zu allem überreden können – und es teilweise auch getan. Und gegen ihren Willen spürte sie, wie dieses gekräuselte Lächeln sie wieder in ihren Bann schlug. Aber... „Das – das kann nicht sein“, krächzte sie. „Das ist eine Illusion!“ Voldemort kam einen Schritt näher. „Ach ja?“, flüsterte er. Seine Stimme war ebenfalls nicht so hoch und kalt, wie sie erwartet hatte, sondern klang verdammt stark nach Tom. Er schnippte mit dem Zauberstab – was Hermine zusammenzucken ließ – und mit einem Schlag stand wieder Voldemort vor ihr. „Fragt sich nur, was von beiden die Illusion ist. Rate doch mal!“ Sie schluckte und rappelte sich langsam wieder auf. Seltsamer Weise klärten sich ihre Gedanken langsam, als er nicht mehr wie Tom aussah und klang. Die Schlussfolgerung, warum das so war, weigerte ihr Hirn sich allerdings zu ziehen – worüber sie dankbar war. „Ist das alles, weswegen ich herkommen sollte? Raten, wer du bist?“ Sie benutzte bewusst die vertraute Anrede – ein kleiner, hirnrissiger Teil ihrer Selbst wollte ausprobieren, wie er darauf reagieren würde. Seine Lippen kräuselten sich und sie musste wieder schlucken. Eine Sache, die sich definitiv nicht geändert hatte, auch wenn es sie diesmal nicht mehr so sehr aus der Bahn warf, jetzt, wo er nicht mehr wie Tom aussah. „Oh, das kommt ganz darauf an. Du hast mir nicht zufällig etwas zu sagen?“ Hermine zog verwirrt die Augenbrauen zusammen. Was sollte das denn jetzt? „Nicht, dass ich wüsste.“ Sie legte den Kopf schief und bevor sie wusste, was sie tat, fügte sie hinzu: „Aber lass mich raten – Der Kerl ohne Haare ist der Echte.“ Einen Moment lang blickte Voldemort tatsächlich überrascht drein, dann verdunkelten sich seine Augen. Hermine schluckte und machte einen Schritt rückwärts. „Du hast mir also nichts weiter zu sagen.“ Sie schüttelte den Kopf, als er auf sie zukam. Angst flatterte mit einem Mal wieder in ihr hoch. Sie machte einen weiteren Schritt rückwärts und stieß gegen die Wand. Er blieb dicht vor ihr stehen und stütze sich mit beiden Händen rechts und links von ihrem Kopf an der Wand ab. „Wirklich nichts?“ Wieder schüttelte sie den Kopf und wagte zu fragen: „Mit was hättest du denn gerechnet?“ Er beugte sich noch weiter zu ihr vor, bis seine Lippen beinahe ihr Ohr streiften. Hermine wurde stocksteif. „Oh, ich weiß nicht.“ Seine Stimme war leise und wäre beinahe verführerisch gewesen, hätte er noch Toms angenehmen Bariton besessen. „Du bist zwar nicht freiwillig weg gegangen, aber du hast mich belogen, mir später die Wahrheit verschwiegen, bist gekommen, um mich zu manipulieren, hast mich erpresst, damit ich nicht nachbohre... Fällt dir etwas auf?“ Hermines Herz pochte schmerzhaft gegen ihre Rippen, als er sich immer noch nicht von der Stelle bewegte. „Was – was sollte mir auffallen?“, presste sie heraus, in dem Moment unfähig zu denken. Er schnaubte leise und wisperte in ihr Ohr: „Das sind alles Dinge, für die jemand wie du sich normalerweise entschuldigen sollte, meinst du nicht auch?“ Hermine schnappte nach Luft, als ihr Hirn diese Information verarbeitet hatte und heißer Ärger urplötzlich in ihr hoch brodelte, und sie stieß ihn vor die Brust. Er hatte damit augenscheinlich nicht gerechnet und stolperte zurück. Hermine atmete schwer und funkelte ihn an. „Ich soll mich also entschuldigen?“ Jede Angst vergessend machte sie einen Schritt auf ihn zu und schubste ihn wieder. „Ich soll mich dafür entschuldigen, dass ich eine Katastrophe verhindern wollte?“ Sie wurde lauter. „Ich soll mich dafür entschuldigen, dass ich wollte, dass du ein normaler Mensch bleibst? Ich soll mich dafür entschuldigen, dass ich die wichtigste Regel bei Zeitreisen beachtet und ein Chaos verhindert habe, das es gegeben hätte, wenn du die Wahrheit gewusst hättest?“ Sie schrie jetzt beinahe, ohne es zu bemerken. „Ich soll mich dafür entschuldigen, dass ich nur das Beste für dich wollte? Ich soll mich dafür entschuldigen, dass ich mich mit dir angefreundet habe?!“ Wieder stieß sie ihn vor die Brust, doch diesmal blieb er stehen. Sie holte tief Luft und schenkte ihm einen Todesblick. „Sicher nicht!“, fauchte sie schließlich und verschränkte die Arme vor der Brust. Voldemort musterte sie einen Augenblick lang schweigend, dann knurrte er: „Du bist nicht besser als Dumbledore! Du hast also einfach beschlossen, was das Beste für mich ist, und erwartet, dass ich mitspiele! Gut, ich habe mitgespielt! Aber wenn du von mir erwartest, dass ich jetzt jubelnd durch die Gegend hüpfe, weil ich weiß, dass du nicht freiwillig gegangen bist, dann irrst du dich!“ Hermine schnaubte. „Das erwarte ich doch gar nicht!“ „Ach ja? Und was dann?“ Ihre Arme lösten sich, als sie das hörte, und ihr Ärger verpuffte im Nichts, ohne dass sie so recht wusste, warum. „Ich habe aufgehört, mir irgendetwas von irgendwem zu erwarten“, gab sie dumpf zurück. „Es ist sowieso schon alles schiefgelaufen.“ Sie senkte den Blick. „Mein Leben ist ein Trümmerhaufen. Wenn du noch etwas darauf herum trampeln willst, bitte. Viel kannst du nicht mehr kaputt machen. Aber-“ Sie hob den Kopf und suchte seinen Blick. „- Eins wirst du nicht kriegen – eine Entschuldigung dafür, dass ich dachte, ich tue das einzig Richtige.“ Voldemort schnaubte, doch sein Zorn war augenscheinlich abgeflaut. „Das einzig Richtige, ja? Wie wäre es mit etwas mehr Aufrichtigkeit gewesen?“ Hermine runzelte die Stirn. „Sicher, und du hättest zugehört“, entgegnete sie ironisch. „Sobald du gemerkt hättest, dass ich dich ändern wollte, hättest du dichtgemacht.“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich hätte es dir nicht sagen können. Mal ganz abgesehen davon, dass du mit lückenhaftem Wissen aus der Zukunft viel Unheil hättest anrichten können.“ Mit einem Mal fühlte sie sich müde, einfach nur noch müde, doch eine Erkenntnis dämmerte langsam, ein Gedanke, den sie schon gerne früher gedacht hätte, der es aber nie an die Oberfläche geschafft hatte. Sie sah sich das erste Mal im Raum um, erkannte es als eine Art Wohnzimmer, ging zu einem Sofa hinüber, das vor einem gewaltigen Kamin stand, und setzte sich. „Ich habe es mich nicht einmal denken trauen“, fuhr sie leise fort, „doch gegen Ende habe ich mir gewünscht, ehrlich zu dir sein zu können. Aber...“ Sie stockte, als er hinter ihr her kam und sich neben sie setzte. Sie blickte in den Kamin, um ihn nicht ansehen zu müssen. „Aber ich hatte zu viel Angst, das zwischen uns kaputt zu machen. Von dem Mist mit der Zeitreise, den ich nicht hätte erzählen dürfen, ganz zu schweigen.“ Sie blickte weiter in die Flammen und wartete auf eine wie auch immer geartete Antwort, doch die kam nicht. Einzig das Knistern des Feuers durchbrach die Stille. Unsicher geworden, sah sie auf. Er musterte sie mit einer solchen Intensität, dass sie schlucken musste. Sein Blick kreuzte ihren und hielt ihn fest. Sie hätte den Kopf nicht abwenden können. Nach einer gefühlten Ewigkeit flüsterte er: „Wie kann ich mir sicher sein, dass du mich nicht wieder anlügst?“ Ungläubig blinzelte sie. Es – war ihm wichtig, dass sie die Wahrheit sagte? Es kümmerte ihn? Ein winzig kleiner Hoffnungsfunke stieg in ihrer Brust auf, doch sie schlug in mit finsterer Entschlossenheit tot. Hoffnung war nicht mehr angebracht. Er war trotz allem Voldemort, und nicht Tom, oder? Sie zuckte mit den Schultern. „Ich würde Veritaserum schlucken, wenn es dir so wichtig ist.“ Einen Augenblick lang überfiel sie die Erinnerung an den Veritas-Zauber, den sie beide erfunden hatten, doch sie wollte nicht die sein, die noch mehr aufrührte. Er wusste alles von ihr aus dieser Zeit, jeden Gedanken – Moment mal. „Wozu brauchst du Veritaserum, wenn du meine gesamten Gedanken und Gefühle aus der Zeit kennst? Wie gesagt, manches habe ich mich nicht einmal denken getraut, aber du weißt, wie ich mich gefühlt habe. Das sollte reichen, um mich einzuschätzen.“ Sie wandte sich ab. Erst jetzt, nachdem sie es ausgesprochen hatte, sickerte diese Tatsache wirklich in ihr Bewusstsein. Er hatte alles von ihr gesehen. Wirklich alles. Ihr Mund wurde trocken. Die Gewissheit, dass er sogar alle ihre Gedanken gehört hatte, war nicht gerade angenehm. Mit einem Mal kam sie sich regelrecht nackt vor, und aus einem Instinkt heraus schlang sie ihre Arme um ihren Oberkörper, als könnte sie sich so vor der Legilimentik-Attacke schützen, die schon längst vorbei war. „Du bist schwer einzuschätzen“, erklang seine Stimme hinter ihr. Sie rührte sich nicht. „ Nicht mit Absicht“, gab sie dumpf zurück. „Du bist nicht dumm, du musst dich nur ausnahmsweise mal etwas anstrengen.“ Die Worte waren ihr wieder ohne Zutun aus dem Mund geschlüpft, und zu spät biss sie sich auf die Lippe. „Wahrscheinlich hast du Recht“, gab Voldemort hinter ihr zurück – und sie schnappte verblüfft nach Luft. Das war etwas, was sie nicht geglaubt hatte, jemals von einem Lord Voldemort zu hören. Langsam löste sie die Arme und drehte sich wieder zu ihm herum. Er musterte sie nachdenklich. „Normalerweise“, begann er leise, „haben die Leute Angst vor mir, himmeln mich an oder wollen mich unschädlich machen. Da ist es nicht wirklich schwer, sie einzuschätzen. Du bist anders.“ Sie schluckte und betrachtete ihn schweigend. Sicher, er sah immer noch wie Lord Voldemort aus, aber irgendetwas war anders. Er wirkte nicht mehr so gefährlich. Langsam senkte er den Blick. „Aber ich fürchte, ich kann Leute nicht gut einschätzen – für den Normalfall reicht es, aber für dich nicht.“ Als er den Kopf wieder hob, hatte er auf einmal seinen Zauberstab in der Hand. Hermine schnappte nach Luft und rührte sich nicht mehr vom Fleck. Sein Blick flackerte ein wenig, als er ihn auf sie richtete und leise, aber deutlich sagte: „Veritas.“ Hermines Augen wurden groß. Dass er, nachdem er so wütend über sie und ihre ganzen Absichten gewesen war, jetzt ihren Zauber benutzte, hätte sie nicht gedacht. „Hast du mich heute angelogen?“, fragte er leise, aber scharf. Sie schüttelte den Kopf. „Nein. Wozu auch? Es ist vorbei.“ Einen Augenblick lang schwieg er, doch als nichts geschah, atmete er hörbar aus. „Es ist nicht vorbei. Du bist schließlich hier.“ Hermines Herz machte einen Satz und der tot geglaubte Hoffnungsfunke loderte höher als zuvor auf. „Was... was meinst du damit?“, wollte sie wissen. Er wandte den Blick ab und antwortete nicht. „Sag schon“, setzte Hermine nach. „Du kannst nicht so was von dir geben und danach dicht machen!“ Doch er schüttelte nur den Kopf, stand auf und blickte mit dem Rücken zu ihr ins Feuer. Hermine folgte ihm auf dem Fuß. „Tom!“ Er wirbelte herum und starrte sie an. Erst jetzt wurde ihr bewusst, wie sie ihn gerade genannt hatte – doch sie gab nicht klein bei, sondern erwiderte seinen Blick. Er schluckte und meinte dann leise: „Etwas hast du erreicht. Du bist mir nicht egal, auch wenn du es sein solltest.“ Kapitel 26: Reflexion --------------------- 26 – Reflexion Hermine schluckte schwer. Sie konnte ihren Blick nicht von dem Voldemorts lösen. Drückende Stille umhüllte sie, die immer schwerer zu werden schien, bis ein Krachen sie zerriss. Hermine zuckte zusammen, entspannte sich jedoch wieder, als sie zwischen ihnen einen Hauselfen erkannte. Der kleine Kerl verbeugte sich tief vor Voldemort und verkündete zitternd: „Das Essen ist angerichtet, Milord.“ Voldemort nickte knapp. „Gut. Du kannst gehen, Tipsy.“ Mit einem zweiten Krachen verschwand der Elf wieder. Voldemort blickte wieder zu Hermine auf. „Komm mit.“ Sie folgte ihm nach draußen auf den Gang. „Merk dir den Weg“, murmelte er, während er Richtung Eingangshalle lief. Sie nickte und folgte ihm. Sie gingen den gleichen Weg entlang, den Draco und sie heute schon in die andere Richtung gelaufen waren, bis sie den Speisesaal betraten, wo die beiden Tische schon relativ voll mit Todessern waren. Hermine musste schlucken, als sie hinter Voldemort her zum Kopfende des einen Tisches ging. Er setzte sich direkt an die schmale Seite und winkte sie zu dem leeren Platz, der direkt neben ihm an einer der langen Seiten war. Darauf bedacht, keinen Todesser direkt anzusehen, setzte Hermine sich, der vielen Blicke, die auf ihr lagen, mehr als bewusst. Voldemort klopfte einmal auf den leeren Tisch, und schon füllte er sich, wie Hermine es aus Hogwarts kannte, mit allem möglichen Essbaren. Unsicher wartete sie ab, bis er sich seinen Teller gefüllt hatte, dann erst nahm sie sich selbst etwas. Eigentlich hätte es sie nicht wundern sollen, doch sie war dennoch positiv überrascht, wie gut das Essen schmeckte. Hauselfen. Natürlich. Nach ein paar Bissen wagte Hermine es, sich umzusehen. Ihr gegenüber saß Snape. Als er ihren Blick bemerkte, runzelte er die Stirn und wandte sich ab. Sie presste einen Moment lang die Lippen zusammen und aß weiter. Klasse gemacht, dachte sie. Den Einzigen vergrault, der Kontakt nach draußen hatte und von sich aus freundlich zu ihr gewesen war. Schwer schluckte sie den nächsten Bissen und blinzelte zu ihrer anderen Seite. Neben ihr saß Rodolphus Lestrange, und hinter ihm konnte sie seine Frau Bellatrix erkennen. Tief durchatmend senkte sie den Blick wieder. Sie war froh, dass Bellatrix nicht direkt neben ihr saß, auch wenn sie Rodolphus ebenso wenig einschätzen konnte. Er wirkte allerdings nicht ganz so wahnsinnig wie sie. Schweigend leerte sie ihren Teller und suchte dann ein wenig unsicher Voldemorts Blick. Er wurde auch gerade fertig, schob seinen Teller von sich und beugte sich dann leicht zu ihr. Etwas beunruhigt stellte sie fest, dass sie keine Angst mehr vor ihm hatte. Vor den Todessern, ja, aber nicht mehr vor ihm selbst. „Komm“, meinte er leise und erhob sich. Sie folgte ihm, und die beiden verließen den Speisesaal. Als sie außer Hörweite waren, brachte Hermine einen Gedanken zur Sprache, der schon eine Weile irgendwo in ihrem Hirn herumgegeistert war und jetzt Form annahm. „Was hast du mit mir vor?“ Er blieb so plötzlich stehen, dass sie beinahe in ihn hinein gelaufen wäre. „Wenn ich das wüsste“, murmelte er dumpf und so leise, dass sie sich nicht sicher war, ob er das wirklich gesagt hatte. Sie schluckte und fragte nicht noch einmal. Er schüttelte den Kopf, fuhr sich mit einer Hand darüber und meinte dann etwas lauter: „Komm. Ich bringe dich zu deinem Zimmer zurück. Wir reden morgen weiter.“ ~*~ Hermine schlief nicht viel in dieser Nacht. Sie fühlte sich so wach wie schon eine ganze Weile nicht mehr. Kein Wunder nach fünf Tagen, die sie praktisch vollständig verschlafen hatte. Ihre Gedanken wirbelten wild durcheinander, viel chaotischer, als es der Fall gewesen wäre, wenn sie sich auf etwas konzentriert hätte. Immer wieder tauchten alte Erinnerungen an den jungen Tom Riddle auf und vermischten sich mit Gesprächsfetzen von ihrem heutigen Gespräch mit Voldemort. Je länger sie mit offenen Augen im Bett lag und in die undurchdringliche Dunkelheit starrte, desto öfter musste sie daran denken, dass er sich eine Entschuldigung von ihr gewünscht hatte. Alleine das zuzugeben musste einen Dunklen Lord einen Großteil seines Stolzes gekostet haben. Und im Lauf der stillen Minuten bildete sich langsam ein Knoten in ihrem Bauch, der sie schlucken ließ. Sie hatte gedacht, das Richtige zu tun, ja. Aber das gab ihr noch lange nicht das Recht, jemanden so hinterhältig zu manipulieren. Die Tatsache, dass sie ihn mit Freundschaft zu ändern versucht hatte und ihn in Folge dessen wirklich irgendwann gemocht hatte, war keine Entschuldigung. Sie hatte ihn manipuliert. Daran gab es nichts zu rütteln. Zwar war Manipulation etwas anderes als Folter und Mord, aber es war trotzdem eine Sache, die sie bei Voldemort und seinen Todessern – die Malfoys waren darin schließlich Meister - immer verteufelt hatte. Mal ganz davon zu schweigen, dass sie ihn auch erpresst hatte. Wie konnte sie sich noch guten Gewissens zu den „Guten“ zählen, wenn sie die gleichen Mittel benutzte? Wie konnte sie noch guten Gewissens behaupten, alles nur für den guten Zweck getan zu haben? Draco Malfoy war auch nur für seinen guten Zweck ein Todesser geworden – um den Dunklen Lord zu besänftigen und sich und seine Familie nicht in Gefahr zu bringen. Konnte sie damit die Dinge rechtfertigen, die Draco mit Sicherheit als Todesser tat? Nein. Mit einem Seufzen drehte sie sich und blinzelte eine einsame Träne aus dem Auge, von der sie nicht gewusst hatte, dass sie da war. Voldemort – nein, Tom – hatte Recht. Sie sollte sich entschuldigen. Dringend. Sie war immer davon ausgegangen, dass er nie erfahren würde, was sie getan hatte und warum, und vermutlich hatte sie sich deswegen auch keine Gedanken darüber gemacht, wie er sich fühlen würde, wenn er es erfahren würde. Selbst vorhin bei ihrem Gespräch hatte sie nicht einmal eine Sekunde darüber nachgedacht. Sie schluckte. Es war erstaunlich, wie sehr sie bei diesen Überlegungen verdrängt hatte, dass er auch nur ein Mensch war. Ein Mensch, der nicht viel Zuneigung in seinem Leben erfahren hatte und den das Wissen, dass ihre Zuneigung am Anfang gespielt und die echte niemals geplant war, tief verletzen musste. Tiefer als die meisten anderen Menschen, obwohl so etwas jeden hart traf. Wieder wälzte sich Hermine herum und schniefte. Wann genau hatte sie angefangen zu weinen? Sie wusste es nicht. Er hatte jedes Recht der Welt, wütend auf sie zu sein. Und sie konnte ihn zwar um Verzeihung bitten, aber sie wusste genau, dass er ihr nicht vergeben würde. Und sie konnte es ihm nicht einmal verübeln. ~*~ Ihrem Hunger nach zu schließen, musste es Zeit zum Frühstücken sein. Doch Hermine saß weiterhin starr ins Leere blickend auf ihrem Bett und rührte sich nicht. Nach langen Stunden des Grübelns war sie letztendlich doch noch eingeschlafen und war viel zu früh wieder wach geworden. Sie fühlte sich wie gerädert. Nicht einmal die heiße Dusche hatte geholfen, und sie wusste auch, warum. Es waren keine verspannten Muskeln oder so etwas. Es war das Wissen, dass sie Voldemort immer dafür verurteilt hatte, andere Menschen nicht zu wertschätzen, aber selbst nicht besser war. Sie hatte Tom, der noch lange nicht Voldemort gewesen war, manipuliert und teilweise auch für ihre Zwecke verwendet, ohne darüber nachzudenken, was er wohl davon halten würde, hatte es bis gestern Nacht nicht einmal in Zweifel gezogen, ob ihr Handeln richtig war. Und sie wagte es nicht, ihm unter die Augen zu treten. Gryffindor hin oder her, sie konnte sich einfach nicht dazu aufraffen, aufzustehen und in den Speisesaal zu gehen. Das Wissen, dass er dort war, und dass sie direkt neben ihm sitzen würde, reichte, um ihren Hunger zu vergessen und stattdessen ihre Eingeweide zu verknoten. Seufzend zog sie die Knie an, umschlang sie mit ihren Armen und stützte ihren Kopf darauf, während sie weiter ins Leere starrte. ~*~ Lord Voldemort war... beunruhigt. Hermine war nicht zum Frühstück gekommen. Während dem Essen hatte er versucht, den leeren Platz neben sich zu ignorieren, doch er hatte seine Blicke weit öfter auf sich gezogen, als es ihm selbst Recht war. Himmel, sie hatte sein Leben beeinflusst wie niemand anders, hatte ihn verletzt und im Stich gelassen – und als er erfahren hatte, dass sie ihn doch nicht im Stich gelassen hatte, waren ihm im gleichen Moment ihre Erinnerungen an ihre gemeinsame Schulzeit ins Gesicht gesprungen, die für sie wohl nur eine Farce gewesen war. Eine Farce, um ihn komplett umzukrempeln. Das hatte ihn noch einmal tiefer getroffen als ihr Verschwinden. Und dann hatte sie noch nicht einmal einsehen wollen, dass sie vielleicht auch einmal Mist gebaut hatte, diese immer perfekte Alleswisserin... Wütend stach er mit der Gabel auf sein Rührei ein und zerbröselte es dabei mehr, als dass er wirklich etwas aufspießte. Hatte sie überhaupt eine Ahnung, was sie getan hatte? Vielleicht sollte er sie ja solange in ihrem Zimmer einsperren, bis sie entweder zur Vernunft kam oder wahnsinnig wurde, das wäre dann auch kein großer Verlust, wenn sie es bis dahin nicht eingesehen hätte... Er schnaubte, als er feststellte, dass die Gabel wirklich nichts mehr nutzte, und griff nach dem Löffel. Ein paar Bissen lang kam ihm der Gedanke brillant vor, dann machte sich bei der Vorstellung, Hermine einzusperren, Unbehagen in ihm breit. Als er das bemerkte, knirschte er mit den Zähnen. Das durfte doch nicht wahr sein! Es war verdammte fünfzig Jahre her. Und seit sie vor sechs Tagen hier aufgetaucht war, war alles wieder hochgekocht, von dem er gedacht hatte, es vergessen zu haben. Nicht nur einfache Erinnerungen, nein, auch die Gefühle von damals. Und das hatte ihn, gelinde gesagt, ziemlich aus der Bahn geworfen. Genug, um seine Todesser eine Weile nicht mehr sehen zu wollen. Doch die selbst verordnete Isolation hatte nichts geholfen. Im Gegenteil. Als er schließlich feststellte, dass seine Anhänger zu blöd waren, den Laden ein paar Tage ohne ihn am Laufen zu halten, hatte er mit einem Patronus Anweisungen geben wollen – doch es hatte nicht mehr funktioniert. Jedenfalls nicht mehr mit den Erinnerungen, die er bisher für seinen Patronus benutzt hatte. Stattdessen hatte sich immer wieder Hermines lachendes Gesicht in seine Gedanken geschlichen. Nach dem zehnten Versuch hatte er schließlich seinen Widerstand aufgegeben und es mit dem Gedanken an Hermine versucht. Das Ergebnis hatte ihn wahrscheinlich nicht weniger erschreckt als seine Todesser. Der Rabe hatte ihn nach Hermines Verschwinden noch ein paar Monate begleitet, aber er wurde nach seinem Schulabschluss, als er begann, sich mit den Dunklen Künsten zu beschäftigen, von einer Schlange abgelöst. Ihn jetzt wieder zu sehen, war ein Schock gewesen. Seine Wut war zwar nicht weniger geworden, aber er war wütend auf sich selbst gewesen, weil er nicht mehr wütend auf sie war. Zumindest, bis sie ihm gestern mit gebrochener Miene, aber klarer Stimme ins Gesicht gesagt hatte, dass sie sich nicht entschuldigen würde. Doch auch da war seine Wut auf sie erschreckend schnell abgeflaut – und alles nur, weil sie gesagt hatte, dass es ihr am Ende auch nicht mehr gefallen hatte, ihn anzulügen. Das sollte ihm eigentlich egal sein, immerhin änderte es nichts daran, was sie getan hatte, verdammt! Warum war es ihm dann nicht egal? Er knirschte erneut mit den Zähnen, schob seinen leeren Teller von sich und beschloss, ihr wenigstens zu zeigen, wo ihr Platz war. Während er aufstand und durch die langen Gänge lief, formte sich eine Idee in seinem Kopf. Keine nette Idee. Er musste etwas tun, um sie auf Distanz zu halten – sonst würde er noch so etwas Idiotisches tun wie ihr zu verzeihen, ohne dass sie sich entschuldigt hatte, und das war absolut inakzeptabel. Kapitel 27: Waffenstillstand ---------------------------- 27 - Waffenstillstand Hermine wäre fast vom Bett gepurzelt, als die Tür zu ihrem Zimmer aufgerissen wurde. Mit pochendem Herzen sah sie auf. Volde – nein, Tom – stand dort und musterte sie mit verschränkten Armen und einem Blick, den sie nicht recht deuten konnte. Sie schluckte und stand langsam auf. „Warum warst du nicht beim Frühstück?“ Hermine zuckte mit den Schultern und wich seinem Blick aus. Wieso kümmerte es ihn? Es sollte ihn nicht kümmern, nicht nach dem, was sie angerichtet hatte. Tom schnipste mit den Fingern und der Hauself, den Hermine gestern schon gesehen hatte, tauchte auf und verbeugte sich tief. „Was kann Tipsy für Milord tun?“ „Einmal Frühstück für Hermine, und zwar ein bisschen plötzlich“, gab er scharf zurück. Nicht einmal zehn Sekunden später stand ein voll beladener Teller mit Englischem Frühstück auf Hermines Tisch, flankiert von einer Tasse schwarzem Tee. „Aufessen“, befahl Tom. Hermine schluckte, als sie sich langsam an den Tisch setzte und nach Messer und Gabel griff. Noch immer kreisten ihre Gedanken um die Frage, wieso ihn interessierte, ob sie etwas im Magen hatte oder nicht. ~*~ Als sie ihren Teller nach einer gefühlten Ewigkeit unter seinem Blick endlich geleert hatte, marschierte er ohne Federlesen zur Tür und meinte kalt: „Mitkommen.“ Hermine erhob sich schluckend. Sie verbot sich jeden Gedanken daran, was er wohl vorhaben könnte, und folgte ihm nach draußen, sich dafür verfluchend, dass sie es während des Essens nicht über sich gebracht hatte, sich zu entschuldigen. Während sie ihm durch die steinernen Korridore folgte und den Blick starr auf seinen schwarzen Umhang geheftet hielt, nistete sich der unwillkommene Gedanke in ihrem Kopf ein, dass eine Entschuldigung auch nichts ändern würde, selbst wenn er ihr verzeihen würde. Er würde trotzdem nicht wieder zu dem Tom werden, den sie kannte. Sämtliche Leute, die in diesem Krieg gestorben waren, würden davon nicht wieder lebendig werden. Mit einem Mal stand ihr Rons Gesicht vor Augen und ihr Magen schien sich zu verknoten. Sie hatte gestern und heute nicht mehr an ihn gedacht. Wie hatte sie ihn aus ihren Gedanken verbannen können? In der Vergangenheit war es fast zu einfach gewesen, das war beinahe eine andere Welt gewesen. Aber hier, umringt von Todessern... Schlechtes Gewissen machte sich in ihr breit, und sie kam sich vor, als hätte sie ihn vergessen und im Stich gelassen. „Hier rein.“ Sie schreckte hoch. Tom hatte eine Tür geöffnet und winkte sie hindurch. Sie riss die Augen auf, als sie eintrat. Der Raum war groß und länglich, von Leuchtkristallen erhellt, hatte einen leicht geriffelten Boden, der allerdings nicht aus dem üblichen Stein war; und Zielscheiben und Puppen mit Zielscheiben auf der Brust und dem Kopf hingen ringsum an den Wänden. Eine weiße Linie auf dem Boden teilte den Raum quer in zwei fast quadratische Hälften. Ein Übungsraum für Zaubererduelle. Sie wandte sich zu Tom um, der gerade die Tür hinter ihnen schloss. „Was hast du vor?“, fragte sie leise. Seine Lippen kräuselten sich langsam. „Eine Herausforderung.“ Sie zog die Augenbrauen hoch, als er nicht weitersprach. „Wir werden uns duellieren. Wenn du es schaffst, mich zu entwaffnen, darfst du deinen Zauberstab nach dem Duell behalten. Wenn nicht, nehme ich ihn dir wieder ab und wir duellieren uns morgen wieder.“ Hermine schnappte nach Luft. „Du weißt, dass ich das nicht schaffe. Ich hab es schon damals nicht geschafft, und jetzt hast du mir fünfzig Jahre Erfahrung voraus!“ Er zuckte mit den Schultern und musterte sie kalt. „Das Leben ist nicht fair. Das solltest du am besten wissen.“ Etwas in Hermine zog sich bei seinem kalten Blick zusammen, und sie wollte gar nicht genau wissen, was es war. Er griff in seinen Umhang, holte ihren Zauberstab hervor und hielt ihn ihr hin. Vorsichtig ergriff sie ihn, dabei genau darauf bedacht, seine Hand nicht zu berühren. „Ich habe keine Wahl, oder?“, wollte sie wissen, während sie sich gegenüber aufstellten. Er lächelte kalt. „Nein, die hast du nicht. Du kommst hier erst wieder heraus, wenn du mir ein Duell geliefert hast, egal, wie es ausgeht.“ Hermine presste die Lippen zusammen, dann holte sie tief Luft und stellte sich dem Unvermeidlichen. Von Etikette wie Verbeugen und den anderen dann den Rücken zudrehen hatten sie beide nie viel gehalten, auch früher im Unterricht hatten sie das nie getan, von ihrem Wochenende im Raum der Wünsche ganz zu schweigen. Auch jetzt taten sie das nicht, auch wenn in Hermine die leise Erinnerung daran aufflackterte, dass Tom es bei seinem Duell mit Harry auf dem Friedhof getan hatte. Vermutlich nur, um Harry lächerlich zu machen. Hermine hatte ihren Zauberstab fest umklammert und wartete darauf, dass Tom den Anfang machte. Die roten Augen funkelten unheilverkündend, als mit einem Mal, ohne dass er eine Zauberstabbewegung gemacht hätte, der erste Fluch auf sie zuflog. Hermine wich aus und überließ ihren Instinkten das Feld. Das Duellieren ging seltsam mechanisch, meistens bestand es für sie sowieso nur aus Ausweichen oder Abwehren, da Tom „nur“ mit vielen normalen Flüchen arbeitete, und ihre Gedanken drehten sich im Kreis. Wieso tat er das? Er musste wissen, dass sie ihn niemals schlagen konnte. Und er musste auch wissen, dass sie mitspielen würde – den Zauberstab wieder zu bekommen, war ein verdammt starker Anreiz, selbst wenn es vielleicht nur für den Zeitraum des Duells war. Er hatte es darauf angelegt, verdammt! Er wollte ihr Hoffnung machen, wo keine war, und sie damit jeden Tag wieder verletzen. Ihr Hals wurde eng, als sie soweit gedacht hatte. Keine schlechte Idee, um ihr wenigstens etwas von dem heimzuzahlen, was sie ihm angetan hatte, das musste sie zugeben. Und auch, wenn sie ihn durchschaut hatte, sie musste mitspielen – er würde mit Sicherheit nicht zulassen, dass sie sich vor den Duellen drückte. Mit dem Gedanken, dass sie jetzt sowieso nichts mehr zu verlieren hatte, richtete sie wieder ihre ganze Aufmerksamkeit auf das Duell und beschloss, ihm wenigstens etwas Widerstand zu leisten, statt immer nur auszuweichen. Irgendwo hatte sie schließlich auch noch ein kleines bisschen Stolz in sich. Sie beschwor den Tueror-Schild herauf, um seine nächste Welle an Flüchen abzuwehren, und ließ dann einen Schwarm Vögel auf ihn los. Irrte sie sich, oder blitzte da ein Lächeln auf seinen kalten Gesichtszügen auf, als sie begann, selbst in die Offensive zu gehen? Sie sprang aus dem Weg, als er die Vögel in Feuerbälle verwandelte und mit unglaublicher Geschwindigkeit auf sie zuschießen ließ. Möglich wäre es durchaus. Ein Duell war schließlich nicht sonderlich interessant, wenn man keinen Widerstand bekam. Grimmig sprang sie wieder auf die Füße, entschlossen, es ihm jetzt erst recht schwer zu machen. Sein nächster Fluch brach den Tueror-Schild mit einem dumpfen Dröhnen in Scherben. Hermine verwandelte die aus reiner Magie bestehenden Scherben in spitze Nadeln, die sie auf ihn abschoss. Er verwandelte sie in Hagelkörner, die auf Hermine einprasselten und sie fast von den Füßen rissen, bis sie es schaffte, sie schmelzen zu lassen und eine Wasserfontäne zurückschickte. Ein wölfisches Grinsen erschien auf Toms Gesicht und ließ ihn einen Augenblick fast wieder wie sein jüngeres Selbst aussehen. Ohne ihr Zutun musste Hermine ebenfalls lächeln. Es war fast wie damals. Die Erinnerung an ihre Duelle im Unterricht und dem Raum der Wünsche vermischte sich mit dem jetzigen Duell und gab Hermine einen regelrechten Adrenalin-Kick. Das Wasser kam als riesige Welle zurück, die Hermine verdampfen ließ und den heißen Dampf dann wie aus einem Ventil in einem Strahl auf ihn zuschoss. Er verwandelte den Dampf wieder, sie ebenfalls und so ging es eine gefühlte Ewigkeit hin und her. Sie wusste, dass er sie mit einem Schlag hätte erledigen können, wenn er neben ihren Verwandlungen noch zusätzliche Zauber abgefeuert hätte, aber er tat es nicht. Bei einem flüchtigen Blick auf sein Gesicht stellte sie fest, dass das kräuselnde Lächeln immer noch in seinen Mundwinkeln nistete. Es machte ihm Spaß! Und bevor Hermine weiter nachdenken konnte – eine riesige Schlange hielt sie erfolgreich vom Denken ab, bevor sie sie in einen Feuerreifen verwandelte – lächelte sie erneut. Alle Gedanken an das miese Spiel verdrängend, was hinter diesem Duell stand, ließ sie zu, dass sie es genoss. Wer wusste schon, ob sie den Rest des Tages noch etwas zu lachen hatte? Und solange Tom Spaß an der Sache hatte, ohne sie in Grund und Boden zu stampfen, konnte sie sich ruhig auch ein wenig Spaß gönnen. Sie konnte ihn gebrauchen. ~*~ Severus Snape hatte schlechte Laune. Warum war er bitte immer der Überbringer schlechter Nachrichten, wenn hier irgendetwas schief lief? Er war unersetzlich, pah. Als ob ihn das vor Voldemorts Laune retten würde... Düster vor sich hin starrend marschierte er Richtung Duellräume. Er hoffte inständig, dass er den Dunklen Lord beim Duellieren stören konnte, ohne gleich einen Fluch um die Ohren zu bekommen. Da war er normalerweise sehr empfindlich. Doch alle Gedanken an sein eigenes Wohl verschwanden mit einem Schlag, als er die versiegelte Tür zum größten Duellraum mit Magie geöffnet hatte und sah, mit wem der Dunkle Lord sich duellierte. Hermine Granger. Doch das war nicht das erstaunlichste. Das, was ihn wirklich die Kinnlade nach unten klappen ließ, war das Duell an sich. Der Dunkle Lord fluchte sie nicht in Grund und Boden, wie er es erwartet hatte, sondern ließ zu, dass sie sich zur Wehr setzte und passte seinen Stil ihrem an. Erstaunlicher Weise benutzten sie Verwandlungen, und die Art, wie Hermine sich bewegte, gab ihm das unbestimmte Gefühl, sie würde sich nicht zum ersten Mal mit ihm duellieren. Aber das war nicht möglich, oder? Was Severus schließlich endgültig schockte, war Hermines Gesichtsausdruck. Grimmig lächelnd, entschlossen, und vor allem offen. Es schien ihr tatsächlich Spaß zu machen. Severus' Augen verengten sich. Langsam war ihm die Sache nicht mehr ganz geheuer. Es machte ihn regelrecht wahnsinnig, nicht zu wissen, was hier vorging. In diesem Moment erblickte Hermine ihn, war einen Moment zu lang unaufmerksam – und wurde von einer gewaltigen Windhose erfasst, die sie fast bis zur Decke trug und dann gegen die Wand schleuderte. Ihr Schrei ließ ihn zusammenzucken. ~*~ Hermine keuchte schwer, als sie an der Wand herunterrutschte und unsanft auf dem Boden aufschlug. Die Windhose löste sich auf, doch sie bekam es kaum mit. Ihr Schädel war an die Wand gekracht und fühlte sich so an, als könnte er jeden Moment bersten. Sterne tanzten vor ihren Augen und alles begann sich zu drehen. Jemand setzte sie auf. Rote Augen musterten sie, und ihr Blick wurde ein wenig klarer. „Alles in Ordnung?“, fragte Tom leise. Langsam setzte ihr Denken wieder ein, doch die Worte waren aus ihrem Mund geschlüpft, ehe sie sie aufhalten konnte. „Ich weiß zwar nicht, warum dich das noch interessiert, aber-“ Übelkeit wallte so plötzlich in ihr auf, dass sie es nur mit Mühe schaffte, sich zur Seite zu beugen und ihr Frühstück auf den Fußboden statt über Toms Robe zu würgen. Ein zweites Gesicht tauchte in ihrem Blickfeld auf. Schwarze Haare, schwarze Augen. Snape, eindeutig, auch wenn ihr Blick wieder verschwamm. „Miss Granger!“, ertönte seine tiefe Stimme. „Sehen Sie mich an!“ Langsam blinzelte sie, doch ihr Blick wurde nicht klarer. Es fiel ihr schwer, etwas zu fokussieren. Sie hörte jemanden seufzen, wusste aber nicht, wen von den beiden. „Sie hat eine Gehirnerschütterung“, ertönte wieder Snapes dunkle Stimme, seltsam verwaschen. Dann spürte sie, wie jemand etwas, wohl einen Flaschenhals, an ihren Mund hielt. „Trinken Sie das, Miss Granger.“ Mit einer enormen Anstrengung schaffte sie es, die Hand zu heben und das Fläschchen ein wenig wegzuschieben, bevor sie murmelte: „Was ist das? Warum?“ Ihre Hand wurde von einer zweiten von der kühlen Flasche gelöst und die Flasche wieder an ihren Mund gehalten. „Traumlosschlaftrank, vermischt mit einem Heiltrank gegen leichte Verletzungen.“ Hermines Widerstand brach, als Schwärze auf ihr Bewusstsein zu kroch. Der Trank würde auch keinen Unterschied mehr machen. Sie öffnete den Mund. Kühl rann ihr die Flüssigkeit den Hals hinunter, und nur Sekunden später umschloss sie die Schwärze komplett. Das letzte, was sie spürte, waren große Hände, die sie festhielten und vor dem Umkippen bewahrten. ~*~ Tom saß in Hermines Zimmer, neben ihrem Bett, wo sie immer noch schlief. Sie hatte den Rest des Tages und die ganze darauf folgende Nacht verschlafen, doch Severus hatte gemeint, das sei normal. Er selbst hatte gerade gefrühstückt, dabei Bellatrix und Rabastan in Grund und Boden gebrüllt, weil sie es gestern geschafft hatten, beim simplen Auskundschaften der Winkelgasse in eine Horde Auroren zu rennen und Crabbe senior und McNair zu verlieren, und war dann hierher gekommen. Warum, wusste er selbst nicht so recht. Nach Severus' Aussage müsste sie wieder in Ordnung sein, wenn sie aufwachte, also gab es keinen vernünftigen Grund, trotzdem hier zu sitzen. Er seufzte schwer und fuhr sich mit der Hand über den Kopf. Er hatte das dumpfe Gefühl, dass Hermine noch einmal sein Untergang sein würde. Ein leises Stöhnen zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Sie blinzelte und gähnte, noch im Halbschlaf. „Hermine?“, fragte Tom leiser und besorgter, als er es eigentlich wollte, und gab sich einen mentalen Fußtritt dafür. Sie öffnete langsam die Augen und sah sich um, bis sie ihn erkannte und ihr Blick an seinem Gesicht hängen blieb. „Wie geht es dir?“ Sie streckte sich und setzte sich langsam auf. Plötzlich verzog sich ihr Gesicht zu einer Grimasse und sie griff sich an den Kopf. „Als hätte ich einen Kater“, murmelte sie undeutlich. Tom verengte die Augen. Davon hatte Severus nichts erwähnt. „Severus meinte, wenn du aufwachst, müsstest du wieder in Ordnung sein. Ist sonst alles okay?“ Und wieder hätte er sich am liebsten schlagen mögen. Wieso bei Merlins Eiern war er so besorgt um sie? Hermine blinzelte ihn einen Moment verwirrt an, dann sah er, wie ihre Augen feucht wurden. „Wieso?“, flüsterte sie. Er runzelte die Stirn. „Wieso was?“ „Wieso – wieso machst du dir noch Sorgen um mich – nach allem, was ich angerichtet habe?“ Tom starrte sie einen Moment haltlos verblüfft an, dann rügte er sich selbst. Er hätte wissen müssen, dass es ihr auffiel – sie war schließlich nicht dumm. Unwirsch wischte sie sich eine einsame Träne vom Gesicht, während sie ihn weiter anstarrte. „Ich habe es nicht verdient, dass ausgerechnet du dir Sorgen machst“, flüsterte sie erstickt. „Ich habe dein ganzes Leben zerstört. Ich habe nicht ein einziges Mal darüber nachgedacht, dass du ein Mensch bist wie ich. Ich habe nur gesehen, was ich sehen wollte.“ Sie wischte sich erneut mit dem Ärmel über das Gesicht und fuhr noch leiser fort: „Dass ich dich am Ende wirklich gemocht habe, macht es nicht besser. Ich – ich dachte, das wäre das Einzige, was ich noch hätte tun können, um den Krieg nicht zu verlieren. Aber... ein ehrlicher Kampf gegen dich wäre um einiges fairer gewesen als dich hinterrücks zu manipulieren. Ich bin nicht – nicht einen Deut besser als ihr. Und ich habe nicht das Recht, euch deswegen zu verurteilen. Und – und überhaupt...“ Sie schluchzte auf, brach ab, kehrte ihm den Rücken zu und rollte sich unter ihrer Decke zusammen. Tom holte tief Luft und stellte fest, dass er einen Kloß im Hals hatte. Seine Wut auf sich selbst schmolz, als er sich noch einmal durch den Kopf gehen ließ, was sie gesagt hatte. Sie hatte begriffen. Begriffen, dass auch sie nicht fair gehandelt hatte. Das war mehr, als er jemals erwartet hatte nach dem Gespräch gestern. Vorsichtig legte er eine Hand auf die Erhebung in der Decke, die wohl ihre Schulter sein musste. „Hermine?“, flüsterte er. Sie schluchzte auf und zog sich die Decke auch über den Kopf, während sie seine Hand abschüttelte. „Lass mich“, klang es dumpf darunter hervor. Tom schluckte. Er hatte mit einem mal den alles überwältigenden Drang, sie in den Arm zu nehmen, und das erschreckte ihn nicht halb so sehr, wie es sollte. Langsam zog er die Decke von ihrem Kopf und drehte sie an der Schulter zu sich herum. „Es ist okay“, meinte er langsam und fast ein wenig unsicher. Sie musterte ihn ungläubig. „Es ist okay!“, wiederholte er etwas bestimmter, dann senkte er den Blick, behielt seine Hand jedoch auf ihrer Schulter. „Du hast Recht, eigentlich müsste ich wütend sein. Aber... ich bin es nicht. Nicht mehr.“ Langsam setzte Hermine sich auf, und er nahm seine Hand weg. Sie musterte ihn mit einem Blick, den er nicht wirklich deuten konnte. Sie presste die Lippen zusammen, blinzelte ein paar Tränen weg und flüsterte dann: „Es tut mir Leid, Tom. Ich wollte dich niemals verletzen, jedenfalls nicht, seit ich in die Vergangenheit gereist bin. Zumindest das kann ich mit gutem Gewissen sagen.“ Er schluckte. Diesmal brauchte er keinen Veritas-Zauber. Er konnte es in ihren Augen erkennen. Sie sagte die Wahrheit. Seine Kehle schien sich zuzuschnüren. Nach einem endlosen Moment schaffte er es, zu nicken. Dann riss er sich zusammen und griff in eine Tasche in seinem Umhang. Er zog Hermines Zauberstab heraus und legte ihn auf den Tisch. Ihre Augen wurden groß. „Du – du gibst ihn mir wieder?“ Er nickte erneut. „Du bist frei, zu tun und zu lassen, was du willst. Du kannst hierbleiben oder gehen.“ Er senkte einen Moment lang den Blick, dann gab er sich noch einen Ruck und sah sie wieder an. „Aber wenn du hier bleibst – was hältst du von einem Duell, wenn es deinem Kopf besser geht?“ Ein Lächeln zupfte an ihren Mundwinkeln und er stellte einen Moment zu spät fest, dass er ebenfalls lächelte, doch es störte ihn nicht mehr. Kapitel 28: Mosaik ------------------ 28 - Mosaik Hermine wusste nicht recht, warum, doch sie blieb. Nun ja, mal abgesehen von den Duellen mit Tom, die ihr wirklich Spaß machten. Ihr machte es nichts aus, gegen ihn zu verlieren. Es war klar, dass sie ihn nicht schlagen konnte, aber das störte sie nicht, solange Tom sie nicht in Grund und Boden stampfte, sondern sich augenscheinlich ihr anpasste und auch Spaß an der Sache zu haben schien. Vielleicht wollte sie nicht wieder zurück. Zurück in eine Welt, die in Trümmern lag. Hier war sie abgeschnitten von allem, was sie am liebsten verdrängen würde. Es war feige. Doch auch diesen Gedanken verdrängte sie. Das würde nicht lange gut gehen, das wusste sie, doch noch waren die Schmerzen zu frisch, um neue, zusätzliche Schmerzen ertragen zu können. Drei Tage lang duellierte sie sich nach dem Frühstück mit Tom und verbrachte den Rest des Tages entweder an Dracos See oder in ihrem Zimmer mit einem Stapel Bücher, die Tom ihr ausgeliehen hatte. Außer ihm sprach keiner mit ihr. Snape ging ihr aus dem Weg. Nur einmal hatte sie Draco an seinem See getroffen, doch sie hatten sich nicht unterhalten, sondern schweigend beide eine Weile Steine über das Wasser springen lassen, bevor sie ebenso schweigend zusammen in den Speisesaal zum Essen gegangen waren. Das Essen allerdings war eine Sache, die Hermine relativ schnell verabscheuen gelernt hatte. Hier sah sie Snape fast jedes Mal, und so sehr, wie er ihr sonst auswich, so sehr trieben seine Blicke sie hier in den Wahnsinn. Draco hatte Recht gehabt – in diesem Saal gab es immer jemanden, der zuhörte – egal, ob er sollte oder nicht. Tom hatte das ein oder andere Mal ein Gespräch mit Hermine anfangen wollen, doch bei Snapes deutlich zu interessiertem Blick hatte sie es nie gewagt, darauf einzugehen. Himmel, er könnte wenigstens etwas weniger offensichtlich versuchen zu lauschen! Während des Abendessens nach dem dritten so verbrachten Tag wandte Hermine aus einem Impuls heraus nicht wie sonst den Blick ab, als Snape sie musterte, sondern betrachtete ihn nachdenklich. So offensichtlich zu lauschen, und das tagelang, passte definitiv nicht zu ihm. Wenn er ernsthaft etwas hätte erfahren wollen, fiel ihr mit einem Mal auf, dann hätte Hermine nicht bemerkt, dass er gelauscht hätte. Das wiederum konnte nur bedeuten, dass er bemerkt werden wollte – aber ihm musste klar sein, dass er damit alles an Gesprächen zwischen Hermine und Tom unterband, wenn er – Hermine ging ein ganzer Kronleuchter auf. Es war eigentlich armselig für ihr viel gelobtes Gehirn, dass sie drei Tage für diese Schlussfolgerung gebraucht hatte. Sie zog eine Augenbraue hoch, und als er es ihr mit leicht spöttischem Lächeln nachtat, nickte sie zu den Todessern, die in Hörweite saßen. Snapes Augenbraue senkte sich langsam wieder und er nickte knapp. Auf Hermines Gesicht breitete sich ein feines Lächeln aus. Sie hatte Recht gehabt. Snape wollte, dass sie sich belauscht vorkam, damit sie eben nichts sagte oder tat, was das Belauschen wert gewesen wäre. Denn die anderen Todesser hätten mit Sicherheit ebenfalls gelauscht – und es hätte Toms Ruf nicht gut getan, wenn sie mitbekommen hätten, dass er Hermine erlaubte, ihn zu duzen – unter anderem. Sein Ruf musste durch ihre bloße Anwesenheit als offensichtlich mehr oder weniger geschätzter Gast statt als Gefangene sowieso schon genug gelitten haben. Sie schluckte und ließ den Blick über die beiden langen Tische wandern. Nicht wenige Todesser wandten hastig den Blick ab, als Hermine sie ansah. Einzig Draco hielt ihren Blick einen Moment lang. Sie nickte ihm unmerklich zu und erhob sich dann. Mittlerweile wartete sie nicht mehr auf Toms Erlaubnis. Sie tat es den Todessern gleich, die ebenfalls einfach gingen, wenn sie fertig waren. Er hatte nie etwas dagegen gesagt. ~*~ „Ach du heilige Scheiße!“, rief Harry Potter aus – und sank dann stöhnend in seine Kissen zurück. Seine rot angelaufenen, noch etwas trüben Augen suchten Dumbledores Blick. Dumbledore lächelte schwach, doch seine Augen lächelten nicht mit. „Ich hätte wahrscheinlich nicht exakt diese Worte benutzt, aber treffender hätte ich es nicht ausdrücken können.“ Er seufzte schwer. „Im Grunde ist es meine Schuld. Ich hätte Hermine in der Vergangenheit niemals freie Hand lassen dürfen. Aber als ich bemerkt habe, was ich zugelassen hatte, war es zu spät.“ Stille legte sich über sie. Nach einer Weile fragte Harry leise: „Und... was tun wir jetzt?“ Dumbledore hob den Kopf. „WIR tun überhaupt nichts, Harry. Du bleibst hier und kurierst dich aus. Wir können dich nicht auch noch verlieren. Wie geht es deinen Augen?“ Harry stöhnte. „Ich sehe etwas. Allerdings verschwommener als früher ohne Brille, und alles nur in Schwarzweiß, egal, wie hell es ist.“ Dumbledore lächelte. „Immerhin. Mit einer entsprechend stärkeren, magischen Brille dürfte das Bild zumindest wieder scharf werden. Das ist mehr, als ich gehofft hatte.“ Harry seufzte schwer. „Es nützt nichts. Ich kann trotzdem nichts mehr für den Orden tun. Und Voldemort erledigen erst recht nicht mehr. Wie soll ich mich duellieren, wenn ich nicht sehe, welche Farbe die Flüche haben? Ich kann mich niemals darauf verlassen, dass ich einen Fluch blocken kann und es kein Unverzeihlicher ist.“ Dumbledore schüttelte den Kopf. „Mach dir keine Gedanken über Voldemort, Harry. Überlass das Hermine. Ich will dir keine ungerechtfertigten Hoffnungen machen, aber nach Severus' Bericht kümmert er sich um sie. Sie ist ihm offensichtlich nicht egal. Wir haben vielleicht doch noch eine Chance, dass ihr Plan nicht ganz nach hinten losgegangen ist.“ Harry wollte eine Grimasse ziehen, doch seine neue, noch rosane Haut verzieh ihm das nicht und riss an seiner Wange wieder auf. Er zog scharf die Luft zwischen seine Zähne. „Daran glaube ich erst, wenn Hermine vor mir steht. Tut mir leid, aber in Voldemort ist nichts mehr Menschliches übrig, was sie ändern könnte.“ Dumbledore erhob sich langsam. „Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Im Moment können wir nur abwarten.“ Harry nickte vorsichtig und blinzelte düster. „Das wird mich noch wahnsinnig machen. Immer nur zu warten – und das alles wegen meiner eigenen Blödheit.“ Dumbledore lächelte besänftigend. „Niemand ist ohne Fehler, Harry.“ Harry brummte. Als Dumbledore sich zum Gehen wandte, fragte er dumpf: „Ist Rons Beerdigung schon vorbei?“ Dumbledore musterte ihn mitfühlend. „Nein. Miss Weasley hat darauf bestanden, das Wenige, was wir beerdigen können, solange zu konservieren, bis du wieder auf den Beinen bist.“ Harry seufzte schwer und murmelte mehr zu sich selbst: „Das habe ich nicht verdient. Immerhin war es meine Schuld.“ Mit einem langen Schritt war Dumbledore zurück an Harrys Bett getreten. „Hör mir gut zu, Harry. Es war NICHT deine Schuld. Es war Voldemorts Schuld. Ohne ihn wärt ihr beide nicht dort gewesen. Verstehst du mich?“ Harry nickte langsam, doch er sah nicht überzeugt aus. „Ich hätte alleine gehen sollen...“ „Ron hat dich aus freien Stücken begleitet. Er wusste, dass es gefährlich war. Gib dir nicht die Schuld dafür, dass du Freunde hast, die zu dir halten.“ Harry schluckte sichtlich, doch sein Blick flackerte. Dumbledore lächelte wieder. „Miss Weasley wartet vor der Tür. Ich lasse euch alleine. Wir sehen uns, sobald ich etwas Neues von Hermine weiß.“ Harry nickte langsam. „Danke.“ ~*~ Albus Dumbledore war verwirrt. Etwas in dieser Höhle entzog sich seinem Verständnis. Er hatte erwartet, eine gut versteckte magische Signatur flimmern zu spüren, einen Horkrux, und vermutlich noch einen Schatten des Explosionszaubers, der Harry und Ron erwischt hatte. Vermutlich weitere Schutzzauber, die gut getarnt überall verstreut waren. Bisher war es bei allen Horkruxen so gewesen. Doch hier war – nichts. Gar nichts. Kein einziges Flimmern. Die Magie schwieg vollkommen. Und das war eigentlich nicht möglich, Magie wohnte allem inne, selbst leblosen Dingen wie Steinen. Es war, als hätte jemand Albus‘ Sinne ausgeschaltet. Fast fühlte es sich so an, als würde eine Art Decke ihn von der Welt abschirmen. Sich wachsam umsehend machte er einen vorsichtigen Schritt in die langgezogene Höhle hinein. Der Druck auf seinen Sinnen stieg. Er schluckte. Das war nicht gut. Es war tatsächlich diese Höhle, die Albus‘ Gespür für Magie ausschaltete. War es ein Zauber Voldemorts? Mit Sicherheit. Das erklärte auch, warum die Jungs in die Falle getappt waren. Sie hatten ihr Gespür zwar niemals so geschult wie er selbst, doch ein leichtes Unbehagen hätten selbst sie ansonsten verspüren müssen, wenn viele schwarzmagische Zauber um sie herum aktiv gewesen waren. Das bedeutete dummerweise allerdings auch, dass Albus selbst keinerlei Vorwarnzeit hatte für alles, was Voldemort hier noch an Fallen und Flüchen versteckt haben mochte. Aber das war nichts, was ihn jetzt aufgehalten hätte. Eine Frage geisterte seit jenem Tag von Ronalds Tod durch seinen Kopf und ließ sich nicht mehr abschütteln. Warum hatte Voldemort Harry entkommen lassen? Die Zeit, die Harry gebraucht hatte, um den Not-Portschlüssel zu aktivieren, hätte absolut ausgereicht für einen Todesfluch. Und Albus wusste, wie weit oben auf Voldemorts Prioritätenliste Harrys Tod stand. Das war absolut untypisch für Voldemort… Albus machte einen weiteren Schritt nach vorne. Plötzlich hörte er etwas. Ein kaltes, hohes Lachen, das ihn alarmierte. Erneut untersuchte er die Umgebung. Dort hinten, bewegte sich dort etwas? Er hob seinen erleuchteten Zauberstab ein wenig höher und verstärkte den Lumos. Lord Voldemort trat ins Licht. Seinen roten Augen funkelten, und seine Lippen verzogen sich zu einem bösen Lächeln, als er ein gutes Stück vor Albus stehen blieb. „Wer wagt es, hierher zu kommen? Das war ein Fehler.“ Albus rührte sich nicht vom Fleck. Auch von Voldemorts normalerweise mächtiger magischer Aura war absolut nichts zu spüren. „Findest du, Tom? Ich nicht. Ich bin hier, weil ich etwas wissen will. Vielleicht kannst du mir ja helfen?“ Voldemort zog eine Augenbraue hoch. „Ich kann dir dabei helfen zu sterben. Habe ich zufällig das Glück, dass du das willst?“ „Nein, ich wollte wissen, warum du Harry am Leben gelassen hast.“ Voldemort antwortete nicht, sondern schnippte mit den Fingern und erstarrte dann zu Stein. Etwas riss Albus unbarmherzig nach vorne und ließ ihn stolpern. Er konnte den Zauber zwar schnell lösen, doch nicht schnell genug. Im nächsten Moment explodierte die Welt. ~*~ Als Albus wieder zu sich kam, schlug ihm eine Welle an magischen Signaturen entgegen und die darauf folgende Erkenntnis übertönte sogar den höllischen Schmerz. Der Explosionszauber wäre tödlich gewesen, hätte er den zweiten Zauber, der ihn in das Zentrum der Explosion ziehen sollte, nicht vorzeitig abgebrochen. Das erklärte, warum nur Ronald auf Anhieb getötet worden war – der Zugzauber war lediglich auf eine Person ausgelegt und Ronald musste vor Harry gestanden haben. Doch was Albus noch mehr interessierte, war die magische Signatur von Voldemort. Es war keineswegs die magische Aura, die den selbsternannten Dunklen Lord normalerweise umgab. Es war die wabernde, leicht flackernde Signatur einer Illusion. Ihm ging ein ganzer Kronleuchter auf. Voldemort war niemals hier gewesen. Und die Illusion diente nur dem Zweck, etwaige „Besucher“ in die Explosionsfalle zu befördern. Was durch den Zauber, der seine magischen Sinne lahmlegte, erstaunlich effektiv war. „Na, endlich aufgewacht, alter Mann?“ Albus zuckte zusammen und presste die Zähne aufeinander, als höllischer Schmerz durch seinen gesamten Körper schoss. Er dürfte vermutlich nicht viel besser aussehen als Harry, doch so genau wollte er es gar nicht wissen. Mit Schrecken stellte er fest, dass er zwar noch etwas sehen konnte, seine Augen sich aber nicht mehr frei drehen ließen. Er drehte zischend vor Schmerz den ganzen Kopf, um in die Richtung sehen zu können, aus der die kalte Stimme kam. Wieder erblickte er Voldemort. Und wieder erkannte er dessen magische Signatur nicht. War das nun der echte oder eine zweite Illusion? „Das wüsstest du wohl gerne, was?“ Albus knirschte mit den Zähnen, als er seinen eignen Zauberstab in Voldemorts Händen erblickte. „Ich wüsste zuerst gerne, warum ich nicht spüre, dass du Legilimentik einsetzt.“ Voldemorts Lippen kräuselten sich. „Was du bei Legilimentik vom anderen wahrnimmst, ist nichts anderes als eine magische Signatur. Schöne Nebenwirkung, nicht wahr?“ Albus biss sich auf die Lippe und antwortete nicht. Wozu auch, im Zweifelsfall ging er einfach davon aus, dass Voldemort seine Gedanken wahrnahm. Seine eigene Naivität verfluchend stellte er fest, dass er erledigt war. Sein Körper gehorchte ihm nicht mehr richtig, er hatte keinen Zauberstab und seine magischen Sinne waren gestört. Er machte zwar noch den Versuch, seinen Zauberstab zu sich zu rufen, doch es wundert ihn nicht, dass Voldemort den Aufrufezauber sofort blockte. „Netter Versuch, alter Mann.“ Albus schnaubte. „Aber du solltest wissen, dass du mir nicht entkommen kannst.“ Langsam und so unauffällig wie möglich griff Albus in seinen Umhang, auf der Suche nach seinem Not-Portschlüssel. Doch da Voldemort offensichtlich immer noch in seinem Kopf war, bemerkte er auch das augenblicklich und rief den Portschlüssel zu sich. „Begreifst du es langsam? Du gehörst mir!“ Albus schloss die Augen. Wie hatte es nur dazu kommen können? Er hatte schließlich gewusst, dass es eine Falle war… Er holte tief Luft und verdrängte mit Mühe die Selbstvorwürfe. Dafür war es sowieso zu spät. „Gut gespielt, Tom. Darf ich erfahren, wie der Zauber wirkt, der magische Signaturen maskiert?“ Voldemorts Augen verengten sich, als sich seine Lippen erneut kräuselten. Mit einem Mal schien er eine Eiseskälte abzustrahlen. „Und womit, denkst du, hast du die Wahrheit verdient?“ Albus blinzelte verwirrt. „Worauf willst du hinaus?“ Voldemort schnaubte. Seine Augen glühten unheilvoll auf. „Du hast sie mir damals genommen. Du hast ihr Gedächtnis manipuliert. Du hast uns alles genommen.“ Albus schwant Böses. „Redest du von Hermine?“ „Wag es nicht, sie beim Vornamen zu nennen!“, fauchte Voldemort. Seine Gesichtszüge verzerrten sich. „Du hast kein Recht dazu, nicht nach allem, was du ihr angetan hast!“ In diesem Moment realisierte Albus, was ihm blühte. Voldemorts Lippen kräuselten sich unheilvoll. „Du hast es erfasst, alter Mann. Ein Avada wäre Verschwendung. Ich habe außerdem noch nie testen können, wie der menschliche Körper nach dem Explosionsfluch auf weitere Flüche reagiert…“ Er fletschte die Zähne zu einem Grinsen, das definitiv nicht mehr menschlich war. Albus schloss kapitulierend die Augen. Er hatte mit dem Tod gerechnet, ja. Aber niemals mit einem so sinnlosem Tod wie diesem hier. Weitere Schmerzen erwartend riss er überrascht die Augen auf, als etwas kaltes ihn an der Hand berührte und das vertraute Reißen eines Portschlüssels hinter dem Bauchnabel ihn davonriss, in einen Wirbel aus grellen Farben. Kapitel 29: Entscheidungen treffen ---------------------------------- Kapitel 29 – Entscheidungen treffen Ein durchdringendes Dröhnen brachte die Wände zum Beben. Hermine und Draco schreckten wie vom Donner gerührt zusammen. Beide blinzelten sich etwas verwirrt an. Sie waren wieder an dem unterirdischen See und hatten wie in Trance Steine über das Wasser hüpfen lassen, um die Welt um sie herum zu vergessen. Hermine wusste schon, warum sie hier geblieben war. Ein nettes Duell und den Rest des Tages Einsamkeit. Es war besser als die ganze Welt da draußen… vor allem, wenn das Duell mit Tom war. Doch jetzt war sie sich auf einmal nicht mehr sicher. Draco blickte regelrecht verschreckt, wie ein Kaninchen vor dem Fuchs. „Was war das?“, fragte sie. Er schluckte schwer und fuhr sich mit der Hand durch die Haare. „Das ist… ein Siegessignal. Es wird nur ganz selten ausgelöst, und immer nur dann, wenn… wir… einen entscheidenden Schritt weiter gekommen sind.“ Jetzt musste Hermine auch schlucken. „Hast du eine Ahnung, was…“ Doch Draco schüttelte den Kopf. „Woher soll ich das wissen? Es ist gleichzeitig auch ein Signal für sämtliche Todesser, sich in der Versammlungshalle einzufinden. Der Dunkle Lord liebt große Auftritte. Er würde es uns niemals vorher sagen, er überrascht uns, um unsere Gesichter sehen zu können.“ Er stand auf und hielt ihr die Hand hin. Hermine ergriff sie zögernd und ließ sich aufhelfen. „Danke“, murmelte sie, als sie neben ihm stand. Sie schluckte. „Denkst du, er will, dass ich auch dort bin?“ Draco verzog zweifelnd den Mund. „Ich weiß es nicht. Aber du bist vermutlich besser bedient, wenn du kommst.“ Hermine atmete tief durch und straffte die Schultern. „Okay, wollen wir dann? Es wird nicht ungeschehen, wenn wir es ignorieren.“ Draco nickte langsam, und die beiden machten sich schweigend auf den Weg durch die Festung. Hermine beobachtete Draco aus den Augenwinkeln. Er schien genauso bedrückt wie sie. Sicher, er war nicht freiwillig Todesser geworden, und doch… war sie positiv überrascht. Während sie die Einsamkeit des Wassers hinter sich ließen und sich in der Eingangshalle einigen anderen Todessern anschlossen, zog Hermines Magen sich immer weiter zusammen. Sicher, es würde durch ignorieren nicht ungeschehen werden… doch sie wollte eigentlich gar nicht wissen, was passiert war. Jeder Schritt schien ihr schwerer zu fallen, bis ihre Füße sich direkt vor der Halle wie Blei anfühlten. Jetzt kamen auch noch die Erinnerungen dazu. Das letzte Mal, dass sie hier entlang gegangen war, hatte sie keine Ahnung von ihrer Vergangenheit gehabt und gerade begonnen, sich mit dem Tod anzufreunden, die Zauberstäbe zweier Todesser im Rücken. Es kam ihr vor, als sei seitdem eine Ewigkeit vergangen. Die Türen zu dem langgezogenen Saal standen weit offen, und die große, leere Fläche füllte sich zusehends mit schwarzgekleideten Gestalten. Draco zog Hermine mit sich an eine der Wände. „Du willst nicht mitten in der Meute stehen, wenn Bella durchdreht“, raunte er ihr zu. Hermine schluckte und nickte ihm dankbar zu. In diesem Moment war sie sich sicher, sich auf Draco mehr als auf sonst jemanden in diesem Raum verlassen zu können. Eigentlich hätte sie nicht gedacht, dass dieser Tag kommen würde, doch so war es. Sie wusste selbst nicht genau, wieso sie ihm vertraute, doch es fühlte sich richtig an. Ihr Blick wanderte zu der leicht erhöhten Stirnseite, doch noch war niemand zu sehen. Die Sekunden zogen sich wie Bubbels bester Blaskaugummi in die Länge, während der Saal voller und voller wurde. Hermines Blick schweifte ins Leere, und ihre Gedanken drifteten ab, als sich nach Minuten immer noch nichts getan hatte. Dementsprechend fuhr sie zusammen, als die großen Saaltüren mit einem lauten Krachen ins Schloss fielen. Blinzelnd sah sie sich um – und im nächsten Moment ertönte ein weiteres Krachen, vorne an der Stirnseite. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, um über die Schulter des Todessers vor sich blicken zu können – und schlug entsetzt die Hände vor den Mund. Voldemort war dort wie aus dem Nichts erschienen. Nicht Tom, Voldemort. Er sah so gefährlich aus, wie sie ihn schon seit Tagen nicht mehr erlebt hatte. Zu seinen Füßen lag ein Mann in einem zerfetzten Umhang, dem man noch vage ansehen konnte, dass er einmal fliederlila gewesen war. Die langen silbernen Haare standen wirr und angekokelt von seinem Kopf ab, sein Bart wirkte zerrupft, wie Hermine ihn noch nie gesehen hatte. Die Brille war verbogen und hielt sich nur noch mit Mühe auf der gebogenen Adlernase. „Dumbledore“, wisperte sie entsetzt. Sie war nicht die Einzige. Viele Todesser raunten seinen Namen, bis er sich durch das Echo der hohen Halle vervielfältigte und eine gefühlte Ewigkeit wiederhallte. Voldemort fletschte die Zähne, was Hermine fast genauso viel Angst einjagte. Das war so… unmenschlich, so überhaupt nicht… Tom, dass es ihr eiskalt wurde. Mit einem Mal traf sie die Angst um ihren Schuldirektor so plötzlich, dass sie wankte. Trotz allem, was er getan hatte, wurde ihr in diesem Augenblick klar, wie viel sie eigentlich alle an ihm hatten. Und was vom Orden übrig bleiben würde ohne ihn. Ihre Augen wanderten wieder zu To – nein, Voldemort. Und ihr wurde noch kälter. Sein Blick versprach nichts als Schmerzen und Tod, sah selbst so leblos aus wie schon lange nicht mehr. Sie schluckte, als er den ihren kreuzte und ihn für einen Moment festhielt. Ein diabolisches Grinsen gesellte sich zu den rot glühenden Augen. Hermine schrumpfte unwillkürlich ein wenig zusammen. Sie wollte es nicht glauben, doch sie wusste, was als nächstes geschehen würde. Als Voldemort den Crucio aussprach, kniff sie die Augen zusammen – und als sie Dumbledores leises Keuchen hörte, presste sie zusätzlich noch die Hände auf die Ohren. Sie wusste nicht, wie lange sie so ausharrte, doch es war definitiv zu lange. Irgendwann zog jemand ihr eine Hand von ihrem Ohr weg. Sie blinzelte und erkannte Draco. „Es ist vorbei“, murmelte er. „Er hat etwas gesagt von wegen, er lässt ihm Zeit, sich zu erholen, sonst würde er ihm unter den Händen wegsterben, und das will er noch nicht.“ Sie blinzelte und starrte durch Draco hindurch. Nur langsam sickerte diese Information in ihr Bewusstsein. Doch als sie dort angekommen war, schlug sie ein wie eine Bombe. Voldemort. Das war nicht mehr Tom. Egal, wie er sich ihr gegenüber benahm. Das war Voldemort. Und er folterte und mordete für seine Ziele. Er hatte den einzigen ihm ebenbürtigen Zauberer dieser Zeit in seiner Gewalt und benutzte ihn wie ein Spielzeug. Anscheinend hatte er realisiert, dass Dumbledore keine Angst vor dem Tod hatte, und erlaubte ihm nun nicht, zu sterben. Hermine erschrak über ihre eigenen Gedanken, doch nachdem sie sie einmal gedacht hatte, war sie sich absolut sicher, dass sie wahr waren. So gut kannte sie Tom, dass sie sich sicher war, er würde diesen Gedankengang als Voldemort immer noch – oder genau deswegen genauso haben. Er hatte immer den größten Vorteil oder Nutzen aus einer Sache – oder hier Person – gezogen. Und wenn er Rache wollte, musste er etwas tun, was Dumbledore wirklich traf, und das war nicht der Tod. Ihre Augen brannten, als sie soweit gedacht hatte. Ihr Blick ging stur geradeaus, ohne etwas zu sehen. Voldemort. Nicht Tom. Tom nur ihr gegenüber. Aber das war… nicht relevant. Nicht, solange Voldemort tat, was ein Dunkler Lord tat, um seinen schlimmen Ruf zu verdienen. Ihre Eingeweide verknoteten sich schmerzhaft. Sie dachte eigentlich, sie hätte Tom schon einmal begraben, doch anscheinend hatte er ihr genug Hoffnung eingepflanzt, um sie noch einmal um ihn trauern zu lassen. „Hey… du weinst ja.“ Sie blinzelte und griff sich an die Wange. Tatsächlich, dicke Tränen liefen daran herunter. Mühsam fokussierte sie ihren Blick auf Draco. „Ich will hier weg“, flüsterte sie. Er nickte wortlos, griff nach ihrem Handgelenk und zog sie rasch hinter sich her aus dem mittlerweile halb leeren Versammlungssaal. Kurz bevor sie die Tür erreichten, spürte sie einen brennenden Blick im Nacken – doch sie drehte sich nicht um. Sollte Voldemort doch bleiben, wo der Pfeffer wuchs… Ohne recht zu wissen, was sie eigentlich tat, ließ sie sich von Draco mit ziehen. Ihre Gedanken waren ins Stocken geraten und wiederholten nur diesen einen Satz. Ich will hier weg. Weg. „Besser?“, fragte Draco eine gefühlte Ewigkeit später. Hermine sah erstaunt auf. Sie waren wieder in dem Raum mit dem See und dem Wasserfall. Ein trauriges Lächeln schlich sich auf ihr Gesicht. „Besser, aber nicht gut. Ich will komplett hier weg. Ich kann nicht länger hier bleiben und so tun, als wärt ihr hier eine Art… große WG oder so.“ Draco runzelte die Stirn und verstärkte seinen Griff um ihr linkes Handgelenk. „Ich weiß nicht, ob du gehen darfst. Also kann ich dich nicht einfach gehen lassen.“ Hermines Lächeln wurde freudlos. Kommentarlos zog sie mit der freien Rechten ihren Zauberstab aus dem Umhang. Draco runzelte die Stirn, ließ jedoch nicht los. Im Gegenteil, er schien sich regelrecht an ihr fest zu klammern. Hermine seufzte, als sie das bemerkte, und richtete mit zittrigem Atem den Zauberstab auf seine Brust. Erstaunlicher Weise war ihre Hand komplett ruhig. „Du wirst mich gehen lassen, Draco.“ Er schluckte und ließ los. „Wo willst du hin? Ich meine, Potter und Wiesel…“ Hermines Blick wurde leicht trüb, doch der Zauberstab zitterte nicht. „Geschehen ist geschehen, egal, ob ich hier bin oder in Hogwarts.“ Er blinzelte, dann senkte er den Blick und trat einen Schritt zurück. „Das ist wohl wahr…“ Er holte tief Luft. „Lass mir nur Zeit, wieder zu den anderen zurück zu gehen. Ich will ein Alibi für den Zeitpunkt haben, an dem du verschwindest.“ Hermines Mundwinkel zuckte. „Dann geh. Ich gebe dir zehn Minuten.“ Draco hob den Kopf, blickte ihr einen Moment in die Augen, nickte ihr zu und verschwand. Hermine ließ sich am Ufer nieder und starrte ins Wasser. Wieder verschwamm ihr Blick, doch diesmal war der Knoten in ihrem Magen nicht ganz so schmerzhaft. Sie atmete tief durch. Hier gab es nichts für sie. Nur verstecken vor der Wahrheit, und die war hier so hässlich wie überall sonst auch. Da konnte sie auch wieder dorthin gehen, wo sie hin gehörte. Freudlos lachte sie kurz auf. Wie falsch das klang. Sie gehörte nirgendwo mehr hin. Alle waren weg oder außer Gefecht. Tom, Ron, Harry… Nicht einmal ihre Eltern blieben ihr noch, diese erinnerten sich nicht mehr an sie und lebten glücklich in Australien. Sie biss sich auf die Lippe, um sich auf andere Gedanken zu bringen, und fuhr mit den Fingerspitzen durch die Wasseroberfläche. Wer war sie denn noch? Jemand, der Lord Voldemort zu dem gemacht hatte, was er war? Eine Freundin, die ihre beiden besten Freunde nicht begleitet hatte, als es darauf ankam, und sie im Stich gelassen hatte? Sicher, sie hatten gesagt, sie würden auf Hermine warten, während diese Dumbledore Bescheid gesagt hatte. Sie waren weg gewesen, als sie mit ihm zurückgekommen war. Und trotzdem… Ihr wurde heiß und im nächsten Moment kalt. Ruckartig tauchte sie ihre Hand ganz unter, riss sie dann wieder aus dem Wasser und klatschte sie sich ins Gesicht. Tief durchatmend versuchte sie, diese Gedanken los zu werden. Waren die zehn Minuten bereits vergangen? Sicherlich. Sie schluckte, erhob sich und führte einige Diagnosezauber durch. Und musste schwach lächeln. Was hatte Draco gesagt? Ohne Zauberstab war das hier eine Sackgasse. Sie sollte nicht tauchen. Mit Zauberstab jedoch war das des Rätsels Lösung. Sie war anscheinend ganz am Rand von Voldemorts Festung, die, wie es aussah, unterirdisch in den Fels gehauen war. Über der Festung lag bis auf die Eingangshalle ein Apparierschutz. Doch wenige Meter von dieser Höhle entfernt endete dieser – und unter Wasser führte ein Durchlass in eine kleine Höhle, die außerhalb lag. Es war nahezu unmöglich, mit einem Atemzug bis dorthin zu tauchen, doch wenn sie einen Zauberstab hatte… Frische Energie durchströmte sie, als sie bemerkte, dass sie zumindest etwas tun konnte. Und wenn es nur hier heraus kommen war. Rasch wirkte sie einen Kopfblasenzauber. Dann streifte sie ihre Schuhe ab, verkleinerte sie und steckte sie in die Tasche. Ihre Kleidung belegte sie mit einem Imprägnierzauber und die Haare band sie im Nacken zusammen. Dann sprang sie in den See. Das Wasser war eiskalt, vertrieb jedoch alle störenden Gedanken. Sie drehte sich einmal um sich selbst, erblickte den Durchgang und schwamm mit kräftigen Zügen darauf zu. Er war gerade breit genug, dass sie gut hindurch schwimmen konnte. Sie stieß sich auf der anderen Seite mit den Armen am Felsen ab und schwamm dann an das Ufer der kleinen Höhle. Mühsam zog sie sich nach oben auf den harten Stein und ächzte. Sie hatte wirklich keine Kraft mehr in den Armen… Er war wohl zu lange her, dass sie Bücher geschleppt hatte, dachte sie mit einem ironischen Lächeln. Mit einem Wink ihres Zauberstabes war sie wieder trocken und ihre Schuhe wieder in Originalgröße. Nachdem sie wieder hinein geschlüpft war, holte sie tief Luft – und disapparierte. Kapitel 30: Rückkehr und Erinnerung ----------------------------------- Kapitel 30 – Rückkehr und Erinnerung Als die Welt um Hermine wieder Form annahm und die Schwärze sie wieder freigab, holte sie tief Luft. Blinzelnd sah sie sich um. Sie stand am Rand des Schulgeländes auf dem Weg nach Hogsmeade. Das Tor mit den beiden Ebern erhob sich nicht weit von ihr, und ein Stück weiter den Berg hinauf konnte sie die Zinnen Hogwarts‘ erkennen. Sie schluckte. Nichts war anders als sonst. Es wirkte seltsam friedlich, als wäre nichts geschehen seit jenem Tag, an dem sie zum ersten Mal hier Unterricht gehabt hatte. Ihr wurde das Herz schwer. Seufzend machte sie sich auf dem Weg zu den schmiedeeisernen Torgittern, die mit Magie versiegelt waren. Sie legte kurz eine Hand an die glühenden Gitter, und im nächsten Moment schwangen sie auf. Ein schwaches Lächeln überzog ihr Gesicht. Dieser Zauber war absolut genial. Ein Teil der Magie war in jedes Ordensmitglied eingespeist worden, und so konnten sie mit ihrer Haut Versiegelungen öffnen, die mit dem gleichen Zauber gesprochen worden waren. Eine sehr sichere Methode. Zwar nicht vor Verrätern gesichert, aber diese Schwachstelle hatte man immer. Nachdem sie ein paar Schritte auf das Schulgelände gemacht hatte, schloss sich das Tor quietschend hinter ihr und fiel mit einem Klirren ins Schloss. Sie zuckte zusammen. Plötzlicher Lärm war zurzeit nie gut und ließ sie immer aufhorchen. Es war seltsam, dass es diesmal nichts gab, was die Alarmbereitschaft wert gewesen wäre. Mit ruhigem Schritt machte sie sich auf den Weg zum Schloss, mühsam darauf bedacht, an nichts und niemanden zu denken. Es fühlte sich seltsam an, wieder hier zu sein. Es konnte nicht viel mehr Zeit als eine Woche vergangen sein, doch durch die wieder erlangten Erinnerungen kam es ihr vor wie eine Ewigkeit. Sie hatte das Zeitgefühl verloren. Doch kaum hatten sie die Eingangshalle betreten, war es vorbei mit ihrer Ruhe. Ein paar Schüler waren gerade die Treppe herunter gekommen und hatten sie erkannt. Es waren Gryffindors, die natürlich mitbekommen hatten, dass sie die letzte Zeit nicht im Gemeinschaftsraum gewesen war. „Hermine!“, rief ein Mädchen aus der dritten Klasse. Miriam, wenn Hermine es richtig in Erinnerung hatte. „Wo warst du?“ Sie winkte ab. „Darf ich nicht sagen.“ „Hat es etwas mit Du-weißt-schon-wer zu tun?“, wollte ihre Freundin, Jane, aufgeregt wissen. Hermine lächelte matt. „Was hat heute NICHTS mit Voldemort zu tun? Und nennt ihn beim Namen, das macht ihn auch nicht gefährlicher.“ Die beiden starrten sie mit großen Augen an. Hermine seufzte. „Kommt schon, ihr nennt euch Gryffindors? Sagt es.“ Die beiden tauschten einen Blick, dann holte Miriam tief Luft und flüsterte: „Vol…demort.“ Hermine zwang sich zu einem Lächeln. „Gut gemacht.“ Jane warf ihrer Freundin einen vorwurfsvollen Blick zu, dann murmelte sie ebenfalls ein schnelles: „Voldemort“. Hermine nickte ihr zu. „Du auch.“ Innerlich dachte sie sich, dass ihr nichts in diesem Moment egaler war, doch sie musste weiter führen, was Dumbledore und Harry begonnen hatten. Dumbledore hatte Recht gehabt. Die Angst vor einem Namen steigerte nur die Angst vor der Sache selbst. Sie seufzte. „Würdet ihr beide mich entschuldigen? Ich möchte erst einmal wieder hier ankommen.“ Rasch nickten die zwei und verabschiedeten sich. Sie gingen in die Große Halle, Hermine stieg die Marmortreppe empor. Zehn Minuten später war sie im Gemeinschaftsraum angekommen, wimmelte noch mehr neugierige Gryffindors ab und floh fast in den Schlafsaal hinauf. Zum Glück waren ihre Zimmergenossinnen nicht hier. Die beiden hatten ihr gerade noch gefehlt. Sie streifte ihre dunkelblaue Kampfrobe ab, die sie über der Schuluniform getragen hatte wie bei ihrer Gefangennahme und ließ sich auf ihr Bett fallen. Der rote Baldachin über ihr wirkte seltsam ungewohnt, wo sie in ihren Erinnerungen doch monatelang unter einem blauen geschlafen hatte. Seufzend begann sie, die Ereignisse der letzten Tage in ihrem Kopf zu sortieren und zu analysieren. Es war viel zu viel passiert. Letztendlich jedoch lief es alles darauf hinaus, dass sie immer noch im Krieg gegen Voldemort waren – und dass es schlimmer stand denn je. Ron war tot, Harry kampfunfähig und Dumbledore in Gefangenschaft und – da erlaubte sie sich keine Hoffnung, Hoffnung war das Schlimmste, was ihr in letzter Zeit passiert war – sicherlich bald tot. Wer würde weiter machen? Nun, sie auf jeden Fall. Voldemort tötete und folterte immer noch, um seine Ziele zu erreichen. Das war nicht akzeptabel und sie musste ihn davon abhalten, egal, was zwischen ihnen passiert war. Oder vielleicht gerade deswegen. Immerhin war sie irgendwo mit Schuld… Sie dachte den Gedanken nicht weiter, bevor er sie erneut in ein Loch befördern konnte. Tatsache war, sie war wieder da gewesen und Voldemort hatte trotzdem so weiter gemacht wie vorher. Also würde sie auf diesem Weg nicht weiter kommen. Sie würde dementsprechend weiter den Orden unterstützen und helfen, wo Hilfe gebraucht wurde. Wer würde den Orden leiten, ohne Dumbledore? Als Erstes fielen Hermine Professor McGonagall und Alastor Moody ein. Sie beschloss, sich an McGonagall zu halten, immerhin war sie auch bisher neben Dumbledore ihre Ansprechpartnerin im Schloss gewesen. In diesem Moment fiel ihr etwas ein. Sollte nicht zumindest der Anführer des Ordens wissen, was passiert war? Es war immerhin mehr als seltsam, dass sie aus einer offensichtlichen Gefangenschaft Voldemorts unversehrt entkommen war, und das mitsamt ihrem Zauberstab. Wenn niemand Bescheid wusste, würde sie wohl kaum als vertrauenswürdig eingestuft werden. Nachdem sie soweit gedacht hatte, stutzte sie jedoch. Voldemort hatte sie auf Anhieb wieder erkannt. Und Minerva McGonagall war damals mit ihr in Hogwarts gewesen. Wusste sie davon? Hatte auch sie Hermine wieder erkannt? Und wenn ja, wie viel wusste sie? Oder hatte Dumbledore auch ihr Gedächtnis manipuliert, damit sie keinen Verdacht schöpfte? Einen Augenblick zögerte Hermine, dann beschloss sie, die Karten bei ihrer Lehrerin auf den Tisch zu legen. Wenn sie es nicht tat, dann hätte sie wieder das Problem, dass ihr niemand glaubte, dass sie einfach so hatte fliehen können. Und wenn McGonagall ebenfalls unter einem Gedächtniszauber stand, dann würde sie ihr hoffentlich genug vertrauen, dass sie ihn lösen konnte. Wenige Minuten später stand Hermine vor Minerva McGonagalls Büro und stellte etwas zu spät fest, dass diese im Moment im Unterricht war. Missmutig setzte sie sich auf den kalten Steinboden und wartete. Zwanzig Minuten später ertönte die Schulklingel und kurz darauf rauschte die Professorin schon den Gang entlang. Als sie Hermine neben ihrer Bürotür erblickte, blieb sie stocksteif stehen. Nach einem Moment verengten sich ihre Augen, und sie zog den Zauberstab. Hermine schluckte, ließ ihren Zauberstab jedoch stecken. Es tat weh, sich in der Rolle des potenziellen Feindes zu sehen, doch sie konnte es nachvollziehen. Kein Wunder, dass ihre Lehrerin misstrauisch war. Es war nun einmal Krieg, und sie hatten gerade ihren Anführer verloren. Langsam kam McGonagall auf sie zu, immer den Zauberstab auf sie gerichtet, bis sie neben ihr vor der Bürotür stand. Hermine blickte ihr genau in die Augen und zeigte ihre leeren Hände. „Miss Granger? Wie kommen Sie hierher?“ Hermine lächelte schwach. „Ich bin entkommen. Aufgrund von… nennen wir es besonderen Umständen, über die ich gerne mit Ihnen sprechen möchte. Ich stehe nicht unter Imperius und Sie können meinen Zauberstab auch gerne an sich nehmen, während wir uns unterhalten.“ Einen Wink mit McGonagalls Zauberstab später hatte die Professorin den von Hermine in der Hand. Sie ließ sie weiterhin nicht aus den Augen, während sie den Zauberstab untersuchte. Schließlich brummte sie zustimmend. „Meinetwegen. Wenn Sie die Tür öffnen.“ Hermine lächelte erneut schwach. Sie wusste, dass die Tür genauso versiegelt war wie das Schlossportal, zusätzlich zu einigen persönlichen Schutzzaubern, die Professor McGonagall gerade aufhob. Sie legte ohne zu Zögern die Hand auf den Türknauf. Kurz leuchtete die Tür im hellen Blau der Magie auf, dann klickte es unter ihren Fingern und sie ließ sich öffnen. McGonagall nickte knapp und winkte sie herein. „Also, Sie scheinen ja Sie selbst zu sein, wenn Sie die Tür öffnen konnten. Das schließt schon einmal meine schlimmsten Befürchtungen aus. Setzen Sie sich.“ Sie schloss die Tür hinter ihnen beiden, während Hermine sich auf dem Stuhl vor ihrem Schreibtisch nieder ließ. Sie selbst nahm dahinter Platz und musterte Hermine durchdringend. Wieder richtete sie den Zauberstab auf sie und schwenkte ihn stumm. Hermine fühlte ein leichtes Kribbeln an der Kopfhaut und spürte, wie ihre Frisur sich in einem wirren Haarwust auflöste. Anscheinend hatte ihre Lehrerin einen Finite Incantatem auf sie gesprochen. „Ich stehe nicht unter Imperius“, meinte sie. McGonagall musste fast lächeln. „So bekommen Sie Ihre Haare in Form?“ Hermine schnitt eine Grimasse. „Geht nicht anders.“ Sie holte tief Luft. „Ich bin sicher, Sie wollen vor allem wissen, wie und wieso ich entkommen konnte, wenn im Moment selbst Dumbledore dort fest sitzt.“ McGonagalls Augen wurden einen Tick größer. „Haben Sie ihn gesehen? Wie geht es ihm?“ Hermine seufzte und senkte den Blick. „Er sieht nicht gut aus“, meinte sie leise. „Nicht viel besser als Harry, als er… ohne Ron… zurück gekommen ist. Wie er aussah, nachdem Voldemort einen Cruciatus auf ihn losgelassen hat, weiß ich nicht. Ich wollte nicht hinsehen.“ Totenstille breitete sich zwischen den beiden aus. Nach einem endlosen Moment sprach Professor McGonagall das aus, was keiner von beiden gerne wahrhaben wollte und was doch so offensichtlich war. „Hat er eine Chance?“ Hermine biss sich auf die Lippe. „Es sieht wirklich schlecht aus“, gab sie sehr leise zurück. „Voldemort lässt ihn nur am Leben, um sich weiter an ihm rächen zu können. Er lässt ihn zwischendurch wieder erholen, aber nur, damit er nicht früher stirbt, als er es will. Er würde allerdings niemals zulassen, dass er sich so weit erholt, dass er eine Chance hat.“ McGonagall starrte sie an, blankes Entsetzen in den Augen. Rasch senkte Hermine den Blick wieder, sie konnte ihn nicht lange erwidern. Diesmal dauerte die Stille zwischen ihnen beiden lang. Sehr lang. Schließlich wurden sie durch ein Klopfen an der Tür unterbrochen. Die Professorin zuckte zusammen, räusperte sich und rückte ihren Hut zurecht, bevor sie Hermine mit einem Winken bedeutete, sich in den hinteren Teil ihres Büros zurück zu ziehen. Hermine ließ sich das nicht zweimal sagen und floh zwischen einige Bücherregale, wo sie vom Eingang aus fast nicht sichtbar war. Offensichtlich stand ein Schüler draußen vor der Tür, der eine Frage hatte. McGonagall beantwortete sie ihm knapp und mit ungeduldigem Tonfall. Hermine musste fast lächeln. In den unteren Klassen hatten die meisten Schüler wegen dieser unwirschen Art fast Angst vor ihr gehabt. Sie selbst hatte niemals Angst vor irgendeinem Lehrer gehabt, außer vor Umbridge, doch sie konnte die anderen Schüler durchaus nachvollziehen. Die meisten dachten nicht so weit, um zu erkennen, dass hinter jedem Lehrer auch nur ein Mensch steckte. Und dass es durchaus seine Gründe hatte, warum jeder Lehrer so war, wie er war – aber eben auch, dass ein Lehrer deswegen niemals perfekt sein konnte. Nach einigen Minuten schloss McGonagall die Tür wieder. „Miss Granger? Setzen Sie sich wieder.“ Hermine gehorchte schweigend. Ihre Lehrerin ließ sich seufzend wieder auf ihrem Stuhl nieder und musterte Hermine streng. „Ja, ich will wissen, wie und wieso Sie entkommen konnten – vor allem mitsamt Ihrem Zauberstab.“ Hermine nickte. „Das ist eine etwas längere Geschichte.“ Sie hielt inne und überlegte, wie sie anfangen sollte. Schließlich entschied sie sich für den Anfang. „Sagt Ihnen der Name Hermine Wilson etwas?“ McGonagall runzelte die Stirn und starrte einen Moment überlegend an die Wand hinter Hermine, dann schüttelte sie den Kopf. „Tut mir Leid, nein. Woher sollte ich ihn kennen?“ „Aus Ihrer Schulzeit. Sechste und siebte Klasse.“ Wieder überlegte sie, doch wieder schüttelte sie den Kopf. Hermine seufzte. „Okay, dann wird das etwas schwieriger. Haben Sie Erinnerungslücken an diese Zeit? Ich weiß, dass es nach so langer Zeit schwierig ist, das zu beurteilen, aber versuchen Sie es bitte.“ McGonagall musterte Hermine verwirrt. „Wenn Sie mir danach sagen, worauf Sie hinauswollen…“ Rasch nickte Hermine. Ihre Professorin dachte erneut nach. Auf ihrer Stirn entstanden mehr und mehr Falten, bis sie letztendlich reichlich konfus wieder Hermines Blick suchte. „Ich bin mir nicht sicher, aber es ist gut möglich. Manche Dinge fühlen sich… anders an als die Dinge, die ich einfach vergessen habe. Weniger verschwommen, eher wie… schwarze Löcher, die scharf abgegrenzt sind.“ Hermine nickte langsam. „Glauben Sie mir, wenn ich Ihnen sage, dass dort der Grund dafür ist, wie Voldemort mich behandelt?“ Jetzt schien McGonagall endgültig verwirrt zu sein. „Wieso? Sie waren doch zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht-“ Sie stockte mitten im Satz. „Hermine Wilson, haben Sie gesagt?“ Ihre Augen wurden größer. „Was haben Sie GETAN?!“ Hermine wurde unwillkürlich ein Stück kleiner. „Ich habe nach Rons Tod… die Hoffnung verloren, dass wir noch viel erreichen können. Also habe ich beschlossen, das Übel an der Wurzel zu packen.“ McGonagall blinzelte entsetzt und presste die Lippen aufeinander. „Sie waren in der Vergangenheit?“ Hermine nickte langsam. Fassungslose Blicke trafen sie. „Sie müssen gewusst haben, dass es nicht funktionieren kann“, meinte McGonagall. Hermine seufzte. „In dem Moment war ich so in meinen Gefühlen gefangen, dass ich das eben nicht gesehen habe. Und Dumbledore hat es mir nicht gesagt und mir einen Zeitumkehrer besorgt, weil er wusste, dass ich schon dort war und er es nicht mehr verhindern konnte.“ McGonagall vergrub das Gesicht in den Händen. Hermine meinte, sie leise fluchen zu hören, doch sicher war sie sich nicht. Schließlich blickte die Professorin Hermine wieder an. „Und wieso sind meine Erinnerungen an diese Zeit verschwunden?“ Hermine seufzte. „Dumbledore. Er hat Ihnen vermutlich, bevor ich eingeschult wurde, die Erinnerung genommen. Genauso, wie er mir die Erinnerung genommen hat, als ich wieder hierher zurückgekommen bin, damit ich nicht daran kaputt gehe, dass es nicht geklappt hat. Ich habe sie erst wieder bekommen, als To – Voldemort den Gedächtniszauber gebrochen hat.“ Professor McGonagall seufzte. „Das sieht ihm ähnlich.“ Sie starrte einen Moment ins Leere, dann fixierte sie Hermine wieder. „Ich würde Sie ja fragen, ob Sie mir meine Erinnerungen suchen gehen, aber ohne die Information, wie Sie entkommen sind, kann ich Ihnen nicht komplett trauen. Das ist nichts persönliches, ich hoffe, das verstehen Sie.“ Hermine nickte. „Vollkommen. Wollen Sie Ihre Erinnerungen von jemand anderem wieder holen lassen? Wenn ich es Ihnen einfach sagen würde, glaube ich kaum, dass Sie mir ohne diese Erinnerung glauben.“ McGonagall musterte Hermine eindringlich, dann beschwor sie kurzerhand ihren katzenförmigen Patronus herauf und schickte ihn davon. „Ich werde Filius hierher holen. Er wird aufpassen, dass Sie nichts Unerwünschtes tun. Im Grunde vertraue ich Ihnen ja, es ist lediglich…“ Wieder nickte Hermine. „Eine Sicherheitsmaßnahme. Ich verstehe das.“ Professor McGonagall seufze und schüttelte den Kopf. „Traurig, dass wir in Zeiten leben, in denen das nötig ist.“ Hermine lächelte schwach. „Es ist nun mal nicht zu ändern. Wir können nur zusehen, dass wir das Beste aus unserer Zeit machen.“ Die Lehrerin nickte. „Ja. Das können wir.“ In diesem Moment klopfte es, und Filius Flitwick, seines Zeichens Lehrer für Zauberkunst, betrat den Raum. Seine Augen wurden ebenfalls groß, als er Hermine erblickte. „Miss Granger!“, quietschte er fast. „Es freut mich, Sie wohlbehalten wieder zu sehen!“ Dann verdüsterte sich sein Gesicht. „Auch wenn das natürlich alles andere als natürlich ist.“ Hermine nickte und seufzte. „Ich weiß. Wie haben Sie beide sich das vorgestellt?“ Flitwick trat neben sie. „Wie haben Sie es sich vorgestellt, diese angeblichen Erinnerungen wieder zu holen?“ Hermine überlegte einen Moment. „Als meine Erinnerungen wieder kamen, hat es sich angefühlt wie eine Art… Blase tief in meinem Kopf, in der sie eingeschlossen waren, und die dann aufgeplatzt ist. Ich denke, ich werde so etwas suchen und dann… versuchen, sie ebenfalls zum Platzen zu bringen.“ Der kleine Mann nickte langsam. „Ich werde währenddessen ebenfalls in Minervas Gedanken eindringen und dafür sorgen, dass Sie nichts anderes tun. Außerdem werde ich auch außerhalb ein Auge auf Sie haben. Auf Minervas Wunsch werde ich mich natürlich zurückziehen.“ McGonagall nickte zackig, und einen Moment später nickte Hermine ebenfalls. Es war ein Kompromiss, den sie eingehen musste. Außerdem war Flitwick ebenfalls ein Sympathisant des Ordens und er würde als Mitwisser sicher ein guter Ansprechpartner für sie sein. Sie sah ihrer Lehrerin in die Augen. „Sind Sie soweit? Ich wende nicht zum ersten Mal Legilimentik an, habe aber nicht allzu viel Übung.“ McGonagall lächelte müde. „Das bedeutet, Sie sind nicht so gut wie Severus, aber durchaus ein annehmbarer Legilimens, wie ich Sie und Ihre Selbsteinschätzung kenne. Legen Sie los, ich werde schon damit zurechtkommen. Mein Geist ist sowieso in diesen Tagen immer halb verschlossen.“ Hermine nickte, schluckte und fixierte die Augen der Professorin durch die quadratischen Brillengläser hindurch. ‚Legilimens‘, dachte sie konzentriert, und im nächsten Moment hatte sie das Gefühl, nach vorne zu kippen, aus ihrem Körper heraus und in die kaum blinzelnden Augen McGonagalls hinein. Im ersten Moment empfing sie Leere. Eine schwarze Fläche, auf der sie sich im Kreis drehte und sich umsah. Weit entfernt an den Rändern der Leere konnte sie wabernde Farben sehen, allerdings nichts Klares. Sie spürte die Präsens der Älteren zunächst schwach – sie war wohl ebenfalls abgeschirmt gewesen - dann stärker. Die Ebene veränderte sich vor ihrem geistigen Auge, zog sich in die Länge und wurde zu einem Tunnel mit wabernden Wänden und Decke, der auf eine Region in der Ferne hinauslief, die klarer und abgegrenzter war als ihre Umgebung. Sie musste lächeln, sandte ein mentales ‚Danke‘ und machte sich auf den Weg. Nach dem ersten Schritt im Geist ihrer Professorin spürte sie hinter sich – wenn es hier ein hinten und vorne gab, nichts war fest – eine weitere Präsens. Stumm, beobachtend. Nicht formend und gestaltend wie McGonagalls eigene. Das musste Flitwick sein. Sie durchlief den Tunnel des Nichts, den ihr dieser Geist bereithielt, bis sie die Farben und Wirbel erreichte, die sich geradezu anzubieten schienen. Nachdem sie einen Fuß dort hinein gesetzt hatte, landete sie beinahe in einigen Erinnerungsfetzen an McGonagalls Einschulung. Sie musste sich überwinden, um nicht zuzusehen. Tom war zwar kaum im Bild, doch sie hatte ihn verschwommen am Rand sofort erkannt. Hermine schluckte und löste sich aus dieser Erinnerung. Scheinbar waren die Wirbel um sie herum alles Erinnerungen an McGonagalls Schulzeit. Stichpunktartig klapperte sie sie ab, ohne sie sich gänzlich anzusehen, bis sie zum sechsten Schuljahr kam, immer Flitwick auf den Fersen. Dort waren weniger Erinnerungen, die „normal“ aussahen – im verschwommenen begannen und auch dort wieder endeten. Es gab viele Abschnitte, wo zwischen den verschwommenen Zeiträumen keine Erinnerungen hell und bunt heraus stachen, sondern das Wabern des Vergessens in reines Schwarz überging. Hermine holte tief Luft. Sie hatte den Ort gefunden, an dem die Erinnerungen an sie und Tom sein müssten – jetzt musste sie sie nur noch wieder dorthin bringen. Wo konnte sie sein? Sie spürte, wie McGonagall krampfhaft versuchte, sich zu erinnern. Farbfetzen flogen aus allen Richtungen auf diese Löcher zu. Sie rief alle möglichen Erinnerungen auf den Plan, doch die richtigen waren nicht darunter. ‚Machen Sie weiter‘, wisperte Hermine mental. ‚Erinnern Sie sich.‘ Sie spürte die Zustimmung ihrer Lehrerin, und die Farben kamen weiter herangeflattert. Hermine selbst zog sich ein Stück zurück aus dem Erinnerungswust und beobachtete, von woher die einzelnen Erinnerungen geflogen kamen. Auf den ersten Blick sah es so aus, als kämen sie aus allen Richtungen, doch das stimmte nicht ganz. Es sah fast aus wie eine Sonne mit einem Sonnenflecken, nur umgekehrt, als würde sie Licht aufsaugen statt abgeben. Hermine folgte dem Schatten des Sonnenfleckens in einen sehr dunklen und auf den ersten Blick leeren Bereich in McGonagalls Geist. Sie spürte die Präsens ihrer Professorin verblassen, je weiter sie sich durch die Dunkelheit vorwärts treiben ließ. Hier begann wohl ein Teil des Unterbewusstseins, der keine Erinnerungen barg. Im Normalfall. Flitwick schien auch weiter weg zu sein – oder aber hier wurde alles gedämpft, was Hermine wahrscheinlicher vorkam. Ein vergessener Bereich, der nicht dazu da war, sich darin aufzuhalten. Es war das perfekte Versteck. Dieser Gedanke war das Einzige, was sie davon abhielt, zu zweifeln, als hinter ihr das Leuchten der Erinnerungen soweit abschwächte, dass sie gar nichts mehr sehen konnte. Weiter, immer weiter… Sie verlor das Zeitgefühl. Es kam ihr wie eine Ewigkeit vor, in der sie reine Schwärze umschloss, doch als sie in der Ferne einen geballten Lichtpunkt erblickte, schienen es nur Sekunden gewesen zu sein. Sie beschleunigte ihre Schritte und eilte darauf zu. Je näher sie kam, desto sicherer war sie sich, richtig zu liegen. Hier gab es keine wabernden, verschwommenen Ränder, hier begannen die Erinnerungen scharf abgegrenzt in einer Kugel. Je näher sie kam, desto heller leuchteten sie, bis sie sie fast nicht ansehen konnte, als sie davor stand. Eine unsichtbare Kraft ging von dieser Kugel aus, die sie wieder zurück in die Dunkelheit zu treiben schien. Doch sie wusste es besser, als das geschehen zu lassen. Dies war der letzte Schutz, den diese Erinnerungen von Dumbledore bekommen hatten – jemand mit weniger Grund, sie wieder zu holen, wäre hier gescheitert. Hermine jedoch nahm alle Willenskraft zusammen und streckte ihr geistiges Pendant einer Hand aus, um die Kugel zu berühren. Es wurde heiß, so heiß, dass sie fast nicht hin gefasst hätte. Mit einem letzten Luftholen berührte sie schließlich die Farben. Und wurde im nächsten Moment von einer Flut an Bildern hinweg gerissen. Immer wieder in Erinnerungen tauchend trudelte sie durch die Schwärze zurück, buntes Wabern um sich, vertraute und weniger vertraute Gesichter, Tom, Schulstoff, der Gryffindor-Gemeinschaftsraum, ihr eigenes Gesicht… bis sie nach unendlich langem Flug schließlich wieder zum Stillstand kam. Vorsichtig sah sie sich um. Sie war wieder in McGonagalls Schulzeit, und diesmal waren alle Erinnerungen an ihrem Platz. Ihre Professorin sprang von Erinnerung zu Erinnerung und tauchte tief darin ein, durchlebte sie anscheinend gerade alle erneut. Hermine zog sich zurück und ließ sie mit sich selbst alleine. Tief Luft holend verließ sie den fremden Geist wieder. Einen Moment später starrte sie einer Minerva McGonagalls ins Gesicht, die offensichtlich meilenweit weg war. Hermine suchte den Blick ihres Zauberkunstprofessors, doch auch dieser befand sich ganz offensichtlich noch in Professor McGonagalls Geist. Hermine lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und wartete darauf, dass die beiden wieder kamen. Kapitel 31: Zu Hause? --------------------- Kapitel 31 – Zu Hause? Minerva McGonagall blinzelte, schreckte hoch und starrte Hermine fassungslos an. Hermine schluckte. Ihre Professorin schüttelte langsam den Kopf. „Das hätte ich dir wirklich nicht geglaubt, ohne mich selbst daran zu erinnern.“ Hermines Mundwinkel zuckte. „Dachte ich mir.“ Minerva seufzte schwer. „Darf ich dir… eine Frage stellen?“ Hermine nickte. „Wie… eng wart ihr beide befreundet?“ Sie seufzte und blickte an ihrer Professorin vorbei ins Leere. „Das war keine Freundschaft mehr.“ Minervas Augen weiteten sich. „Soll das heißen, ihr beide wart…“ Wieder nickte Hermine. Ein Kloß bildete sich in ihrem Hals und mühsam blinzelte sie die Tränen weg. Stille trat ein, bis sich hinter Hermine jemand räusperte. Professor Flitwick. Sie wandte sich um. „Wenn Sie mir die Frage erlauben, Miss Granger – warum sind Sie gegangen?“ Hermine presste die Lippen aufeinander. „Dumbledore hat den Zeitumkehrer manipuliert, um mich wieder hierher zu bringen. Er hat mich gezwungen, ihn anzufassen, und er hat mich weggebracht, bevor ich etwas dagegen tun konnte.“ Langsam nickte der kleine Mann und strich sich über seinen Bart. „Er dürfte eine Art Portschlüssel durch die Zeit konstruiert haben… Wir haben erst neulich darüber gesprochen, ob so etwas möglich wäre.“ Langsam nickte Hermine. „Ja, das wird es gewesen sein.“ Sie strich sich die wirren Haare aus dem Gesicht. „Wie… hat Tom reagiert, als er erfahren hat, dass ich weg bin?“ Minerva seufzte. „Dumbledore hat es beim Abendessen verkündet. Riddle ist aufgestanden und hat ihn als Lügner beschimpft. Keiner wusste so recht, was er meinte – bis auf Dumbledore. Es hätte nicht viel gefehlt, und die beiden hätten sich in der Großen Halle duelliert.“ Hermine seufzte und stützte den Kopf in die Hände. „Klar. Tom wusste, dass meine Geschichte gelogen war, auch wenn er keine Ahnung hatte, dass ich aus der Zukunft war.“ Sie schloss die Augen. Einen Moment später spürte sie Minervas Hand auf ihrer. Sie blickte auf. Ihre Lehrerin musterte sie ruhig. „Wie soll es jetzt weiter gehen, Hermine? Was ist bei Voldemort geschehen?“ Sie verzog das Gesicht. „Wir… haben eine Art… Waffenstillstand geschlossen und sind in den letzten Tagen einigermaßen miteinander ausgekommen. Daher habe ich auch meinen Zauberstab wieder bekommen und konnte in einem unbeobachteten Moment fliehen. Allerdings kann ich nicht abschätzen, was er tun würde, wenn er mir jetzt begegnen würde, wo ich auf der Seite des Ordens bin.“ Sie biss sich auf die Lippe. „Und eigentlich will ich es auch nicht wissen, aber es wird sich wohl früher oder später nicht vermeiden lassen.“ Entschlossenheit trat in ihren Blick. „Bis auf sein Verhalten mir gegenüber hat er sich allerdings nicht wirklich geändert, nachdem er meine Erinnerungen gesehen hat. Also bleibt im Grunde alles beim Alten.“ Minerva nickte langsam. „Kannst du dann überhaupt gegen ihn kämpfen?“ Hermine seufzte schwer. „Ich weiß es nicht. Aber ich kann nicht tatenlos zusehen, wie er foltert und mordet. Also werde ich es müssen.“ Ein hartes Lächeln erschien auf den Lippen der Älteren. „Gut, dann können wir also auf dich zählen?“ Hermine erwiderte das Lächeln. „Natürlich, Professor.“ Minerva runzelte die Stirn. „Wenn du mich noch einmal außerhalb des Unterrichts Professor nennst, dann riskierst du eine Strafarbeit, ist das klar? Ich bin Minerva. Wir waren schließlich zusammen in der Schule.“ Sie zwinkerte. Hermine musste lachen und musterte die Ältere ein wenig intensiver. „Alles klar, Minerva. Vielen Dank.“ „Wenn ich die Erinnerungen nicht mit angesehen hätte, würde ich Sie für bekloppt halten“, piepste Flitwick dazwischen. „Sie beide zusammen in der Schule…“ Die beiden Frauen grinsten verschwörerisch. „Tja, Filius, wir sind eben nicht normal“, meinte Minerva und brachte Hermine wieder zum Lachen. „Wäre ja sonst langweilig“, fügte diese hinzu. ~*~ Hermine holte tief Luft, bevor sie leise klopfte und eintrat. Diesen Besuch hatte sie das ganze Wochenende vor sich hergeschoben, seit sie wieder in Hogwarts angekommen war. Natürlich war das Nachholen des verpassten Schulstoffs wichtig, doch es sollte nicht wichtiger sein, als ihren besten Freund zu besuchen. Die Wahrheit war – sie wusste nicht, in welchem Zustand sie ihn vorfinden würde. Sie hatte sich nicht einmal getraut, Ginny danach zu fragen, da diese sowieso schon ziemlich erledigt aussah. Und sie hatte Angst, etwas zu erfahren, was sie vielleicht nicht hören wollte. Dementsprechend vorsichtig ließ sie den Blick durch das sterile Krankenhauszimmer schweifen und mied fast den Blick zum Bett am Fenster, bis Harrys Stimme ertönte. „Hermine!“ Ruckartig sah sie auf – und blickte in Harrys leuchtend grüne Augen, die ihr schon so manches Mal wieder Hoffnung gegeben hatten, als sie ihre gerade zu verlieren drohte. Jetzt jedoch hob der Anblick ihre Laune schlagartig in den Himmel, und sie strahlte. „Du kannst mich sehen?“ Harry nickte und lächelte. „Schwarz-weiß, und frage nicht, welche Gläserstärke meine Brille hat, aber ja.“ Mit zwei Schritten war Hermine bei ihm und umarmte ihn vorsichtig. „Das ist ja wunderbar! Wie geht es dir sonst?“ Sie ließ sich am Bettrand nieder. Harry zog grinsend den Verband um den Kopf ein Stück höher und zeigte frische, nachwachsende Haare. Hermine musste ebenfalls grinsen. „Super!“ Harry nickte, wurde dann jedoch wieder ernst. „Dumbledore hat mir alles erzählt“, meinte er und katapultierte damit auch Hermine wieder zurück in die graue Realität. Sie seufzte. „Hat er?“ Harry nickte und drückte Hermines Hand kurz mit seiner eigenen. Seine Haut fühlte sich ungewöhnlich weich an, so frisch nachgewachsen, wie sie war. „Ich weiß zwar nicht, wie du auf der einen Seite auf Ron stehen konntest und auf der anderen Seite auf IHN, aber…“ Er brach ab, als Hermine ihn empört anstarrte, und grinste entschuldigend. „Hey, ich wollte einen Witz machen!“ Sie schnaubte, lächelte jedoch. „Na schön, du hast Recht, die beiden sind… waren… wirklich sehr verschieden.“ Harry erwiderte ihr Lächeln vorsichtig. „Jedenfalls… so eine Idee kann nur von dir kommen. Aber ich verstehe, dass du in dem Moment nicht daran gedacht hast, dass es nicht funktionieren könnte. Hätte ich auch nicht.“ Hermines Lächeln wurde breiter. Eine Last schien von ihr abzufallen, jetzt, da es zumindest einen gab, der ihr nicht unter die Nase rieb, dass es nicht hatte funktionieren können. „Danke, Harry“, murmelte sie und lehnte sich leicht an ihn. „Darf ich? Ich fühle mich zurzeit so… alleine.“ Harry ächzte und legte ihr einen Arm um die Schulter. „Sicher. Tue ich doch auch.“ Schweigend starrten sie beide eine Weile auf das Fußende von Harrys Bett, doch es war ein angenehmes Schweigen. „Wie machen wir jetzt weiter?“, fragte Harry irgendwann. Hermine seufzte schwer. „Zuerst wirst du gesund genug, um entlassen zu werden. Dann werden wir uns von Ron verabschieden…“ Sie musste schlucken, blinzelte, fuhr jedoch fort. „Und dann werden wir sehen. Irgendwie geht es immer weiter.“ Harry nickte langsam. „Darf ich fragen… wie bist du dort wieder weg gekommen? Und weißt du etwas von Dumbledore?“ Hermine rückte ein wenig näher zu ihm, als ihr bei der Frage kalt wurde. „Naja, Voldemort hat mich nicht wirklich gefangen gehalten. Wir haben uns auf eine Art… Waffenstillstand geeinigt, nachdem wir uns ausgesprochen hatten. Er hat mir auch meinen Zauberstab wieder gegeben, und Draco hat mir unabsichtlich ein Schlupfloch gezeigt, wie ich den Apparierschutz umgehen konnte.“ Harry rückte von ihr ab. „Draco? Seit wann nennen wir ihn Draco?“ Hermine lächelte müde. „Seit seine Mutter ihn dazu verdonnert hat, mir die Festung zu zeigen, damit ich mich zurecht finde, und er einer der einzigen war, der mit mir gesprochen hat.“ Harry brummte. „Solange ihr keine Busenfreunde geworden seid…“ Hermine kicherte. „Nein, soweit ist es noch nicht.“ „Dann ist gut“, murmelte Harry beruhigt und lehnte sich wieder an sie. Hermine wurde das Herz schwer, als sie tief Luft holte, um auch seine zweite Frage zu beantworten. „Was Dumbledore angeht… So hart das jetzt klingt, aber ich glaube kaum, dass wir ihn wieder sehen werden.“ Harry zuckte zusammen. „Sicher?“, fragte er ungewöhnlich kleinlaut. Hermine schnürte sich die Kehle zu. „Ja. Ich glaube, er hat den gleichen Zauber abbekommen wie ihr. Er sah fast so aus wie du, als ich ihn gesehen habe. Und so… gefährlich, wie Voldemort aussah, wird er Dumbledore jetzt als Alleinschuldigen für damals hinstellen und seine Wut an ihm auslassen.“ Harry schauderte und die beiden rückten noch ein wenig enger zusammen. „Dann glaube ich auch nicht, dass wir ihn wieder sehen werden“, wisperte er nach einer gefühlten Ewigkeit. Hermine seufzte nur. Wieder breitete sich Stille zwischen ihnen aus. Sie wurde erst durch eine Krankenschwester unterbrochen, die ihnen mitteilte, dass die Besuchszeit jetzt vorüber war. Es fiel Hermine erstaunlich schwer, sich von Harry zu verabschieden, obwohl sie genau wusste, dass er nicht aus der Welt war. Es war, als hätte sie jetzt durch die lange Zeit ohne Harry – ihre Erinnerungen mitgerechnet – erst wieder erkannt, wie wichtig er ihr war. Er war der Bruder, den sie niemals gehabt hatte. Erst jetzt hatte sie das Gefühl, wieder vollständig in ihrer eigenen Zeit angekommen zu sein. Nun ja, so vollständig, wie sie ohne Ron sein konnte. Trotz allem, was sie mit Tom erlebt hatte, verursachte der Gedanke an seine Beerdigung einen schmerzhaften Knoten in ihren Eingeweiden. Tief durchatmend verließ sie Harrys Zimmer und machte sich auf den Rückweg – nach Hause. ~*~ Gleich am nächsten Tag stellte sie fest, dass sie mittlerweile nachvollziehen konnte, dass Harry und Ron den Montag dieses Jahr wieder einmal gehasst hatten, wenn auch aus anderen Gründen. Klar, sie hatte den verpassten Schulstoff nachgeholt und war auf dem laufenden, doch sie stellte fest, dass der Unterricht viel langsamer ablief, als sie es aus ihren Erinnerungen an die Vierziger kannte. Bereits nach den ersten zehn Minuten in der ersten Stunde – Zaubertränke bei Professor Slughorn – schaltete ihr Gehirn ab. Damals hatten sie meistens an zwei Tränken gleichzeitig gearbeitet, immer an einem, der gerade ziehen musste oder vorbereitet wurde, und an einem in der „heißen Phase“, wo die meisten Zutaten miteinander reagierten. Sie hatte es damals gar nicht wirklich registriert, da man meistens sowieso nur an einem arbeitete, doch jetzt, wo der zweite Trank, auf den man ein Auge haben musste, wegfiel, fehlte er ihr. Der Unterricht war dadurch so eintönig und geradlinig, dass sie sich nicht wunderte, warum fast keiner mehr Zaubertränke mochte. Wie hatte sie es eigentlich all die Jahre in ihrer Zeit geschafft, sich weiter für dieses Fach begeistern zu können? Mit einem Blick nach vorne, wo Slughorn gerade Aufsätze einer anderen Klasse korrigierte, beantwortete sie sich diese Frage selbst. Snape. Bis zur fünften Klasse hatten sie neben dem Brauen noch so viele Theorie-Fragen zu dem jeweiligen Trank oder den einzelnen Zutaten zu beantworten gehabt, dass es sie richtig gefordert hatte. Während sie auf der einen Seite das Rezept überprüfte und mit dem Trank verglich, hatte sie auf der anderen Seite immer etwas zum Grübeln gehabt. Slughorn jedoch hatte das abgeschafft. Jetzt erinnerte sie sich auch daran, dass sie in der sechsten Klasse immer nebenbei noch gedanklich an ihren Aufsätzen gearbeitet hatte oder sich um ein anderes Problem gekümmert hatte, damit ihr nicht langweilig war. Mit diesem Gedanken im Hinterkopf brachte sie die Doppelstunde relativ gut beschäftigt hinter sich. Dennoch fehlte ihr etwas. Sie brauchte bis zur Zwischenpause, um zu bemerken, dass es der Anblick von Tom war, wie er mit akribischen Bewegungen, genau abgestimmt und keine zu viel, seine Tränke zubereitet hatte. Sie biss sich auf die Lippe, als ihr dieses Bild wieder durch den Kopf schoss, und beschleunigte ihren Schritt. Weit vor den anderen kam sie am Klassenzimmer für Verteidigung gegen Dunkle Künste an. Sogar noch vor Professor Snape, der eine Minute nach ihr den Gang entlang gerauscht kam und mit einem undeutbaren Blick auf sie die Tür aufsperrte und sie hinein ließ. Sie suchte sich ihren Platz hinten im Klassenzimmer, den sie sich sonst mit Ron geteilt hatte, und ließ die Tasche auf den Tisch sinken. „Miss Granger? Auf ein Wort“, hallte Snapes kalte Stimme durch den Raum. Hermine schluckte und wandte sich um. „Ja, Professor?“ Er war mit wenigen ausladenden Schritten bei ihr und musterte sie forschend. „Warum sind Sie gegangen? Der Lord ist… ziemlich… nun ja, aufgelöst.“ Hermine seufzte. „Weil er er ist. Egal, was zwischen uns ist. Ich kann nicht bei ihm bleiben.“ Snape nickte langsam. „Das passt zu Ihnen. Also werden Sie weiter den Orden unterstützen?“ Hermine nickte. „Ja. Ist das ein Problem?“ Snapes Augenbraue wanderte ein Stück in die Höhe. „Für das Wohlergehen mancher Todesser schon. Und Dumbledore wird es dadurch auch nicht einfacher haben.“ Hermines Augen weiteten sich. „Wissen Sie, wie es ihm geht?“ Er verschränkte seine Arme. „Er lebt. Gerade noch. Wie soll es ihm sonst gehen? Wenn er tot wäre, wüssten Sie das bereits. Der Lord plant bereits, wie er seinen Tod verkünden wird. Natürlich erst so spät wie möglich, noch scheint er zu erpicht auf Rache zu sein, um ihn sterben zu lassen. Wären Sie JETZT so freundlich, mir zu sagen, was zwischen Ihnen und dem Dunklen Lord vorgefallen ist?“ Hermine seufzte. „Ich weiß nicht, ob ich das will. Ich weiß ja noch nicht einmal, wie viel ich Ihnen vertrauen möchte.“ Snapes schwarze Augen schienen sie zu durchbohren. „Das kann ich Ihnen nicht sagen, das müssen Sie für sich entscheiden. Aber dann kann ich akzeptieren, dass Sie mich im Dunklen lassen. Sie sind zumindest nicht so naiv wie der Potter-Bengel.“ Hermine lächelte schwach. „Vielen Dank, Sir.“ In diesem Moment tröpfelten ihre Klassenkameraden herein und Snape wandte sich mit einem Nicken von ihr ab und rauschte zum Lehrerpult zurück. Die Stunde gestaltete sich um einiges interessanter als die Zaubertränkestunde zuvor, und Hermine stellte nicht zum ersten Mal an diesem Tag fest, dass Snape ein Lehrer war, der sie forderte. Das war zwar nicht gerade ideal für die leistungsschwächeren Schüler in der Klasse, doch das war auch gar nicht das, was Snape erreichen wollte. Er wollte, dass die Besten alles aus sich herausholten, um so gut zu werden, wie sie es unter anderen Umständen nicht konnten. Und irgendwie schaffte er es, den Rest auch nicht durchfallen zu lassen, also konnte sie ihm nicht vorhalten, diejenigen links liegen zu lassen. Sie tauchte förmlich in das Thema dieser Stunde ein und war regelrecht enttäuscht, als der Gong das Ende des Unterrichts verkündete. Beim Mittagessen stellte sie sehr schnell fest, dass sie wohl während des Unterrichts so in ihren Gedanken gewesen war, dass sie die Blicke ihrer Mitschüler nicht mitbekommen hatte. Lavender und Parvati nahmen sie in die Mangel, kaum, dass sie sich am Gryffindortisch niedergelassen hatte, gefolgt von Neville, Seamus und Dean, die sich neugierig alle um sie herumsetzten. „Wo warst du letzte Woche, Hermine?“, wollte Lavender wissen. „Genau, und was ist mit Harry und Ron?“, fügte Parvati hinzu. „Die waren schon seit zwei Wochen nicht mehr da!“ Hermine seufzte schwer. Was die beiden Jungs anging – Dumbledore hatte beschlossen, Rons Tod erst dann zu verkünden, wenn die Familie es wollte, und Molly wollte es noch nicht. Sie hatte es selbst nicht akzeptieren können und würde es wohl erst wirklich realisieren, wenn er beerdigt wurde. Hermine schüttelte den Kopf. „Lasst mich in Ruhe.“ Seamus schlug ihr freundschaftlich auf den Arm. „Mensch, du kannst uns doch nicht hier im Dunklen tappen lassen! Es hat etwas mit Du-weißt-schon-wem zu tun, nicht wahr?“ Hermine schnaubte. „Nein, ich weiß nicht wer.“ Entsetzte Blicke schlugen ihr entgegen. Sie rollte genervt mit den Augen. „Ihr seid mir ein schöner Haufen Gryffindors. Nennt ihn doch endlich beim Namen! Davon wird er auch nicht schlimmer!“ Die Blicke wechselten von entsetzt zu geschockt. „Ansonsten sehe ich gar nicht ein, euch auch nur ein Sterbenswörtchen zu sagen. Mal ganz abgesehen davon, dass es euch nichts angeht.“ Sie packte kurzentschlossen ihren Teller und ihre Tasche und setzte sich an den Ravenclawtisch zu Luna und Ginny. „Darf ich mich zu euch setzen?“ Beide nickten, und Ginny warf einen düsteren Blick über die Schulter zurück zu ihren Hauskameraden, die ungläubig herüberstarrten. „Nerven sie dich auch mit Fragen?“ Hermine brummte zustimmend. „Und wie. Wie entkommst du ihnen sonst immer?“ Ginny lächelte müde. „Hier essen oder in der Küche. Oder früher aufstehen.“ Stirnrunzelnd stellte Hermine fest, dass Ginny dunkle Ringe unter ihren Augen hatte, was absolut ungewöhnlich für sie war. „Wie viel schläfst du?“ Ginny seufzte. „Frag nicht. Hauptsache, ich habe Zeit, Harry zu sehen.“ Sie legte den Kopf schief. „Du warst gestern bei ihm, nicht wahr? Wie geht es ihm?“ Hermine musste lächeln. „Ich weiß ja nicht, wie er zwischendurch aussah, ich habe ihn nur einmal am Tag danach und dann jetzt wieder besucht, aber ich finde, er erholt sich sehr schnell, dafür, dass die Ärzte keine Magie einsetzen. Vor allem seine Augen sind ein halbes Wunder. Ich wüsste zu gerne, was das für ein Zauber war…“ Ginny grinste. „Es ist schön, dass du wieder da bist“, meinte sie und umarmte Hermine spontan. „Ich hab echt Angst gehabt, dich auch noch zu verlieren.“ Hermine erwiderte die Umarmung. Erst jetzt bemerkte sie, dass ihr mit Ginny noch etwas gefehlt hatte in all der Zeit. „Ich bin auch froh, wieder hier zu sein“, wisperte sie. „Irgendwie.“ Ginny löste sich von ihr und musterte sie forschend. „Irgendwie? Willst du mir erklären, wie du das meinst?“ Hermine seufzte. „Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist, solange du noch nicht im Orden ist. Ich würde gerne erst mit Professor McGonagall darüber reden, ob ich es dir sagen soll.“ Ginny wirkte enttäuschte, nickte aber. „Das verstehe ich.“ Niedergeschlagen wandte sie sich wieder ihrem Essen zu. Hermine biss sich auf die Lippe. Das hatte sie nicht erreichen wollen. Bevor sie jedoch eine Idee hatte, wie sie Ginny wieder aufmuntern konnte, war diese fertig mit ihrem Essen, verabschiedete sich verschnupft und eilte aus der Halle. Hermine seufzte. „Ich kann nichts richtig machen, oder?“ Luna lächelte und legte ihr die Hand auf die Schulter. „Du machst mehr richtig, als du denkst. Du versuchst nur mehr als alle anderen, alles richtig zu machen, deswegen kommt es dir so vor, als würdest du mehr falsch machen.“ Hermine musste lächeln. „Vielleicht. Aber manchmal habe ich das Gefühl, die kleinen Dinge richtig zu machen und die Großen, die mir viel mehr am Herzen liegen, nicht richtig machen zu können, egal, was ich tue.“ Lunas Lächeln wurde breiter. „Manchmal kommt es auf die kleinen Dinge an. Du wirst sehen.“ Kapitel 32: The show must go on ------------------------------- Kapitel 32 – The Show must go on Die Tage vergingen zäh wie alter Kaugummi, gefüllt mit Schulstoff, der Hermine jedoch nicht mehr länger fesseln konnte. Nicht, nachdem sie so viel mit Tom fachsimpelt hatte. Jedes neue Thema verlor nach der Hälfte des Stoffes seinen Reiz. Sicher, sie lernte genauso effizient wie immer, und sie war sich sicher, dass sie, obwohl erst November war, sicherlich bald auf UTZ-Niveau war, doch es machte ihr nicht mehr den gleichen Spaß wie früher. Zu tief saßen ihr die vergangenen Ereignisse im Nacken, und zu oft musste sie daran denken, wie es Dumbledore ging. Sie hätte sich am liebsten selbst dafür geohrfeigt, dass sie vor dem Disapparieren aus der kleinen Höhle keinen Ortungszauber angewendet hatte. Es bestand zumindest eine kleine Möglichkeit, dass dieses Schlupfloch im Vergleich zum Rest der Festung ortbar war, und so hätte sie eine Möglichkeit gehabt, zurück zu kehren und Dumbledore zu suchen. So jedoch… hatte sie ihn im Stich gelassen, zu sehr durch die Scheuklappen ihrer Gefühle abgelenkt. Bitter lächelte sie, während sie eine Seite in „Höchste Potente Zaubertränke“ umblätterte und den nächsten Satz dreimal lesen musste, um ihn zu verstehen. Sie konnte wirklich nichts richtig machen. Alle, alle hatte sie ihm Stich gelassen. Was hatte es noch für einen Sinn, die Schule zu beenden? Wo sollte sie danach hin? Ein normales Leben führen? Das kam ihr in diesem Moment so unvorstellbar vor, dass sie kurz und zittrig auflachte. Die Welt war nicht mehr dieselbe. Wie konnte sie also so tun, als wäre nichts passiert? ~*~ Zwei Wochen später, Anfang Dezember, wurde Harry Potter aus dem St. Mungo’s entlassen. Er kehrte nach Hogwarts zurück und musste sich nur einmal die Woche noch bei Madam Pomfrey melden. An diesem Abend erreichte eine Eule das Schulleiterbüro, welches Professor McGonagall übernommen hatte, und am folgenden Morgen verkündete sie der Schule Rons Tod. Harry, der gerade die Schülertraube um sich herum losgeworden war und den ersten Bissen seines Rühreis genommen hatte, verschluckte sich. Ginny klopfte ihm sacht auf den Rücken, und Hermine erwiderte seinen starren Blick mit der gleichen Hilflosigkeit, die auch sie beim Gedanken an Ron verspürte. Die Beerdigung fand eine Woche später statt, pünktlich zum Luciafest, dass die Hauselfen in Hogwarts für die wenigen skandinavischen Schüler, die nicht nach Durmstrang gingen, feierten. Hermine, Harry und Ginny jedoch bekamen kaum etwas von dem bunten Lichtermeer mit, welches doppelt so groß war wie sonst. Ihre Gedanken waren anderswo. Nach dem Frühstück trafen sie sich mit Minerva an den Toren der Schule und apparierten zum Fuchsbau. Molly nahm die drei Teenager alle in die Arme und brach ihnen fast die Rippen, während sie unentwegt schniefte. Viel mehr bekam Hermine von der Beerdigung gar nicht mit. Ihre Gedanken und ihr Blick verschwammen, wanderten zu Erinnerungen, die schön und gleichzeitig schmerzhaft waren. Zu Zeiten, in denen Ron noch bei ihnen war. Zu Zeiten, als sie, Ron und Harry einfach unzertrennlich gewesen waren. Dann später, als Ginny und Harry zusammen gekommen waren, die Zeiten, in denen sie immer zu viert unterwegs waren, Rons missmutige Blicke inklusive, wenn Harry und Ginny es wagten, sich zu küssen, sogar auf den Mund! Hermine musste wehmütig lächeln, als sie daran zurück dachte. Es war eine schöne Zeit gewesen, ihr sechstes Schuljahr, trotz Voldemort. Und trotz der Tatsache, dass Ron und sie beide wussten, dass sie zusammen gehörten, keiner aber so Recht einen Schritt weiter gehen wollte. Sie seufzte. Auf der einen Seite war es eine verpasste Gelegenheit, doch auf der anderen sagte sie sich, dass es noch um einiges schmerzhafter gewesen wäre, wäre damals mehr gewesen zwischen ihnen. Einen Moment später schreckte sie die Kaltblütigkeit dieses Gedankens ab. Es war verdammt egoistisch, so zu denken. Sie schluckte und stellte fest, dass die Rede, die der zuständige Ministeriumsbeamte zu Rons Beisetzung gehalten hatte, wohl gerade zu Ende gegangen war. Schweren Herzens schloss sie sich den Weasleys an, die die Trauerhalle verließen und auf den Friedhof in Ottery St. Catchpole hinausgingen, um der eigentlichen Beerdigung beizuwohnen. ~*~ Die folgenden Tage war es ruhig. Zu ruhig, für Hermines Geschmack. Je länger sie nichts von Voldemort oder seinen Todessern hörten, desto länger war Voldemort wohl nur damit beschäftigt, Dumbledore zu quälen. Sie durfte gar nicht daran denken. Drei Tage vor dem Heiligen Abend geschah dann das, womit Hermine seit einem Monat gerechnet hatte. Sie konnte nicht sagen, ob sie es am Ende noch gefürchtet oder herbeigesehnt hatte. Es musste eine Erlösung gewesen sein. Ein großer Artikel war im Tagespropheten erschienen, der über Dumbledores Tod berichtete. Hermine schluckte, als ihr trotz allem die Tränen kamen und ihre Welt sich zu drehen begann. Verdammt, sie hatte bereits die ganzen letzten Wochen um ihn getrauert, wieso war dann immer noch etwas übrig? Wie viel Trauer konnte ein Mensch empfinden? Schniefend reichte sie die Zeitung zu Harry und Ginny auf der anderen Tischseite hinüber und versuchte vergeblich, etwas von ihrem Frühstück herunter zu bekommen. Harry überflog wie sie selbst nur die erste Seite des Artikels, Ginny jedoch las ihn mit starrem Blick komplett durch. Auf der zweiten Seite pfiff sie. „Leute…“ Harry brummte, und Hermine hob missmutig den Kopf. Ginny legte die Zeitung zwischen ihnen auf den Tisch. „Hier steht, wie sie davon erfahren haben. Ein Todesser wurde gefasst, der sich um Dumbledore gekümmert hat, solange er dort war. Er hat unter Veritaserum ausgesagt.“ Hermine nickte langsam. „Voldemort hat ihn vermutlich absichtlich ausgeliefert, damit die Info ankommt.“ Harry nickte zustimmend. „Sähe ihm ähnlich.“ Ginny winkte ungeduldig ab. „Ist doch egal. Hier steht, dass der Leichnam verschwunden ist! Er hat den Tod festgestellt und… Vol…demort herbeigerufen, und nachdem dieser auch festgestellt hat, dass er tot ist, war die Leiche am nächsten Tag weg!“ Harry und Hermine tauschten einen Blick. Dann seufzte Hermine. „Das mag ja gut und schön sein, aber er war davor schon tot. Und Voldemort ist intelligent genug, um fehlerfrei festzustellen, dass jemand tot ist.“ Ginny sackte ein Stück in sich zusammen. „Du hast Recht. Es ändert nichts.“ Niedergeschlagen aßen sie zu Ende. Dröhnendes Schweigen lag über des gesamten Großen Halle, sie waren offensichtlich nicht die Einzigen, die Zeitung lasen. Auch im Unterricht war keine Spur des üblichen Getuschels zu hören, jeder ging stumm seiner Aufgabe nach. Die Professoren schienen alle ein wenig angeknackst, behielten jedoch mit purer Selbstbeherrschung die Fassung. Es war, als hätte sich eine große Käseglocke über das ganze Schloss gestülpt, die alles in Watte packte, dämpfte und dafür sorgte, dass jeder neben sich stand. Selbst die Slytherins wagten es an diesem Tag nicht, irgendjemand zu verspotten oder zu ärgern. Das, dachte Hermine zynisch, war es sicherlich nicht wert gewesen, auch wenn die Ruhe vor den Schlangen durchaus angenehm war. ~*~ Dieses Jahr blieben nicht viele Schüler über Weihnachten in Hogwarts. Hermine vermutete, dass viele Eltern jetzt, ohne Dumbledore, an der Sicherheit des Schlosses zweifelten, auch wenn Minerva diesbezüglich bereits am nächsten Tag eine öffentliche Erklärung abgegeben hatte. Sie würde das Amt des Schulleiters übernehmen, solange die Schulräte keine Einwände hatten, und mit allem, was sie aufbringen konnte, die Sicherheit der Schüler auch weiterhin gewährleisten, so wie es Dumbledore vor ihr getan hatte. Die Schulräte selbst hatten es trotz ihrer sonstigen Trägheit geschafft, sich noch vor Weihnachten zu treffen und sie in ihrem Amt zu bestätigen. Alles in allem waren sie viel umgänglicher und vernünftiger geworden, seit Lucius Malfoy nicht mehr unter ihnen war und sie jetzt unter Fidelius waren, vertraute Minerva Hermine am Abend des vierundzwanzigstens Dezembers an, als sie alle zusammen an einem einzelnen Tisch zu Abend aßen. Hermine war froh, dass es so war. Einen neuen Schulleiter, womöglich jemand, dem sie nicht vertrauen konnten, wollte keiner. Weihnachten selbst lief dieses Jahr erstaunlich unspektakulär ab, zumindest dachten sie das. Hermine und Harry waren in Hogwarts geblieben, und Ginny hatte sich ihnen angeschlossen. Sie waren zwar bei den Weasleys eingeladen, doch da diese zusammen mit Bill und Fleur in Frankreich feierten, hatte keiner der drei große Lust, ihnen hinterher zu reisen. Minerva hatte bekannt gegeben, dass es dieses Jahr keine großen Feierlichkeiten geben würde, sondern lediglich ein Festessen am Abend des fünfundzwanzigsten Dezembers. Doch langweilig, wie sie mit einem Augenzwinkern verkündete, würde es bis dahin keinem der wenigen noch anwesenden Schüler werden. Die drei Gryffindors, die neben Jane aus der dritten Klasse die einzigen in ihrem Turm waren, stellten bereits am nächsten Morgen fest, was die Direktorin gemeint hatte. Hermine wurde an diesem Morgen durch zwei laute Stimmen geweckt, die im Chor „AUFWACHEN!“ plärrten. Schlaftrunken blinzelte sie und erkannte sowohl Ginny als auch Jane, beide in Morgenmänteln, neben ihrem Bett stehen und grinsen. Jane wirkte mit den blonden Haaren, die sie sich bereits zu Zöpfen geflochten hatte, und dem Blumenmuster auf ihrem gelben Mantel glatt noch einige Jahre jünger und hätte als Erstklässlerin durchgehen können. Auch die Begeisterung in ihrem Gesicht stand der einer Erstklässlerin, die das erste Mal Weihnachten auf Hogwarts verbrachte, in nichts nach. Hermine musste lächeln. „Euch auch einen guten Morgen“, nuschelte sie und gähnte. „Frohe Weihnachten!“, riefen die anderen beiden im Chor. Hermine grinste und setzte sich auf. Bevor sie jedoch in ihren Morgenmantel schlüpfen konnte, hatte Ginny sie umarmt und Jane wedelte aufgeregt mit einem Pergamentblatt. „Schau mal, für dich! Genau wie bei uns!“ Nachdem Hermine Ginny kurz gedrückt hatte und sich wieder von ihr gelöst hatte, drückte Jane ihr den Zettel in die Hand. Hermine runzelte die Stirn und las, was dort in verschlungener, aber irgendwie bekannter Schrift geschrieben stand. Frohe Weihnachten, Hermine! Du fragst dich sicher, ob du dieses Jahr Geschenke bekommen hast. Natürlich hast du welche bekommen, aber diesmal sind sie irgendwo im Schloss gelandet, und du musst selbst herausfinden, wo. Keine Sorge, du musst nicht alles durchsuchen, du bekommst Hilfe. Es kann allerdings sein, dass du mehrere Hinweise sammeln musst, bevor du weißt, wo deine Geschenke sind. Und keine Sorge, sollte das Rätsel zu schwer für dich sein, bekommst du spätestens beim Abendessen einen heißen Tipp. Wenn du es bis dahin nicht gelöst hast, findest du ihn in dem Knallbonbon auf deinem Platz. Aber ich hoffe natürlich, dass du nicht voreilig aufgibst! Als Erstes solltest du überlegen, wo im Schloss das Feuer auf Leinwand kitzelt. Dort wirst du weitere Hinweise finden. Viel Spaß beim Rätseln! Ein breites Lächeln erschien auf Hermines Gesicht. „Eine Schnitzeljagd“, stellte sie fest und griff nach ihrem Morgenmantel. „Eine was?“, fragte Jane. Hermine strahlte sie regelrecht an. „Eine Reihe von Rätseln. Jedes Rätsel führt zum nächsten, und am Ende ist unser Preis. Das habe wir in der Muggelwelt sehr gerne zu Geburtstagen veranstaltet.“ Sie fischte frische Kleidung aus ihrem Schrank. „Meine Eltern haben sich zwar immer beschwert, dass ich sämtliche Rätsel viel schneller lösen würde, als sie sich neue ausdenken könnten, aber es hat einen riesigen Spaß gemacht.“ Jane legte mit zweifelndem Blick den Kopf schief. „Meinst du, das macht Spaß? Wieso kann ich meine Geschenke nicht gleich haben?“ Ginny legte ihr die Hand auf die Schulter. „Weil du so garantiert den ganzen Tag Spaß daran haben wirst. Ich finde, das ist eine gute Idee, wenn wir schon keine große Feier haben. Ich wette, die Professoren haben sich das ausgedacht, um uns eine Freude zu machen.“ Jane nickte, wirkte aber immer noch zögerlich. „Mein erstes Rätsel… ich weiß nicht, wo ich hinsoll. Helft ihr mir?“ Hermine lächelte. „Aber sicher doch! Es wäre schließlich ziemlich blöd, wenn einer von uns das Knallbonbon bräuchte. Zusammen schaffen wir es alle, du wirst sehen.“ Damit verschwand sie ins Bad. ~*~ Kurz darauf trafen die drei Mädchen sich fertig angezogen im Gemeinschaftsraum und fanden einen etwas befremdlich dreinschauenden Harry vor. Er murmelte nur, als sie ihm Frohe Weihnachten wünschten. Hermine runzelte die Stirn, und Ginny küsste ihn kurz und fragte: „Ist alles in Ordnung?“ Harry brummte. „Ich glaube, unser Schnitzeljagd-Organisator will mich ärgern. Ich weiß nicht, ob ich das lustig finden soll. Er oder sie sollte wissen, dass ich da nie wieder hin will.“ Er hielt seinen Pergamentfetzen hoch und las vor: „Suche mich, wo die Schatten keine Gegenstücke haben, wo die Zeiten verschwimmen und der Kessel immer heiß ist.“ Hermine musste lachen. Ginny und Jane blickten jedoch ziemlich verwirrt drein, was Hermines Lachen nur noch verstärkte. „Versteht ihr nicht?“, brachte sie heraus und beruhigte sich unter Harrys nicht gerade nettem Blick. „Der einzige Ort, auf den das zutrifft, ist das Klassenzimmer für Wahrsagen. Nur dort ist es theoretisch möglich, in die Zukunft zu sehen, deswegen die verschwommenen Zeiten. Schatten ohne Gegenstücke sollen Visionen darstellen, und weil Trelawney so gerne aus Teeblättern liest, hat sie immer einen Wasserkessel auf dem Feuer.“ Ginny klatschte sich mit der Hand gegen die Stirn. „Dass ich da nicht drauf gekommen bin…“ Harry schnitt eine Grimasse. „Ich habe auch ein paar Minuten gebraucht. Hätten sie den Grimm erwähnt, wäre es leichter gewesen… Aber sie wollen es uns offensichtlich nicht leicht machen.“ Jane seufzte schwer. „Denkt ihr, meine anderen Rätsel werde ich auch nicht lösen können?“, fragte sie kleinlaut. „Wenn ihr eure schon schwer findet, was soll ich dann sagen?“ Harry lächelte schwach und ging ein wenig in die Hocke, um mit ihr auf einer Höhe zu sein. „Keine Sorge, wir lassen dich nicht alleine damit. Du kennst das Schloss noch nicht so gut, da ist es unsere Pflicht, dir zu helfen.“ Mit einem Mal strahlte die Kleine. „Echt? Danke!“ Ginny legte ihr einen Arm um die Schultern. „Ganz sicher. Lasst uns alle zum Frühstück gehen, und danach fangen wir mit der Suche an.“ Kapitel 33: Ein etwas anderes Weihnachten ----------------------------------------- Kapitel 33 – Ein etwas anderes Weihnachten Außer ihnen waren nicht viele andere Schüler da – einige Siebtklässler aus Ravenclaw, die sie nicht weiter kannten, und zwei Hufflepuffs, die maximal in der zweiten Klasse sein konnten. Die Ravenclaws boten den Hufflepuffs ihre Hilfe bei der Schnitzeljagd an, und so machten sie sich nach dem Frühstück in zwei Gruppen auf den Weg durch das Schloss. Die vier Gryffindors stiegen zu allererst in den Nordturm empor, während sie über Ginnys und Janes Rätsel brüteten. Ginny sollte suchen „Wo die Nacht zum Tag wird“, und Jane war auf der Suche nach einer „ritterlichen Pinseltugend“. Während sie unter der Falltür zum Wahrsageklassenzimmer auf Harry warteten, meinte Jane plötzlich: „Eulen sind nachtaktiv. Die Eulerei?“ Ginny starrte sie mit großen Augen an, dann grinste sie. „Okay, das war jetzt peinlich, da hätte ich auch drauf kommen können.“ Jane lachte und wurde rot. „Dafür hab ich bei meinem eigenen Rätsel immer noch keine Ahnung. Es gibt viel zu viele Ritterbilder hier im Schloss!“ „Aber aber“, ertönte eine inbrünstige Stimme hinter ihnen. „Das Fräulein hat wohl noch nie einen echten Ritter gesehen, wenn sie ihn nicht von den ganzen Taugenichtsen unterscheiden kann, die sich hier in Pose geworfen haben!“ Die drei Mädchen wirbelten herum – und Hermine brach in Gelächter aus. „Natürlich“, japste sie, „wie konnten wir den einzigen dieser Beschreibung würdigen Ritter nur vergessen? Jane, darf ich vorstellen, das ist Sir Cadigan, und ich wette mit dir, er ist es, den du suchst.“ Jane betrachtete den stämmigen Ritter, der sich gerade noch mit Müh und Not auf seinem Pony halten konnte, mit großen Augen. Der fühlte sich offensichtlich von dieser Aufmerksamkeit geschmeichelt, deutete eine Verbeugung an – und purzelte endgültig vom Pferd. Jane kicherte. Er schnaubte und rappelte sich mühsam wieder auf, die Rüstung schlammverschmiert. „Wie könnt Ihr es wagen zu lachen, Fräulein?“, fragte er empört, „Wenn ich doch nur, um Euch meine guten Umgangsformen zu zeigen, mein Leben aufs Spiel gesetzt habe?“ Sofort biss sich Jane auf die Lippe. „Es tut mir Leid, Euch in Verlegenheit gebracht zu haben“, meinte sie mit aufgesetzter Ernsthaftigkeit. „Es ehrt mich, dass Ihr mich einer solchen Gefahr für würdig erachtet.“ Sir Cadigan blinzelte verlegen und räusperte sich. „Das ist doch selbstverständlich für Euren Rätselmeister.“ Janes Gesicht hellte sich auf. „Rätselmeister? Habt Ihr vielleicht ein Rätsel für mich?“ Er warf sich in die Brust. „Aber natürlich. Was Ihr sucht, ist dort versteckt, wo die Teufel nicht brennen, sondern würgen.“ Jane blinzelte verwirrt, bedankte sich jedoch artig. Sir Cadigan verabschiedete sich mit einem salbungsvollen Winken und stapfte ins nächste Bild, wo sein Pony bereits friedlich am Grasen war. In diesem Moment kam Harry wieder die Falltreppe herunter, die Laune auf einem neuen Tiefpunkt. „Da will mich wirklich jemand ärgern!“ „Wieso, wo musst du jetzt hin?“, wollte Ginny wissen und gab ihm einen schnellen Kuss auf die Wange. Harry schnaubte. „Albernes Zauberstabgefuchtel wirst du dort nicht finden.“ Die drei Mädchen brachen synchron in Gelächter aus – selbst Jane wusste, dass Harry Professor Snape und Zaubertränke nicht leiden konnte. „Wo müsst ihr hin?“, fragte er schnell. Hermine antwortete: „Wir wollen zur Eulerei für Ginnys Hinweis, und ich würde gerne über den Westflügel dorthin, ich muss zum Portrait von Wendeline der Ulkigen.“ „War das nicht die, die sich dauernd verbrennen lassen hat im Mittelalter?“, fragte Jane langsam, als sie sich auf den Weg machten. Hermine nickte und kicherte, als sie Harrys verwirrtes Gesicht sah. „Harry, sag nicht, das hast du wieder vergessen? Das war damals die interessanteste Stunde bei Binns!“ Harry kratzte sich verlegen am Kopf. „Binns hatte interessante Stunden?“ Ginny lachte wieder los und hakte sich bei ihm unter. „Tröste dich, ich schlafe bei ihm auch immer.“ Einige Hinweise und mehrere Flüche von Harrys Seite später beschlossen die vier, sich aufzuteilen. Harry musste wohl oder übel sämtliche Klassenzimmer abklappern, während Hermine in der Bibliothek von einem Buch zum nächsten gescheucht wurde. Sie hatte einen Hinweis bekommen, das wievielte Wort in einem Buch auf welcher Seite ihr den nächsten Hinweis liefern würde – und zwar auf ein anderes Buch, gleiche Seitenzahl, Wort an der gleichen Stelle. Sie ging förmlich auf darin, aus einem Wort den verlangten Buchtitel heraus zu bekommen, doch die anderen beiden Mädchen langweilten sich schnell und machten sich ihrerseits auf den Weg nach draußen – der würgende Teufel war offensichtlich der Teufelsschlingenspross in Gewächshaus vier, und Ginnys nächster Hinweis führte sie hinaus auf das Quidditchfeld. ~*~ Zum Mittagessen saßen die in der Schule gebliebenen Lehrer an einem leeren Tisch, bis auf eine Ravenclaw war keiner der Schüler zum Essen gekommen. Mit einem wissenden Lächeln rief Minerva einen der Hauselfen zu sich und trug ihm auf, die anderen Schüler alle mit einem Imbiss zu versorgen, wo auch immer sie gerade waren. ~*~ Gegen drei Uhr nachmittags hatte Hermine das letzte Buch gefunden. Ironischer Weise trug es den Titel „Zeitreisen – Mögliches und Unmögliches“. Kopfschüttelnd schlug sie es an der gewohnten Seite auf und fand einen Zettel darin, der ihr mitteilte, ihre Geschenke befänden sich in ihrem Schlafsaal, sobald sie ihn komplett durchgelesen hatte. Sie musste lächeln. Einfach genial. Im Nachhinein nicht überraschend, doch von selbst wäre sie wohl nicht darauf gekommen. Die einzige Möglichkeit, wie man Chaos und auf dem Rückweg verlorene Geschenke vermeiden konnte. Sie musste Minerva beim Tee unbedingt sagen, wie genial dieser Einfall gewesen war. Nachdem sie den Zettel durchgelesen hatte, zerfiel er zu Staub. Vorsichtig pustete Hermine diesen von der Buchseite, klappte das Buch behutsam wieder zu und stellte es zurück. Madam Pince würde sie lynchen, wenn sie Staub in einem Buch hinterlassen würde. Dann eilte sie in ihren Schlafsaal zurück. Sie hatte gerade noch Zeit zum Auspacken, bevor es Tee gab. Oben angekommen, fand sie einen kleinen Haufen Geschenke auf ihrem Bett, kleiner als in den letzten Jahren. Kein Wunder, ihre Eltern wussten nicht mehr, dass sie existierte, also war von dort auch nichts gekommen. Sie biss sich auf die Lippe, um bei diesem Gedanken nicht wieder traurig zu werden. Der Tag hatte viel zu gut angefangen, um sich von so etwas jetzt herunter ziehen zu lassen. Sie schluckte energisch und griff nach dem ersten Päckchen. Es war von Harry und enthielt einen neuen Terminkalender in einem dunkelroten Ledereinband. Sie musste schmunzeln, als sie die sehr breiten To-do-Spalten an jedem Tag bemerkte – die an den Sonntagen von Hand durchgestrichen waren. Das war so typisch Harry… Liebevoll legte sie den Kalender auf ihr Nachtkästchen, betrachtete ihn noch einen Moment lang und widmete sich dann dem zweiten Päckchen. Es enthielt ein Set aus Federanspitzern und Tintenfässchen in verschiedenen Farben, zusammen mit einer kleinen Karte, auf der in Ginnys Schrift geschrieben stand: „Damit deine Aufsätze auch mal etwas Farbe bekommen“ Sie musste wieder lächeln. Tatsächlich, es waren keine Rottöne dabei, sie konnte also tatsächlich alle Farben für die Schule verwenden. Mit einem warmen Gefühl für ihre beiden besten Freunde legte sie auch Ginnys Geschenk auf das Nachtkästchen. Als nächstes fiel ihr ein unförmiges, klumpiges Päckchen ins Auge. Mit einer ziemlich genauen Vorstellung von dessen Inhalt öffnete sie es – und wurde nicht enttäuscht. Hagrids berüchtigte Felsenkekse. Mit einem schlechten Gewissen stellte sie fest, dass sie ihn seit der Zeitreise nicht mehr besucht hatte. Sie beschloss, das gleich nach dem Tee nachzuholen. Bei dem Geschenk von Molly kamen Hermine fast die Tränen. Sie hatte wieder einmal einen handgestrickten Pullover bekommen, in einem Mitternachtsblau einer goldenen Eule darauf, welches sie verdammt viel zu sehr an ihre Zeit in Ravenclaw erinnerte, dazu selbstgebackene Plätzchen. Sie seufzte, während sie sich in den Pullover kuschelte. So etwas hatte sie nicht verdient, nicht, nachdem sie die beiden Jungs quasi alleine hatte gehen lassen… Energisch schluckte sie den Kloß in ihrem Hals hinunter, der sich bei diesem Gedanken gebildet hatte, und griff nach dem nächsten Päckchen. Als sie es aufgerissen hatte, flogen ihr einige kleine, orangene Gegenstände entgegen, die zur Decke des Schlafsaals aufstiegen und dort vor sich hin schwebten, mal hierhin und mal dorthin treibend. Hermine musste grinsen, als sie sie als Lenkpflaumen erkannte, und fand tatsächlich auch eine Weihnachtskarte von Luna in dem Päckchen. Ein wenig verblüfft stellte sie fest, dass sie immer noch ein kleines Päckchen und einen Brief auf dem Bett liegen hatte, von denen sie nicht wusste, von wem sie sein könnten. Stirnrunzelnd griff sie nach dem Päckchen. Und musste schlucken, als sie nach dem Öffnen genau wusste, was es war. Eine kleine Karte mit Minervas Schrift, und ein Fläschchen, welches ganz offensichtlich eine Erinnerung enthielt. „Frohe Weihnachten, Hermine. Da dies das erste Weihnachten ist, wo du nichts von deinen Eltern hörst, dachte ich mir, ich zeige dir, wie es ihnen geht. Liebe Grüße, Minerva“ Hermine schluckte erneut. Dann verwandelte sie eine einzelne Socke in eine flache Schale, legte einige nicht ganz legale Zauber darauf, um sie zum Denkarium umzufunktionieren, und goss die Erinnerung hinein. Einen wehmütigen Augenblick lang dachte sie an den Sommer mit Tom zurück, als sie diese Zauber entdeckt hatten und Tom sich furchtbar darüber aufgeregt hatte, warum die Herstellung von Denkarium-Schalen nur lizensierten Händlern gestattet war, wenn er es doch viel besser konnte. Mit einem traurigen Lächeln tauchte sie in die Erinnerung ein. Einen Moment später füllte warme, australische Sommerluft ihre Lungen und die helle Mittagssonne stach ihr in die Augen. Blinzelnd sah sie sich um. Sie stand an einer Strandpromenade, die von Cafés gesäumt war. Unterhalb des Weges schlugen Wellen fast bis an die Befestigung der Promenade heran, doch es spritzte nie bis nach oben. Jedes Café hatte den Gehweg so voller Tische gestellt, dass er nur halb so breit war, wie er hätte sein können, und sie alle waren gut besucht. Es herrschte ein dichtes Gedränge, und Hermine war einen Moment lang froh, dass sie hier keinen festen Körper besaß. Ansonsten wäre ihr mit Sicherheit schon jemand auf die Füße getreten. Suchend sah sie sich um – und entdeckte ihre Eltern keine fünf Meter entfernt an einem der kleinen Tische der Cafés sitzen, ihr Vater mit einem Cappuccino, ihre Mutter mit einem Latte Macchiato, wie immer, wenn sie Kaffee tranken. Langsam trat Hermine näher an die beiden heran, bis sie in Hörweite war. Sie sahen glücklich aus. Ihr Mutter strahlte, das Gesicht gebräunt und das hellbraune Haar fast blond von der Sonne, während ihr Vater noch ein paar Haare mehr verloren hatte, aber trotzdem noch so energetisch aussah, wie sie ihn kannte. Er hatte ihre Hand in seiner und spielte gedankenverloren mit ihrem Ehering. Hermine hatte wieder einen Kloß im Hals, als sie das sah. Das hatte er immer nur dann getan, wenn er absolut mit sich selbst im Reinen war. Es tat weh, zu sehen, dass sie auch zu zweit alles hatten, was sie wollten, obwohl sie wusste, dass der Gedanke Blödsinn war. Sie selbst hatte ja dafür gesorgt. In diesem Moment hörte sie ihre Mutter sagen: „Natürlich. Wie könnte ich nicht glücklich sein?“ Ihr Vater ließ ihren Ehering los und ergriff ihre Hand fest mit beiden Händen. „Etwas bedrückt dich aber, trotz allem. Ich kenne dich doch.“ Ihre Mutter lächelte schief und etwas verunglückt. Es brach Hermine fast das Herz. „Weißt du…“, antwortete sie leise, „manchmal frage ich mich wirklich, warum wir keine Kinder bekommen haben. Früher hatte ich mir immer welche gewünscht… und jetzt ist es zu spät.“ Hermines Herz sackte ihr in die Hose, und sie hielt den Atem an. Ihr Vater lächelte und strich ihr mit dem Daumen über den Handrücken. „Um ehrlich zu sein, ich weiß es auch nicht. Der Gedanke, einmal Kinder zu haben, hat mir immer gefallen. Aber wer behauptet, dass es zu spät ist?“ Ihre Mutter öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, doch er sprach schnell weiter: „Rein physiologisch ist es nicht zu spät. Und ich denke, mit dem erhöhten Risiko einer Behinderung können wir leben, oder?“ Hermines Mutter starrte ihren Vater komplett überrumpelt an – und im nächsten Moment beugte sie sich über den Tisch und küsste ihn. Hermine brauchte mehrere Sekunden, um das Gesagte zu verarbeiten – dann endete die Erinnerung und katapultierte sie wieder in ihren Schlafsaal zurück. Außer Atem blinzelte sie in das Halbdunkel und atmete tief durch. Dann traf sie die Erkenntnis mit aller Wucht – vielleicht bekam sie bald einen Bruder oder eine Schwester! Helle, warme Freude durchströmte sie, so rein und unschuldig wie schon lange nichts mehr. Hinter allen anderen Gefühlen und Gedanken hatte immer der drohende Schatten des Krieges gehangen, selbst in Toms Zeit, doch das hier… das war jenseits von Gut und Böse, das war einfach nur – fantastisch. Strahlend lief sie in den Gemeinschaftsraum hinunter. Tatsächlich fand sie Ginny und Jane dort vor dem Kamin sitzen, heiße Schokolade in den Händen und zitternd, die Umhänge nass und dreckig, doch beide mit einem glücklichen Grinsen vor einem Haufen Geschenke. „Hermine!“, rief Ginny. „Hast du deine Rätsel auch gelöst?“ Sie nickte rasch. „Ja, und ihr glaubt nicht, was ich von Minerva geschenkt bekommen habe!“ Jane musterte sie neugierig. „Minerva? Meinst du Professor McGonagall?“ Der Kommentar traf Hermine wie ein Schlag in die Magengrube – sie musste wieder darauf achten, was sie sagte, verdammt! „Ähm, ja… sie hat mir angeboten, sie außerhalb des Unterrichts so zu nennen, wenn wir für den Orden arbeiten“, antwortete sie etwas lahm. Ginny runzelte die Stirn. „Harry tut das nicht.“ Hermine seufzte. „Ja, vermutlich. Er ist im Moment aber auch nicht aktiv dabei, und sie hat es mir erst vor ein paar Wochen angeboten.“ Langsam nickte Ginny, und Hermine atmete unauffällig aus. Das war nicht gerade schlau gewesen. Sie hoffte, dass es keine Folgen haben würde. „Und, was hat sie dir geschenkt?“, wollte Jane wissen. Sofort war Hermines Laune wieder irgendwo über den Dächern des Schlosses. „Eine Erinnerung an meine Eltern. Sie wissen nicht mehr, wer ich bin, und leben sicher in Muggel-Australien, damit Voldemort sie nicht in die Finger bekommt, und ich habe sie seit dem Sommer nicht mehr gesehen. Minerva muss sie beobachtete haben und hat mir die Erinnerung daran geschenkt.“ Sie holte tief Luft. „Sie haben sich darüber unterhalten, warum sie eigentlich keine Kinder haben, und haben gemeint, dass es noch nicht zu spät dafür wäre!“ Ginny schnappte nach Luft, dann sprang sie auf und umarmte Hermine. „Das ist ja toll! Du wirst sehen, Geschwister sind zwar furchtbar nervig, aber das Beste, was du dir wünschen kannst.“ Hermine grinste. „Ich hoffe es. Immerhin bin ich schon alt genug zum Windeln wechseln.“ Die drei Mädchen kicherten zeitgleich los. In diesem Moment erschienen neben dem Kamin einige weitere Weihnachtsgeschenke. „Oh“, meinte Jane. „Ich glaube, Harry ist unterwegs.“ ~*~ Harry packte seine Geschenke in Rekordzeit aus, und die vier waren fast nicht zu spät zum Tee. Hermine bedankte sich strahlend bei Minerva, und anschließend begleiteten sie alle – Jane zwar etwas zögerlich, doch mit hochgerecktem Kinn – Hagrid nach draußen zu seiner Hütte. Natürlich kam das Gespräch auf Ron, und Hermine ließ meist Ginny erzählen, um nicht selbst die Fassung zu verlieren. Sie bewunderte Ginny dafür, wie fest ihre Stimme beim Erzählen klang – sie hätte schon beim Zuhören heulen mögen. Harry schien es nicht viel besser zu gehen, und sein Blick ruhte traurig, aber gleichzeitig bewundert auf Ginny. Hermine lächelte schwach. Ja, für diese Charakterstärke musste man Ginny einfach lieben. Aus dem Augenwinkel sah sie, wie Jane nach einem von Hagrids Keksen griff, beugte sich zu ihr und flüsterte ihr unauffällig zu: „In Tee einweichen vorher. Sonst kannst du heute Abend im Krankenflügel deine Zähne nachwachsen lassen. Aber sag Hagrid das bloß nicht, ja?“ Jane grinste verschwörerisch, nickte und tunkte ihren Keks in den Tee, nachdem sie probeweise einmal darauf gebissen und das Gesicht verzogen hatte. ~*~ Etwas ernüchtert machte Hermine sich mit den dreien wenig später wieder auf den Rückweg zum Schloss. Es gefiel ihr nicht, dass sie Hagrid nicht die Wahrheit sagen konnte, doch irgendwie bezweifelte sie, dass er verstehen würde. Sein Gedächtnis war mit Sicherheit auch manipuliert, damit er sie nicht wieder erkannt hatte, immerhin war er auch dort gewesen. Und er hatte Tom niemals leiden können, wegen der Sache mit Aragog und der Kammer des Schreckens. Er hätte nicht einmal im Ansatz verstanden. Und es tat Hermine weh, das sie nicht mit ihm darüber sprechen konnte. Betrübt blickte sie zu den erleuchteten Fenstern empor, die jetzt helle Streifen auf die dunkeln Schlossgründe warfen. Es war seltsam, das Schloss war immer das Gleiche, egal, was geschehen war und wohl auch noch geschehen würde. Das Schloss kümmerte das alles nicht. Es stand bereits tausend Jahre und würde auch noch weitere Tausend überstehen. Der Gedanke war seltsam tröstlich. ~*~ Nach dem Abendessen saßen die vier noch lange im Gemeinschaftsraum und spielten explodierendes Mau-Mau. Hermine war nicht sicher, ob sie froh oder enttäuscht darüber sein sollte, dass die anderen nicht merkten, wie still sie währenddessen geworden war. Auch hier lauerten Erinnerungen. Verdammt schöne Erinnerungen. Sie stellte fest, dass es immer die schönen Erinnerungen waren, die wehtaten, nicht die schlimmen. Die schlimmen waren zwar nicht schön, doch die guten Erinnerungen waren die, die einem mit aller Gewalt zeigten, wie es heute eben nicht mehr war. Kein Tom, der in die Luft flog, weil sie die Karten manipuliert hatte, keine verbrannten Haare auf ihrer Seite, weil er die Karten manipuliert hatte, keine ständig neuen Ablegeregeln, kein spöttische Blick von der anderen Tischseite… Es war regelrecht langweilig. Ginnys Frage, ob sie denn schon müde war, kam ihr da gerade recht, und sie verschwand früh in den Schlafsaal. Dort angekommen stellte sie fest, dass sie den Briefumschlag vergessen hatte. Ihr letztes Weihnachtsgeschenk. Sie zog irritiert die Augenbrauen zusammen, als sie feststellte, dass kein einziges Wort auf dem Umschlag stand. Rasch überprüfte sie den Inhalt mittels Analysezauber – sie hatte schon einmal Bubotubler-Eiter in einem Briefumschlag gefunden, das brauchte sie kein zweites Mal. Allerdings war nichts weiter darin als ein beschriebenes Blatt Pergament, auf dem keine Zauber lagen. Sollte ungefährlich sein. Aber wer schrieb ihr? Neugierig öffnete sie den Umschlag, faltete das Pergament auf – und erstarrte. Sie erkannte diese Schrift. Auch wenn sie nach den jüngsten Ereignissen nicht gedacht hatte, dass er sich noch einmal bei ihr melden würde. Ich muss wahnsinnig sein. Nein, das stimmt nicht. Ich weiß, dass ich wahnsinnig bin, aber ich muss noch wahnsinniger sein als sonst. Es ist mir klar, dass du deine Ideale vor deine persönlichen Beziehungen stellst. Ich tue das auch im Normalfall. Es sollte vorbei sein, jetzt, wo du weg bist. Ist es aber nicht. Bei fast allem, was ich tue, denke ich zumindest einmal kurz darüber nach, was du davon halten würdest. Ich dachte mir, das könnte dich interessieren – auch wenn es dich nicht wundern sollte, dass du selten froh über meine Aktionen wärst. Tu mir einen Gefallen und komm mir nicht in den Weg, dann werde ich dir auch nicht wehtun müssen. Frohe Weihnachten, Hermine. Kapitel 34: Zu spät ------------------- Kapitel 34 – Zu spät An diesem Abend lag Hermine noch lange wach. Es konnte ihr im Grunde egal sein. Es änderte nichts an den Tatsachen. Voldemort hatte nicht gesagt, dass er irgendetwas nicht tun würde, bloß weil er daran dachte, dass es ihr nicht gefallen würde. Und doch… ein Teil von ihr freute sich darüber, dass er an sie dachte. Trotz allem. Dass er seine Taten auch mit ihren Maßstäben maß. Ein kleiner, absolut unlogischer und nicht unbedingt erwünschter Teil von ihr, der allerdings erstaunlich hartnäckig war. Mit einem leisen Lächeln auf den Lippen schlief sie schließlich ein. ~*~ Die folgenden Wochen verschwammen in ihrer Erinnerung miteinander, es passierte nicht wirklich etwas Nennenswertes. Einmal traf sich der Orden, doch sie hatten keinen Anhaltspunkt, wo sie weiter machen sollten ohne Dumbledore. Keine Möglichkeit, an den letzten Horkrux zu kommen, da sie nicht wussten, wo er sein sollte. Hermine verkniff sich den Kommentar, dass ihn niemand würde finden können außer Dumbledore und vielleicht Harry, wenn er in Voldemorts Geist blickte. Nicht einmal sie hatte auch nur die leiseste Idee, und sie sollte ihn eigentlich am besten kennen. Allerdings gab sie vor sich selbst mittlerweile auch zu, dass sie die Gedanken an Voldemorts Horkruxe und seine endgültige Vernichtung von sich weg schob. Sicher, da war nicht mehr viel zwischen ihnen, doch es war für sie zu einer Selbstverständlichkeit geworden, dass er da draußen war, der Mann, der einmal Tom gewesen war. Der Tom, der sie so viel besser verstanden hatte als jeder andere. Der Tom, dem sie sich so nah gefühlt hatte, obwohl sie einander nicht vertraut hatten. Der Tom, der zu einem psychopathischen Massenmörder geworden war. Trotz allem gefiel ihr der Gedanke nicht wirklich, ihn endgültig zu vernichten. Sicher, sie würde es tun, um die Zaubererwelt von ihm zu befreien, aber sie musste ja nicht glücklich darüber sein. Für das größere Wohl… Sie seufzte, als sie wieder an Dumbledore denken musste. Ja, sie konnte ihn in einigen Dingen verstehen. Und sie nahm es ihm nicht einmal mehr übel, dass er sie zurück geschickt hatte. Es war ihm auch immer nur um das größere Wohl gegangen. ~*~ Es war ironisch, dachte Hermine, dass sie noch vor Tagen bei dem Ordenstreffen über Dumbledore nachgedacht hatte. Sie blickte von der nagelneuen Biografie „Das Leben und die Lügen von Albus Dumbledore“ auf und starrte ins Feuer, den Blick unfokussiert in die Flammen gerichtet. Sicher, es war von Rita Kimmkorn geschrieben, aber es waren Fakten darin verarbeitet, die Hermine selbst trotz intensiver Recherche über sämtliche Lehrer niemals gefunden hatte. Dumbledores Familie. Und Grindelwald. Selbst, wenn man Ritas hetzerische Schreibweise herausfilterte und nur die Fakten betrachtete, die höchstwahrscheinlich wahr waren (Bekannt oder zu unerwartet, um von Kimmkorn erfunden worden zu sein), dann zeichnete dieses Buch ein klares Bild. Für das Größere Wohl. Immer. Auch auf seine eigenen Kosten. Das war wohl das, was Hermine noch am ehesten dazu brachte, gut über ihn zu denken. Er hatte bei seinem Schachspiel für eine bessere Welt auch sich selbst als eine der Schachfiguren gesehen. Ob er Grindelwald wirklich geliebt hatte, oder ob die beiden einfach nur gute Freunde gewesen waren – er hatte ihre Beziehung geopfert, um die Zaubererwelt zu retten. Natürlich hatten sie jahrelang keinen Kontakt gehabt nach Arianas Tod, aber dennoch… wenn er gezögert hatte, ihn herauszufordern – und das hatte er, Grindelwald hatte viel länger Unheil angerichtet als Voldemort, bevor Dumbledore sich klar gegen ihn bekannt hatte – dann hatten auch persönliche Überlegungen eine Rolle gespielt. Ein Kloß bildete sich in Hermines Hals, als sie unwillkürlich die Parallele zu sich selbst zog. Sie würde Voldemort ebenfalls vernichten, um die Welt ein Stück besser zu machen, egal, ob da noch etwas war. Für das Größere Wohl. Hier ging es nicht um sie. ~*~ Die Wochen zogen ins Land, der Schnee schmolz, die Bäume sprossen, die Quidditchsaison ging weiter, und Harry stellte frustriert fest, dass er zwar noch spielen konnte, aber durch die viel stärkere neue Brille und die fehlenden Farben in seinem Blickfeld viel eingeschränkter war. Er übersah den Schnatz viel zu oft. Wenn er ihn einmal gesehen hatte, fing er ihn auch, das war überhaupt keine Frage, doch er sah ihn eben meist zu spät. Das Spiel Gryffindor gegen Hufflepuff war ein Gleichstand – Harry hatte den Schnatz nicht gefangen, sondern irgendwann aufgegeben und einfach nur die gegnerischen Spieler beobachtet und blockiert, wo es möglich war. Ginny hatte die meisten Tore im Alleingang geschossen und das Ruder gerade weit genug herum gerissen, dass der gegnerische Schnatzfang nicht allzu schlimm war. Für den Pokal bedeutete das jedoch nichts Gutes. Immerhin war Hufflepuff sei Cedrics Tod keine allzu starke Mannschaft mehr, und sie hätten Vorsprung herausholen müssen, dringend. Schweren Herzens beschloss Harry nach dem Spiel, Ginny seinen Sucherposten abzutreten, einen neuen Jäger aufzunehmen und selbst nur noch das Training zu leiten. Es dämpfte seine Laune ganz enorm. Ganz zu schweigen von den Ordenstreffen, an denen er auch wieder teilnahm, doch da er in letzter Zeit nichts mehr von Voldemorts Gedanken aufgeschnappt hatte, konnte er auch nicht viel tun. Hermine sah diese Entwicklung und versuchte alles, um ihn aufzumuntern, doch egal, was sie sagte, es schien es nur schlimmer zu machen. Mit einem Stechen in der Brust stellte sie Mitte März fest, dass wohl nur Ron Harry aus seiner düsteren Stimmung hätte reißen können. Ron, der Harry mit den lächerlichsten Dingen zu lachen gebracht hatte. Ron, der immer da gewesen war, wenn man ihn gebraucht hatte. Zum Glück würden Harry und Ginny über die Osterferien in den Fuchsbau zurückkehren, und zum Glück hatten Fred und George verkündet, ihnen Gesellschaft leisten zu wollen. Hermine hoffte, dass wenigstens das Harrys Laune endlich heben würde. Was Voldemort anging – es verschwanden zwar immer wieder Leute, doch nicht mehr so viele wie vorher, und es kam nicht mehr so oft an die Öffentlichkeit. Das war es, was Hermine am meisten Angst machte – auf den ersten Blick wirkte alles friedlich, erst, wenn man genauer nachforschte, stellte man fest, dass da immer noch jemand war. Irgendwo in den Schatten, der immer noch einen Widersacher nach dem anderen aus dem Verkehr zog. Anfang April, zu Beginn der Ferien, leerte sich die Schule fast völlig. Hermine war ebenfalls wieder in den Fuchsbau eingeladen worden, hatte jedoch abgesagt. Nicht nur, weil es sie an Ron erinnern würde, sondern auch, weil sie diese Ungewissheit nicht mehr länger ertrug und etwas nachforschen wollte. Und das konnte sie im Fuchsbau schlecht. Am ersten Ferientag setzte sie sich morgens in die Bibliothek und schrieb aus alten Zeitungen eine Liste mit Namen der verschwundenen Personen heraus, um herauszufinden, was das für Leute gewesen waren. Es waren keine größeren Attentate auf Muggel mehr verübt worden, also sollten es nicht nur zufällige Muggelstämmige sein. Es musste einen anderen Grund geben, warum es ausgerechnet diese Leute waren. ~*~ Nach drei Tagen hatte sie ein Muster entdeckt – und es gefiel ihr ganz und gar nicht. Jeder einzelne hatte entweder direkt im Ministerium gearbeitet – oder hatte zumindest gute Verbindungen ins Ministerium. Es hatten zwar nicht alle die gleichen Ansichten wie der Orden gehabt, aber doch viele, und es waren allesamt Leute, die unauffällig diverse Hebel in Bewegung setzen konnten, um ihre eigene Meinung durchzusetzen. Auffallend viele hatten mit der Gesetzgebung und Rechtsprechung zu tun. Als am nächsten Tag ein Gesetz verabschiedet wurde, welches eine strengere Überwachung von Muggelstämmigen forderte, wusste Hermine, was gespielt wurde. Sie fragte sich nur, wie lange Voldemort noch aus dem Schatten heraus agieren wollte. Er hatte definitiv das Bedürfnis nach Aufmerksamkeit. Und danach, alle Fäden in der Hand zu halten, nicht nur ein paar aus dem Schatten heraus, deren Enden er nicht kontrollieren konnte. Er war noch nicht am Ende. Er hatte es erst geschafft, wenn er im Ministerium ein- und ausgehen konnte, wie es ihm passte, ohne, dass ihm jemand Widerstand leistete. ~*~ Weitere fünf Tage später hatte Hermine einen ungefähren Überblick über die meisten Mitarbeiter des Ministeriums an den wichtigen Stellen – und stellte entsetzt fest, dass fast keiner von den noch lebenden Voldemort offen Widerstand leisten würde. Angenommen, nur angenommen, Voldemort würde Scrimgeour in die Finger bekommen und irgendwie sein Amt übernehmen – das Ministerium würde sich nicht wehren. Einzig die Aurorenzentrale würde Widerstand leisten – doch die waren den Todessern zahlenmäßig so weit unterlegen, dass selbst ihre Kampfausbildung nicht allzu viel helfen würde. Am folgenden Morgen, nachdem sie viel zu wenig geschlafen hatte und sich überlegt hatte, wie sie den Orden davon überzeugen konnte, ihr zu glauben, nahm ihr der Tagesprophet die Entscheidung ab. Alastor Moody war verschwunden. Hermine schnappte nach Luft, als sie die Meldung in der Zeitung las – und ihr war klar, dass es jetzt jeden Moment so weit sein konnte. Dass es sogar schon zu spät war. Sehr wahrscheinlich sogar, immerhin dauerte es einige Stunden, bis eine Meldung es in die Zeitung schaffte. Die Auroren ohne Anführer, ansonsten alle Leute mit unangenehmen Überzeugungen aussortiert… Ja, es war zu spät. Mit einem Blick hinüber zu den Lehrern stellte sie fest, dass Professor Snape nicht anwesend war. Sie schluckte und fällte eine Entscheidung. Rasch faltete sie die Zeitung zusammen, stopfte sie in den Umhang und machte sich auf den Weg in die Kerker. Snape öffnete erst beim dritten, sehr energischen Klopfen. Er riss schon den Mund auf, um sie anzupflaumen, doch als er sie erkannte, stockte er und knurrte nur: „Was?“ Sie musterte seine versteinerte Miene, die noch angsteinflößender aussah als sonst. „Es ist zu spät, nicht wahr?“, fragte sie mit einer Ruhe, die sie selbst überraschte. Snape zog eine Augenbraue hoch. „Zu spät wofür?“ „Für das Ministerium“, gab sie zurück. „Könnten wir Scrimgeours Leben noch retten?“ Einen winzigen Augenblick lang verrutschte Snapes Maske und offenbarte pures Erstaunen, nein, sogar Entsetzen, dann hatte er sich wieder im Griff. „Nein“, gab er rau zurück. „Bis Sie dort wären, wäre es zu spät. Jeden Augenblick jetzt.“ Hermine nickte und holte tief Luft, um den Schlag, den ihr diese Meldung in die Magengrube versetzt hatte, irgendwie abzufedern. „Woher wissen Sie davon?“, knurrte Snape. Sie brachte ein trauriges, verunglücktes Lächeln zustande. „Es war klar. Man muss sich die Vermissten der letzten Monate nur genauer ansehen. Und nachdem Moody weg ist… war es nur eine Frage der Zeit.“ Er brummte. „Na schön, aber wie gesagt, Sie können nichts mehr tun.“ Hermine nickte langsam. So wirklich realisiert hatte sie es noch nicht. „Ich weiß. Deswegen bin ich ja hier. Wenn wir meiner Meinung nach noch Zeit gehabt hätten, hätte ich den Orden mobilisiert. Ich wollte nur wissen, ob ich Recht hatte.“ „Elende Besserwisserin“, murmelte er und schlug ihr die Tür vor der Nase zu. ~*~ Während der nächsten Tage ging es drunter und drüber, und als Harry und Ginny am Ende der Ferien in die Schule zurück kehrten, war Voldemort auf dem besten Weg, der nächste Zaubereiminister zu werden. Harry, der wohl in den Ferien tatsächlich reichlich Spaß mit den Zwillingen und Ginny gehabt hatte, hatte schon nach Tagen die gleiche Laune wie vorher, und Hermine konnte es ihm nicht verübeln. Er war es schließlich, von dem erwartet wurde, Voldemort am Ende zu besiegen. Und immer noch hatte keiner von ihnen eine Ahnung, wo der letzte Horkrux wirklich sein konnte. Sie gingen stillschweigend davon aus, dass er nicht in der besagten Höhle war – auch wenn die Sicherheitsvorkehrungen einem Horkrux würdig gewesen wären. Immerhin hatten sie Ron, Dumbledore und in einem gewissen Sinn auch Harry ausgeschaltet. Aber genau deswegen würde keiner mehr einen Fuß in diese Höhle setzen. Wenn selbst Dumbledore dort gefangen genommen und in Folge dessen gestorben war, wer konnte dann überleben? ~*~ Voldemort hatte tatsächlich auf den ersten Blick offizielle Wahlen angesetzt – doch nachdem keiner sich als Gegenkandidat aufstellen lassen wollte, war das eine reine Formsache. Der Orden hatte zwar darüber beraten, aber nachdem sie bereits Dumbledore und Mad-Eye verloren hatten, wäre das das reinste Himmelfahrtskommando gewesen. Todesser gingen jetzt im Ministerium ein und aus und waren sehr schnell mit Flüchen bei der Hand. Jeder wusste, dass er nicht einmal so lange am Leben bleiben würde, um seine erste Wahlkampfrede zu halten. Also taten sie das Einzige, was ihnen übrig blieb – den Kopf einziehen. Sie konnten gegen ein komplett besetztes und Pro-Todesser-Ministerium nichts ausrichten, jedenfalls nicht direkt. Sie hatten sich zu einer letzten Krisensitzung getroffen und beschlossen, von nun an verdeckt Informationen über Leute zu sammeln, die sie vielleicht irgendwie beeinflussen konnten. Voldemort hatte eine umfassende Umstrukturierung des Ministeriums angekündigt, und jetzt versuchten sie, über fünf Ecken ein Wörtchen dabei mitzureden. Wenn überhaupt. Hermine seufzte, als sie sich nach dem Treffen verabschiedet hatten und sie mit Harry zum Gryffindorturm zurückging. Es sah wirklich düster aus, und ihr Kampfgeist schien auch mit einem Mal komplett ins Nichts verpufft zu sein. Was konnten sie noch tun? ~*~ Natürlich hatte es bis zum Wahltermin keinen Gegenkandidaten gegeben. Natürlich war Voldemort Zaubereiminister geworden. Was jedoch alle erstaunt hatte, waren seine Reformen. Er hatte die Muggelgeborenen nicht, wie erwartet, komplett ausgestoßen, sondern nur strenger überwachen lassen, einschließlich der Kinder, die bei Muggeln aufwuchsen und noch nicht nach Hogwarts gingen. Die Gesetze waren gelockert worden, sodass schwarze Magie nicht mehr generell unter Strafe stand, doch erstaunlicher Weise hatte er die Gesetze, die Mord und Folter betrafen, so gut wie nicht geändert – außer, dass es keine Rolle spielte, ob der Zauber schwarz- oder weißmagisch gewesen war. Das hatte viele Ordensmitglieder dazu gebracht, an den folgenden kleineren Treffen über nichts anderes als diese Heuchelei zu schimpfen. Hermine musste sich bei diesen Gelegenheiten immer auf die Lippe beißen, um nicht zu widersprechen. Sicher, es war heuchlerisch, selbst zu morden und zu foltern und es anderen zu verbieten – aber die Gesetze abzuschaffen und das Land in Anarchie versinken zu lassen, die Entdeckung durch Muggel wegen zu vielen „gesunden“ Leichen zu riskieren – das konnte doch nicht besser sein! Nein, sie hieß Voldemorts Methoden nicht gut, doch sie verstand den Gedanken hinter den Gesetzen. Er musste den Laden ja am Laufen halten, und dass er es tat, zeigte ihr, dass er sich durchaus etwas aus der Zaubererwelt machte. Er hatte damit vielleicht nicht das Gleiche vor, was sie als Zaubereiministerin getan hätte, aber er hatte eine Vision, die über pure Macht und Zerstörung hinausging. Zeigte das nicht schon sein Umgang mit Muggelstämmigen? Sie hatte das Gefühl, er wollte in einer verdrehten Art und Weise auch nur die Welt verändern – wie sie alle es gewollt hatten. Zwar in eine andere Richtung, aber er wollte sie weiter führen und nicht zerstören. Soviel war ihr klar, und damit würde sie auch irgendwie leben können, wenn sie es nicht ändern konnte. Doch vielleicht konnte sie es ja nur nicht auf die übliche Weise ändern, sondern konnte es so versuchen wie der Rest des Ordens – nur mit etwas mehr Risiko und Einsatz. Der Gedanke brachte Hermine dazu, wieder ein Ziel ins Auge zu fassen. Ja, sie würde dabei ihre persönliche Karriere aufs Spiel setzen – aber was war das Leben schon ohne ein Risiko? Hatte sie nicht bereits ein viel größeres Risiko in Kauf genommen? Ohne Risiko die Welt verändern war nun einmal nicht möglich. Und sie war gewillt, es einzugehen. Für das Größere Wohl. Das war der Grund für eine Entscheidung, die ihr viel Kopfschütteln und einen bestürzten Blick und ein langes Gespräch mit Minerva einbrachte – von Harrys und Ginnys Blicken ganz zu schweigen. Nach einer Informationswoche über magische Berufe und weiterführende Ausbildungen bewarb sie sich für ein Studium in magischem Recht. Kapitel 35: End of an Era ------------------------- Kapitel 35 – End of an Era Das Schuljahr neigte sich dem Ende zu, was für Harry und Hermine vor allem Stress bedeutete. Die UTZs rückten näher. Hermine selbst war sich sicher, mit etwas Wiederholung alles zu schaffen, doch der Nervenkitzel, der ihr vor jeder Prüfung den Schlaf raubte, kam langsam wieder, wie jedes Jahr. Das war jedoch ausnahmsweise einmal nichts im Vergleich zu Harry, dessen schlechte Laune nicht besser geworden war. Zwischendurch hatte er immer wieder Tage, an denen er fast so war wie früher, doch es brauchte nur einen hämischen Zeitungsartikel, um diese Laune wieder zu zerstören. Und davon gab es mehr als genug. Jetzt, wo der Orden sich offiziell nicht mehr einmischte und Harry sich selbst bedeckt hielt, war er gefundenes Fressen für Rita Kimmkorn und Konsorten. Wo denn ‚der Junge, der lebt‘ abgeblieben war? Hatte er den Schwanz eingezogen? Hoffentlich war er noch nicht gestorben, witzelten sogar einige. Das Schlimme war – Harry hatte sich in der Tat ziemlich zurückgezogen und seinen Antrieb verloren. Und alles, was Hermine tat, schien nicht bis zu ihm durchzudringen. An einem Abend am Wochenende vor den ersten UTZs stapfte Hermine missmutig nach dem Abendessen in den Gemeinschaftsraum. Eigentlich wollte sie direkt zu Bett gehen, doch eine leise Stimme hielt sie auf. „Hermine? Alles in Ordnung?“ Sie schreckte aus ihren nicht sonderlich netten Gedanken auf. Jane und Miriam hatten zwei der Sessel am Kamin ergattert und winkten. Hermine zwang sich zu einem Lächeln und ging zu den beiden hinüber. „Hey…“, meinte sie. Die beiden begrüßten sie strahlend. „Alles in Ordnung?“, wollte Jane wissen. „Du siehst ziemlich geknickt aus.“ Hermine ließ sich neben ihrem Sessel zu Boden plumpsen und lehnte sich an die Armlehne. „Ich mache mir doch nur Sorgen um Harry“, murmelte sie. „Und was ist? Jetzt hat Ginny mich zusammen gefaltet, weil ich Harry behandle wie eine Glucke ein rohes Ei, und dass er alt genug ist, um selber auf sich aufzupassen.“ Sie lachte freudlos. „Danke auch, ich kann auch fröhlich dabei zusehen, wie er seine UTZs versemmelt. Wenn Ginny das lieber ist…“ Jane seufzte. „Ich weiß, du hörst das nicht gerne, aber du kannst durchaus etwas nervig werden, wenn du andere zum Lernen antreibst.“ Hermine fuhr sich mit einer Hand durch die Haare. „Danke, das ist mir eine große Hilfe. Jetzt fühle ich mich noch schlechter.“ Jane legte ihr zögerlich eine Hand auf die Schulter. „Es kann aber nicht besser werden, wenn du das nicht weißt. Und irgendjemand muss es dir doch sagen.“ Unwillkürlich musste Hermine lächeln. „Klingt logisch“, murmelte sie, streckte ihre Hand aus und legte sie auf Janes. „Danke.“ Jane grinste auf sie herunter. „Dazu hat man Freunde doch.“ Hermine konnte nicht anders, als ebenfalls zu grinsen. Und mit einem Mal sah sie Harrys Prüfungen nicht mehr ganz so düster. ~*~ Ihre eigenen UTZs fand Hermine einfach, sogar relativ langweilig. Wieder einmal fragte sie sich, warum sie sich davor wieder einmal so verrückt gemacht hatte – aber das hatte sie schließlich noch jedes Jahr getan, bis auf ihre doppelten Prüfungen zu Toms Zeit, die ja nichts Neues gewesen waren. Nachdem sie sich beim Lernen wieder an die Zeit erinnert hatte, hatte sie beschlossen, sich wieder auf Verwandlung zu konzentrieren. Es musste ihr einfach gelingen, dort einen UTZ mit voller Punktzahl zu bekommen. Sie wusste, dass die Jahrgangsbesten in einem Fach einen Gutschein für ein Praktikum im Ministerium bekamen, vom Zaubereiminister unterzeichnet. Und sie hatte eine diebische Freude daran, sich vorzustellen, wie Voldemort wohl gucken würde, wenn er ihren Gutschein unterzeichnen sollte. Also gab sie sich genau in dem Fach die meiste Mühe, von dem sie wusste, dass es ihn am ehesten stören würde. Zu blöd, dass Dumbledore nicht mehr lebte – er hätte sicherlich noch gewusst, wie viele Punkte Tom damals im UTZ in Verwandlung gehabt hatte. Von solchen Überlegungen getrieben schrieb sie in Verwandlung an vielen Stellen doppelt so viel wie ihre Mitschüler, nur um auch ja nichts potentiell wichtiges zu vergessen. Und bei der praktischen Vorführung bemühte sie sich noch mehr als sonst, besonders gesund und munter aussehende Tiere zu erschaffen, die so verschieden wie möglich zu den vorherigen Gegenständen waren. Die Wetterzauber fielen ihr unwahrscheinlich einfach – auch wenn ihre Windhose etwas zu gewaltig geriet und den Prüfer fast davon geweht hatte. Für einen Moment hatte sie vergessen, dass ihr gegenüber kein Tom mehr war, der den Zauber sofort auflösen und verändern würde. Sie hoffte nur, dass das keine Minuspunkte geben würde. Am Tag danach war sie mit ihrer theoretischen Prüfung in Zauberkunst viel zu früh fertig und sah sich seufzend um. Zu blöd, dass hier niemand neben ihr saß – sie schrieben in der Großen Halle an Einzeltischen – und vor allem niemand wie Tom, mit dem sie Galgenmännchen hätte spielen können. Lustlos kritzelte sie dennoch einige Striche auf einen Pergamentfetzen und vermied den Blick zu Harry hinüber. Sie war ihm die letzten Tage aus dem Weg gegangen und hatte gehofft, wenn sie ihn nicht weiter nervte, würde er sich vielleicht eher aufraffen. Doch das Gegenteil schien der Fall zu sein. Er hatte bis jetzt noch nach jeder Prüfung ziemlich miese Laune gehabt. Sie machte sich Sorgen, ja, doch sie wusste, dass etwas dran sein musste, wenn Ginny und Jane sich einig darin waren, dass sie nervte damit. Jane kannte sie ja fast gar nicht – also musste es sehr offensichtlich sein. Missmutig hatte sie sich an den Abenden immer in die Bibliothek verzogen, um nicht in Versuchung zu kommen, Harry wieder antreiben zu wollen. ~*~ Die Prüfungen waren vorbei, der Unterricht beendet – und doch wollte keine wirklich Freunde aufkommen. Harrys Laune hatte sich nicht gebessert, und Hermine hatte bei jedem Satz, den sie sagte, Angst, etwas Falsches zu sagen, also sprachen sie kaum noch miteinander. Die meiste Zeit verbrachte Harry sowieso mit Ginny auf Besen im leeren Quidditchstadion, wo sie Runde um Runde drehten und sich austobten, bis sie dann beide abends früh schlafen gingen. Hermine beobachtete sie meist nur aus der Ferne, während sie alleine unter eine Weide am Seeufer saß und ins Leere starrte. Es fühlte sich an, als hätte sie etwas Wichtiges verloren. Kein scharfer, plötzlicher Schmerz wie bei Ron und Tom, der sich gnadenlos ins Herz fraß, sondern ein schleichendes Etwas, was ein Loch in ihrem Inneren knabberte, so langsam, dass man es erst bemerkte, wenn das Loch zu groß war, um gestopft zu werden. Und Hermine hatte das Gefühl, dass dieser Punkt jetzt erreicht war. Sie wusste nicht mehr richtig, wie sie ein Gespräch am blödesten anfangen sollte, sehnte sich nach der Zeit vor all diesem Schlamassel, als es selbstverständlich gewesen war, dass sie all ihre Zeit zusammen verbracht hatten. Ihr fehlte die Leichtigkeit ihrer Freundschaft, das Gefühl, Harry wäre fast so etwas wie ein Bruder. Mit einem Seufzen stellte sie fest, dass die Dinge wohl nie wieder so werden würden wie früher, und tippte einmal mit dem Zauberstab auf die Wasseroberfläche neben sich. Wellen breiteten sich erstaunlich weit über den See hinweg aus, und in einiger Entfernung schlug der Riesenkrake mit einem Fangarm ins Leere, als wollte er den Erzeuger der Wellen fangen. Hermine lächelte wehmütig. Zumindest das war wie immer. Genau wie das Schloss. Sie würde beides vermissen. Sicher, die magische Universität Owlit in der Nähe von Oxford war auch in einer Art Schloss untergebracht, doch es war nicht dasselbe. Nicht das Schloss, was ihr seit dem Beginn ihrer Zeit als aktive Hexe ein Zuhause gewesen war. Es war so ähnlich wie damals, als sie von Zuhause ausgezogen war, um hierher zu kommen. Mit dem Unterschied, dass sie jetzt erwachsen war, sich nebenbei selbst versorgen musste und auch die Welt um sie herum eine andere, düstere war. Zwar nicht so düster, wie man es von Voldemort erwartet hätte, aber dennoch. „Sie sollten den Riesenkraken in Ruhe lassen, Miss Granger“, ertönte eine tiefe, wohlbekannte Stimme hinter ihr. „Er hat mit einer Horde pubertierender Grindelohs schon genug zu tun.“ Sie wandte sich um und sah Professor Snape neben ihr an den Stamm der Weide gelehnt stehen. Sie zog eine Augenbraue hoch. „Wollen Sie mir dafür Punkte abziehen, Sir?“ Das ‚Sir‘ betonte sie ganz besonders. Er rollte mit den Augen. „Wir sind doch nicht mehr im Kindergarten, ich dachte, das hätten Sie gemerkt.“ Hermine seufzte. „Vielleicht hat es mir im Kindergarten ja besser gefallen.“ „Ohne Zweifel“, brummte er und zog einen Brief aus der Tasche. „Auch wenn ich das Gefühl nicht loswerde, Sie und der Dunkle Lord spielen Kindergarten. Ich bin keine Eule, richten Sie ihm das aus.“ Er hielt ihr den Brief unter die Nase. Sie griff danach und meinte kühl: „Warum sagen Sie es ihm nicht selbst? Ich bin auch keine.“ Er warf ihr einen Todesblick zu, wirbelte auf dem Absatz herum und marschierte in Richtung Schloss davon. Mit einem seltsamen Gefühl im Magen, das sie nicht näher beschreiben konnte, öffnete sie den Umschlag. Im Gegensatz zu Weihnachten war sie diesmal darauf vorbereitet, seine schmale, schräge Schrift zu sehen. Du kannst es nicht lassen, oder? Nun, ich will kein Spielverderber sein. Du hast die volle Punktzahl in Verwandlung bekommen. Mir haben damals zwei Punkte gefehlt. Ich hoffe, du bist jetzt zufrieden. Wo und wann gedenkst du dein Praktikum zu machen? (Antworte wie dem Erben) Sie konnte nicht anders, als laut loszulachen. Snape, der noch in Hörweite war, rief: „Jetzt würde ich mir an Ihrer Stelle endgültig Sorgen um Ihren Geisteszustand machen, Miss Granger!“ Doch sie winkte nur ab, immer noch lachend. Sie konnte es nicht fassen – sie hatte ihn wieder geschlagen! Und was noch viel erstaunlicher war – er hatte anscheinend gelernt, auch einmal zu verlieren. Das wusste sie durchaus zu schätzen, vor allem, weil sie selbst damit ihre Schwierigkeiten hatte. Lächelnd griff sie nach ihrer Tasche und zog Federkiel und Tinte heraus. Tief Luft holend erinnerte sie sich an Harrys Erzählungen über Tom Riddles Tagebuch und ließ einen Tropfen Tinte auf das Pergament fallen. Einen Moment später schien die Tinte vom Untergrund eingesaugt zu werden und verschwand. Hermine schluckte, legte ein Buch als Schreibunterlage unter und über legte nur einen Augenblick, bevor sie antwortete. Nein, ich kann es nicht lassen. Wo wäre sonst der Spaß dabei? Die Prüfungen waren viel zu langweilig. Danke, dass du so ehrlich warst und mir meinen Spaß gönnst. Ich werde Magisches Recht studieren, also wird es das Zaubergamot werden, beziehungsweise die Abteilung für Magische Strafverfolgung, dort möchte ich hin. Wann weiß ich noch nicht, das wird sich hoffentlich während dem Studium ergeben. Die Schrift blieb einen Augenblick sichtbar, dann wurde auch sie von dem Blatt Pergament eingesaugt. Hermine schluckte. Was er jetzt wohl machte? Hatte er das Gegenstück zu diesem Pergament bei sich? Würde er sofort antworten, oder sich Zeit lassen? Einige Minuten starrte sie darauf, doch nichts tat sich. Schließlich faltete sie es vorsichtig zusammen, steckte es in ihr Buch, damit es nicht zusammen knüllte, und machte sich auf den Rückweg ins Schloss. Bald gab es Abendessen. Nach dem Essen wieder im Gemeinschaftsraum angekommen, konnte sie nicht anders, als wieder einen Blick auf das Pergament zu werfen. Ein Teil von ihr sagte sich zwar, dass es ihr egal sein konnte, was Tom tat, doch der andere Teil hatte das Pergament bereits aufgefaltet und festgestellt, dass in der Tat neue Wörter erschienen waren. Nach allem, was ich mitbekomme, kannst du etwas Spaß gut gebrauchen. Du solltest wissen, dass du nicht die einzige bist, der der Potterbengel die Laune wunderbar versauen kann. Magisches Recht? Ich hätte dich besser kennen sollen, als zu glauben, du würdest wie der Rest des Ordens den Schwanz einziehen. Das wird mit Sicherheit interessant. Hermine konnte nicht anders als zu lächeln. Ja, das würde in der Tat interessant werden. Kapitel 36: Zwischen den Zeilen ------------------------------- Juni 1998   Ich hoffe, du hast einen schönen letzten Tag in Hogwarts, ohne nervenden Potter-Bengel. Wohin gehst du danach? Deine Eltern leben nicht mehr hier, nicht wahr? Nun, sollte mich nicht wundern. Vermutlich bin ich Schuld daran.   Danke. Harry ist ausnahmsweise etwas erträglicher geworden, seit er weiß, dass er seine UTZs zum Großteil bestanden hat. Du schaffst es auch immer wieder, echt. Ja, du bist Schuld, dass sie nicht mehr hier leben. Wieso hast du nachgeschlagen, wo sie wohnen sollten?   Darf ich nicht neugierig sein? Keine Sorge, ich wollte ihnen nichts tun. Also, wohin gehst du morgen?   Direkt nach Owlit. Hast du etwas anderes erwartet?   Ich weiß nicht, vielleicht etwas verreisen und die Welt sehen. Das tun junge Leute doch normalerweise, oder?   Wer sagt, dass ich das nicht tun werde, wenn ich erst einmal umgezogen bin?   Niemand. Wohin denn?   Was geht dich das an?   Schön, dann nicht. Einen schönen Sommer, Hermine.   Dir auch. Und denk immer daran – töte nie jemanden, den du noch gebrauchen könntest.   Ein reichlich kaltschnäuziger Rat von jemandem mit deinen Moralvorstellungen.   Auf etwas anderes würdest du doch sowieso nicht hören.   Danke für diese grandiose Einschätzung. Und ich dachte, du würdest mich kennen.   ~*~   September 1998   Was zum Kuckuck hast du getan? Da bin ich einmal zwei Monate nicht im Land, und schon benimmst du dich wie eine vollkommen andere Person!   Bloß weil ich festgestellt habe, dass Inzucht ohne die Muggelstämmigen ein weit ernsteres Problem als erwartet werden könnte, und wir sie deswegen brauchen? Ich bin nicht jemand anders, ich bin logisch.   Gut so.   Dass ich der Gleiche bin, oder dass ich logisch bin?   Beides.   Gut.   ~*~   Oktober 1998   Wie waren deine ersten Tage an der Uni?   Frage nicht. Ich hätte die Bücher über die Grundlagen nicht in den Urlaub mitnehmen und abends vor dem Einschlafen lesen sollen. Ich sollte mir für die Vorlesungen mit Anwesenheitspflicht dringend eine anspruchsvollere Lektüre besorgen.   Frag, ob du zusätzliche Fächer aus den späteren Semestern jetzt schon belegen kannst. Ich will nicht, dass du an Langeweile stirbst.   Nicht?   Töte nie jemanden, den du noch gebrauchen kannst.   Ich bin also brauchbar?   Durchaus.   Dann sollte ich das vielleicht tun. Das Studium bekomme ich auch in weniger als drei Jahren hin, wenn es so weiter geht. Wer weiß, was du in diesem Zeitraum noch alles an Gesetzen änderst, ohne dass ich mitreden kann.   Bisher scheint es dir doch gefallen zu haben, oder?   Sicher, magische Paten für Kinder aus Muggelfamilien sind eine geniale Idee gewesen, aber die aufgelockerten Gesetze für den Import schwarzmagischer Gegenstände sind definitiv nicht differenziert genug. Wenn du schwarze Magie dauerhaft legalisieren willst, musst du überall genauer abgrenzen, was schädlich und verboten ist und was nicht.   Oh, ich sehe, ich sollte die Zeit genießen, in der du noch nicht hier arbeitest.   Tu das. Aber gewöhn dich nicht zu sehr daran.   ~*~   Dezember 1998   Denkst du, es ist zu früh, den Schulräten vorzuschlagen, schwarze Magie als Fach in Hogwarts anzubieten?   Seit wann fragst du mich bei so etwas um Rat?   Du sagst mir doch sowieso, was du davon hältst. Also kannst du das auch jetzt tun.   Stimmt. Ja, ich finde, es ist noch zu früh. Sicher, es ist kein Tabu-Thema mehr in der Gesellschaft, aber die Leute sind noch sehr vorsichtig damit. Und viele wissen immer noch nicht, wo die Grenze zwischen erlaubt und nicht erlaubt liegt. Das solltest du zunächst in Stein meißeln – und zwar nicht nur in einen Gesetztext, sondern es den Leuten auch wirklich zugänglich machen. Jeder sollte genau wissen, woran er ist. Sobald sich das ganze etwas etabliert hat, könntest du darüber nachdenken. Allerdings würde ich es als Wahlfach ab der dritten Klasse empfehlen, niemand sollte dazu gezwungen sein. Außerdem brauchst du einen Lehrer.   Snape.   Gut, Punkt für dich.   Danke für deine Meinung.   Langsam zweifle ich an deinem Geisteszustand. Das war definitiv zu nett für dich.   Ich muss üben. Politiker, schon vergessen? Kostet ziemlich Nerven, nicht immer durchzudrehen und jemanden zu verfluchen bei diesen endlosen Debatten.   Was bin ich froh, dass du nicht in Fluchreichweite bist.   ~*~   Februar 1999   Ist das dein Ernst? Ich meine, natürlich freue ich mich darüber, aber trotzdem… Das hast du wirklich getan?   Wieso sollten die Zeitungen lügen?   Keine Ahnung. Es… klingt nur so überhaupt nicht nach dir.   Menschen verändern sich.   Sicher, dass es nicht nur daran liegt, das bald das eine Jahr ausläuft, wo keiner Neuwahlen für das Amt des Zaubereiministers ansetzen kann?   Es spielt natürlich eine Rolle. Wie will ich meine Vorstellungen einer Zauberergesellschaft durchsetzen, wenn ich abgewählt werde?   Dir liegt wirklich etwas an „deiner“ Zaubererwelt, oder?   Das ist eine rhetorische Frage, oder?   Das auch?   Du kannst verdammt nervig sein, weißt du das?   Das nehme ich jetzt als rhetorische Frage.   Elende Besserwisserin.   Danke, gleichfalls. Die Leute werden dich vermutlich in der nächsten Zeit als Heuchler beschimpfen, noch mehr als vorher, aber lass dich davon nicht unterkriegen. Versuche wenigstens, deine Reue echt aussehen zu lassen.   Ich bereue vielleicht nicht alles, aber so viel magisches Blut vergießen zu müssen, um die Welt verändern zu können… Das ist etwas, was ich zwar wieder tun würde, weil es unvermeidlich war, aber das bereue ich durchaus. Magie ist zu wertvoll, um sie zu verschwenden.   Dann hoffe ich, dass es in Zukunft nicht mehr nötig sein wird.   Ich auch. Allerdings habe ich da bei meinen Todessern meine Zweifel.   Stimmt, die werden das nicht gerne hören. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie gegen dich rebellieren?   Zu groß. Ich werde Bella aus dem Verkehr ziehen müssen. Zum Glück gibt es genug Gründe, sie verhaften zu lassen. Lust, dein Praktikum mit ihrer Verhandlung zu beginnen?   Das war doch jetzt hoffentlich eine rhetorische Frage. Wie könnte ich da nein sagen?   Man beantwortet keine rhetorischen Fragen mit rhetorischen Gegenfragen.   Nervensäge.   Mit Vergnügen.   ~*~   April 1999   Danke, dass du im Zaubergamot ein gutes Wort für mich eingelegt hast. Sonst hätten die nie eine Praktikantin zu Bellatrix‘ Verhandlung eingeladen, schon gar nicht mich.   Es wäre eine Verschwendung gewesen, es nicht zu tun. Und ich habe damit ein Zeichen gesetzt.   Ich weiß. Ich auch. Fragt sich nur, was die Leute lieber glauben – dass du dich geändert hast oder dass ich eine Verräterin bin.   Ignoriere Potters Meinung, die wird ja wohl bereits feststehen.   Nein, das glaube ich nicht. Er wusste auch seit dem Zeitpunkt, als du meine Erinnerungen zurückgeholt hast, von der Zeitreise. Und er hat mich nicht verurteilt.   Aber er hat gedacht, du wolltest etwas Gutes tun und hast alles nur noch schlimmer gemacht.   Habe ich ja auch.   Nicht zwangsläufig. Ich weiß nicht, wie du dein Leben betrachtest, aber ich glaube, ich wäre heute nicht da, wo ich jetzt bin, ohne dich.   Nicht an der Spitze? Das könnte man aus einem bestimmten Blickwinkel durchaus als ‚alles schlimmer machen‘ sehen.   Nein, dahin hätte ich es auch ohne dich geschafft. Aber ich wäre vermutlich gezwungen, immer noch Gewalt anzuwenden.   Heißt das – nur wegen mir versuchst du, ein relativ normaler Zaubereiminister zu sein?   Nur wegen dir habe ich einmal mehr darüber nachgedacht, was ich tue und was ich will. Obwohl ich eigentlich dachte, das zu wissen.   …   Sag nicht, ausgerechnet du Plappertasche bist sprachlos?   Wer bist du und was hast du mit Lord Voldemort gemacht??!   Gestatten, Tom Riddle.   Und seit wann hast du Humor, Tom?   Es lebt sich leichter damit, habe ich festgestellt.   Du bist unmöglich!   Und du hast gerade darüber gelacht. Gib es zu.   Elender Besserwisser.   Danke, gleichfalls.   ~*~   Juli 1999   Wann wirst du dein Studium beendet haben?   Dummheit steht dir nicht, Tom. Ich weiß genau, dass du letzte Woche hier warst, während wir unsere Abschlussklausuren geschrieben haben. Und ich weiß auch, dass du dir die Gelegenheit nicht entgehen lassen würdest, etwas zu schnüffeln.   Schnüffeln, so ein negatives Wort. Ich habe nur… nachgeforscht.   Warum fragst du mich dann noch?   Weil ich zumindest den Anschein wahren wollte, anständig zu sein.   Du bist echt zu einem Politiker mutiert, das ist dir klar, oder?   Verdammt.   Tja, das passiert eben, wenn man nicht der Dunkle Lord ist, sondern Zaubereiminister. Nebenbei – was ist mit Lucius Malfoy passiert? Ich glaube kaum, dass er einfach verschwunden ist.   Er ist ausgewandert. Mit seinem Teil des Vermögens, den er nach der Scheidung behalten hat. Narcissa und Draco sind noch hier und tun ausnahmsweise etwas für ihr Geld. Wie es mit Lucius aussieht, weiß ich nicht.   Wenn du die beiden siehst, sag ihnen danke von mir. Ohne Narcissa hätte Alecto Carrow mich vermutlich am ersten Tag, an dem ich bei euch war, gekillt. Und Draco weiß wofür.   Wofür denn? Dass er dir sein Schlupfloch aus der Festung heraus gezeigt hat, ohne es zu bemerken?   … Weiß er, dass du davon weißt?   Ich glaube kaum. Trotz Ausbildung bei Snape ist er ein miserabler Okklumentiker.   Wie lange weißt du von dem Schlupfloch?   Seit du daraus verschwunden bist.   Hätte mich auch gewundert, wenn du länger davon gewusst hättest, ohne es zu stopfen.   Es ist nicht gestopft. Ich dachte mir, ich lasse dir die Chance auf Rückkehr offen.   Und ich Trottel habe vergessen, es zu orten, bevor ich disappariert bin. Ich würde es nicht wieder finden.   In dem Fall widerspreche ich dir nicht, wenn du dich Trottel nennst.   Oh, sei froh drüber. Ansonsten hätte ich vermutlich schon kurz danach den Orden angeschleift.   Ja, ich vermute, das hättest du.   Um wieder auf das ursprüngliche Thema zu kommen – wieso interessiert es dich, wie lange ich noch studiere?   Weil das Einfluss darauf hat, wie du deinen Sommer verplanst.   Einen Knut für deine Gedanken.   Das Praktikum hat dir doch Spaß gemacht. Wie wäre es mit einem zweiten in der Abteilung zur Aufsicht magischer Gesetze?   Einen Knut für deine Gedanken, habe ich gesagt. Welches Gesetz ist eine so blöde Arbeit, dass du dich nicht damit abgeben willst? Die Klassifizierung von Zauberstäben als Schwarz- oder weißmagisch?   Danke, ich verzichte auf den Knut.   Alles klar, ich mache es. Harry und Ginny haben mich zwar eingeladen, mit ihnen nach Rumänien zu fahren, aber sie werden sich hauptsächlich um Drachen kümmern. Das ist sowieso nichts für mich. Und ich muss zwar einige Vorlesungen nacharbeiten, aber das schaffe ich locker bis zu den Prüfungen im nächsten Sommer, auch ohne diesen damit zuzuschaufeln.   Danke.   Du riskiert dabei aber, dass es vielleicht nicht ganz nach deinem Geschmack ist am Ende, klar? Ich nehme keine Rücksicht auf dich.   Deswegen wollte ich ja dich.   ~*~   August 1999   Du machst dich ganz schön rar, dafür, dass du es warst, der mir dieses Praktikum besorgt hat.   Sag nicht, du hast Sehnsucht nach mir?   Dein Ego ist definitiv zu groß, Tom. Ich habe morgen um fünf Feierabend. Um halb sechs bin ich bei den Duellräumen im Aurorentrakt. Wehe, du kommst nicht – dann erzähle ich allen, dass du mal ein furchtbar süßer Junge gewesen bist.   Du HAST Sehnsucht nach mir.   Du kommst also.   Natürlich.     Kapitel 37: Begegnungen ----------------------- Hermines Schritte wurden nicht langsamer, doch etwas in ihr zögerte, als sie den Korridor zu den Duellräumen entlangging. Ja, sie hatte Tom in den letzten Wochen und Monaten das ein oder andere Mal gesehen, und sie hatten auch mehrmals miteinander gesprochen. Aber das war immer nur über die Arbeit gewesen, und es waren meist mehrere andere Leute in dem Gespräch verwickelt. Das hier war anders. Das war Freizeit. Mit ihm alleine. In einer seltsamen Art und Weise fühlte es sich so an, als wäre das das erste Treffen seit gut eineinhalb Jahren. Und obwohl sie wusste, dass sie nichts zu befürchten hatte, pochte ihr das Herz bis zum Hals. Vielleicht aber auch gerade deswegen. Er hatte sich verändert, und sie wusste nicht genau, was sie erwartete. Bevor sie jedoch groß ins Grübeln geraten konnte, bog sie um eine Ecke und erblickte ihn neben den Türen zu den beiden größten Duellräumen. Wie immer trug er einen schwarzen, weiten Umhang, der seine Haut noch blasser wirken ließ. Die roten Augen funkelten, jedoch lag keine Bösartigkeit in ihnen. Er nickte ihr kurz zu und kräuselte seine Mundwinkel, als sie neben ihn trat. Sie lächelte unsicher. Er zog eine Augenbraue nach oben. „Du wirst doch jetzt nicht schüchtern werden? DU hattest doch Sehnsucht nach mir.“ Hermine zog die Augenbrauen zusammen und knirschte mit den Zähnen. „Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du ein arrogantes Arschloch bist?“ Er grinste tatsächlich leicht. Es ließ ihn auf einmal viel menschlicher aussehen, viel mehr nach Tom. „Nicht in den letzten zehn Minuten.“ Sie konnte nicht anders, sie musste lachen. Sein Grinsen wurde einen Tick breiter, und er öffnete die Tür hinter sich. „Wollen wir? Ich weiß, dass du mir liebend gerne eine Abreibung verpassen würdest.“ Hermine schnaubte und folgte ihm nach drinnen, den Zauberstab bereits gezückt. „Oh ja, und wie. Denkst du nicht, eine KLEINE Warnung vor diesen Irren in der Gesetzesabteilung wäre angebracht gewesen, bevor du mich da hinein wirfst?“ Er gluckste leise, als er sich ihr gegenüber aufstellte. „Niemals. Wo wäre da sonst der Spaß?“ Hermine schnaubte erneut und ließ ohne viel Federlesen den ersten Fluch los. „Dann hast du eindeutig zu viel Spaß an dieser Sache, Tom!“ Sein Lachen wurde fast gänzlich durch die Explosion seines Gegenfluchs übertönt, doch Hermine hörte es lange genug, um festzustellen, dass es nicht mehr so kalt war, wie sie es in Erinnerung hatte. Ohne selbst ein Lächeln unterdrücken zu können reagierte sie und feuerte den nächsten Zauber ab. Schon nach einer Minute hatte sich ihre restliche Unsicherheit verflüchtigt, und sie war tief in das Duell eingetaucht. Fast hatte sie vergessen gehabt, wie viel Spaß es machte, sich mit Tom zu duellieren. Sicher, der Duellierverein an der Uni war gut gewesen, mit einigen ihr gleichwertigen oder überlegenen Mitgliedern, von denen sie den einen oder anderen Kniff gelernt hatte – doch das hier war noch einmal etwas anderes. Der Duellierverein hatte Duelle ebenfalls als das angesehen, was sie Hermines Meinung nicht waren: Gegenseitige Schlagabtäusche. Sicherlich hatte da niemand gewartet, bis sie wieder auf den Beinen war, aber doch immer zumindest so lange, um sicher zu gehen, dass ihr nichts ernsthaftes passiert war. Mit Tom war das anders. Das hier war ein wirklicher Kampf. Er setzte zwar nach wie vor nicht seine kompletten Kräfte ein, aber es war trotzdem kein Schlagabtausch. Kein Spiel. Und das war es, was Hermine den Nervenkitzel brachte, den sie sonst nirgendwo hatte. Grimmig lächelnd feuerte sie weiter Fluch um Fluch ab, wehrte ab, sprang aus dem Weg und wann immer sie Toms Blick kreuzte, grinste er unverschämt. Es war ungewohnt, ihn so grinsen zu sehen, aber es war durchaus eine nette Abwechslung, seine Gefühle so offen serviert zu bekommen. Auch wenn es eine gewaltige Veränderung seinerseits war. Während sie weiter feuerte, schweiften ihre Gedanken ein wenig ab. Was hatte ihn so verändert? Und warum? Sicher, er konnte jetzt offener zu ihr sein, sie hatten beide ihre Karten auf den Tisch gelegt. Es gab nichts mehr zu verbergen, wie früher in ihrer Schulzeit. Aber dennoch war es ein großer Unterschied. Fast so, als wäre er… nun ja… ernsthaft glücklich. Nicht das kalte Glück, welches wohl existieren musste, wenn sie an seine Taten als Dunkler Lord dachte. Sondern das Glück, welches sie auch selbst als Glück bezeichnete. Es war seltsam, sich vorzustellen, wie selten er bisher glücklich gewesen war, wenn diese Veränderung so offensichtlich war. Und traurig. Doch sie würde den Teufel tun, ihn zu bemitleiden – erstens hätte er das nicht gewollt, und zweitens hatte er trotz allem immer noch genug Menschen unglücklich gemacht, was sie ihm nicht verzeihen konnte und wollte. Dennoch konnte sie nicht anders, als sich über seine gute Laune zu freuen. „Du bist besser geworden“, rief er ihr nach ein paar Minuten zu. Sie konnte nicht anders, als zu strahlen. Wer hatte wohl von Tom jemals so ein Kompliment bekommen? „Dann brauchst du dich ja nicht mehr zurückhalten“, entgegnete sie und wurde noch einen Tick schneller. „Willst du das wirklich?“, fragte er. Sie schnaubte und jagte ihm einen ganzen Fluchhagel entgegen, verborgen in einer Wasserfontäne. Zwei der Flüche trafen ihn und schleuderten ihn durch die Luft. Er breitete die Arme aus, schwebte einen Moment und ließ sich dann wieder zu Boden sinken. Sein Lächeln wurde diabolisch. „Wie du willst. Aber sag hinterher nicht, ich hätte dich nicht gewarnt.“ „Niemals!“, rief Hermine über das Brauen der Flammen hinweg, die auf sie zurollten. Einen Augenblick später stellte sie fest, warum er sie gewarnt hatte. Hatte sie jemals gedacht, sie wäre schnell? Fehlanzeige, sie kam kaum hinterher damit, nicht getroffen zu werden. Hatte sie jemals gedacht, ihre Flüche wären gemein? Das konnte sie vergessen. Seine waren viel hinterhältiger und mächtiger, und konnten sie zudem jeder Zeit in den Rücken treffen. Doch das hatte sie mittlerweile ebenfalls gelernt. Während sie sich augenscheinlich nur auf die Verteidigung konzentrierte, bereitete sie einen Kitzelfluch vor, der getarnt war und ebenfalls von hinten treffen würde. Es war verdammt schwer, dabei nicht selbst getroffen zu werden, doch das war es, was sie gewollt hatte. Das war es, was sie forderte. Es machte Spaß. Schließlich schaffte sie es, den Zauber abzufeuern, ohne eine sichtbare Zauberstabbewegung zu machen. Und das Wunder geschah – Tom wurde getroffen. Seine Augen weiteten sich entsetzt, als er erkannte, was sie ihm da auf den Hals gejagt hatte – dann fing er an zu lachen. Hermine nutzte seine Schrecksekunde, um ihn zu entwaffnen. Schließlich stand sie ihm mit zwei Zauberstäben in der Hand gegenüber, während er vergeblich versuchte, mit Lachen aufzuhören. Erst mit einigen Sekunden Verspätung begriff sie, was das bedeutete. Sie hatte Tom geschlagen. Sie hatte Lord Voldemort geschlagen. Ein Strahlen schlich sich auf ihr Gesicht, ohne dass sie es bemerkte, und sie stimmte in sein Lachen mit ein. Nach einigen Momenten ging sie zu ihm hinüber, gab ihm seinen Zauberstab zurück und er hob den Fluch auf. Mit etwas Befremden musterte er sie. „Du… hast mich überrascht.“ Sie grinste wie ein Honigkuchenpferd. „Das war Sinn und Zweck der Sache.“ Er schüttelte den Kopf. „Nein, das meine ich nicht. Du scheinst dich wirklich mit der Situation angefreundet zu haben, oder?“ Sie runzelte die Stirn. „Was meinst du damit?“ Er zog eine Augenbraue hoch. „Du hattest mich entwaffnet. Und du hast mir meinen Zauberstab wieder gegeben, statt etwas gegen mich zu unternehmen.“ Hermine begriff, und ein kleines Lächeln setzte sich in ihren Mundwinkel. „Das System, das du aufgebaut hast, ist zwar nicht unbedingt das, was der Orden und ich uns ursprünglich gewünscht haben, aber es ist bei Weitem nicht die Terrorherrschaft, die wir befürchtet haben. Du willst das System nicht zerstören. Du willst, dass es weiter funktioniert, nur mit einigen Änderungen deinerseits. Du hast einen Teil deiner eigenen Todesser ausgeliefert, weil sie da nicht mehr reinpassen. Wieso sollte ich das Ganze wieder zerstören? Ich kann gut damit leben, und der Orden traut dem Frieden zwar nicht, ist aber auch positiv überrascht. Außerdem“ – ihr Lächeln wurde breiter – „bin ich ja in einem knappen Jahr mit dem Studium fertig und werde hier dann kräftig mitmischen.“ Er erwiderte das Lächeln vorsichtig, so vorsichtig, dass Hermine es fast nicht gesehen hätte. „Du bist viel zu vernünftig, um mit so einer Horde Kindsköpfen befreundet zu sein.“ Sie grinste. „Ich bin auch mit dir befreundet. Macht dich das dann auch zu einem Kindskopf?“ Sein Lächeln verschwand augenblicklich, und er starrte sie an, offensichtlich aus dem Konzept gebracht. Sie blinzelte. „Was?“ Er schluckte sichtlich, dann meinte er langsam: „Du… siehst mich als einen Freund?“ Hermine nickte. Sie hatte nie wirklich darüber nachgedacht, aber ja, sie empfand für ihn das Gleiche wie für ihre Freunde. Eigentlich hätte sie gedacht, dass es komplizierter wäre, aber irgendwie… war da die gleiche Leichtigkeit zwischen ihnen, die sie an einer Freundschaft immer geschätzt hatte. Nicht mehr die Spannung von früher, auch nicht mehr wirklich das Herzklopfen – auch wenn sie das tatsächlich für einen Moment vermisste – und auch die Bitterkeit war über die vergangenen Monate hinweg fast verschwunden. Es war definitiv Freundschaft. Zumindest von Hermines Seite aus. Jetzt war sie allerdings ein wenig unsicher, wie Tom darauf reagieren würde. Er fuhr sich mit der Hand über den Kopf und blickte zu Boden. „Du weißt, dass ich niemals Freunde hatte.“ Sie verschränkte die Arme, ahnte jedoch bereits, worauf das hinauslaufen würde, und lächelte schwach. „Was war ich dann?“ Er blickte auf. „Anders.“ Ihr Lächeln wurde ein wenig breiter. „Vielleicht brauchst du ja Freunde, die anders sind.“ Seine Augen begannen zu funkeln, und sein Mundwinkel kräuselte sich. „Vielleicht. Normal ist langweilig.“ Hermine nickte. „Und wie.“ Einen kleinen Moment lang lächelte er wieder. „Sei froh, dass du nicht langweilig bist.“ Er trat einen Schritt zurück. „Noch eine Runde?“ Ihr Lächeln wurde grimmig, und sie kehrte auf ihre Seite der Halle zurück. „Mit Vergnügen.“ ~*~ „Was haben Sie gesagt?“ Hermine starrte ihren ehemaligen Professor vollkommen fassungslos an. Alle Farbe war ihr aus dem Gesicht gewichen. Snape presste seine Lippen für einen Moment aufeinander, bevor er antwortete. „Albus hat überlebt. Und er hat beschlossen, zurück zu kehren und seine Meinung zu der neuen Ordnung im Ministerium kundzutun. Dummer Weise wollte er sich mit den Reportern in der Winkelgasse treffen – und mittlerweile sollten sowohl der Dunkle Lord als auch Potter Wind von der Sache bekommen haben. Wenn wir Glück haben, steht ein Teil der Winkelgasse noch, wenn wir ankommen.“ Hermine fluchte, schlüpfte in ihren Umhang und stürmte aus dem Büro von Mafalda Hopfkirch, in dem sie während ihrem Praktikum untergebracht war. „Bringen Sie mich hin“, rief sie. Snape folgte ihr auf dem Fuß. Er hatte sie mit seinen langen Beinen im Nu eingeholt. Fluchend hämmerte Hermine auf den Knopf für den Fahrstuhl. „Bei Merlins Eiern, wieso kann man hier nicht apparieren?“, knurrte sie ungehalten, bevor sie tief Luft holte und ruhiger, aber immer noch unwirsch fragte: „Wie hat Dumbledore es geschafft, zu überleben?“ „Ich“, meinte er unbeeindruckt von ihrem Tonfall. Sie blinzelte und starrte ihn an. „Sie?“ Er zog eine Augenbraue hoch. „Seit wann sind Sie ein Papagei? Ja, ich. Ich habe ihm einen Prototyp eines Trankes verabreicht, der einen zwei Tage andauernden Scheintod auslöst. Wir waren uns bewusst, dass das Risiko besteht, ihn damit wirklich zu töten, aber wir hatten nichts mehr zu verlieren.“ Hermine schluckte und blickte Snape weiter unverwandt an. Die Gefühle überrollten sie förmlich, doch sie drängte sie zurück und weigerte sich, ihnen auf den Grund zu gehen. Dafür hatten sie jetzt keine Zeit. Nur am Rande realisierte sie, dass er mit dieser Aussage ihr gegenüber eindeutig Farbe bekannt hatte – sowohl zu Dumbledore, als auch zu ihr als Unterstützerin der neuen Ordnung. „Wieso? Wieso war er danach so lange untergetaucht?“ Snape rollte mit den Augen. „Wer sagt, dass er untätig war? Bis er wieder halbwegs stabil war und stark genug zum Kämpfen, hatte der Dunkle Lord bereits die Wahlen hinter sich und war amtlicher Zaubereiminister – für ein Jahr unanfechtbar. Er hatte das Recht auf seiner Seite. Einen Kampf hätte der Orden auch mit Albus nicht gewinnen können. Also hat er bis jetzt aus den Schatten heraus agiert.“ Hermine schluckte. „Wer – Amelia Bones, nicht wahr?“ Snape nickte knapp, als der Fahrstuhl ratternd ankam und die Türen sich öffneten. „Ja. Es war ein Segen, dass sie den Angriff damals im Sommer 96 überlebt hat. Ohne sie hätten wir es um einiges schwerer gehabt, Einfluss auf einige wichtige Entscheidungen zu nehmen.“ Hermine schüttelte den Kopf, als sie den Fahrstuhl betrat, lächelte jedoch schwach. „Madam Bones hätte die gleichen Einstellungen auch ohne Dumbledore vertreten.“ Snape folgte ihr und drückte den Knopf für das Atrium. „Ja, aber er hat sie bestärkt, sich nicht auf faule Kompromisse einzulassen, und ihr geholfen, einige Gegenvorschläge für Gesetze zu entwickeln.“ „Das sieht ihm ähnlich“, murmelte Hermine, bevor sie fluchte, als der Fahrstuhl im fünften Stock anhielt, um einige Memos aufzunehmen. „Muss das so lange dauern?“ Snape schnaubte. „Geduldiger sind Sie ja im vergangenen Jahr nicht geworden.“ Hermine seufzte. „Eigentlich schon, aber ich kenne Tom und Harry.“ Snape runzelte die Stirn und verschränkte die Arme. „Tom? Sollten Sie mir nicht langsam sagen, was hier eigentlich gespielt wird?“ Sie seufzte und fuhr sich mit der Hand durch die wirren Locken. „Ja, sollte ich. Wenn wir etwa Zeit haben danach, versprochen.“ Ja, mittlerweile hatte er ein Recht darauf, es zu wissen. Er hatte ihr oft genug geholfen, und jetzt, nachdem er seine Karten auf den Tisch gelegt hatte, war sie es ihm schuldig. Laut klappernd kam der Fahrstuhl im Atrium an und öffnete die Türen. Hermine stürmte los in den Eingangsbereich, wo die Appariersperre unterbrochen war. Er folgte ihr auf dem Fuß und meinte nur: „Tropfender Kessel, Muggelseite. Sicher ist sicher.“ Sie nickte knapp, wirbelte um die eigene Achse und verschwand. Einen Augenblick später hatte auch Snape sich in Luft aufgelöst. Einen Augenblick zu spät stellte Hermine fest, dass sie gerade in voller Hexenmontur – blauer Umhang über einer hellbraunen Robe – in Muggellondon aufgetaucht war. Einen Ignorierzauber später schlüpfte sie in den Pub, ohne auf Snape zu warten. Drinnen angekommen, atmete sie einmal tief durch, und fast sofort trat der Tränkemeister neben sie. Sie nickten sich kurz zu, dann bemerkte Hermine die unheilvolle Stille. Langsam sah sie sich um. Der Pub war menschenleer, nicht einmal der alte, zahnlose Tom stand noch hinter der Bar. Die Kerzen waren teilweise umgefallen und erloschen, die Stühle in einem wirren Durcheinander, als hätten sämtliche Besucher den Laden in größter Eile verlassen. Hermine schluckte. „Nicht gut.“ Snape brummte nur, zog seinen Zauberstab und marschierte zum Hinterausgang. Hermine folgte ihm rasch und zog ebenfalls den Zauberstab, während er die Steine an der Rückwand des Hofes berührte, um den Zugang zur Winkelgasse zu öffnen. Sie atmete tief durch, um sich zu beruhigen. Sonst liebte sie es, den Steinen dabei zuzusehen, wie sie sich einer nach dem anderen bewegten, gegeneinander ruckelten, drehten, in sich versanken und das Tor in die magische Welt bildeten, doch heute hatte sie dafür nicht einen Blick übrig. Zu sehr nahmen ihre umeinander purzelnden Gedanken sie in Beschlag. Als der Torbogen sich nach einer gefühlten Ewigkeit geöffnet hatte, fluchte Snape fast unhörbar. Hermine musste schlucken, als sie sah, warum. Die Winkelgasse war voll. Die meisten Zauberer und Hexen drängten sich in den Geschäften an die Glasscheiben, doch es gab genug, die auf der Straße standen und den Weg versperrten. Alle lugten die Straße hinunter, wo sich offensichtlich ein Kreis rund um mehrere Personen gebildet hatte. Snape räusperte sich laut. „Ihre Sensationsgeilheit in allen Ehren, aber Sie haben offensichtlich nicht vor, in irgendeiner Art und Weise einzugreifen, also gehen Sie aus dem Weg.“ Es war beinahe gruselig, dachte Hermine, wie schnell die Leute auf Snape hörten. Sobald die ersten sich umgedreht und ihn samt Hermine erblickt hatten, kam ein Tuscheln auf und sie drängten sich an den Straßenrand. Eine Gasse in der Mitte tat sich auf. Snape marschierte ohne Federlesen vorwärts, und Hermine folgte ihm rasch, mühsam darauf bedacht, niemand der wispernden Leute ins Gesicht zu sehen. Sie kamen dem Zentrum des Trubels immer näher, und Hermine zuckte zusammen, als sie Harry schreien hörte. „Sagt mal, bin ich hier im falschen Film oder so?!“ Sie beschleunigte ihre Schritte und schloss zu Snape auf. Im nächsten Moment waren sie im Kreis der Umstehenden angekommen und Hermine konnte sehen, was vorging. Tom stand dort, fassungslos und mit unheilvoll funkelnden, kalten Augen, den Zauberstab auf Dumbledore gerichtet. Dumbledore. Der Mann, der sie alle für tot gehalten hatten. Er stand Tom gegenüber, in seinem pinken Umhang mit dem Blümchenmuster, den Zauberstab locker an der Seite hängen, der Bart lässig über die Schulter nach hinten geschlagen, als ob er niemals weg gewesen wäre. Harry stand zwar neben ihm, den Zauberstab auf Tom gerichtet, doch er schien heillos überfordert zu sein, und Hermine bezweifelte, dass er in nächster Zukunft einen Zauber würde abfeuern können. Sein Blick wanderte zwischen den beiden mächtigen Zauberern hin und her, als traute er seinen Augen nicht. Im nächsten Moment erblickte er Hermine. „Mine! Was machst du denn hier?“ Sie blinzelte, dann holte sie tief Luft, nahm ihren Mut zusammen und trat einen Schritt vor. Sie wollte ungern in der Mitte zwischen diesen Zauberern stehen. Sie hatte sich mit allen schon duelliert, und sie wusste, dass sie nur gegen Harry wirklich sicher ankommen würde. Ein falsches Wort, und sie hätte ein gewaltiges Problem. Doch sie musste hier sein. Sie musste zumindest versuchen, die Situation zu entschärfen. Sie war die Einzige, die es konnte. „Harry“, meinte sie langsam, dann suchte sie Dumbledores Blick und nickte ihm kurz zu. Tom explodierte, als er das sah. „Was sollte das denn, Hermine?! Wusstest du etwa, dass er nicht tot war?“ Sie lächelte traurig und schüttelte den Kopf. „Nein, ich weiß es erst seit ein paar Minuten.“ „Du duzt sie?“, knurrte Harry und jagte einen Schockzauber auf Tom. Hermine schnappte nach Luft, doch der hatte ihn schon abgewehrt und entgegnete höhnisch: „Mit welchem Recht willst du es mir verbieten?“ Harry schnappte nach Luft, schwieg jedoch. Dumbledore erhob nun die Stimme. „Tom, ich weiß, dass du immer noch das Bedürfnis hast, mich aus dem Weg zu räumen. Da ich annehme, dass du mein Interview bereits belauscht hast, solltest du allerdings wissen, dass ich nicht versuchen werde, dich von deinem Posten zu stoßen. Du hast dich doch sehr zum Positiven verändert.“ Tom schnaubte nur. „Das macht es nicht besser, alter Mann. Du solltest TOT sein! Ich habe mich an dir rächen wollen, und trotzdem stehst du vor mir, als wäre nichts geschehen!“ Dumbledore lächelte schwach. „Nun, ich kann dir versichern, deine Rache war schmerzhaft genug. Und ich habe keine Angst vor dem Tod, mich zu töten würde mir nicht wehtun.“ Tom schnappte nach Luft, fauchte und schickte einen Zauber los, den Dumbledore mit einem Fingerschnippen abwehrte, ohne zurück zu schlagen. Hermine schluckte, traf blitzschnell eine Entscheidung und stellte sich breitbeinig zwischen Tom und Dumbledore, das Gesicht Tom zugewandt, bevor er erneut zaubern konnte. „Lass es“, sagte sie mit ruhigerer und festerer Stimme, als sie bei ihrem flatternden Herzen erwartet hatte. Den Zauberstab hatte sie immer noch gezogen, jedoch zu Boden gerichtet. „Du wolltest doch ein laufendes System. Und du wolltest nach oben. Was meinst du, wie lange du noch oben bleibst, wenn du dich wieder der Gewalt zuwendest?“ Er warf ihr einen komplett verblüfften Blick zu. „Was meinst du?“ Hermine rollte mit den Augen. „Du bist doch sonst nicht-“ Sie warf einen Seitenblick auf die vielen Zuschauer und beschloss, den Satz nicht zu Ende zu führen. An seinem Gesicht erkannte sie sowieso, dass er begriffen hatte, was sie sagen wollte. Sie holte Luft und fuhr fort: „Du könntest zwar versuchen, deinen Posten mit Gewalt zu halten, aber du hast lange genug dafür gearbeitet, damit du keine Gewalt brauchst. Damit die Leute dich akzeptieren. Du hast Bellatrix nach Askaban gebracht, schon vergessen? Willst du wirklich wieder zu deinen Methoden von früher zurückkehren? Damals hast du jahrelang im Verborgenen gearbeitet. Jetzt kannst du wirklich etwas verändern. Und nebenbei – es gibt viel, was wir dir nicht verzeihen können, aber wenn du weiter unser Land führen willst, dann solltest du dafür sorgen, dass diese Liste nicht länger wird.“ Er starrte sie einen Moment lang an, als hätte sie ihm eröffnet, dass sie einen Knallrümpfigen Kröter als Kuscheltier mit ins Bett nahm. Doch fast sofort hatte er sich wieder im Griff und räusperte sich. „Du willst mir also sagen, ich soll den alten Mann und auch Potter einfach laufen lassen?“ Hermine nickte energisch. „Ja, das sage ich. Und ich werde auch alles in meiner Macht stehende dafür tun, verstanden?“ Er knurrte. „Klarer als klar.“ Dann kräuselten sich seine Mundwinkel. „Du spielst nicht gerade fair, das weißt du, oder?“ Sie schenkte ihm ihr süßestes Lächeln. „Ich lerne vom Besten.“ Er schnaubte. Im nächsten Moment ertönten hinter Hermine zwei leise Plops, und Toms Augen weiteten sich entsetzt. Sie wirbelte herum. Harry und Dumbledore waren verschwunden. Snape, der nun als einziger vor den gaffenden Leuten dort stand, meinte nur: „Albus hat den Apparierschutz, den der Dunkle Lord vorher über die Winkelgasse gelegt hat, während eurem Gespräch gelöst.“ Hermine lächelte schwach. „Sieht ihm ähnlich.“ Tom stieß mehrere Flüche aus, die Hermine noch nie gehört hatte, und disapparierte selbst, während er Hermine einen bitteren Blick zuwarf. Sie schluckte und starrte an die Stelle, an der er verschwunden war. Es traf sie doch mehr, als sie gedacht hatte, obwohl eigentlich nicht viel passiert war. Und obwohl sie das Richtige getan hatte, und es auch jederzeit wieder tun würde. Sie nahm kaum wahr, dass das Raunen um sie herum anschwoll und die Leute immer weiter vorwärts drängten, sie mit Fragen bestürmten – bis Snape an ihrer Seite auftauchte, nach ihrem Arm griff und zischte: „Wir müssen hier weg.“ Sie nickte nur. Einen Moment später spürte sie den Sog seiner Apparation und schloss sich ihm an, sich nicht einmal fragend, wohin er sie bringen würde. Kapitel 38: Falling in Place ---------------------------- Als die Welt um Hermine herum wieder Gestalt annahm, hörte sie als allererstes Harrys aufgebrachte Stimme. „Wie konnten Sie nur! Wir haben um Sie getrauert, verdammt! Wir hätten Sie gebraucht!“ Sie blinzelte und sah sich um. Sie waren in einem halbdunklen Raum gelandet, der nur von wenigen Kerzen erhellt wurde. Der Kamin war nicht entzündet, und es war kühl. Die Wände waren aus kahlem Stein, und Fenster gab es nur kurz unter der Decke. Ein unterirdisches Versteck also. Harry und Dumbledore standen in der Mitte des Raumes, und Harry funkelte seinen ehemaligen Direktor mehr als wütend an. „Nein, Harry“, entgegnete Dumbledore ruhig. „Bis ich wieder in einem annehmbaren körperlichen Zustand war, war Tom bereits Minister. Ich hätte nichts tun können.“ Harry warf die Hände in die Luft. „Aber – aber – Sie können doch nicht zulassen, dass VOLDEMORT Zaubereiminister ist!“ Hermine seufzte lautlos. Sie hatte seit dem Beginn ihres Studiums so gut wie keinen Kontakt mehr zu Harry gehabt. Und das hier war so typisch er… Sie hätte ihm für diese Aussage zwar einerseits am liebsten die Meinung gesagt, aber andererseits… war es gut, dass er immer noch derselbe war. Und zwar der Harry, der er vor seiner Verletzung gewesen war. Stur, hartnäckig und nicht bereit, klein bei zu geben, bei Dingen, die ihm wichtig waren. Es war gut, dass er wieder der Alte geworden war. Dumbledore rückte seine Brille zurecht und fuhr sich über den langen Bart. „Wir mussten es bisher – und ich halte diesen neuen Tom für durchaus diskussionsbereit. Er versucht schließlich nicht, uns alle zu Todessern zu machen, sondern hat sie sogar selbst ausgeschaltet. Denkst du wirklich, es ist eine gute Idee, jetzt mit dem Blutvergießen wieder zu beginnen?“ Harry knirschte hörbar mit den Zähnen und ballte die Hände zu Fäusten. Hermine holte tief Luft und trat zu den beiden. Harry wirbelte herum, als sie sich leise räusperte, und verschränkte die Arme. „Was willst du denn hier?“ Die Kälte seiner Worte traf Hermine schwer, und sie presste die Lippen aufeinander. „Euch treffen“, gab sie leise zurück. „Wie geht es dir, Harry?“ Er schnaubte. „Zumindest bin ich nicht so geisteskrank wie ihr und lasse Voldemort freie Bahn!“ Sie schluckte. „Ich lasse ihm keine freie Bahn, weißt du? Ich sage ihm regelmäßig die Meinung und habe ihn schon mehrmals zu Kompromissen überredet, die dann von der Gesetzgebung auch besser angenommen wurden als seine radikaleren Vorschläge.“ Harry lachte bitter. „Das nennst du ihm die Meinung sagen? Naja, was soll ich anderes erwarten, du warst schließlich in ihn verknallt. Bist du es noch?“ Snape schnappte nach Luft, doch Hermine ignorierte ihn und verengte die Augen. „Das hat damit absolut nichts zu tun, klar? Und nein, bin ich nicht.“ Harry legte den Kopf schief. „Und wie das was damit zu tun hat! Warum wolltest du denn so unbedingt im Ministerium arbeiten?“ Hermine rollte mit den Augen. „Um ihm nicht komplett die Zügel zu überlassen. Um mitreden zu können und vielleicht einige zweifelhaftere Ideen zu verhindern, die er haben könnte.“ Harry sah aus, als wollte er noch etwas erwidern, doch Dumbledore schnitt ihm das Wort ab. „Sie waren mir in den letzten Monaten eine große Hilfe, Miss Granger. Zusammen mit Ihnen konnte Madam Bones vieles durchsetzen, was alleine schwierig gewesen wäre.“ Hermine lächelte schwach und wandte ihren Blick Dumbledore zu. „Ich weiß. Danke.“ Als ihre Blicke sich trafen und seine blauen, funkelnden Augen sich in ihre bohrten, wurde ihr mit einem Mal wieder fast schmerzlich bewusst, dass er tatsächlich noch unter ihnen war. Dass er nicht längt gestorben war. Warme, helle Erleichterung stieg in ihr auf, und sie musste grinsen. Alles schien plötzlich ein wenig einfacher geworden zu sein. Da war zwar auch eine verletzte Stimme in ihrem Kopf, die sich beschwerte, dass er sie alle so lange im Dunklen gelassen hatte – aber sie wusste, kaum, dass sie das gedacht hatte, dass es nötig gewesen war. Tom hatte glauben müssen, dass er tot war. Dass sie alle trauerten. Es tat weh, doch was nötig war, würde sie niemandem vorhalten. Sie selbst war ja nicht besser gewesen – Dumbledore hatte nicht gewusst, ob sie heil aus der Vergangenheit wieder kommen würde. „Schön, dass Sie noch hier sind, Sir“, meinte sie leise. „Nichts zu danken“, schnarrte Snapes Stimme hinter ihr ungehalten. Sie wandte sich mit einem kleinen Lächeln um. „Danke.“ Snape schnaubte. Sie zog nur eine Augenbraue hoch und grinste wieder. Er rollte mit den Augen. „Wären Sie jetzt vielleicht so freundlich, mich endlich zu informieren, was eigentlich los ist? Sie waren… verliebt in ihn?“ Er spuckte das Wort aus, als handle es sich dabei um etwas Ekliges wie einen Flubberwurm. Hermine seufzte. „Wenn Harry nicht gleich die Wände hochgeht und wir etwas Zeit haben, gerne.“ Harry schnaubte. „Was soll das denn heißen?“ Hermine verzog das Gesicht. „Das soll heißen, dass du immer noch sauer auf Professor Dumbledore und mich bist, auch wenn du festgestellt hast, dass wir durchaus keinen Schwachsinn von uns geben.“ „Woher willst du das wissen?“ Hermine lächelte schwach. „Ich kenne dich, Harry. Ich weiß, wie du aussiehst, wenn du etwas nicht glaubst, und wie du aussiehst, wenn du etwas nicht glauben willst.“ Harry brummte. „Verdammte Besserwisserin.“ Sie lächelte traurig. „Das kann ich wohl am besten.“ Harry seufzte. „Na schön, dann erzähl Snape meinetwegen davon. Ist ja nicht so, als hätten wir es eilig, wenn Voldemort eh schon da ist, wo er hinwill.“ Sie warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu, folgte Dumbledore und Snape dann jedoch zu einer großen Sitzecke und ließ sich in einen Sessel fallen. Harry kam langsam hinterher und setzte sich in den Sessel neben ihr, während sie zu erzählen begann. Als sie schließlich am Ende stockend davon berichtet hatte, wie sie beschlossen hatte, das Todesserversteck zu verlassen, nickte Snape langsam. „Das erklärt eine ganze Menge“, meinte er schließlich leise. Er fixierte Hermines Blick. „In Anbetracht dieser Umstände haben Sie durchaus erfolgreich Schadensbekämpfung betrieben.“ Hermine lächelte unsicher, etwas überrumpelt von diesem offensichtlichen Kompliment von Snape. Dumbledore nickte. „Wir alle haben Schadenbegrenzung betrieben, Tom inklusive. Dafür, dass diese Situation so sehr nach hinten losgegangen ist, sieht es verhältnismäßig gut für uns aus.“ Harry knurrte. „Ich kann nicht glauben, dass DAS gut sein soll.“ Hermine legte ihm eine Hand auf den Arm, doch er zog sie weg. „Was hättest du anders gemacht, Harry? Was hätten wir deiner Meinung nach besser getan?“ Er schwieg. Snape schnaubte. „Es heißt zwar immer, dass Schweigen ein Argument ist, was kaum zu wiederlegen wäre, aber in diesem Fall spricht es nicht wirklich für Sie, Mr. Potter.“ „Ach, lassen Sie mich in Ruhe, Snape. Sie haben ja keine Prophezeiung an den Hacken, die Ihnen eintrichtert, dass Sie Voldemort ausschalten müssen.“ Snape zog eine Augenbraue hoch. „Theoretisch besagt diese Prophezeiung nur, dass Sie der Einzige wären, der den Dunklen Lord ausschalten könnte. Nicht, dass Sie es tun MÜSSEN.“ Harry schüttelte den Kopf. „Und keiner kann leben, während der andere überlebt“, zitierte er mit übertriebener Nachahmung von Trelawneys Stimme. Snape gab unbeeindruckt zurück: „Bisher scheinen Sie das doch prima auf die Reihe zu bekommen, ohne sich gegenseitig zu töten. Was spricht dagegen, so weiter zu machen?“ Harry sah ihn an, als hätte er den Verstand verloren. „Voldemort will mich vielleicht töten?“ Snape lächelte kalt. „Nein, ich glaube kaum. Denken Sie nicht, er hätte seit seiner ‚Wahl‘ zum Minister nicht genug Möglichkeiten gehabt? Er hatte die Mittel, Sie waren nicht mehr in Hogwarts – er hätte es getan, wenn er gewollt hätte.“ Jetzt blinzelte Harry überrascht – und auch Hermine geriet ins Grübeln. Es war im Grunde peinlich für sie, doch sie hatte nicht wirklich darüber nachgedacht in den letzten Monaten. Es war immer so gewesen, dass Harry zwar bedroht war, aber niemals in direkter Reichweite von Tom. Immer war er durch Hogwarts geschützt gewesen. Sie hatte einfach nicht so weit gedacht, dass er nach seinem Schulabschluss in größerer Gefahr schweben könnte. Aber jetzt, wo Snape es sagte – natürlich. Ohne weiter nachzudenken zog sie das Stück Pergament, was sie immer mit sich herumtrug, sowie einen Füller aus der Tasche. Sie war pünktlich nach den UTZs wieder auf ihren Muggelfüller umgestiegen, nachdem Federn keine Vorgabe mehr waren in der Universität. Warum willst du Harry nicht mehr töten? Natürlich will ich ihn töten. Warum fragst du überhaupt? Schwachsinn. Du hattest oft genug die Gelegenheit dazu, seit er nicht mehr in Hogwarts lebt. Du hast es nie getan. Ich hatte meine Gründe. Warum willst du das wissen? Ich wette, er sitzt neben dir. Wieso glaubst du, dass ich dir antworte? Weil ich ihm einen Wabbelbeinfluch auf den Hals jagen werde, wenn er es wagen sollte mitzulesen. Verlockend, aber nein danke. Was hat Dumbledore eigentlich im Sinn mit diesem Friede, Freude Eierkuchen? Friede, Freude, Eierkuchen. Ich hasse dich manchmal. Ich weiß. Warum willst du Harry nicht mehr töten? Du wirst keine Ruhe geben, oder? Nein. So gut solltest du mich inzwischen kennen. Das gefällt mir nicht. Wenn ich dir sage, dass ich Potter immer noch töten will, dann wird er neben dir ausflippen, weil du ihm schon gesagt hast, dass ich es oft genug hätte tun können und es nicht getan habe. Und wenn ich dir sage, dass ich ihn nicht mehr töten will, dann… Dann? … Siehst du, dann passiert gar nichts Schlimmes. Also, warum? Weil es meinem Ansehen sicher nicht gut tun würde. Trotz allem bin ich immer noch der Böse in den Köpfen der Leute, und Potter der Held. Wenn ich den Leuten ihren Helden nehmen würde, dann bleibe ich der Böse und muss auch wieder auf Gewalt zurückgreifen, um meinen Posten zu halten. Das geht vielleicht eine Zeit lang gut, aber niemals so lange wie ich es gerne hätte. Danke. Klappe. Du schuldest mir ein Duell. Morgen nach Feierabend, gleicher Duellraum. Geht klar. Hermine konnte nicht anders, als leise zu lächeln, während sie von dem Pergament aufblickte. Harry musterte sie misstrauisch. „Was hast du da gerade gemacht?“ Sie wägte einen Moment ab, was sie tun sollte, dann beschloss sie, ehrlich zu sein. Es hatte keinen Sinn, zu lügen. Sie hatte für ihr Leben genug gelogen. „Mich unterhalten“, meinte sie ruhig. Er runzelte die Stirn. „Mit wem?“ „Tom.“ Die Reaktion kam prompt und fiel so aus, wie Hermine sie erwartet hatte. Harry sprang entsetzt auf. „WAS? Du unterhältst dich mit ihm?“ Sie rollte mit den Augen. „Das sollte dich mittlerweile aber wirklich nicht mehr überraschen.“ Harry brummte. „Deswegen muss ich es ja nicht gerne sehen, oder?“ Sie lächelte schwach. „Nein, das nicht. Nur akzeptieren.“ Er ließ sich wieder in seinen Sessel fallen. „Und, was schreibt er?“, fragte er mit einem Tonfall, als ob er es gar nicht hören wollte. Hermines Lächeln wurde breiter. „Er will dich nicht mehr umbringen.“ „Glaub ich nicht“, gab er prompt zurück. Sie seufzte. „Er will es aus rein pragmatischen Gründen nicht mehr. Er versucht, auch ohne Gewalt an der Spitze zu bleiben. Dazu muss er die Leute soweit bekommen, dass sie ihn akzeptieren. Und das würden sie niemals tun, wenn er dich umbringt. Du bist schließlich immer noch ihr Held.“ Harry schnaubte. „Ein schöner Held bin ich. Verkrieche mich in der Muggelwelt und auf Quidditchplätzen, statt gegen ihn anzutreten.“ Dumbledore lächelte leise. „Das musst du auch nicht, wenn du es nicht willst. Niemand zwingt dich dazu. Und so falsch es auch klingt – Tom ist nicht der schlechteste Zaubereiminister, den wir haben könnten.“ Harry blickte missmutig drein. „Der Gedanke gefällt mir immer noch nicht.“ Dumbledore zwinkerte. „Das verlangt ja auch niemand. Kannst du zumindest mit der momentanen Situation leben? Das letzte Jahr über scheinst du es ja erfolgreich geschafft zu haben.“ Harry stand langsam auf und schüttelte den Kopf. „Vergesst es, Leute. Ihr könnt nicht von mir verlangen, mich so komplett zu ändern.“ Er suchte Dumbledores Blick. „Vor allem Sie nicht, Sir. Sie haben mir schließlich jahrelang eingeschärft, dass ich ihn töten muss.“ Er wandte den Blick ab und starrte einen Moment lang ins Feuer. „Lasst mich einfach in Ruhe mit dem ganzen Mist, ja?“, meinte er leise und disapparierte, bevor einer von ihnen antworten konnte. Hermine seufzte und musterte die dünne Luft, wo gerade noch sein Gesicht gewesen war. „Das war fast zu erwarten.“ Snape schnaubte. „Weitblick hat er ja nicht.“ Sie lächelte traurig. „Nicht wirklich, nein.“ Stille machte sich zwischen den dreien breit. Schließlich war es Dumbledore, der aufstand und mit einem raschen Zauber den Kamin entzündete. „Ich weiß nicht, wie ihr das seht, Severus, Hermine, aber ich denke, wir sollten ihm seine Ruhe lassen. Er weiß, dass er niemals bis zu Tom vordringen könnte im Ministerium, also sollte die Gefahr eines Kampfes zwischen den beiden recht gering sein. Und ich glaube Tom, diese Begründung passt perfekt zu ihm und seiner Vorgehensweise im Moment.“ Hermine nickte langsam. „Es ist das, was er tut. Er versucht, nichts kaputt zu machen, was er noch gebrauchen könnte.“ „Tun wir das nicht alle?“, fragte Snape herablassend. Dumbledore schüttelte den Kopf. „Nein, bei weitem nicht, Severus. Sie wären erstaunt, wenn Sie sich auf mehr Menschen einlassen würden.“ Dieser zuckte nur mit den Schultern. „Nein danke, mir reichen die, die ich sowieso viel zu oft um mich habe.“ Dumbledore lächelte, dies schien ein typisches Gespräch zwischen den beiden zu sein. Hermine kam sich fast ein wenig fehl am Platz vor. Sie erhob sich langsam. „Ich sollte dann wieder an die Arbeit gehen, sie werden mich sowieso schon vermissen. Wo sind wir hier?“, fragte sie. Dumbledore zwinkerte ihr zu. „Unter dem Eberkopf. Sie können jederzeit wieder vorbeikommen, wenn Sie möchten.“ Sie lächelte. „Vielen Dank. Ich denke, das werde ich tun.“ Sie nickte Snape kurz zu, verabschiedete sich und apparierte zurück ins Ministerium. Wieder in ihrem Büro angekommen, setzte sie sich langsam und ließ das gerade Geschehene Revue passieren. Harry war zwar immer noch nicht glücklich mit dem Stand der Dinge, doch sie konnte es ihm nicht verübeln. Nicht, nachdem er solange an dieser Prophezeiung zu knabbern gehabt hatte. Sie war sich allerdings sicher, dass er nichts Dummes versuchen würde, sondern einfach so weitermachen würde wie bisher. Seine Ausbildung in der Muggelwelt lief gut, auch wenn er diverse Zeugnisse gefälscht hatte dafür, und er war zu intelligent, das für ein Himmelfahrtskommando aufs Spiel zu setzen. Sie seufzte schwer und stützte den Kopf in die Hände. Dumbledore würde nichts gegen Tom unternehmen und weiter die neue Ordnung unterstützen. Gut. Aber was war mit Tom? Er war anscheinend immer noch wütend genug auf den Direktor, um ihn direkt anzugreifen, wenn sich die Chance ergab. Und das durfte nicht passieren. Bevor sie jedoch darüber nachdenken konnte, ging die Tür auf und das Zentrum ihrer momentanen Gedanken wirbelte mit wehenden, pechschwarzen Roben herein. Sie richtete sie unmerklich auf. „Tom – was machst du denn hier?“ Er schnaubte nur und legte ihr eine Pergamentrolle auf ihren Schreibtisch. „Meint er das Ernst?“, fragte er ungläubig. Hermine blinzelte und rollte das Pergament auf. Es war mit einer ungewöhnlich regelmäßigen Handschrift beschrieben, die sie sofort als Flotte-Schreibe-Feder erkannte. Rasch überflog sie den Text. Es war die Mitschrift eines Interviews mit Albus Dumbledore. „Von heute?“, fragte sie während des Lesens. Tom nickte. Schließlich sah sie wieder auf und meinte langsam: „Ja, ich denke, es ist sein Ernst.“ Tom starrte sie an. „Das passt überhaupt nicht zu dem alten Mann. Himmel, er mochte mich ja noch nicht einmal in der Schule!“ Hermine zog eine Augenbraue hoch. „Du konntest damals aber auch unausstehlich sein, wenn du wolltest.“ Er erwiderte ihren Blick vielsagend, und sie musste lächeln. „Okay, kannst du heute immer noch. Aber Tatsache ist, du kannst mittlerweile Kompromisse schließen. Warum sollte es dann nicht möglich sein, sich friedlich mit dir zu einigen? Dumbledore hat immer nur dann zur Gewalt gegriffen, wenn ihm nichts anderes mehr übrig geblieben ist. Es ist sein Ernst.“ Tom schwieg. Hermine seufzte und rollte die Pergamentrolle wieder zusammen. „Denk darüber nach, okay?“ Er nahm ihr langsam die Rolle wieder aus der Hand. „Na schön. Ich behalte ihn im Auge. Ich unternehme nichts gegen ihn, aber wenn er eine falsche Bewegung macht, dann kann er etwas erleben. Immerhin ist er es mir schuldig zu sterben.“ Hermine konnte gerade noch ein Zusammenzucken verhindern, als sie das hörte. „Was bitte? Du hattest deine Rache, genug ist genug!“ „Und du bist nicht meine Mutter!“, fauchte er zurück. Sie schnappte nach Luft. „Na zum Glück.“ Er grinste freudlos. „Stimmt, sonst wärst du tot.“ Sie verdrehte die Augen. „Das hab ich nicht gesagt. Aber gut zu wissen, dass ich dir lebendiger lieber bin als tot.“ Sie grinste leicht, und stellte erleichtert fest, dass er das Grinsen erwiderte. „Immer. Tote sind zwar nett, werden aber viel zu schnell langweilig.“ Ihr Lächeln wurde einen Tick breiter. Er ließ den Blick über ihren Schreibtisch wandern. „Hast du heute noch etwas zu tun?“ Hermine seufzte. „Nein, nicht wirklich. Ich bin meistens schon mittags mit der Arbeit fertig. Die trauen mir definitiv noch nicht genug zu.“ Seine Lippen kräuselten sich. „Ich weiß, dass wir zwar erst morgen zum Duell verabredet sind, aber was hältst du zusätzlich jetzt von einem?“ Sie grinste. „Immer gerne.“ Seine Augen funkelten, als er ihr die Tür aufhielt. „Dann komm.“ Sie folgte ihm nach draußen. Während sie zu den Duellräumen liefen, hatte sie zum ersten Mal das Gefühl, dass trotzdem noch alles irgendwie gut werden würde. Sicher, sie hatten noch einiges an Ärger vor sich, aber dennoch hatte sich das Ruder gewendet, seit sie gedacht hatte, es wäre zu spät für alles. Jetzt hatte sie zum ersten Mal seit langem wieder das Gefühl, alles wäre in Ordnung – und würde vorwärts gehen, in die richtige Richtung. Sie fühlte sich, als könnte sie die Welt verändern. Und das würde sie auch tun. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)